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Aufrufe zum Aufstand wegen "Souveränitätsverlust" durch Finanzpolitik

Dass die Finanzpolitik in Deutschland und Europa im Kernbereich der bürgerlichen Gesellschaft Gedanken an "Widerstand" aufkommen lässt, ist beunruhigend

Die bei Jubiläumsreden üblichen Lobpreisungen der demokratischen Kultur in Deutschland sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Deutschen insoweit noch nicht auf eine sehr lange Tradition zurückblicken können. Man weiß zwar, dass "Demokratie" schon in der Antike die positive Variante der Herrschaft des Volkes bezeichnete. Erste noch sehr rudimentäre Versuche zur Einrichtung der Volksherrschaft fanden in Gestalt der Reichsverfassungen von 1849 bzw. 1871 statt. Sie sind gescheitert. Erst 1919, also nach der Niederlage im verheerenden Ersten Weltkrieg, kam es in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) zur Verankerung des Demokratieprinzips in Deutschland.

Nach der Errichtung des "Dritten Reichs" wurde das politische Leben ab 1933 von diesem Prinzip jedoch nicht mehr geprägt. Es fand erst nach 1945, also nach der bedingungslosen Kapitulation der letzten Reichsregierung bzw. der Wehrmacht, zunächst in den Landesverfassungen der neuen deutschen Länder wieder Eingang in das Staatsorganisationsrecht und wurde zur ersten Vorgabe der siegreichen Alliierten für die neue Verfassung des Gesamtstaates.

Die Einführung der Demokratie in Deutschland war also zunächst nicht Ausdruck eines entsprechenden Volkswillens, sondern Erfüllung einer ausdrücklichen Forderung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges.

Seit 1949 ist es nun also amtlich, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) geht davon aus, dass das Volk die von ihm konstituierte Staatsgewalt auch ausübt. Es ist als Zentralinstanz der Verfassungsordnung dauernd präsent. Dies ist auch (mittelbar) der Fall, wenn insoweit "besondere Organe" tätig werden. Unter "Volk" ist in diesem Zusammenhang nur die Aktivbürgerschaft zu verstehen, der nach Maßgabe des GG die staatsbürgerlichen Rechte zustehen. Die besonderen Organe sollen indessen die politische Verantwortung gegenüber dem Bürger im Sinne von Art. 20 Absatz 2 GG tragen.

Unter Staatsgewalt ist die gesamte staatliche Herrschaftsmacht zu verstehen. Dazu gehören im Verhältnis zum Bürger alle verbindlichen Entscheidungen der öffentlichen Gewalt (mit und ohne Außenwirkung) einschließlich der Wahrnehmung von Mitentscheidungen, insbesondere auch im Rahmen der Europäischen Union (EU). Auch weisungsunterworfene Organe und solche mit vordeterminierten Befugnissen üben Staatsgewalt aus. Nicht zur Staatsgewalt gehören Tätigkeiten außerhalb des Amtes, die nur dem handelnden Amtswalter persönlich zuzurechnen sind.

Wie Artikel 1 Absatz 1 WRV erkennt Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG die Volkssouveränität im eigentlichen Sinne an. Das Volk ist "Träger" der Staatsgewalt und Inhaber der verfassunggebenden Gewalt. Die zitierte Vorschrift des GG enthält das Kernelement des Demokratieprinzips, das "unberührbar" ist (Art. 79 Absatz 3 GG), für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindliche Wirkung hat und ferner für die EU in den besonderen Gegebenheiten in adäquater Weise Beachtung verlangt.

Volk ist in diesem Sinne, wie schon angedeutet, das nach Maßgabe des Art. 116 Absatz 1 GG prinzipiell durch seine Staatsangehörigkeit bestimmte Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland.

Wolfgang Hetzer, promovierter Rechts- und Staatswissenschaftler, war von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF/Office Européen de Lutte Anti-Fraude). Zuvor war er Referatsleiter im Bundeskanzleramt und zuständig für die Aufsicht über den BND in den Bereichen organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie strategische Überwachung der Telekommunikation. Am 5. Oktober erscheint im Westend Verlag sein neues Buch "Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?" [1]

Abwehr einer drohenden Gefahr

Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die durch das GG konstituierte "freiheitlich demokratische Grundordnung" des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes (jetzt Bundespolizei) anfordern. Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Land und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten der Bundespolizei einsetzen. Die Anordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben. Erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen Weisungen erteilen. Damit ist der innere Staatsnotstand beschrieben (Art. 91 GG).

Die Auslegung des Merkmals "drohende Gefahr" orientiert sich aufgrund seiner polizeirechtlichen Herkunft an der dort entwickelten Definition, wobei die geschützten Rechtsgüter gegenüber dem Merkmal "öffentliche Sicherheit und Ordnung" enger gefasst sind. Unter "Gefahr" ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des weiteren Geschehens zu einer Verletzung des Bestandes oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Bundes oder eines Landes führen kann. Es ist unerheblich, von wem die Gefahr ausgeht. Die Motive sind irrelevant. Eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich. Objektiv widerrechtliches Verhalten genügt.

Das Attribut "drohend" verengt den Gefahrbegriff, indem es eine aus objektiv vorliegenden Umständen ableitbare hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts fordert. Die drohende Gefahr gemäß Artikel 91 Absatz 1 GG ist somit als konkrete Gefahr im polizeirechtlichen Sinne zu verstehen. Das Ausmaß der Gefährdung, also die maßgebliche Gefahrenschwelle, ist "ex ante" zu beurteilen. Dabei steht den Beteiligten aufgrund des politisch-prognostischen Charakters der Einschätzung eine Einschätzungsprärogative zu, deren Ausübung nur begrenzt nachprüfbar ist.

Der durch die "Notstandsverfassung" erweiterte Artikel 91 GG regelt mit anderen Vorschriften den "inneren Notstand", der sich von einer bloßen Verfassungsstörung durch Art und Ursache der Gefährdung unterscheidet, die aus der fehlenden Fähigkeit oder Bereitschaft eines Verfassungsorgans herrührt, seine Funktionen zu erfüllen.1 [2] In jüngerer Zeit sind jedenfalls Zweifel daran aufgekommen, ob die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland in der Finanzkrise ihrer Verpflichtung nachgekommen sind, Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden und seinen Nutzen zu mehren.

Mit ihrer Deregulierungspolitik haben Sie z. B. international vagabundierenden Finanzgangstern das Schlaraffenland geöffnet, in dem sich ganz Cliquen hochqualifizierter Täter tummeln.2 [3] Dort hat eine Finanzmafia in Teilbereichen des Ruder übernommen.3 [4] Inzwischen ist es auch gar nicht mehr so einfach die Unterscheide zwischen der Deutschen Bank und einer kriminellen Vereinigung zu erkennen.4 [5]

Wie auch immer: Bezweifelt wird zudem, ob die Bundesregierung auf europäischer Ebene die Souveränitätsrechte des Deutschen Volkes in ausreichender Weise respektiert und ob sie mit ihrer "Rettungspolitik" in widerrechtlicher Weise Volksvermögen verschleudert. Wollte man dies bejahen, müsste man einräumen, dass die Polizei bis jetzt weder qualifiziert noch interessiert schien, dieser Entwicklung als mögliche Form eines inneren Notstands entgegen zu treten.

