Auf der Suche nach Alternativen zur Macht der Clans

"Françafrique" -Frankreichs Afrikapolitik

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Alle Welt - zumindest im Westen – denkt beim Stichwort „afrikanische Potentaten“ derzeit an Robert Mugabe. Und alle Welt redet davon, dass der alternde Diktator endlich einen Abgang machen solle. Aber der 84jährige Noch-Präsident Zimbabwes findet sich nur schwer mit dem Gedanken ab, die Herrschaft abzugeben und sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Nachdem er die Präsidentschaftswahl Ende März trotz mutmaßlichen Wahlbetrugs nicht in der ersten Runde gewinnen konnte, soll er nun gegen seinen Herausforderer Morgan Tsvangirai in eine Stichwahl ziehen, was die Opposition ablehnt, die sich als Sieger sieht. Die offiziellen Wahlergebnisse sind indes noch gar nicht proklamiert, und Mugabe wartet mit einer neuen Finte auf: Nun will er sein Regierungsamt „durch eine Neuauszählung der abgegebenen Stimmen rechtfertigen".

Gemessen am Dienstalter anderer afrikanischer Autokraten ist Mugabe geradezu ein Jungspund, zumindest wenn man seine Dienstjahre betrachtet. Von den Mugabes Despotenkollegen spricht man weitaus weniger im Westen bzw. Norden und dies aus gutem (oder eher: schlechtem) Grund. Denn sie dienen etwa der früheren Kolonialmacht Frankreich oder auch internationalen Institutionen wie der Weltbank als eifrige Erfüllungsgehilfen ihrer Politik. Robert Mugabe ist seit 1987 als Präsident im Amt. Aber sein Präsidentenkollege Paul Barthélemy Biya in Kamerun, der jüngst Unruhen niederschlagen ließ und dabei laut Angaben der Opposition in der letzten Februarwoche rund 200 Tote verursachte – mehr als in jüngster Zeit in Tibet beklagt wurden – amtiert seit 1982 ununterbrochen. Und das dienstälteste Staatsoberhaupt des Kontinents, Omar Bongo Ondimba, bewohnt seinen Präsidentenpalast seit Januar 1967. Also seit lockeren 41 Jährchen.

Beide gelten in Frankreich und Belgien eher als „gute Schüler“. Dies kann man von Robert Mugabe nicht behaupten, der in nahezu allen westlichen Ländern ein schreckliches Image innehat. Gewiss, er regiert als alternder, starrköpfiger Autokrat und wird mutmaßlich von einer wachsenden Zahl von Landsleuten gehasst. Dies hat er aber mit einer ganzen Reihe von Amtskollegen gemeinsam. Oder sollte die negative Reputation Mugabes gar damit zusammenhängen, dass seine Partei (ZANU-ZAPU) 1979 den Unabhängigkeitskrieg gegen das weiße Rassistenregime im damaligen „Südrhodesien“ gewann? Dass er sich in der Folge an Moskau und Peking anlehnte? Oder damit, dass er auch jetzt noch das Land weißer Farmer enteignen lässt – soeben, vielleicht um vom Ausgang der Wahlen abzulenken, begann eine neue Welle von Farmbesetzungen durch ihm nahe stehende Veteranen des Unabhängigkeitskrieges – und nicht bloß schwarze Untertanen unterdrückt?

Erzwungener Ministerrücktritt in Paris

Ähnliche Imageprobleme haben Paul Biya oder Omar Bongo nicht zu beklagen. Beide haben sogar die Macht dazu, in Paris die Köpfe von Kabinettsmitgliedern zu fordern, die ihnen unangenehm aufgefallen sind.

Diese Erfahrung müsste jüngst Jean-Marie Bockel machen. Der Bürgermeister der elsässischen Industriestadt Mulhouse, der im Juni 2007 von Frankreichs Sozialdemokratie zum konservativen Lager der Unterstützer Nicolas Sarkozys überlief, amtierte bis vor kurzem in Paris als „Staatssekretär für Kooperation“. Dieser oberflächlich nichtssagende Titel bezeichnet ein Amt, das früher einmal den Titel „Kolonialministerium“ trug. Später wurde daraus dann das „Kooperationsministerium“, und seit nunmehr elf Jahren trägt der Amtsinhaber den Titel eines Staatssekretärs, der dem Außenministerium zugeordnet ist. Die Frage ist nur, ob sich neben dem Titel auch die Funktionen des Amts ebenso schnell verändert haben.

Seit dem 18. März dieses Jahres ist Bockel aus seinem Amt geschasst, das er nur neun Monate lang bekleiden konnte. Der unfreiwillige Abgang wurde ihm freilich dadurch versüßt, dass er auf den Posten eines Staatssekretärs für die ‚Anciens combattants’ – für die Veteranen-Versorgung – im Verteidigungsministerium weggelobt worden ist. Der alte und neue Staatssekretär verbirgt jedoch nicht, dass er seinen erzwungenen Rücktritt vom alten Posten bedauert:

Selbstverständlich wäre es unlauter, würde ich Ihnen sagen, dass ich mich nicht nach der spannenden Arbeit, die ich hier verrichten konnte, zurücksehne.

