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"Aus den Wolken kommt das Glück"

Notorious

Die Rettungspakete, die Griechen, die Nazis und wir

Mit den bisherigen Rettungspaketen für Griechenland wurde ganze Arbeit geleistet. In Griechenland, wo die Not immer größer wird, wächst die Wut auf die Deutschen. In Deutschland wächst die Wut auf die undankbaren Griechen, die sich Milliarden überweisen lassen und dann die auf einem Umfragehoch schwebende Kanzlerin in eine NS-Uniform stecken oder ihr einen Hitlerbart anmalen. Wir geben unser sauer verdientes Geld, und die Griechen erinnern uns an unsere Vergangenheit. Das wird allgemein als ungehörig empfunden. Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit, sich diese Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen, weil sich viele der aktuellen Verwerfungen vermeiden ließen, wenn wir ein feineres Sensorium dafür hätten, was gewesen ist und wie das in die Gegenwart hereinreicht. Hilfestellung beim Erinnern können drei wertvolle Zeitzeugen leisten: Ein Spielfilm mit Gesang, die Deutsche Wochenschau und ein Buch, das sich zum Longseller auf dem Markt für Reiseliteratur entwickelte und das zuerst der deutsche Soldat und dann der deutsche Bildungsbürger im Gepäck hatte, wenn er nach Griechenland fuhr.

[…] das Gemuhe und Gemähe dringt […] bis in die Cafés, […] in denen die Männer sitzen vom frühen Morgen bis zum späten Abend und nichts tun, denn das ist die wahre griechische Nationalleidenschaft. Nur wenn sie sehr aktiv gestimmt sind, spielen sie dabei ihr Brettspiel, um Drachmen natürlich.

Erhart Kästner, Griechenland (1942)

Neulich in der Quasselwelt von ARD und ZDF. In den Sendungen Maybrit Illner [1] und Menschen bei Maischberger [2] kauen die Talkshow-Denker das Thema Griechenland wieder einmal durch. Griechische Boulevardblätter, sagt Frau Illner, zeigen unsere Kanzlerin und "Minister unseres Landes" jetzt dauernd als Nazikarikaturen. Das ist wohl wahr, und weil es so ist, darf es auch gesagt werden. Warum das aber ausgerechnet mit Paul Ronzheimer besprochen werden muss, dem Griechenland-Korrespondenten der Bild-Zeitung, ist mir nicht so klar. Ich nehme an, dass es zur Logik einer fortschreitenden Boulevardisierung des gebührenfinanzierten Fernsehens gehört, wenn sich Bild-Leute zunehmend als verantwortungsbewusste Journalisten präsentieren dürfen. Den Redebeitrag von Herrn Ronzheimer würde ich so zusammenfassen: Die Griechen haben ihn freundlich aufgenommen, aber den Griechen geht es schlecht, und dafür suchen sie einen Schuldigen. Gefunden haben sie die deutschen Politiker. Und dann sagt Ronzheimer etwas, das jeder hätte sagen können und das so banal ist, dass man dafür keine Sendezeit verschwenden muss: "Eins muss ich sagen: Ich verstehe jede Emotionalisierung in Zeitungen, aber eine Kanzlerin in Naziuniform auf Seite 1, das geht nicht." Natürlich geht das nicht.

Der Opa von Costa Cordalis bewundert Kaiser Wilhelm

Aber warum machen es die griechischen Boulevardblätter dann trotzdem? Vom Griechenland-Versteher der Bild-Zeitung kommt dazu gar nichts. Das hätte ich auch nicht erwartet, denn sein Blatt ist eher auf das Aufwärmen des Klischees vom faulen Griechen spezialisiert, der an unser Geld will. Das Bedienen von Vorurteilen und Ressentiments bringt viel höhere Auflagen als Berichte über deutsche Kriegsverbrechen. Mehr erwartet hätte ich mir von der Sendung insgesamt. Das mit den Nazis ist der Redaktion und der Moderatorin eigentlich recht wichtig, was man daran sehen kann, dass es ziemlich genau für die Mitte der Talkshow eingeplant ist, also an einer dramaturgisch herausgehobenen Stelle. Doch was wird dazu gesagt? Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer erwähnt etwas von der "großen Schuld", die wir "historisch mit uns rumschleppen", und in zwei Nebensätzen ist von einer "Besatzung" die Rede, die es wohl mal gab. Das ist alles.