Inzwischen begreifen aber immer mehr Bundesbürger, dass weder von der Polizei noch von der Justiz Hilfe zu erwarten ist, um die Finanzpolitik der Bundesregierung zu verändern. Vor diesem Hintergrund ist die Frage aufgetaucht, ob sich faktisch und rechtlich bestimmte Missstände nur noch durch bürgerliche Selbsthilfe beseitigen lassen. Damit geraten Fragen auf die Tagesordnung, die den klassischen polizeilichen Horizont weit übersteigen. Dennoch wird es aber möglicherweise die Polizei sein, die nicht auszuschließende Eskalationen in den Griff zu bekommen hat.

Diebstahl am kleinen Mann

Manche wissen es, viele haben es nie gewusst, etliche wollten es nie wissen und immer mehr können es sich kaum vorstellen: Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland jedweden Geschlechts leben in einem demokratischen und sozialen Bundesstaat. Dort geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, das diese Gewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besonderer Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt (oder auch nicht).

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. So gebietet es das regelmäßig hochgelobte Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das man gelegentlich auch als "Verfassung" bezeichnet. Die genannten "Verfassungsgrundsätze" sind in Artikel 20 Absätze 1, 2 und 3 GG nachzulesen. Die Bestimmung hat aber auch noch einen Absatz 4:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Diese Rechtsgewährung an "alle Deutschen" entfaltet in jüngerer Zeit eine inspirierende Wirkung. Das ist einer Entwicklung geschuldet, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter zugespitzt hat: Vor dem Hintergrund der aktuellen Probleme in Schwellenländern wie Brasilien, Türkei, Südafrika, Indien, Russland, der durch den Ukraine-Konflikt verursachten Irritationen und vor allem der Herausforderungen durch Flüchtlingsströme ist die Finanzkrise zunächst aus den Schlagzeilen verschwunden.

In einer Zeit, in der sich illegale Zuwanderung zur größten sicherheitspolitischen Problem der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung entwickelt, scheinen wohlbestallte Funktionsträger wie der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, allen Ernstes daran zu glauben, dass das massenhafte Eindringen in deutsches Staatsgebiet Chancen bietet, die umso größer sind, je besser es "uns" gelingt, die Menschen, die dauerhaft zu "uns" kommen, in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt zu integrieren, weil Deutschland aufgrund des demografischen Wandels zusätzliche Arbeitskräfte benötige, um seinen Wohlstand halten zu können.

Immerhin erkennt dieser Amtsträger noch, dass Deutschland langfristig vor beträchtlichen Herausforderungen steht und dass in "unserem" Finanzsystem nicht immer alles rund läuft, gehörten deutsche Banken 2007 doch zu den ersten Opfern der Finanzkrise, während aktuell nicht nur die deutschen Lebensversicherungen die Belastungen des Niedrigzinsumfelds spüren und der Immobilienmarkt unter verschärfter Beobachtung steht. Dem Präsidenten der EZB konzediert Weidmann, er habe signalisieren wollen, dass sich (schon wieder) "unsere" Geldpolitik an den Inflationsaussichten orientiert und der EZB-Rat bereit ist, auf veränderte Daten zu reagieren.

Der Bundesbankpräsident ist gleichzeitig der Auffassung, dass sich die Konjunkturerholung im Euro-Raum aber gefestigt habe, die schon Anfang 2015 überzogenen Deflationssorgen verblasst seien und "wir" ein nie dagewesenes Kaufprogramm gestartet hätten, das sich noch mitten in der Umsetzung befinde. Die Geldpolitik sollte sich seiner Meinung nach nicht vom Auf und Ab einzelner Indikatoren treiben lassen, solange die geldpolitische Einschätzung im Kern weiter gültig ist.5 [6]

Sei’s drum: Man scheint Europa und die Weltwirtschaft "über den Berg" zu wähnen. Insgesamt wird das Management der Finanzkrise in Europa von etlichen Beobachtern als erfolgreich bewertet. Dahinter steckt aber nur Zweckoptimismus. Das wirtschaftliche Wachstum in Europa, Nordamerika und Japan ist immer noch schwach. In vielen Ländern ist die Staatsverschuldung auf zuvor nie gekannte Höhen geklettert. In der Euro-Zone beträgt sie immerhin 92, 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig haben Bruttokapitalbildung und die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht.

Untrügliche Indizien für die Fortdauer der Krise sind vor allem die Anleihekäufe und die anhaltend lockere Geldpolitik der Notenbanken. Die Realzinsen sind negativ. Konventionelle Geldanlagen auf Spar- oder Geldmarktkonten oder in Anleihen verlieren also an Wert. Infolge der "Rettungsmaßnahmen" sitzen Banken und Staaten auf einem Berg von faktisch uneinlösbaren Vermögensforderungen. Ein aus der Krise herausführendes realwirtschaftliches Wachstum in den entwickelten Ländern ist nicht in Sicht. Die Debatten der letzten Jahre haben die zentralen Fragen in diesem Zusammenhang nicht beantwortet. An der Fixierung auf "Gläubigerländer" und "Schuldnerländer" hat sich nichts geändert, ein Grund für das Wiederaufleben innereuropäischer Nationalismen. Die Kontroversen unter Experten haben den Blick auf die sozialen Verwerfungen in ganz Europa versperrt. Die europäische Gesellschaft erscheint so gespalten wie nie zuvor.

Erst die Berücksichtigung dieser und weiterer Tatsachen würde ein realistisches und aktuelles Bild der Krise ergeben. Es könnte die Einsicht ermöglichen, dass die Euro-Krise gar nicht in erster Linie auf die Widersprüche in der institutionellen Konstruktion der Gemeinschaftsführung zurückzuführen ist, sondern dass es sich dabei um eine Folge der internationalen Finanzkrise handelt, die ihrerseits vor allem auf die exzessiv angewachsenen Ungleichheiten in der Verteilung der Vermögen und Einkommen in Europa und anderen Teilen der Welt zurückgeht. Das könnte der Ausgangspunkt für Auswege aus der Krise sein, die mit einem europaweit koordinierten Abbau der völlig überbewerteten Vermögensforderungen beginnen müssten.6 [7]

In diesem hier nur fragmentarisch beschreibbaren finanzpolitischen und europapolitischen Umfeld gewinnt das Handeln der Europäischen Zentralbank (EZB) samt ihrer Verankerung im europäischen Institutionengefüge offensichtlich eine besondere Bedeutung für die Frage einer fortgesetzten Integration des Kontinents. Es sollte schon deutlich geworden sein, dass jedenfalls die Euro-Zone vor einer Zerreißprobe steht. Ihr Ausgang dürfte über das Schicksal der europäischen Einigung entscheiden. Die Alternativen sind klar:

Wird die EWU eine Wachstumszone sein und bleiben können und damit den Konkurrenten auf den Weltmärkten erfolgreich gegenüberstehen oder degeneriert sie zu einer Transferunion, die früher oder später ihre globale Wettbewerbsfähigkeit verlieren muss?

Eine mehr oder minder voraussetzungslose Alimentierung des Südens durch den Norden zum Beweis einer falsch verstandenen Solidarität könnte in mehrfacher Hinsicht ins Verderben führen. Der Süden Europas wird irgendwann dem Norden nicht verzeihen, dass ihm geholfen werden muss, eine Paradoxie der menschlichen Psyche, die immer wieder auftritt. Die Konkurrenten auf den asiatischen Weltmärkten werden unterdessen ihre Mittel zur Stärkung der eigenen Konkurrenzfähigkeit einsetzen können und die "mildtätigen" (Noch-)Konkurrenten im vergreisenden Norden Europas ins wettbewerbspolitische Abseits manövrieren.