Längst pfeifen es die Spatzen von den Dächern, wer für die Auswechselung Jean-Marie Bockels aus dem Afrikaamt der französischen Außenpolitik verantwortlich ist. Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ nannte in der darauffolgenden Woche konkret drei Namen: die der afrikanischen Präsidenten Omar Bongo (Gabun), Paul Biya (Kamerun) und Denis Sassou-Nguesso (Kongo-Brazzaville). Alle drei verfügen nicht nur über ähnliche autoritäre Herrschaftsmethoden, sondern sind zudem in zwei Fällen auch noch miteinander verwandt – als angeheiratete Familienmitglieder. Nach dem Tod seiner früheren Ehefrau gab Sassou-Nguesso dem Chef seines Nachbarlands, Omar Bongo, die eigene Tochter als Gattin: Edith Lucie Bongo wurde zur neuen First Lady der Republik Gabun. Man glaubt sich in die Jahrhunderte früherer Heiratspolitik des europäischen Adels zurückversetzt. Wie aber kommt es, dass quasi-monarchisch regierende Potentaten faktisch über die Auswechselung von Regierungsmitgliedern in einer uralten Demokratie – wie der Französischen Republik – entscheiden oder mitentscheiden können?

Warum können Diktatoren über Ministerwechsel in einer Demokratie entscheiden?

Tatsächlich hielten die Bezeichneten mit ihrer Freude über den erzielten Erfolg überhaupt nicht hinter dem Berg. „Für uns ist dies (der Abgang Bockels) ein interessantes Zeichen“, verlautbarte der gabunesische Regierungssprecher René Ndemezo Obiang in einer unmittelbaren Reaktion. Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner, der frühere Vorgesetzte Bockel, bestätigte:

Ich schließe nicht aus, dass es Druck gegeben hat, insbesondere von Omar Bongo, um Bockel aus dem Quai d’Orsay (dem Sitz des französischen Außenministeriums) ausscheiden zu lassen.

Sein Nachfolger wurde Alain Joyandet, der als äußerst loyaler „Sarkozyist“ gilt und zudem einem ostfranzösischen regionalen Presseimperium vorsteht.

Das Malheur des Jean-Marie Bockel besteht darin, unter anderem folgende Sätze ausgesprochen zu haben:

Eines der wichtigsten Entwicklungshemmnisse ist die ‚mauvaise gouvernance’ (ungefähr: Misswirtschaft von Regierungen), die Vergeudung öffentlicher Güter, die Selbstbedienung durch manche Regierenden. Wenn der Rohölpreis bei 100 Dollar pro Barril liegt und manche Erdöl produzierenden Staaten es nicht schaffen, sich zu entwickeln, dann ist die Wirtschaftsweise ihrer Regierungen in Frage zu stellen.

Die Adressaten dieser Kritik hatten wohl verstanden, wer sich angesprochen fühlen durfte: Gabun, Kongo-Brazzaville und in geringerem Ausmaß auch Kamerun sind Öl fördernde Länder.

Anlässlich seiner Neujahrswünsche an die Presse – ein Ritual, dem sich alle französischen Regierungsmitglieder unterziehen, um ihre Agenda für das angebrochene Jahr zu verkünden – hatte Bockel Mitte Januar dieses Jahres ferner noch hinzugefügt: „Ich möchte die Sterbeurkunde der Françafrique unterzeichnen.“ In Wirklichkeit hatte er wohl aber sein eigenes politisches Todesurteil, jedenfalls auf dem bis dahin von ihm besetzten Posten, unterzeichnet. Danach verblieben ihm noch zwei Monate im Amt.

“Françafrique?“

‚Françafrique’ ist ein Begriff, der von einem scharfen Kritiker der französischen postkolonialen bzw. neokolonialen Politik – dem 2005 verstorbenen Schriftsteller François-Xavier Verschave – eingeführt worden ist. Er bezeichnet bei ihm das Konzept einer Fortführung des Kolonialismus mit anderen Mitteln: Die Regierenden und einflussreiche Wirtschaftskreise in Frankreich, so Verschaves hauptsächliche These, verschafften sich Zugang zu afrikanischen Rohstoffen und Möglichkeit zu ihrer billigen Plünderung, indem sie in den betreffenden Ländern autokratische und oftmals hyper-korrupte Regimes aushielten und an der Macht beließen. Deren Oberhäupter seien oftmals durch Frankreich selbst beim Eintritt der Unabhängigkeit der afrikanischen Länder, oder anlässlich späterer Putsche, ausgewählt worden.