Maybrit Illner

Vielleicht erfährt man bei Menschen bei Maischberger mehr. Da wird ebenfalls gezeigt, dass die Griechen unsere Kanzlerin als Nazi zeigen. Von Herrn Bosbach (CDU) sind aus dem Off Geräusche der Empörung zu hören. Herr Eichel, früher Finanzminister der SPD, ist nur da, um sich gegen den Vorwurf der Bild-Zeitung zu wehren, dass er an dem Debakel schuld ist. Costa Cordalis vergleicht die Nazi-Merkel mit dem Rosenmontagszug und erzählt, dass die Griechen ihre Landesfarben dem aus Bayern importierten König Otto verdanken und dass sein Großvater ein Bewunderer von Kaiser Wilhelm war. Herr Chatzimarkakis von der FDP erläutert, dass die griechische Bevölkerung solche Nazi-Vergleiche nicht goutiert, vergleicht die soziale Lage in Griechenland mit der Weimarer Republik und nennt erschreckende Zahlen über die soziale Lage, die Frau Kohl vom ARD-Börsenstudio sogleich anzweifelt, um dann zu fragen, warum die Griechen uns die Schuld geben und nicht der herrschenden Klasse bei sich daheim. Frau Maischberger lässt sich von Costa Cordalis versichern, dass sie als Deutsche das nicht ernst nehmen muss und fragt nicht weiter nach. Damit ist das mit dem Hitlerbart abgehakt und wir sind wieder auf vertrautem Terrain: Beim Kopfschütteln über "diese Griechen".

Costa Cordalis bei "Menschen bei Maischberger"

Leider ist das typisch für den Umgang mit der NS-Vergangenheit, der sich seit den 1950ern bei uns eingeschliffen hat: Ja doch, es gab da diesen Krieg, und irgendwie sind damals ein paar unangenehme Dinge passiert, aber jetzt vergessen wir das lieber und konzentrieren uns auf die Gegenwart und unser derzeitiges Verhältnis zu den Ländern, die wir mal erobert haben. Und wenn diese Länder es nicht auch so machen, nehmen wir das übel, weshalb ich gut verstehen kann, dass die Griechen im Quasselfernsehen das Thema vorsichtig umschiffen (Vicky Leandros erzählt bei Maybrit Illner stattdessen, dass es in Piräus keinen Computer gab, als sie sich da um die Kultur kümmern sollte). Wenn das Abhaken der Vergangenheit so billig zu haben wäre, hätte ich nichts dagegen. Diese Ausgaben von Maybrit Illner und Menschen bei Maischberger zeigen aber, dass es so einfach doch nicht geht. Wenn wir den Griechen in der deutschen Talkshow sagen, dass sie Angela, die Mutter der Nation nicht in NS-Uniform zeigen dürfen, ohne uns weiter dafür zu interessieren, warum es solche Titelblätter gibt, sind wir genau bei der Art von "Emotionalisierung", für die Herr Ronzheimer viel Verständnis hat, ich hingegen nicht.

Selbstverständlich suchen die griechischen Boulevardjournalisten Sündenböcke. Warum sollten sie da besser als ihre deutschen Kollegen sein? Wenn aber der Sündenbock mit Hakenkreuz, Wehrmachtsuniform und Hitlerbart ausgestattet wird, ist das ein Beleg dafür, dass sich etwas in die Psyche mehrerer Nachkriegsgenerationen hineingefressen hat, das nicht dadurch verschwindet, dass der Griechenland-Gesandte der Bild-Zeitung den Griechen (oder eigentlich doch eher dem vergreisten Publikum des ZDF) sagt, was geht und was nicht. Das müsste auch diejenigen interessieren, die gern einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen würden. Denn wer hilft (ob freiwillig oder weil es nicht anders möglich ist), sollte auf die psychologischen Befindlichkeiten der Hilfsbedürftigen Rücksicht nehmen und die im Dritten Reich verbreiteten Vorurteile kennen, um nicht - bewusst oder unbewusst - an diese anzuknüpfen. Alles andere sorgt für Animositäten, wo eigentlich ein Gefühl der Solidarität überwiegen sollte und wird am Ende nur noch teurer. Und über die Befindlichkeit erfährt man wenig, wenn man sich mit der Feststellung zufrieden gibt, dass auch Griechenland von Hitler-Deutschland besetzt wurde. Übrigens kenne ich viele Leute, die das bisher gar nicht gewusst haben.

Mit dem Regenschirm nach Theben

Was hat es also auf sich mit den Griechen und den Nazis? Ich bin kein Grieche, kein Griechenlandkenner und kein Experte für die Eurokrise oder den Zweiten Weltkrieg. Ich kann jedoch etwas über das Griechenlandbild berichten, das dem deutschen Publikum von der Propagandamaschinerie im Dritten Reich vermittelt wurde. Bevor ich dazu komme, möchte ich einen jener Filme erwähnen, deren Entstehen schwer zu erklären ist, wenn man davon ausgeht, dass ein genialischer Dr. Joseph Goebbels genau kontrollierte, was auf deutschen Leinwänden zu sehen war und nichts zuließ, was das NS-Regime in Frage stellte. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass besagter Film zu einem Zeitpunkt entstand, als Goebbels und seine Leute noch an den Kontrollmechanismen arbeiteten, oder dass sich die Nazis, weil nicht sehr humorbegabt, mit der Ironie besonders schwer taten. Reinhold Schünzels Amphitryon (1935) steht jedenfalls in der Tradition der durch und durch erotisierten, ironischen und gelegentlich sogar anarchischen (siehe den Schluss von Die Drei von der Tankstelle) Operettenfilme der Weimarer Republik und hat so gar nichts mit den Revuefilmen einer Marika Rökk zu tun.