Die bisherige währungspolitische Handlungsmaxime des Nordens scheint chancenlos geworden zu sein. Von einer erstklassigen Besicherung von Geld und Kredit zur Erlangung von Währungsstabilität für Investitionen, die bekanntlich zurückzuzahlende Schulden sind, ist nicht mehr viel zu sehen.

Im Süden hat man sich unterdessen angewöhnt, die Mittel für öffentliche Ausgaben durch die Zulassung schlecht bedienbarer Staatstitel als Pfänder bei den Zentralbanken zu beschaffen und dafür den dauernden Verfall der Währung durch verschlechterte Wechselkurse hinzunehmen.

In Weichwährungsländern ist Sparen immer ein schmerzhafter Einschnitt in liebgewordene Gewohnheiten.

In Hartwährungsländern gilt Inflation als "Diebstahl am kleinen Mann". Vor diesem Hintergrund stellt sich u. a. die Frage, ob zukünftig das Ende des Euro eingeläutet werden muss, wenn man die EWU zu einem Verbund umbaute, dem nur noch solche Zentralbanken angehörten, die etwa beim Eigenkapital gleiche Standards einhalten können.

Offensichtlich will jetzt keiner mehr über das Ausmaß an Betrug nachdenken, mit dem sich Griechenland seinerzeit den Eintritt in die EWU erschlichen hatte.7 [8]

EZB: Feuerwehr im brennenden Haus

Das Handeln der EZB erinnert an die Arbeit der Feuerwehr in einem brennenden Haus. Ihr wird immer öfter vorgeworfen, dass sie sich mit ihrer seit Mai 2010 geübten Praxis des Anleihekaufs sowie der Aussetzung der Bonitätsschwellenwerte griechische, irische und portugiesische Staatsanleihen und schließlich mit dem OMT-Programm und dem "Quantitative Easing (QE)" weit außerhalb ihres Mandats bewege. Der "lender of last resort" ist im Begriff, ein "buyer of last resort" zu werden, der Staatspapiere kauft, die auf den Märkten zum Nennwert nicht verkäuflich sind. In Griechenland segnet die EZB zudem Geldschöpfung durch Notfallkredite in enormer Höhe (ca. 90 Milliarden Euro) ab.

Der europäischen Zentralbank werden Rechtsbrüche in Permanenz vorgeworfen. Sie handele jenseits ihrer Befugnisse ("ultra vires"), weil ihr gelpolitisches Mandat auf Preisstabilität gerichtet sei, während sie mit ihren "temporären" Maßnahmen aber Fiskalpolitik betreibe. So ermögliche die EZB nicht die Versorgung von leistungsfähigen Kreditnehmern, sondern von nichtleistenden Finanzministern. Dadurch kommt es zu einer Verfälschung der Kapitalmärkte, weil Ramschpapiere hochgepreist werden, für die es ansonsten keine Käufer gäbe. Die EZB verschleiert den viel niedrigeren Realpreis, auf den am Ende die verbuchten Positionen aber herunterkorrigiert werden müssen. Die drohende Folge: Massenbankrotte, weil die jetzt überpreisten Staatspapiere in den Eigenkapitalien zahlreicher Zentralbanken, Geschäftsbanken, aber auch großer Firmen stecken.

EZB in Frankfurt. Bild [9]: Epizentrum/CC-BY-SA-3.0 [10]

Manch einer empfindet den Austritt Griechenlands aus der EW im Vergleich mit der flächendeckenden Auslöschung von Eigenkapitalien als ein "laues Lüftchen", nach welchem man sich noch zurücksehnen werde. Die Prognose ist düster: Die Staatengemeinschaft werde dann schnell und chaotisch zerbrechen, weil auch die Retter versuchen dürften, Fremdlasten mehr oder minder panisch abzuwerfen. Denjenigen, die unterdessen die Rettungspakete geschnürt haben, wirft man vor, am Untergang der EU zu arbeiten.8 [11]

In der EZB selbst scheint man die Lage weniger kritisch zu sehen. Die dort für die Bankenaufsicht zuständige Danièle Nouy hat in Übereinstimmung mit ihrem Chef Mario Draghi herausgefunden, dass die griechischen Banken für die gegenwärtige schwierige Phase dieses Mitgliedslandes der EWU gut gewappnet sind. Der Präsident der EZB war vor nicht allzu langer Zeit sogar darum bemüht, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die vier griechischen Großbanken im Hinblick auf ihr Eigenkapital noch nie so stark und solide gewesen seien. Gleichzeitig teilte Draghi allerdings auch mit, dass die EZB mittlerweile 68 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung finanziere.9 [12]

Irgendwie scheint das alles zusammenzupassen. Oder auch nicht.10 [13] Immerhin ist die Behauptung zu vernehmen, dass die EZB zu einer entgrenzten Institution geworden sei, die faktisch ohne Schranken auf fast allen wirtschaftspolitischen Gebieten ohne demokratische Legitimation tätig werde und ein "Regime der Selbstermächtigung" errichtet habe.11 [14]

Die Erklärung Draghis vom 5. März 2015 gilt als (bisheriger) Höhepunkt der seit 2007 andauernden "unkonventionellen" Geldpolitik der EZB. Danach sollen ab dem genannten Monat neben den bisherigen Käufen weitere 50 (oder auch 60?) Milliarden Euro eingesetzt werden, um Anleihen des öffentlichen Sektors der Euro-Zone zu erwerben.

Mit diesem "geldpolitischen Paukenschlag" ist tatsächlich der erste Schritt in ein unbekanntes Land getan. Die QE-Beschlüsse der EZB empfindet man in diesem Zusammenhang als Ausdruck großer Verzweiflung. Sie hätten das Gefühl des Ausgeliefertseins erzeugt, verbunden mit "ohnmächtiger Wut", insbesondere bei Sparern, die sich um die Früchte ihrer Sparsamkeit gebracht sehen. Dieses Gefühl, so eine Prognose, werde irgendwann umschlagen.

"Bürgerprotest" gegen "EZB-Diktatur"?

Wir dürften erst am Anfang einer gewaltigen Kontroverse stehen. Die Nullzinsökonomie der EZB ist womöglich symptomatisch für eine sehr viel weiterreichende Aushöhlung des Euro als Währung. Es kann sein, dass gegenwärtig das nur formal beachtete Verbot der monetären Staatsfinanzierung die EZB von der völligen Suspendierung der Wettbewerbsfunktion von Märkten abhält. Die institutionelle Landschaft in Europa, insbesondere die Befugnisausstattung und die Politik der EZB haben nach dem Empfinden der Berliner Hochschullehrers Markus C. Kerber inzwischen Dimensionen angenommen, die von keinem Teilnehmer an der Diskussion über die richtige Rahmenordnung für den Euro in den 1990er Jahren für möglich gehalten wurden.

Er ist der Auffassung, dass man durch die Befassung einer vornehmlich geldpolitisch verantwortlichen Institution mit der Bankenaufsicht den "Bock zum Gärtner" gemacht habe. Die EZB erscheint ihm als "Spielmacherin der Wettbewerbsverfälschungen" auf den Märkten für souveräne Staaten als auch auf dem Markt für Kreditleistungen. Die Zentralbank habe das Postulat eines Systems unverfälschten Wettbewerbs mit ihrer Politik auf den Kopf gestellt. Das passe natürlich nicht zu der Ambition, mit der Bankenunion die Bankenaufsicht ohne nationale Vorbehalte und ohne politische Rücksichtnahme durchzuführen. Änderungen der Rechtsgrundlagen von EU und EZB nutzten im Übrigen nichts, sofern Deutschland nicht den "Willen zur Macht" entwickelt.

