Asow oder die wandlungsfähigen Nazis
Über eine geschichtspolitische Zeitenwende, die auch rechte Kameradschaften rehabilitiert
Es ist nun wahrlich nichts Neues, dass die westliche Welt gerade in Kriegszeiten auf die äußerte Rechte zurückgreift. Meistens wird das aber vor allem in liberalen Medien deutlich, die sich in der Nähe von Ultrarechten unwohl fühlen. Das hat sich im Ukraine-Krieg geändert, zumal sich nicht mehr bestreiten lässt, dass ein Großteil der Verteidiger im Stahlwerk bei Mariopul zum Asow-Regiment gehörten.
Die linksliberale taz schreibt allerdings schon sehr vorsichtig über "rechtsradikale Wurzeln" dieses Regiments. Kann man daraus schließen, dass die Blüten und Blätter trotzdem Teil der diversen Kultur sein können, die in der taz so gerne gefeiert wird? Eigentlich verbietet sich das, denn der taz-Journalist Bernhard Clasen beschreibt korrekt:
"Asow" hat in der Tat rechtsradikale Wurzeln. Der Gründer der Bewegung, Andrij Bilezkij, war in seiner Heimatstadt Charkiw eine stadtbekannte Größe der rechtsradikalen Szene. Die von Asow-Kommandeur Bilezkyi angeführte Organisation "Patrioten der Ukraine" habe noch 2008 in Charkiw Hitlers "Mein Kampf" verteilt, berichtete Ewgenij Sacharow, Direktor der "Menschenrechtsgruppe Charkiw", 2017 der taz.
Bernhard Clasen
Er erinnert auch daran, dass Bilezkij in der britischen Presse von "der historischen Mission der Ukraine" schwadroniert, die darin bestehe, die "weißen Rassen der Welt in einen letzten Kreuzzug um ihr Überleben zu führen". Das haben die Asow-Sympathisanten der deutschen Neonazipartei III. Weg, die diesen Kampf bedingungslos unterstützt, gut verstanden.
Nazis werden "Patrioten" und der einzige Nazi ist Putin
Nun konnte man denken, dass Clasen mit seinem Faktenwissen über die rechten Kameradschaften klar kritisiert, wie rechte Kameradschaften normalisiert werden. Doch Fehlanzeige. Clasen hat nämlich Gewährsleute in der Ukraine parat, die Asow bescheinigen, sich gewandelt zu haben. "Vor nicht allzu langer Zeit hat Asow sogar erklärt, dass sie keine Nazis, sondern Patrioten seien. Und der einzige Nazi sei Putin", hat der ukrainische Gewährsmann die Zauberformel entdeckt, die auch in Nachkriegsdeutschland schon zur großen Weißwäsche der braunen Volksgemeinschaft führte.
Das waren alles Patrioten und die wahren Nazis sind die "Russen" – und auch die Alliierten im Allgemeinen, die deutsche Frauen vergewaltigten und deutsche Städte zerstörten. Deshalb nannten sich auch die Alt- und Neonazis schon immer Patrioten – und schlaue Linke hatten dazu gar keinen Widerspruch. Sie wussten, dass Patriotismus die Einstiegsdroge in Nationalismus und Krieg ist.
Doch auch das hat sich nach der Zeitenwende des Ukraine-Kriegs wohl geändert. Denn Clasen schreibt auch, warum die Asow-Kameraden heute in der Ukraine angeblich keine Gefahr mehr seien. "Die Zunahme der patriotischen Stimmung in unserem Land hat dazu geführt, dass die Rechtsradikalen bei der Verteidigung des Landes eine viel geringere Rolle spielen als noch 2014", zitiert er einen "Kenner der rechtsextremen Szene in der Ukraine".
So könnte man auch die WerteUnion und andere ultrarechte CDU-Mitglieder nachträglich rehabilitieren: Sie haben schließlich immer empfohlen, die AfD dadurch klein zu halten, in dem man selber deren Programm übernimmt und vor allem immer wieder den eigenen Patriotismus hervorhebt. Dann kämen die Rechten gar nicht mehr auf die Idee, die AfD zu wählen, wenn sie deren Programm auch von der Union haben können.
Antifaschistische Gruppen haben vor einer solchen Argumentation immer gewarnt und betont, dass die Rechten nicht schwächer, sondern stärker werden, wenn deren Programm von anderen bürgerlichen Parteien übernommen werden.
