Aus dem Rundfunkstaatsvertrag wird der Medienstaatsvertrag
- Aus dem Rundfunkstaatsvertrag wird der Medienstaatsvertrag
- Die Rolle der Mediatheken muss neu justiert werden
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Von der Steinzeit in die Jetztzeit mit Deadline morgen: Noch kann sich jeder Bürger zum neuen Gesetz äußern
In großem Maßstab geht es um das Projekt einer Industrialisierung des Bewußtseins. ... Es gibt keine Identität in der Isolierung.
Alexander Kluge, 1985 über die "neuen" Medien und das Privatfernsehen
Eines zuerst: Mit dem Rundfunkbeitrag, dem Lieblingsthema und Zankapfel der Medienlaien, hat dies alles dezidiert gar nichts zu tun! Dieses auch für die Sender öffentlich besonders lästige Thema soll erst später angegangen werden. Denn die Definition des Auftrags und der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll vor der Finanzierung kommen. Das ist auch logisch gut begründet.
Das Wichtigste und die nackten Fakten zuerst: "Medienstaatsvertrag" ist die neue Bezeichnung für das, was bis vor Kurzem Rundfunkstaatsvertrag hieß. Offiziell heißt er: "Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland". Es handelt sich um die juristische Grundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die neue Bezeichnung trägt der Tatsache Rechnung, dass es bei der öffentlich-rechtlichen Medienordnung nicht länger nur um Rundfunk und Telemedien geht, sondern um die gesamte digitale Medienwelt, also auch digitale Medienanbieter, inklusive Streaming-Portale, Smart-TVs, Voice-Assistenten und Blogs.
Zuständig und verantwortlich sind die 16 deutschen Landesparlamente. Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat damit also formal überhaupt nichts zu tun. Sehr wohl aber könnte sie umso mehr politisch bewirken. Gerade weil das Thema jenseits ihrer offiziellen Zuständigkeit liegt, durchaus aber die Kernthemen ihrer Zuständigkeit betrifft, kann sie Vorschläge machen und Wünsche äußern.
Raus aus der medialen Steinzeit
Der letzte Rundfunkstaatsvertrag wurde vor über 30 Jahren, im Jahr 1991, verabschiedet. Es gab seitdem allerdings sehr viele Zusätze und Novellierungen, zuletzt Ende 2020. Allerdings sind die Grundsätze des Gesetzes tatsächlich seit 30 Jahren die gleichen – das heißt, sie stammen aus einer Zeit vor dem Internet, vor dem Smartphone, vor allen Digital-Medien, vor der Digitalisierung der Filmbranche; sie stammen also gewissermaßen aus der medialen Steinzeit.
Erstmals ist es darum überhaupt möglich, dass der Entwurf zum Medienstaatsvertrag vorab ins Netz gestellt wurde und zum ersten Mal gibt es die Möglichkeit, vorab zu kommentieren und sich zu beteiligen. Den Entwurf kann man hier auf der Webseite der Landesregierung von Rheinland-Pfalz nachlesen, downloaden – und kommentieren.
Noch – nur noch!!! – bis zum 14. Januar, also bis morgen, kann sich jeder Bürger jetzt mehr oder weniger konstruktiv zu Wort melden und Kommentare zum Entwurf für den neuen reformierten Medienstaatsvertrag abgeben, der von der Rundfunkkommission der Bundesländer erarbeitet wurde.
Dies ist wichtig. Denn der Medienstaatsvertrag stellt die Weichen, er gibt den Sendern Freiheiten oder nimmt sie an die Kandare.
Die Unterschätzung der radikalen Veränderung
Das meiste in der Sache der neuen Medien geschieht nichtöffentlich. Laien können die Kommuniques, z.B. das der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder vom 23.2 1984, so wenig entschlüsseln, wie sie das bei einem sowjetischen Parteitagsdokument könnten.