Eine Voraussage wirkt besonders beunruhigend: Sollte die EZB ihre bisherige Politik mangels eines wirksamen Widerspruchs der Bundesregierung, der Bundesbank oder der Gerichtsbarkeit fortsetzen, sei Bürgerprotest bis hin zum "organisierten Widerstand" zu erwarten. Das Versprechen unbegrenzter Unterstützung des Euro durch Draghi habe wie ein "Fanfarenstoß zum Beginn einer souveränen Diktatur" geklungen.

Der Beifall der Märkte kann nach der Einschätzung von Kerber nichts daran ändern, dass die EZB mit diesem Anspruch vor der Geschichte keinen Bestand haben wird. Die mittlerweile erhobenen Verfassungsbeschwerden sind für ihn mehr als ein "Rechtsmittel". Aus seiner Perspektive erscheinen sie als der politische Protest der Bürgergesellschaft gegen eine politische Klasse, die angeblich das Land verrät und weiterhin für sich die Alternativlosigkeit ihrer Politik in Anspruch nimmt.

In Gestalt einer "Bürgerrevolte" könnte deutlich werden, dass die Souveränität der Bürger Vorrang vor der Allmacht staatlicher Gewalt hat, gleichgültig, ob sie in Berlin, Paris oder Brüssel ausgeübt wird. Auch im Namen Europas sei diese Gewalt nicht befugt, die Träger der bürgerlichen Gesellschaft -ob nun als "Citoyen" oder als "Bourgeois"- zu enteignen oder gar zu entmündigen, indem sie Steuern dazu benutzt die "Kopfgeburt der europäischen Integration - den Euro- " zum Metaziel der Politik zu verklären und hierfür alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren, ohne jemals zuvor die betroffenen Bürger zu konsultieren.12 [15]

Souveränitätsverlust und Dekadenz

Hinter den zitierten Gedanken steht die Einsicht, dass unter "Souveränität" das Recht eines Volkes zu verstehen ist, über grundlegende Fragen seiner Identität konstitutiv zu entscheiden. Darin liegt für Kerber jedoch nicht die Renaissance von überkommenem Nationalstaatsdenken, sondern die Definition von Souveränität als Abwehrrecht eines Volkes gegen die Fremdbestimmung durch supranationale Organisationen.

Nach seiner Interpretation der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wollte die bisherige Judikatur das "Selbstermächtigungsregime in Brüssel" einhegen und habe daher Rekurs auf das "Souveränitätsabwehrrecht" genommen, um die Grenzen der Integration und ihrer demokratischen Legitimation zu ziehen, ein Recht, das die vereinigten politischen Klassen Frankreichs und Deutschlands gar nicht mehr zu kennen scheinen. Stattdessen nehme das "Tandem Lagarde/Schäuble" faktisch für sich in Anspruch, der EWU ein neues Design zu geben, noch bevor sich die Bürger zu diesem institutionellen Quantensprung äußern könnten.

Den Abgeordneten der nationalen Parlamente spricht Kerber das Recht ab, dem neuen Design der EWU zuzustimmen. Sie betrieben dennoch mit "europäischer Inbrunst" die Veruntreuung (!) von Steuergeldern bzw. die mittelfristige Degradierung der Bonität Deutschlands und Frankreichs.

In Deutschland habe das demokratische politische System so seine Legitimationsbasis inzwischen verloren. Bei den Bürgern erkennt Kerber ein Ohnmachtsgefühl gegenüber einem politischen System, dessen "Irrlauf" nur noch durch eine Katastrophe aufzuhalten sei. Nach seinem Eindruck sind weder die "ordnungspolitisch kompasslose" Bundeskanzlerin noch der auf "Einkesselung Deutschlands zielende Monsieur Hollande" bereit, ihre Irrtümer seit der fahrlässigen, stets wiederholten Garantieerklärung für Griechenland einzugestehen.

Für Kerber sind die Genannten zusammen mit dem "Gewaltenkonglomerat in Brüssel" Gefangene ihrer tragischen Irrtümer bei der Beurteilung der gegenwärtigen Schuldenkrise. Letztlich würden die Bürger Deutschlands, Frankreichs, Finnlands, Österreichs, der Niederlande und Luxemburgs alleine übrig bleiben, um den Schuldenberg der Finanznotstaaten abzutragen.

Die Einrichtung eines "Euro-Erblastenfonds" gilt diesem Finanzwissenschaftler als unvermeidlich. Die EZB selbst hält er für die schlimmste institutionelle Erblast. Zu seinen Schlussfolgerungen gehört, dass sich der demokratische Staat so -über den Umweg Europa- zum Reparaturbetrieb des Finanzkapitalismus macht, statt darüber nachzudenken, ob man für die Realwirtschaft Wertpapieremissions- und Handelshäuser, wie sie sich zu Investmentbanken entwickelt haben, überhaupt noch benötigt.

Die gigantischen Boni für Investmentbanker sind für Kerber ein "krasser Fall sozialer Sünde". Gleichwohl haben die Regierungen der Euro-Zone sie nicht als solche angeprangert. Vielmehr vermieden sie die notwendige Marktbereinigung im Finanzsektor und hätten die EZB erfolgreich genötigt, durch Aufkäufe von Staatsanleihen bzw. ihre Refinanzierung Konkursverschleppung zu betreiben.

Dennoch scheint der Weg zurück zur DM versperrt zu sein. Als Alternative kommt nach der Überzeugung des streitbaren Kritikers in Betracht, dass die Niederlande, Österreich, Finnland, Luxemburg, Deutschland die Euro-Zone verlassen. Diese Kernländer seien nach Wettbewerbsfähigkeit, Leistungsbilanz und Haushaltspolitik vergleichbar und sogar nachhaltig homogen. Es zeuge von Realitätssinn, wenn dabei entgegen der politischen Korrektheit Frankreich, der "Trittbrettfahrer der EWU und Heckenschütze gegen die Marktwirtschaft", aus dieser neuen "Nord-Währungsunion" ausgeschlossen bliebe.

Setzt aber die Mehrheit der politischen Mandatsträger - wie etwa bei der dritten Griechenland-Rettung - entgegen allen bisherigen Erfahrungen wider die ökonomische Vernunft das Abenteuerprojekt fort, dann hätten die Bürger das Recht, ihr Anliegen nicht nur dem Bundesverfassungsgericht vorzutragen, sondern diesen "einmaligen Fall von Veruntreuung von Steuergeldern und Unwahrhaftigkeiten" anzuprangern und nach neuen Wegen zu suchen, ihre Empörung politisch wirkmächtig werden zu lassen.

Kerber sieht sich immerhin vor die Frage gestellt, ob mittlerweile die Republik auf der Kippe steht und Gefahr läuft, unter EU-Verwaltung zu geraten. Er hält auch die "Absegnung" des OMT-Programms durch den EuGH für einen "Etikettenschwindel" und kündigt an, dass sich angesichts der marktfremden ökonomischen Erwägungen dieses Gerichts die Diskussion über die Grenzen des Mandats der EZB verschärfen wird. Die EZB sei zur "Finanzdiktatur" eingeladen worden.

Schreitet man auf diesem Wege fort, beginne irgendwann die "EZB-Diktatur". Die Bank werde so zum ersten Bestandteil einer großen staatlichen europäischen Metastruktur, die sich über Bürger und Völker erhebe und ihr eigenes Reich baue. Mit Blick auf die Deutsche Bundesbank, wird empfohlen, den bisherigen fachlichen Dialog durch eine machtpolitische Betrachtungsweise zu ersetzen. Andernfalls werde der Weg zum "totalen Sieg" für Draghi geebnet, weil dem Bundesbankpräsidenten und seinen Beamten im entscheidenden Moment der "Wille zur Macht" fehlen könnte.