Sie garantierten Frankreich einen fortdauernden Weltmachtstatus, indem ihre Vertreter in der UN-Vollversammlung dem französischen Botschafter (bei wichtigen Fragen) ein konformes Abstimmungsverhalten zusicherten, aber auch die Wahrung seiner Rohstoffinteressen. Die fortwährende Einflussnahme nehmen manchmal offizielle Formen an, verlaufe aber manchmal auch über parastaatliche oder mafiöse „Parallelkanäle“.

Mitunter erfuhren die Thesen des Autors sogar Bestätigung von unerwarteter Seite. So veröffentlichte der frühere Vorstandsvorsitzende des französischen Erdölkonzerns Elf-Aquitaine (heute nach diversenen Fusionen im Megakonzern Total aufgegangen), Loïc Le Floch-Prigeant, im Jahr 1996 von einer Gefängniszelle aus seine „Lebensbeichte“. Seit Juli jenes Jahres saß Le Floch-Prigent aufgrund einer Korruptionsgeschichte in Haft. Nachdem er sich durch die Regierenden und andere „Mitwisser“ im Stich gelassen fühlte, publizierte er ein halbes Jahr später einen zwanzigseitigen Artikel im bürgerlichen Wochenmagazin ‚L’Express’ vom 12. Dezember 1996. Darin zeichnet er, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, die Firmengeschichte des ehemaligen Staats- und späteren Privatkonzerns Elf-Aquitaine einschließlich ihrer dunklen Seiten nach. Dabei fallen auch Sätze wie:

Elf wählt die Präsidenten von Gabun, Omar Bongo (...) und von Kamerun, Paul Biya (...) aus.

Doppelbödige Politik

Heute jedoch sind die französischen Afrikapolitiker in Wahrheit in zwei größere Lager gespalten: Jene, die meinen, „alte Freunde“ müssten sich auf Frankreich verlassen können – und diejenigen vom „Modernisierungsflügel“, die meinen, man solle endlich mit der „Geldverschwendung“ aufhören, die darin bestehe, völlig unwirtschaftlich arbeitende und in die eigene Tasche wirtschaftende Regimes zu unterhalten. Wo man doch, nach den Kriterien der Märkte, viel effizienter und preisgünstiger funktionierende Beziehungen zu den entsprechenden Ländern unterhalten könne.

„An der 'Françafrique' stört sie nicht der Teil 'França', sondern der Teil 'Afrique'. Man kritisiert nicht die Ausplünderung der Rohstoffe durch Frankreich, sondern nur die Misswirtschaft der einheimischen Führer“, moniert eine in Mulhouse – der Hochburg Jean-Marie Bockels – ansässige Alternativzeitung, aus Anlass des Rücktritts bzw. der Quasi-Strafversetzung dieses früheren Afrikapolitikers.

Die entscheidende Frage dabei, welcher von beiden Flügeln sich längerfristig wird durchsetzen können, lautet, welche Kosten bei der Durchsetzung einer alternativen Politik entstehen. Einsparungen lassen sich dadurch erzielen, dass man aufhört, auf klientelistischer Basis funktionierende Netzwerke - die sich rund um die in Gabun oder Kamerun an der Macht befindlichen Familienclans gruppieren – zu alimentieren. Aber fraglich ist, welche Alternative zur Macht dieser Clans besteht: Würde die Opposition sich damit begnügen, einen mehr oder weniger demokratisch durchgeführten Machtwechsel – als Fortschritt „an und für sich“ – durchzuführen, und daraufhin die alten „wild wuchernden“ Netzwerke zu beschneiden?

Oder würde ein Machtwechsel zugleich Kräfte befördern, die sozialen und wirtschaftlichen Forderungen der Bevölkerungsmehrheit Ausdruck verleihen? Was im ersten Falle (aus offizieller französischer Sicht) eventuell Vorzüge verschaffen würde, verspricht im zweiten Falle Nachteile mit sich zu bringen. Akzeptiert eine „vorzeigbare“ Opposition das erstgenannte Szenario, dann ließe sich mit ihr ins Geschäft kommen. Hauptsache aber, dass keine grundlegende, strukturelle Änderung der Wirtschaftsbeziehungen mit eventuellen politischen Veränderungen einherzugehen droht.

Nicolas Sarkozy betreibt Politik mit beiden Optionen und beiden Lagern, weswegen er auch wiederholt (jedenfalls verbal) in Aussicht stellte, mit den alten Praktiken der ‚Françafrique’ aufzuhören. Nicht zuletzt deshalb durfte auch Jean-Marie Bockel seinen Reden zumindest einige Monate lang freien Lauf lassen - weshalb der ausgewechselte Staatssekretär sich aber höchstwahrscheinlich überschätzte. Denn sein früherer Vorgesetzter Bernard Kouchner erinnerte Bockel kurz nach seinem erzwungenen Amtswechsel daran, dass sich für einen Staatssekretär noch lange nicht gezieme, was einem Staatschef erlaubt ist:

Er (der Präsident) kann es sich erlauben, Risiken einzugehen.