Alexander Kluge
Der große Alexander Kluge, Filmregisseur und konkreter Denker, der in wenigen Wochen unfassbare 90 Jahre alt wird, war vor rund 40 Jahren einer der ersten und einer der wenigen, die es begriffen hatten: Schon 1985 schrieb er in seinem nach wie vor sehr lesenswerten Text über "Die Macht der Bewußtseinsindustrie und das Schicksal unserer Öffentlichkeit" (in: Industrialisierung des Bewußtseins; Piper Verlag, München 1985), wie die ganzen klugen Leute, die er kennt, die neuen Medien und das Privatfernsehen damals unterschätzt haben und die radikale Veränderung der Öffentlichkeit, die mit ihnen einherging.
Kluge beschreibt, dass "alle intelligenten Menschen", mit denen er gesprochen habe, wie auch seine besten Freunde und die "gesamte öffentliche Meinung sich in dieser Hinsicht in grober Weise täuschen".
Jetzt geht es darum, sozusagen ein Klein- und Mittelhirn, weitgehend automatisiert, die Motorik von Wirtschaftsströmen unterhalb des Bewusstseins steuern, nachzuentwickeln.
Alexander Kluge
Es ist, als ob Alexander Kluge das Smartphone und die Algorithmen und die Verschmelzung von Körper und Maschine, die wir jetzt gerade gegenwärtig in vielen kleinen Details unseres Alltagslebens erleben, vorausgeahnt hätte. Kluge schreibt damals, dass die Öffentlichkeit als Ganzes immer mehr zu einer regulativen Idee werde. Die Öffentlichkeit zerfalle in Teilöffentlichkeiten: "Jede Minderheit baut sich ihr separates Lager." Diese Heerlager sind genau das, was wir heute Filterblasen nennen.
Man sollte sich nicht blenden lassen von der Rhetorik. Zum Beispiel nervt das ganze Gerede von "Trimedialität" und "Content-Netzwerk" alle, die in den Häusern wirklich arbeiten, es dient vor allem der Selbstdarstellung eitler Intendanten, die sich ein kleines persönliches Denkmal bauen wollen.
Hauptproblem ist der Programmauftrag
Die tatsächlichen Probleme bleiben dagegen in den allermeisten Fällen liegen. Sie drängen sich um ganz andere Fragen, unangenehm rechtliche. Das Hauptproblem ist der Programmauftrag. Und hierin wieder die Rolle von Information und Kultur.
"Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen", heißt es im Gesetz.
In Zukunft sollte die Kultur auf eine gleiche Stufe mit Bildung, Information und Beratung gesetzt werden und die Unterhaltung abgestuft. Denn die Formulierung "Kultur und Unterhaltung" konstruiert einen Gegensatz. Unterhaltung ist eine Form, Kultur ist ein Inhalt. Zudem ist in Zukunft nur "Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entspricht" Teil des Auftrags.
Welche Filme soll das Fernsehen zeigen?
Den öffentlich-rechtlichen Sendern kommt eine Schlüsselrolle für den deutschen Film- und Fernseh-Markt zu. Sie sucht in Europa und weltweit ihresgleichen. Dazu gehört auch die Frage: Welche Filme soll das Fernsehen zeigen?
Im Vergleich zu den oft monothematisch auf US-Produktionen fixierten Angeboten der nordamerikanischen Streaming-Portale liegt eine besondere Stärke der öffentlich-rechtlichen Sender darin, ästhetische Diversität praktizieren zu können.
Sie können also deutschen und europäischen Filmen sowie dem Kino aus Asien und aus der übrigen "Dritten Welt", "dem globalen Süden", angemessene Sichtbarkeit verschaffen. Dies fügt sich gut zu dem Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender, deutsche und europäische Filme in ihrer ganzen inhaltlichen Breite und künstlerischen Vielfalt zu unterstützen.
Der Jetztstand ist aber tatsächlich traurig. Es werden kaum noch Filme im Fernsehen gespielt. Wenn dann zu beschämenden Zeiten. Und was für Filme!