Der angebliche Niedergang des im Wirken von Bundesbank und Bundesverfassungsgericht manifesten Konzepts der politischen Neutralität signalisiert nach dem Empfinden von Kerber die "Dekadenz des deutschen Verfassungsstaats schlechthin", auch wenn dessen "Kapitulation vor den Brüsseler Zwingherrn und ihrem privilegierten Kollaborateur Schäuble" im Ausland als "Aufgehen Deutschlands in Europa" gedeutet werden mag. Aus seiner Sicht handelt es sich -25 Jahre nach Wiedererlangung nationaler Souveränität- hingegen um die Aufgabe des fiskalischen Selbstbestimmungsrechts der Deutschen.

Widerstand und Aufstand

An die zitierten Überlegungen knüpfen sich höchst brisante Fragen. Zum einen will Kerber wissen, warum die gewählten Repräsentanten des deutschen Volkes dieser "Kapitulation ohne Krieg" mit Zwei-Drittel-Mehrheit ihre Zustimmung gaben. Zum anderen (und noch viel wichtiger):

Können die Bürger als Träger der Souveränität diesem Prozess Einhalt gebieten, ggf. mit welchen Mitteln?

Die Gedanken gelangen in mehrfacher Hinsicht zu einem Gipfelpunkt. Unter Bezugnahme auf den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt wird daran erinnert, dass den Bürgern als "pouvoir constituant" das Widerstandsrecht gemäß Artikel 20 Absatz 4 GG bleibt, also die Befugnis angesichts des Versagens ihres Staates, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zur Verteidigung des deutschen Staates sowie des Selbstbestimmungsrechts der Deutschen Widerstand zu leisten.

Kerber hält die Zitierung des umstrittenen Rechtsgelehrten insofern für legitim, als das Bundesverfassungsgericht am 12. September 2012 demonstriert habe, dass Recht schließlich doch in der Macht seine Wurzeln hat, eine Einsicht, die übrigens nicht ganz neu und überraschend ist, wie auch Blaise Pascal deutlich gemacht hatte, als er schon vor geraumer Zeit darauf hinwies, dass man auf die Macht verfallen ist, weil man das Gerechte nicht finden konnte. Auch heute gilt das Recht manchen zwar als wichtiges "Überbauphänomen". Meist sei es aber die Basis, die entscheidet: Die Machtverhältnisse.13 [16]

Kerber fordert, dass solche Einsichten zu einem "Weckruf" für die Organisation von Bürgermacht werden mögen, die zur Offensive übergeht, um staatliche Ämter von ihren Usurpatoren zu befreien. Mit dem Ruf "Wir sind das Volk" könne der Weg vorwärts zum Selbstbestimmungsrecht der Völker beginnen. Sollte dieses Abwehrrecht gegen Fremdherrschaft nur deshalb nicht funktionieren, weil weder Parlament noch Regierung ihre Pflicht und Schuldigkeit tun, sei das verfassungsrechtliche Widerstandsrecht alternativlos. Das Grundgesetz berechtige zum Widerstand gegen jeden - also auch und gerade die Staatsgewalt - der es unternimmt, die verfassungsgemäße Ordnung zu beseitigen. Genau davon geht Kerber aus:

Der Finanzbeistand für Griechenland, der "ertüchtigte" Rettungsfonds und die EZB-Politik beseitigen die finanzielle Substanz der verfassungsmäßigen Ordnung.

Kerber

Aber nicht nur die angebliche Veruntreuung von Bürgerinteressen durch die Europapolitik der Bundesregierung gilt ihm als ein "Symptom für die Pathologie der deutschen Republik". In seinen Augen ist Deutschland nicht nur ein Land ohne Regierung, sondern ein Land ohne parlamentarische Opposition. Die Bürger hätten den feierlichen Zusagen der Politik zu Unrecht vertraut. Das Misstrauen gegenüber der politischen Klasse habe sich in Abneigung verwandelt.

Kerber vertritt die Auffassung, dass die Europapolitik der "Merkel-Schäuble-Regierung" nichts anderes als Trug und Täuschung darstelle. Deshalb müsse die Antwort des europäischen Deutschlands von nun an aktiver Widerstand sein. Die Begründung lautet:

Deutschland gehört seinen Bürgern und nicht nur einer sich selbst genügenden Clique von Parteipolitikern.

Kerber

Sollten sich die Bürger nicht schnell und massiv genug gegen das "Umverteilungsmonster EZB" wehren, wird nach seiner Vorhersage alles im Kollaps enden. Von der EZB gingen kurzfristig die größten Gefahren für Freiheit und Wohlstand aus, da sich die Bank einen Dreck um Recht und Regeln schere und wie ein souveräner Diktator handle. Die Deutschen wüssten mittlerweile, dass das Euro-Experiment unwiderruflich gescheitert ist, es sei denn man pfeift die "Veranstaltung Deutschland" ab und überträgt die Entscheidung über die Ressourcen des Landes einem europäischen Finanzminister. Kerber selbst geht von einer "Verirrung der EU in Gestalt der EZB" aus.

Seine "Forderung des Tages" lautet:

Volksabstimmung über das Euro-Projekt

Europa stehe am Scheideweg. Zur Bewahrung des europäischen Einigungswerks müsste der Euro schnellstens begraben und die EZB liquidiert werden. Die EU ende im Abgrund, wenn sie für den Euro die Demokratie opfert und damit die Bürger verliert. Wiederum unter Berufung auf Carl Schmitt, stellt Kerber fest, dass wir heute vor der Herausforderung stehen, dem eigenen Staat nicht länger zu gehorchen, um ihn daran zu hindern, unsere unveräußerlichen Bürgerrechte einem Brüsseler Zentralstaat und einem Umverteilungsmonster namens EZB zu verpfänden. Ganz im Gegensatz zu Carl Schmitt meint Kerber aber, dass es hierbei auf den Wert des Einzelnen und eben nicht auf die Bedeutung des Staates ankomme und dass damit die "Geburtsstunde der Bürgermacht" markiert werde.14 [17]

Die Berufung auf Artikel 20 Absatz 4 GG ist jedenfalls bemerkenswert und gleichzeitig beunruhigend. Die Ausübung des Widerstandsrechts mag theoretisch als die Vollendung demokratischer Souveränität erscheinen. In Wahrheit geht ihr natürlich die Bankrotterklärung des Systems parlamentarischer Repräsentation voraus. Gerade diejenigen, die zum Widerstand aufrufen, müssen sich rechtzeitig klarmachen, dass sich damit das Problem der eigenen Glaubwürdigkeit in besonderer Weise stellt. Vom Katheder und aus der warmen Studierstube heraus sind Aufrufe zum Widerstand leicht zu formulieren. Aber gerade das von Kerber wiederholt zitierte Beispiel des Carl Schmitt zeigt, dass man nicht schon deshalb "fronttauglich" ist, wenn man akademisch gewonnene Einsichten verbreitet. Dazu braucht es in mehrfacher Hinsicht -physisch und geistig - eines gewissen Mutes, der sich nicht alleine in der Abfassung von Verfassungsbeschwerden zu beweisen ist.

