Atomtests im Pazifik: Noch immer verstrahlt

Eine Atombombe wird 1946 im Bikini Atoll auf den Marshall Islands gezündet. Einer von Hunderten von Atomtests, durchgeführt von den USA, Frankreich und Großbritannien. (Das Foto ist nachträglich koloriert worden.) Bild: US Government / CC BY-NC 2.0

Angesichts der wachsenden Atomkriegsgefahr im Zuge des Ukraine-Kriegs sollten die Atomtests im Pazifik eine Warnung sein. Bis heute wird verstrahlten Menschen und Regionen nicht geholfen. Was damals wirklich passierte und heute ausbleibt.

Etwa 315 Atombomben haben die Kolonialmächte USA, Großbritannien und Frankreich zwischen 1946 und 1996 auf pazifischen Inseln zu Testzwecken gezündet. Viele Menschen, zum Teil in Folgegenerationen, leiden bis heute unter den gesundheitlichen Auswirkungen der radioaktiven Verstrahlung; einige Inseln werden auf Dauer hochgradig verstrahlt bleiben. Ob der Atomwaffenverbotsvertrag mit seinem Passus zu "Hilfe für Opfer und Umweltsanierung" den pazifischen Inselstaaten wirklich nukleare Gerechtigkeit bringen wird, bleibt abzuwarten.

Ingrid Schilsky interviewte zwischen 1985 und 1990 Überlebende von Atomwaffentests auf Pazifikinseln

Krankenbetten, Spritzen, Blut, mehr Spritzen, Kummer und Leid"1 – das assoziieren viele BewohnerInnen der Marshall-Inseln, wie Meitaka Kendall-Lekka vom Likiep-Atoll, noch in dritter Generation mit den 67 oberirdischen US-Atombombentests auf den Atollen Bikini und Enewetak in den Jahren 1946 bis 1958. Bis heute am gravierendsten sind die Folgen der Explosion der Wasserstoffbombe "Bravo" am 1. März 1954 auf dem Bikini-Atoll mit 15 Megatonnen Sprengkraft – mehr als dem 1000-fachen der Hiroshima-Bombe – die größte Explosion, die die USA jemals gezündet haben. Millionen Tonnen von Material wurden aus einem 76 Meter tiefen und zwei Kilometer weiten Explosionskrater in die Luft gerissen und regneten Stunden später als "Schnee" auf bewohnte Inseln.

Bald zeigten sich Verbrennungen, Haarausfall, Übelkeit; den großen Durst löschte man mit kontaminiertem Wasser. Zwei bis drei Tage später wurden die Einheimischen von vier Atollen, darunter dem Rongelap-Atoll, auf Militärschiffen der USA, denen die Inseln als UN-Treuhandgebiet anvertraut waren, evakuiert. Die Menschen auf anderen verstrahlten Inseln, wie etwa dem Likiep-Atoll, blieben ahnungslos und ernährten sich weiterhin aus verseuchten Lagunen und vom vergifteten Land.

Auf allen pazifischen Inseln ist die Bindung der Menschen an ihr Land sehr eng. Deshalb freuten sich die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen von Rongelap sehr, dass sie 1957 auf ihr Atoll zurückkehren durften. Die Hintergründe offenbarten sich erst vor wenigen Jahren, nachdem sich engagierte Menschen den Zugang zu militärischen US-Archiven erkämpft hatten:

Diese Insel ist bei weitem der am stärksten radioaktiv kontaminierte Ort der Erde, und es wird sehr interessant sein, zu messen, was Menschen aufnehmen, wenn sie in einer kontaminierten Umgebung leben,

hatte Merril Eisenbud, U.S. Atomic Energy Commissioner, am 14. Juli1956 bei einem geheimen Treffen erklärt.2

Nicht lange vor der "Bravo"-Explosion waren die militärischen Vorgaben zur Durchführung und Dokumentation von Atomtests in einem wesentlichen Punkt geändert worden. War bis November 1953 von "biochemical studies (...) with mice" die Rede, lautete der Passus anschließend: "bio- chemical studies (...) of human beings".3

Viel Krebs, keine Statistiken

Lijon Eknilang, die als Achtjährige am 1. März 1954 auf Rongelap gesehen hatte, wie "die Sonne zweimal aufging", erinnerte sich4:

Bei unserer Rückkehr im Juni 1957 hatte sich vieles auf unseren Inseln verändert. Einige unserer Nahrungsmittel (...) waren völlig verschwunden. Andere (...) trugen keine Früchte mehr. Was wir aßen, verursachte Bläschen auf unseren Lippen und im Mund und wir litten unter starken Magenschmerzen und Übelkeit.

Dann fingen all die Krankheiten an: Krebs, vor allem Leukämie, aber auch Leber- und Magenkrebs, Fehlgeburten, Totgeburten, Geburten missgebildeter Kinder, Schilddrüsentumore, Augenkrankheiten. Viele Kranke wurden regelmäßig in die USA verfrachtet und ausführlich untersucht und vermessen, aber selten kuriert.

Auf Rongelap entstand der Wunsch, die Heimat wieder zu verlassen. Doch die Eingaben blieben erfolglos: Die Regierung der Marshall-Inseln konnte, die Regierung der USA wollte ihnen nicht helfen. Es sollte 28 Jahre dauern, bis sie mit dem Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior auf die Insel Mejato umgesiedelt wurden.

Nicht nur die Atomwaffenforschung, auch die zivile Nuklearwissenschaft erlebte in den 1950er Jahren einen Boom. Weltweit konnte nun der Fallout der oberirdischen Atomtests gemessen werden, radioaktives Strontium-90 in deutschem Gras und in der Milch sowie in amerikanischen Kinderzähnen. Angesichts der besorgniserregenden Messergebnisse kamen Teststopp-Verhandlungen zwischen den Atommächten in Gang. Ein Abkommen über ein teilweises Testverbot, das alle Atomwaffenversuche in der Atmosphäre, unter Wasser und im Weltraum ausschließt, kam 1963 zwischen den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritannien zustande.5

Im Dokumentarfilm "The Coming War On China" erzählt der australische Journalist John Pilger eindrücklich, wie die Bewohner:innen der Pazifikinseln als Versuchskaninchen für nukleare Verstrahlung missbraucht wurden.

Vor Vertragsunterzeichnung mussten flugs noch die neuesten nuklearen Waffensysteme erprobt werden. So erlebte die Weihnachtsinsel (Christmas Island) allein 1962 in ihrer Umgebung 25 US-Nukleartests, neun weitere fanden auf Johnston Island statt, darunter fünf Atomtests in Höhen zwischen 48 bis über 400 Kilometern. Die Weihnachtsinsel, damals Teil der britischen Kolonie Gilbert and Ellice Islands, heute zum Staat Kiribati gehörend, war seit 1957 britisches Atomtestgebiet gewesen.

Inzwischen befasst sich eine einheimische Organisation mit der noch immer hohen Zahl an Krebserkrankungen; eine systematische gesundheitliche Untersuchung der Bevölkerung erfolgte bis heute nicht.