Geschichtspolitische Zeitenwende
Insofern ist die Rezeption des Ukraine-Konflikts auch eine geschichtspolitische Zeitenwende. Sie führt zurück in eine Zeit, wo man braune Kameraden ganz unverhohlen als Teil der abendländischen Kampfgemeinschaft gegen die Russen anerkannte. So wurden schließlich die Menschen im Osten Europas schon bezeichnet, als noch die Sowjetunion bestand.
"Die Russen kommen" war der Schreckensruf für die deutsche NS-Volksgemeinschaft und ihre Verbündeten, beispielsweise die ukrainischen Nationalisten. Lange war es in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft Konsens, dass die Wehrmacht nicht kritisiert werden darf, denn sie habe ja die deutsche Front gegen "die Russen" gehalten. Dass sie damit dafür gesorgt haben, dass in den Vernichtungslagern weiterhin jüdische Menschen ermordet werden konnten, wurde teils schon als Vaterlandsverrat ausgelegt.
Bei den Diskussionen um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" in den 1990er-Jahren kam es noch mal zur ganz großen Querfront von Nazis der unterschiedlichen Kameradschaften bis in großen Teile der CDU/CSU. Der damalige CSU-Rechtsaußenpolitiker Peter-Gauweiler führte die Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung ebenso mit an, wie der CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger, der im Bundestag noch mal die deutsche NS-Volksgemeinschaft verteidigen konnte.
Die NS-Volksgemeinschaft geriet in die Defensive
Doch diese rechten Kräfte schienen den geschichtspolitischen Kampf letztlich verloren zu haben. Schließlich gehörte es in den letzten Jahren zur deutschen Staatsraison, dass es am verbrecherischen Naziregime nichts zu verteidigen gab und dass letztlich dessen Niederlage auch eine nachträgliche Befreiung für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung war. Mit dem Verweis auf tatsächliche oder imaginierte Verbrechen "der Russen" ließ sich eben nicht die regimetreue NS-Volksgemeinschaft verteidigen.
Das zeigte sich bei der sogenannten Bitburg-Kontroverse, als der damalige US-Präsident Ronald Reagan auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am Soldatenfriedhof in Bitburg auch SS-Angehörige ehren sollte. Diese Debatte zeigte auch, dass es vor allem Kritiker aus den USA waren, die dagegen protestierten. Es waren in den USA lebende Linke wie Moishe Postone, die in einem offenen Brief die deutsche Friedensbewegung kritisierten, weil sie sicher nicht zu Unrecht gegen den US-Präsidenten Reagan mobilisierte, aber zu der von der Bundesregierung initiierten Ehrung gefallener SS-Leute schwieg.
Daher ist es vielleicht auch gar nicht so verwunderlich, dass die neue geschichtspolitische Zeitenwende nach dem Ukraine-Krieg auch in großen Teilen der Linken nachvollzogen wird. Ein Botschafter Melnyk, der die Asow-Kameradschaften ebenso verteidigt und am Grab des Antisemiten Stepan Bandera einen Kranz niederlegt, wird kaum kritisiert. Dafür werden seine Kritiker beschuldigt, das Geschäft Moskaus, der Russen oder gleich Putins zu betreiben.
Dafür regen sich auch linke Journalisten auf, wenn irgendwo in der Welt an die rechten Kameradschaften von Mariupol erinnert wird. So echauffiert sich der Journalist Wolf-Dieter Vogel, der sich in den 1990er-Jahren große Verdienste bei der Aufdeckung eines rassistischen Anschlags erworben hat, darüber, dass auf dem Weltsozialforum in Brasilien die rechten Kameradschaften in Mariupol nicht in die demokratische Welt eingemeindet wurden. Der chilenische Schriftsteller Pablo Joffre Leal habe sogar vom Grab des Nazismus gesprochen.
Sicher ist ein Teil der Kritik an einer antizionistischen Linken berechtigt, die lediglich in den USA den Hauptfeind sehen will. Doch dass die Nazikameradschaften in Mariupol keine Erfindung Russlands sind, sollte zumindest von dem Teil der Linken erwähnt werden, die einmal angetreten sind, Staat und Nation im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen zu kritisieren.
Sie sollten wissen, dass der Ruf "die Russen kommen" nicht überall Schrecken auslöste. Bei den Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz war es ein Ruf der Freude. Dort handelte es sich bei den Russen um die Soldaten der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front der UdSSR. Ihre Gegner waren die deutsche Volksgemeinschaft und ihre Verbündeten in der Ukraine, die politischen Stichwortgeber des Asow-Regiments.