Carl Schmitt ist jedenfalls Ende 1932/Anfang 1933 zurückgezuckt, als er befürchten musste, dass aus manchen Gedanken auch Ernst werden könnte. Sein weiteres Schicksal im Dritten Reich war nicht gerade ein Heldenepos des Widerstands. Kerber wird sicher in der Restlaufzeit seiner Beamtenkarriere als Hochschullehrer hin und wieder Gelegenheit finden, den gesamten Art. 20 GG und einige andere Verfassungsbestimmungen immer wieder noch einmal in Ruhe zu lesen ("repetitio mater studiorum est"). Sollte es ihm darüber hinaus sogar noch möglich sein, sich Carl Schmitt etwas umfassender zu widmen, dann wird er ungeachtet seiner klugen Anmerkungen über Souveränität lernen oder sich vielleicht daran erinnern, dass "souverän" derjenige ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet und dass alleine diese Definition dem Begriff der Souveränität als einem Grenzbegriff gerecht werden kann.15 [18]

Souveränität und Ausnahmezustand

"Ausnahmezustand" ist als Begriff nicht konfus wie in der unsauberen Terminologie populärer Literatur. Es handelt sich um einen Begriff der "äußersten Sphäre". Deshalb kann seine Definition nicht an den Normalfall anknüpfen, sondern an einen Grenzfall.

In diesem Zusammenhang ist unter "Ausnahmezustand" ein allgemeiner Begriff der Staatslehre zu verstehen, nicht irgendeine Notverordnung oder jeder Belagerungszustand. Der Ausnahmezustand ist im eminenten Sinne aus einem systematischen, rechtslogischen Grund für die juristische Definition der Souveränität geeignet:

Die Entscheidung über die Ausnahme ist nämlich im eminenten Sinne Entscheidung.

Eine generelle Norm, wie sie der normal geltende Rechtssatz darstellt, kann eine absolute Ausnahme niemals erfassen. Sie kann daher auch die Entscheidung, dass ein echter Ausnahmefall gegeben ist, nicht restlos begründen. Das abstrakte Schema, das als Definition der Souveränität aufgestellt wird (Souveränität ist höchste, nicht abgeleitete Herrschermacht) kann man gelten lassen oder nicht, ohne dass darin großer praktischer oder theoretischer Unterschied läge.

In der Geschichte der Souveränität wird am wenigsten im allgemeinen um einen Begriff an sich gestritten. Man streitet um die konkrete Anwendung: Wer entscheidet, worin das öffentliche oder staatliche Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, usw. besteht.

Der Ausnahmefall, der in der geltenden Rechtsordnung nicht umschriebene Fall, kann höchstens als Fall äußerster Not, Gefährdung der Existenz oder dergleichen bezeichnet, nicht aber tatbestandsmäßig umschrieben werden. Erst dieser Fall macht die Frage nach dem Subjekt, das heißt die Frage nach der Souveränität überhaupt, aktuell. Es kann weder mit subsumierbarer Klarheit angegeben werden, wann ein Notfall vorliegt, noch kann inhaltlich aufgezählt werden, was in einem solchen Fall geschehen darf, wenn es sich wirklich um den extremen Notfall und um seine Beseitigung handelt. Voraussetzung wie Inhalt der Kompetenz sind hier notwendig unbegrenzt.

Im rechtsstaatlichen Sinne liegt daher überhaupt keine Kompetenz vor. Die Verfassung kann höchstens angeben, wer in solch einem Fall handeln darf. Ist dieses Handeln keiner Kontrolle unterworfen, wird es nicht, wie in der Praxis der rechtsstaatlichen Verfassung, in irgendeiner Weise auf verschiedene, sich gegenseitig hemmende und balancierende Instanzen verteilt, so ist ohne weiteres klar, wer der Souverän ist. Er entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notstand vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Damit steht er außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.

Carl Schmitt war zu der Einsicht gelangt, dass alle Tendenzen der modernen rechtsstaatlichen Entwicklung dahin gingen, den Souverän in diesem Sinne zu beseitigen:

Aber ob der extreme Ausnahmefall wirklich aus der Welt geschafft werden kann oder nicht, das ist keine juristische Frage.

So überwiegend wörtlich: Carl Schmitt, Politische Theologie, 3. Aufl. Berlin 1979 (Unveränderter Nachdruck der 1934 erschienenen zweiten Auflage), S. 11, 12, 13.

Die Debatte über den Souveränitätsbegriff ist hier leider nicht fortzusetzen. Es bleibt nur daran zu erinnern, dass es für die empfohlene Selbstrettung der Souveränität qua Ausübung des Widerstandsrechts nach Art. 20 Absatz 4 GG trotz der fulminanten Vorstellungen von Bundesregierungen, Gerichten, der EU und der EZB vielleicht doch noch etwas zu früh ist.

Natürlich ist Professor Kerber in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht gehindert, in und vor Hörsälen, in Gerichtssälen und in TV-Studios für die Entzündung der Fackel des Widerstands gegen den "Moloch EU" und die Regierungen ihrer Mitgliedstaaten zu werben. Losgelöst von der Frage, ob die Ausübung des verfassungsrechtlichen Widerstandsrechts eine demokratische "ultima ratio" ist, sollte er aber noch ein einmal (oder erstmals?) darüber nachdenken, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sind, dass an den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 im Hinblick auf die Beteiligung der souveränen Bürger eine historische Tiefstmarke von knapp 43 Prozent zu verzeichnen war. Da ist offenbar noch etwas "Luft nach oben" im europäischen Haus der Demokratie.

Entscheidungen im skizzierten Sinn könnten auch im Normalmodus demokratischer Wahlen getroffen werden. Ein Souverän, der auf die Manifestation seiner Souveränität in einem derartigen Umfang verzichtet, mag zwar von Widerstandsgeist, wenn auch in einer reichlich passiven Variante, beseelt sein. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob ein gleitender Übergang von der Wahlenthaltung zum Widerstand ihn besonders glaubhaft macht.

Ein Drogenproblem besonderer Art

Europa hat keinen Widerstand verdient. Auch die angesprochenen Defizite sind durch "Mitmachen" zu beseitigen. Aufrufe zum Widerstand können wie Zunder auf die immer größer werdenden Misthaufen nationalstaatlicher Eigensucht wirken. Dann brennt es.

Kerber und seine gelehrten Kollegen werden daran natürlich nicht schuld gewesen sein. Sie habe ja nur - wie die Rating-Agenturen vor der Finanzkrise - ihre Meinung gesagt. Und das darf man ja noch in einem demokratischen System, dem man allerdings doch ein bisschen Widerstand entgegensetzen will. Kerber und alle anderen potentiellen Widerstandskämpfer sollten sich vielleicht vor dem Beginn ihres Einsatzes aber noch einmal anschauen, was der immer wieder zitierte Carl Schmitt über den "ewigen Zusammenhang von Schutz und Gehorsam"16 [19] gedacht und geschrieben hat.

Jenseits derartiger hochmögender verfassungsrechtlicher und politisierender Überlegungen hat die Welt sich unterdessen vielleicht in Wahrheit "nur" ein Drogenproblem besonderer Art eingehandelt. Dabei geht es weder um Alkohol noch um Kokain. Die Droge heißt: Geld. Weltweit spritzen Zentralbanken immer mehr von dieser Droge in den Wirtschaftskreislauf. Die "Erlösung" in Gestalt von Wachstum und Inflation bleibt jedoch bis jetzt aus. Die übliche Reaktion: "More of the same."

Das Ganze wird allmählich absurd. Als in der ersten Septemberhälfte 2015 positive Nachrichten aus Washington an die Börsen drangen (Verringerung der Arbeitslosenquote), brachen gleichwohl erst einmal die Kurse an der Wall Street zusammen, dann in Europa, befürchteten die Börsianer doch, dass die Notenbank angesichts einer erstarkenden Wirtschaft den Zins ein wenig anhebt. Soweit hat uns die vor mehr als sieben Jahren ausgebrochene Finanzkrise also gebracht: Billiges Geld wird nicht mehr danach bewertet, ob es die Wirtschaft antreibt, sondern als "Ziel an sich".

