Atomtests im Pazifik: Noch immer verstrahlt

Seite 2: Vergebliches Warten auf eine Entschuldigung

Mehr in kollektiver Erinnerung als die britischen Nukleartests dürften die Atomwaffenversuche in Französisch-Polynesien sein, die nach weltweiten Protesten erst 1996 endeten. Frankreich hatte sein Nuklearwaffenarsenal zunächst in Algerien erprobt, ab 1960 mit vier oberirdischen Tests in der Sahara, denen, mitten im algerischen Unabhängigkeitskrieg, 13 unterirdische Atomwaffentests folgten.

Gleichzeitig hatte Staatspräsident de Gaulle die ersten geheimen Vorbereitungen in der französischen Kolonie im östlichen Pazifik veranlasst. Am 2. Juli 1966 wurde die erste atomare Sprengladung auf einem in der Lagune von Mururoa verankerten Schiff gezündet – drei Jahre nach Inkrafttreten des partiellen Teststopp-Vertrages, dem sich Frankreich bis dahin nicht angeschlossen hatte.

Die radioaktiven Niederschläge der folgenden, mindestens 40 oberirdischen Atomexplosionen auf den Atollen Mururoa und Fangataufa verseuchten Inseln und Länder in tausenden Kilometern Entfernung. Peru brach seine diplomatischen Beziehungen zu Frankreich ab, Australien und Neuseeland protestierten mit Fregatten vor Ort, zogen vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und erreichten 1973 eine einstweilige Anordnung gegen die oberirdischen Tests, aber diese gingen vorerst weiter.

Die Grande Nation lenkte schließlich ein, ab 1975 wurden die Atomexplosionen in den Untergrund verlegt. "Undersea" sagen die Polynesier, denn Korallenatolle haben keinen stabilen Untergrund, selbst wenn die Bohrschächte einige hundert Meter tief in den Basaltkern vorgetrieben werden. Die Bohrlöcher erhielten Frauennamen: Aline, Brigitte, Denise, Dora Edith, Françoise, Gisèle ... Schon 1980 wiesen die Atolle kilometerlange Risse auf, 1985 befand ein neuseeländischer Geologe, sie seien "löchrig wie ein Schweizer Käse".

Bis 1996 schmolzen mindestens 152 atomare Explosionen riesige Löcher in das Innere der Atolle. Verschiedene unabhängige Untersuchungen haben die enorme Krebsbelastung beim beteiligten französischen Militär, aber auch in der Bevölkerung Französisch-Polynesiens ans Licht gebracht. Die erkrankten Einheimischen warten bisher fast alle vergeblich auf finanzielle Entschädigungen, und vor allem auf eine formelle Entschuldigung Frankreichs. Diese gab es auch beim Besuch von Staats- präsident Macron im Juli 2021 nicht, wenngleich Macron eine gewisse Schuld eingestand.

Kann der Atomwaffenverbotsvertrag helfen?

In einer Vorlage für das UN-Treffen zur nuklearen Abrüstung 2016 for-mulierten die Anrainerstaaten, dass es "bis heute keine ausreichende Überwachung der medizinischen, psychologischen und ökologischen Auswirkungen dieses Fallouts in der Region" gebe und "die Ausgasung und Auswaschung von radioaktivem Material aus den unterirdischen Testanlagen Frankreichs in den Ozean (...) ein ständiges Umweltrisiko" darstellt.6

So setzen jetzt etliche Inselstaaten ihre Hoffnungen auf den Atomwaffenverbotsvertrag. Das Vertragswerk wurde im Juli 2017 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen von 122 Mitgliedstaaten angenommen und trat am 22. Januar 2021 in Kraft, 90 Tage nach der 50. Ratifizierung. Dazu hatten auch neun pazifische Inselstaaten sowie Neuseeland (mit Tokelau) beigetragen.7

Eine Besonderheit des Atomwaffenverbotsvertrags ist, dass er die nukleare Vergangenheit einschließt. In Artikel 6 geht es um die medizinische Versorgung, Rehabilitation und psychologische Unterstützung für Personen, die vom Einsatz von Atomwaffen im Kriegs- und Testfall betroffen sind, was auch geschädigte Nachkommen umfasst, und um die Sanierung verseuchter Gebiete.

Zu einem gegensätzlichen Schritt sahen sich die Marshall-Inseln gezwungen: Obwohl sie sich aktiv an den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag beteiligten und weiterhin nachdrücklich die Forderung nach einer vollständigen Abschaffung von Atomwaffen in der Welt unterstützen, hat das Land den Vertrag nicht unterzeichnet.

Es wird nämlich befürchtet, dass aufgrund der Vertragsformulierungen die Marshall-Inseln selbst in die Pflicht genommen werden könnten für den katastrophalen Zustand des "Todesdoms" auf der Insel Runit. Denn im Artikel 6 heißt es, dass jeder Vertragsstaat "die notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur Sanierung der Umwelt“ der kontaminierten "Gebiete unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle" trifft.

Auf der Insel Runit im Enewetok-Atoll tickt eine Zeitbombe.

Auf der Insel Runit im Enewetok-Atoll tickt eine Zeitbombe. 43 Atombomben waren hier gezündet worden, mit Unfällen, bei denen sich hochgiftige Plutoniumpartikel verteilten. Um einen Teil des Atolls wieder "bewohnbar" zu machen, mussten tausende Arbeiter aus den USA in den 1970er-Jahren (ohne Schutzkleidung) über 100.000 Kubikmeter verseuchtes Material in einen Explosionskrater der Insel Runit verfüllen, ohne Versiegelung direkt auf den porösen Korallenkalkstein. Die darauf gesetzte Betonkuppel weist schon viele Risse auf – und liegt auf Meereshöhe.

Drei Inseln des Atolls sind wiederbesiedelt worden, aber niemand weiß genau, wie viel Plutonium sich noch in der Lagune befindet oder schon nach draußen gelangt ist. Die USA lehnen jegliche Verantwortung ab. Die von Zersetzung und Überschwemmung bedrohte Kuppel, die von UN-Generalsekretär Antonio Guterres als "eine Art Sarg" beschrieben wurde, "ist die Verbindung zwischen dem Atomzeitalter und dem Zeitalter des Klimawandels" sagt Alson Kelen von den Marshall-Inseln8. „Wir wollen Atomwaffen abschaffen und wir wollen die Klimakrise aufhalten – das ist unser Ziel für unsere und für die nächste Generation“ ergänzt Meitaka Kendall-Lekka.