Aufträge in Industrie fallen erneut, Deutschland rutscht weiter in Rezession
Die Rezession scheint unausweichlich. Industrie schwächelt, Konsum leidet unter hoher Inflation. Rutscht Deutschland in eine gefährliche Stagflation?
Es ist die nächste Hiobsbotschaft gewesen, die das Statistische Bundesamt (Destatis) am Dienstag verkündete. Im verarbeitenden Gewerbe gingen die Auftragseingänge weiter zurück. Anders als im Vormonat, als sogar das größte Auftragsminus seit dem Ausbruch der Coronapandemie (-10,9 Prozent) verzeichnet wurde, fiel das Minus im April allerdings verhalten aus.
Der Auftragseingang im Verarbeitenden Gewerbe ist nach vorläufigen Angaben "saison- und kalenderbereinigt um 0,4 % zurückgegangen", schreibt Destatis. Im Vergleich zum Vorjahresmonat wurde ein Minus von 9,9 Prozent verzeichnet.
Real könnte der Rückgang noch etwas stärker ausfallen. Für März 2023 mussten die Statistiker die vorherige Schätzung nach unten revidieren. Geschätzt worden war zunächst ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahresmonat um 10,7 Prozent, doch nun gibt Destatis 10,9 Prozent an.
Wider Erwarten erholen sich Aufträge der Industrie nicht
Festgestellt werden sehr unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Im Maschinenbau sei ein Minus zum Vormonat um 6,2 Prozent verzeichnet worden, im "sonstigen Fahrzeugbau" sogar -34,0 Prozent, wozu Schiffe, Schienenfahrzeuge, Luft- und Raumfahrzeuge sowie von Militärfahrzeuge gehören.
Inzwischen gehen immer mehr Beobachter davon aus, was Telepolis vor fast einem Jahr geschrieben hatte: Deutschland könnte tief in die Rezession rutschen. Der erneute Rückgang der Auftragseingänge war allgemein nicht erwartet worden.
"Trotz des Einbruchs im März haben sich die Auftragseingänge im April wider Erwarten nicht erholt", erklärte der Commerzbank‑Chefökonom Jörg Krämer gegenüber dem Manager Magazin. Das sei ein schlechtes Signal.
Der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger, bezeichnete die Daten als Riesenenttäuschung. "Damit wird das Konjunkturgefühl immer mulmiger", sagte er. In der Industrie laufe es weiter alles andere als rund. "Der Abwärtstrend ist jedenfalls intakt, er hält seit mehr als einem Jahr an."
Krämer meint: "Die technische Rezession im Winterhalbjahr war kein Ausrutscher." Zusammen mit den weltweiten Zinserhöhungen spreche vieles für ein erneutes Schrumpfen der deutschen Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte.
Krüger bezieht sich zudem auf die Schwächephase in den USA, die den Trend verstärken dürfte. Auch das Bundeswirtschaftsministerium räumt jetzt ein, dass die "exportorientierte deutsche Wirtschaft" besonders leide und verweist auf den "Rückgang der Bestellungen aus dem Euroraum".
Offenbar setzt sich auch im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) durch, dass eine Rezession unabwendbar ist. Die hatte der Minister im Januar gegen eine sich klar abzeichnende Entwicklung aber "abgesagt" – eine weitere gravierende Fehleinschätzung.
IWF hatte Rezession prognostiziert
Sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte zuvor eine Rezession prognostiziert. Die hatte der IWF im April bestätigt und auch aufgezeigt, dass die Russland-Sanktionen deutlich schädlicher für Deutschland als für Russland sind. Der Fonds sagt Russland ein stabiles Wachstum vorher.
Interessant ist, dass weiterhin von einer "technischen Rezession" gesprochen wird, was allseits nachgekaut wird. "Die größte Volkswirtschaft der Region erlebt gerade eine technische Rezession, ohne dass Besserung in Sicht ist", schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ).
Das ist ein Euphemismus, den auch Krämer bemüht. Damit wird die tatsächliche Lage geschönt. Unklar bleibt auch, warum Krämer meint, die Wirtschaft solle "erneut" in der zweiten Jahreshälfte schrumpfen. Sie schrumpft schon in der ersten Hälfte weiter, und es gibt keinen klaren Anhaltspunkt dafür, dass die Wirtschaft im laufenden Quartal wachsen würde, also die Rezession durchbrochen würde.
Deutschland steckt wie erwartet in der Rezession. Erst kürzlich musste Destatis eine Schnellschätzung deutlich nach unten korrigieren. Eingeräumt werden musste, dass die Wirtschaft im ersten Quartal 2023 nicht stagnierte – dann könnte man von einer technischen Rezession sprechen –, sondern tatsächlich um 0,3 Prozent geschrumpft ist.
Es ist ein neueres Phänomen bei Destatis, dass sich die Statistiker in Wiesbaden deutlich und mehrfach hintereinander verhauen. Schon im vierten Quartal 2022 war zunächst nur eine leicht schrumpfende Wirtschaft diagnostiziert worden. Kurz danach musste sich Destatis schon berichtigen. Die Schrumpfung war mit 0,4 Prozent sogar doppelt so stark ausgefallen, als anfänglich angenommen worden war.
Gefahr einer Stagflation steigt
Schrumpft eine Wirtschaft zwei Quartale in Folge, ist das eine Rezession. Punkt! Deutschland rutscht, wie Großbritannien, immer tiefer in die gefährliche Stagflation.
Davon spricht man, wenn eine Stagnation oder Rezession mit einer hohen Inflation zusammenfällt. Die ist im Euroraum, so ist bei Eurostat nachzulesen, zwar im Mai offiziell auf 6,1 Prozent gesunken. Ein klarer Trend ist auch das nicht, denn im April war sie erst wieder auf sieben Prozent angestiegen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) soll aber ein Niveau von zwei Prozent sichern, weshalb sie die Leitzinsen weiter anheben muss, um die Inflation zu bekämpfen. Die hohe Inflation entzieht der Bevölkerung längst deutlich Kaufkraft, weshalb der Binnenkonsum zur Belastung für die Wirtschaft geworden ist. Denn die Löhne halten nicht mit der Inflation schritt.
Die Bauwirtschaft wird über steigende Zinsen längst abgewürgt. "Produktion im Baugewerbe im Euroraum um 2,4 % gesunken", titelte Eurostat kürzlich. In Deutschland ging sie schon um 4,6 Prozent zurück, übertroffen nur von Österreich (-10,9 %) und der Slowakei (-10,3 %).
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