Genau davon scheinen die Finanzmärkte inzwischen besessen zu sein. Aus einer Übergangshilfe ist eine Gewohnheit geworden. Der EZB-Präsident überlegte zu diesem Zeitpunkt auch schon laut, ob er den Hahn noch weiter öffnen sollte. Seinerzeit lagen die Zinsen bei fast null und es bestand - wie schon erwähnt - die Absicht, noch ein Jahr lang monatlich für 50 oder 60 Milliarden Euro Anleihen zu kaufen, mit anderen Worten: Geld zu drucken. Diesem Vorgehen sind nach seinen Angaben zwar keine Grenzen gesetzt.

Selbst in London wird aber inzwischen bezweifelt, ob all diese Billionen helfen werden. Die Firmen scheinen immer noch nicht genügend zu Investitionen motiviert zu sein. In den USA setzten Anleger sogar wieder auf die minderwertigen Hypotheken, die überhaupt erst die Finanzkrise auslösten. Fast schon genial ist dabei die veränderte Bezeichnung. Jetzt geht es nicht mehr um "subprime" (zweitklassig), sondern um "non-prime" (nicht erstklassig).

Wer jetzt erstaunt tut, hat etwas nicht verstanden. Die Investoren müssen quasi zu anderen Papieren greifen, wenn und weil sich die sicheren Anleihen nicht rentieren. So verwischen sich die Unterschiede zwischen guten und schlechten Hypotheken und zwischen kleinen und großen Risiken. In der Folge entstehen Blasen, nach deren Platzen einfach neues Geld gefordert wird.

Billiges Geld löst bei Staaten zumeist nur einen Reflex aus: Erhöhung der Schuldenaufnahme. Anhaltende niedrige Zinsen lassen die immer höher werdende Verschuldung jedoch kaum spüren. Sollten die Zentralbanker den Zinssatz erhöhen wollen, werden sie auf entschiedenen Widerstand treffen: Der Kreislauf des billigen Geldes wird immer stärker.

Ein Kommentator behauptet zudem, dass "Draghis Droge" die Reformen verhindert, die sie überhaupt erst ermöglichen sollte. An der anhaltenden Geldschwemme ändert sich indessen nichts. Die Welt muss offensichtlich "auf Entzug" gesetzt werden. Europa wird vielleicht doch noch irgendwann verstehen, dass der Kontinent mit der von der EZB verabreichten Gelddroge nur sediert wird. Statt unbegrenzten Zufluss zu versprechen, sollte Draghi in der Tat besser versuchen, zumindest den Mitgliedstaaten der Euro-Zone Grenzen zu setzen.17 [20]

Andernfalls müsste doch jemand der EZB Grenzen setzen, notfalls auch der deutsche Souverän, wenn die europäischen Völker dazu nicht in der Lage oder willens sein sollten. Es ist offen, ob die politische Führung Deutschlands über die hierzu erforderlichen charakterlichen und intellektuellen Qualitäten sowie die notwendige Entschlusskraft verfügt

Wie auch immer: Die Bundesbürger bleiben dabei in den geltenden verfassungsrechtlichen Rahmen eingespannt, der an diesem Punkt (Art. 20 Absatz 4 GG) übrigens Ausdruck einer langen und wechselhaften historischen Tradition ist: Das Widerstandsrecht gegen den pflichtvergessenen Herrscher war seit der Antike anerkannt und bis zum Absolutismus vielfach auch verbrieft.

In der Unabhängigkeitserklärung der USA und in Art. 2 der Französischen Déclaration von 1789 noch verankert, erlangte es im deutschen Konstitutionalismus lange Zeit kaum mehr Bedeutung. Die Herrschenden sollten an die Verfassungen gebunden werden, die man anderweitig schützen wollte. Selbst im demokratischen Verfassungsstaat sah man für dieses Recht keinen Raum. Nach den Erfahrungen mit dem System des Nationalsozialismus wurde in einigen Landesverfassungen aber nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zum Widerstand eingeführt.

Der Parlamentarische Rat hatte sich bei der Erarbeitung des Grundgesetzes aber wegen der praktischen Schwierigkeiten zunächst gegen die Aufnahme eines Widerstandsrechts entschieden. Das hatte das Bundesverfassungsgericht einige Zeit später bei seinem "KPD-Urteil" aber nicht davon abgehalten, "ein Widerstandsrecht gegen ein evidentes Unrechtsregime ...in der grundgesetzlichen Ordnung anzuerkennen." Dennoch blieb die Überzeugung vorherrschend, dass das Widerstandsrecht einer Positivierung wesensmäßig weder bedürftig noch zugänglich sei.

Erst im Rahmen der späteren "Notstandsverfassung" wurde aufgrund eines politischen Tauschgeschäfts in Art. 20 Absatz 4 GG ein praktisch kaum relevantes Widerstandsrecht verankert. Die Bestimmung wird als ein Stück "symbolischer Verfassungsgesetzgebung" angesehen, mit der das Grundgesetz die Möglichkeit des Versagens seiner Vorkehrungen einräumt und die Mitglieder des souveränen Volkes auf sich selbst verweist.

Ungeachtet häufiger sprachlicher Verquickungen ist das Widerstandsrecht von den wichtigeren Formen des "zivilen Ungehorsams" zu trennen, die nicht mit Art. 20 Absatz 4 GG zu rechtfertigen sind. Es bleibt dabei: Nur Deutsche als Mitglieder des souveränen Staatsvolkes sind zum Widerstand berechtigt, wenn dessen verfassunggebende Entscheidung bedroht wird. Staatsorgane als solche können sich jedoch nicht auf das Widerstandsrecht stützen. Zur Widerstandssituation gehören vier Elemente.

  1. Die "Verfassungsmäßige Ordnung" in ihrer wesensmäßigen Gesamtexistenz (Art. 20 Absätze 1 -3 GG) als Schutzobjekt.
  2. Beseitigung dieser Ordnung, die (schon und erst) mit dem zumindest faktischen Ausfall eines der Kernelemente der Verfassungsordnung anzunehmen ist, wobei ein "Unternehmen" (Versuch) genügt.
  3. Unternehmender kann "jeder" sein, also alle natürlichen und von ihm (ihnen) etwa eingesetzte juristische Personen im In- und Ausland, unabhängig davon, ob sie unter Missbrauch ihnen übertragener oder angemaßter Organschaft und der damit verknüpften Staatsgewalt agieren oder nicht.
  4. Subsidiaritätsklausel (Unmöglichkeit anderer Abhilfe).

Unter Abhilfe ist die wirksame Vereitelung des Unternehmens durch Staatsorgane zu verstehen, die im Rahmen ihrer Befugnisse handeln. Damit wollte man einem Ausufern des Widerstandsrechts entgegengetreten. Die Möglichkeit zur Abhilfe hängt nicht von der Existenz ausreichender Rechtsbehelfe ab, sondern von der Fähigkeit und vom Willen der zur Abhilfe berufenen Staatsorgane. Das Risiko der Fehleinschätzung im Hinblick auf die (Un-)Möglichkeit anderweitiger Abhilfe geht zu Lasten des irrig Widerstand Leistenden.