Alexander Kluge schrieb zur Lage bereits 1985: "Die Spielfilmkonserven, die 100 Prozent der Kanäle zusätzlich zu den Nachrichten abspielen, mobilisieren konservative Gefühlswelten, die für jede politische Partei, die sich noch mit der Tatsachenwelt auseinanderzusetzen gedenkt, verheerend sind."
Verbotene Zusatzfinanzierungen?
Ein zweites Hauptproblem: Die Beteiligung der Sender an Kinofilmen und überhaupt die Filmproduktion seitens der Sender. Es ist aktuell gängige Praxis, dass die Rundfunkanstalten aus ihren - gesetzlich vorgeschriebenen - Einzahlungen in die Filmfördertöpfe den Anspruch ableiten, ganz bestimmte selbst ausgewählte Filmprojekte von "ihrem" Geld zu fördern und Filmfördergelder insofern als Kofinanzierung eigener Projekte zu nutzen.
Bisher fördern Fernsehsender Kinofilme, aber nur zu ihren Bedingungen. Sie sind nicht dazu verpflichtet. Bislang praktizieren sie hier Rosinenpickerei - sie sind kein Dienstleister der Kino- und Filmbranche. Das sollten sie aber sein.
Zudem profitieren die Sender selbst von dieser Förderung. Über den Umweg von abhängigen, sendereigenen Untergesellschaften nehmen sie Zusatzfinanzierungen vor, erschließen also zusätzliche Gelder fürs eigene Haus. Es gibt auch Redaktionen, die von Filmfördergeldern einen gewissen Prozent-Satz direkt in die zuständige Redaktion abzweigen. Ob das überhaupt gesetzeskonform ist, ist mindestens umstritten. Aber wo kein Kläger, da kein Richter.
Und kein Produzent wird die für seine Aufträge überlebensnotwendigen Sender verklagen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender nehmen in der dualen Rundfunkordnung nicht nur durch ihre Finanzierung und die Rechtekonzentration im Bereich fiktionale Auftragsproduktion eine feste und beherrschende Stellung ein.
Die Sender stellen auch durch die ihnen eingeräumte Möglichkeit, eigene Produktions- und Rechteverwaltungs-Firmen zu betreiben (zum Beispiel: Bavaria, Studio Hamburg, Network Movie, Degeto), eine eigene Wirtschaftsmacht in der Branche dar, die mit ca. 1/3 aller Umsätze in diesem Bereich als absolut markbeherrschend gelten muss.
Hier sollte der neue Staatsvertrag sowohl dafür sorgen, dass es eine Verpflichtung (statt bisher: "Berechtigung", wenn auch de facto Verpflichtung) zur Einzahlung und gleichzeitig den dezidierten Ausschluss eines Anspruchs auf eine Gegenleistung gibt. Die Unabhängigkeit der Produzenten und Urheber muss gewährleistet werden.
Recht unverhohlen machen die Sender klar: Sie wollen raus aus den Kino-Koproduktionen. Sie wollen nur noch das Programm machen, "was unser Publikum sehen möchte." Also Serien und anspruchsloses, kulturloses Unterhaltungsprogramm.
Das darf man ihnen nicht durchgehen lassen. Denn es ist entgegen mancher Wünsche aus Macherkreisen keineswegs wünschenswert, wenn die Sender aus der Filmförderung rausgehen.
Es handelt sich immerhin um öffentlich-rechtliche Sender, nicht um Privatsender. Man kann diese nicht einfach aus ihren angestammten Verpflichtungen entlassen. Sie bekommen Gebührengeld nicht, um damit zu tun, was sie wollen, sondern um einen Programmauftrag zu erfüllen. Zu diesem gehört Kultur.
Sender sollten in Zukunft nicht mehr in den Jurys mitreden und ihre finanzielle Beteiligung sollte nicht mehr Voraussetzung einer positiven Förderentscheidung sein, sondern umgekehrt Ankaufs-Verpflichtungen haben nach dem Vorbild der österreichischen und der schweizer Regelungen.