Das Recht zum Widerstand hat grundsätzlich die Wirkung, andernfalls verbotenes Verhalten zu rechtfertigen. Es muss allerdings mit der Absicht ausgeübt werden, die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung zu behindern. Der Widerstand darf sich aber nur gegen die Person richten, die die Verfassung zu beseitigen sucht, nicht gegen ihre Bemühungen schlechthin.

Art. 20 Absatz 4 GG enthält keine Grundlage für Übergriffe in Rechte Dritter. Die Freigabe aller (!) Rechte Unbeteiligter für den allenfalls durch Verhältnismäßigkeitserwägungen gehemmten Widerstandseingriffs jedes (!) Deutschen widerspricht der großen Behutsamkeit, mit der das GG die Grundrechtsbindung der Staatsgewalt zum Zwecke der Verteidigung der Verfassungsordnung und des Bestandes des Staates generell und selbst im Verteidigungsfall lockert. Danach mag die Effektivität des Widerstandsrechts problematisch sein. Doch gibt das GG selbst in der extremen Situation des Art. 20 Absatz 4 GG nicht die Grundrechte preis, deren Schutz doch seine "ratio essendi" ist.

Wegen seines Verfassungsrangs kann das vorbehaltlos garantierte Widerstandsrecht gesetzlich mangels begrenzender Verfassungsbestimmungen weder unmittelbar verkürzt noch behördlichen Einschränkungen unterworfen werden. Entsprechende Staatsakte können als Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechts mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden, ohne dass der Widerstandsfall eingetreten sein müsste. Auch wegen Widerstandshandlungen verhängte Sanktionen, z. B. Strafurteile, wären als Verstöße gegen Art. 20 Absatz 4 GG unzulässig und notfalls mit der Verfassungsbeschwerde zu bekämpfen, was freilich bei Erfolg des Widerstands vielfach nicht nötig sein dürfte, andernfalls kaum Erfolg verspräche.18 [21]

Schlussbemerkungen

Die Tatsache, dass die Finanzpolitik in Deutschland und Europa im Kernbereich der bürgerlichen Gesellschaft Gedanken an "Widerstand" aufkommen lässt, ist, wie schon betont, sehr beunruhigend. Sie ist ein unmissverständliches Signal, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein Erosionsprozess begonnen hat, der zu einer gefährlichen Fortsetzung des schon begonnenen Vertrauensverlusts führen könnte.

Bereits vor zwanzig Jahren konnte man schon aus den Kreisen der Bundesbank eine Stimme hören, wonach das Vertrauen der Finanzmärkte in die Politik heute (damals) für die Regierungen mindestens ebenso wichtig sei wie das Vertrauen der Wähler.19 [22]

Der heutige Vertrauensverlust der Wähler hat allerdings jetzt solch einen Umfang und eine derartige Qualität erlangt, dass dramatische Entwicklungen nicht mehr auszuschließen sind. Grundlegende Gewährleistungen der Demokratie (Wahlrecht) scheint man nicht mehr als überzeugend zu empfinden. Das sollte angesichts der seit längerem ständig und drastisch abnehmenden Wahlbeteiligung nicht allzu sehr verwundern. Es könnte sich früher oder später sogar die Frage stellen, ob die etwaige Ausübung des Widerstandsrechts nicht nur ein Zwischenstadium markiert, das dem letzten Schritt vorangeht:

Revolution

Es bleibt abzuwarten, ob sich dann maßgebliche Teile der akademischen und bürgerlichen jetzt noch widerstandsbereiten Elite auf den Barrikaden einfinden.

Bei diesem Gedanken mag man sich dann schon wieder beruhigen: Die deutsche Geschichte legt nahe, dass die Wartezeit insoweit recht lange werden dürfte. Und die Polizei in Deutschland kann sich ebenfalls entspannt zurücklehnen: Die Schar der vielleicht dereinst aufmarschierenden Widerstandskämpfer wird sie mühelos einkesseln können.

Damit wäre natürlich kein einziges der erwähnten Probleme gelöst - weder grundsätzlich noch im Detail. Das ist natürlich nicht den Polizeikräften zuzuschreiben, sondern der politischen Führung. Deren jeweilige Gestalten hat der deutsche -wählende und nichtwählende- Souverän immer verdient. Darin liegt der unaufhebbare "Sex Appeal" einer Demokratie. Immerhin gibt es auch Diskussionsbeiträge, die unter einer anderen Überschrift firmieren:

Evolution statt Revolution

Sie wollen sich von der vom französischen Wirtschaftsminister Macron im Sommer 2015 vorgestellten dramatischen Perspektive einer "Neugründung Europas" entfernen, räumen aber zunächst ein, dass eine Währungsunion stabiler und effizienter ist, wenn man sie als "Krone" auf einer politischen Union und insbesondere auf einer gemeinsamen Finanzpolitik aufsetzen kann. Gleichzeitig gibt es keinen Zweifel daran, dass ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt der Ergänzung durch eine möglichst umfassende einheitliche Währung bedarf und der Flankenschutz durch das bestehende Vertragswerk rund um den Wachstums- und Stabilitätspakt Teil einer zweitbesten, aber praktikablen Lösung ist.

Es ist in der Tat nicht zu bestreiten, dass es zu Beginn der EWU Fehlentwicklungen gab: In einzelnen südlichen Mitgliedsstaaten hat das niedrigere Zinsniveau zu exzessiver privater und öffentlicher Verschuldung geführt. Auf die Warnsignale massiver Leistungs- und Budgetdefizite hat weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene rechtzeitig und angemessen reagiert.

Mittlerweile wurden aber in Europa eine ganz Reihe Instrumente entwickelt, die präventiv und im Hinblick auf Krisenintervention Fortschritte darstellen. Daraus ergibt sich nach dem Urteil manch eines Beobachters eine intakte Zukunftsperspektive für die EWU. Der Vorschlag massiver struktureller Änderungen des europäischen institutionellen Rahmens nach dem Motto "Wiedergeburt oder Tod" gilt hingegen als "extrem gefährlich". Gegenwärtig ist empirisch nicht belegbar, dass die Bürger Europas zu einer "Neugründung" bereit wären.

Die Wahrscheinlichkeit grundlegender Vertragsänderungen ist äußerst gering. Eine Debatte hierüber ist nicht nur politisch und psychologisch gefährlich, sondern auch sachlich nicht gerechtfertigt, habe sich die EWU doch bisher in vielfältiger Weise bewährt:

Man darf sich keine Illusionen machen: Die hier vorgestellten Divergenzen betreffen mehr oder weniger technokratische Positionen. Auch und gerade für den Zusammenhalt Europas wird es entscheidend darauf ankommen, ob man sich über Sinn und Zweck des Unternehmens EU rechtzeitig im Rahmen eines "europäischen Narrativs" also einer emotionalen und emotionalisierenden "großen Erzählung" über seine Zusammengehörigkeit verständigen kann.20 [23]

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies leider oft erst nach Katastrophen oder nach einem Zusammenschluss gegen gemeinsame Feinde möglich wurde. Umso mehr erscheint die Hoffnung angebracht, dass sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl eher aus einem evolutionären und demokratischen Konzept des schrittweisen Fortschritts ergibt und die Auffassungen tatsächlicher und vermeintlicher Experten und Technoraten nicht mit "Schicksalsentscheidungen" verwechselt werden.21 [24]

Sollte sich der Souverän (und nicht nur einige missvergnügte Professoren) dennoch entschließen, auf die Barrikaden (oder vielleicht auch mal wieder zu den Wahlurnen) zu gehen, wird hoffentlich in dieser (und in anderen) Hinsicht(en) eine Klarheit entstehen, die Politik und Polizei anzuerkennen hätten.


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