Reinhold Schünzel werden die meisten Leser schon mal als einen von den Nazis in Hitchcocks Notorious gesehen haben. Bevor er 1937 in die USA emigrierte, drehte er Komödien wie Viktor und Viktoria (Remakes von Karl Anton und - viel besser - von Blake Edwards) oder Die englische Heirat und eben Amphitryon - Aus den Wolken kommt das Glück, frei nach Plautus, Molière und Kleist. Für jeden seiner Filme brauchte Schünzel eine Sondergenehmigung, weil er nach NS-Kriterien ein "Halbjude" war. Und an jedem kann man studieren, was in den ersten Jahren der Diktatur noch möglich war.

Amphitryon

Amphitryon beginnt mit den demonstrierenden Frauen im antiken Theben, die allmählich die Geduld verlieren, weil ihre Männer nun schon sehr lange Krieg führen und endlich heimkehren sollen. Alkmene (Käthe Gold), die Gattin des Titelhelden, erinnert die Geschlechtsgenossinnen an ihre staatsbürgerlichen Pflichten und daran, dass sie einen guten Eindruck bei der Nachwelt und den Göttern hinterlassen müssen. Sie liebe ihren Feldherrn "heißer, als Feuer brennt", versichert sie:

Aber ich opfere ihn geduldig,
denn das bin ich dem Vaterland schuldig.
Seid mutig in der schweren Zeit.
Die Männer steh’n im blut’gen Streit.
Und wer von ihnen draußen fällt,
der stirbt für’s Vaterland als Held.

Kaum zurück in der Privatheit ihres Hauses, gesteht sie der Dienerin Andria (Fita Benkhoff), dass das nur Verstellung war. Das bleibt, auch wenn der Satz "Ach ja, vor so vielen Leuten redet man leicht etwas, was man nachher selbst nicht glaubt" durch die Zensur entfernt wurde. Statt sich in Geduld zu üben, wie vom Kriegsminister verlangt, betet Alkmene zu Jupiter und bittet ihn, Amphitryon heil zu ihr zurückzuschicken.

Amphitryon

Jupiter (Willy Fritsch mit dickem Bauch und Glatze) hält auf dem Olymp gerade seinen Mittagsschlaf und würde gar nichts merken, wenn nicht der Götterbote Merkur (Paul Kemp) auf Rollschuhen anrauschen und die Nachricht bringen würde, dass er aus Theben verlangt wird. Darum blickt er nun mit dem olympischen Vergrößerungsglas - und etwas Anleitung von Merkur - nach Griechenland und entdeckt die schöne Alkmene, die außer einem Tuch nichts anhat, weil die Schneiderin das neue Kleid noch nicht gebracht hat. Jupiter, mit Adele Sandrock verheiratet und sexuell ausgehungert, hätte gegen ein erotisches Abenteuer nichts einzuwenden. Weil Juno das nie erlauben würde, fliegen er und Merkur, an einem überdimensionalen Regenschirm hängend, offiziell zur Kur nach Sparta. Damit beginnt eine Persiflage auf Götter und andere Machthaber und eine Demonstration, wie oft man die Zahl Tausend (wie in "Tausendjähriges Reich") in Liedtexten unterbringen und sogar noch einen frivolen Subtext damit verbinden kann ("Tausendmal gabst du den Himmel mir").

Amphitryon

Amphitryon, nebenbei noch eine Parodie auf die Monumentalfilme des faschistischen Italien, zwang die Ufa, ihr tricktechnisches Wissen auf den neuesten Stand zu bringen und ist doch ein Film der Entzauberung. Während die Menschen in Theben idealisierten Jupiterstatuen huldigen, sehen wir das Original als Pantoffelhelden, der keine Chance bei Alkmene hat, weil er nur ein geiler alter Bock ist. Darum nimmt er die Gestalt des stattlichen Amphitryon an (Willy Fritsch in einer Doppelrolle). In den scheinbar seinen Truppen vorausgeeilten Feldherrn verwandelt, hätte er zweimal die Gelegenheit zu einem Schäferstündchen und macht sich doch nur lächerlich. Zuerst schläft er ein, weil er zuviel vom durch Alkmene kredenzten Samos-Wein getrunken hat und dann ist er erkältet. Merkur ist übrigens (in der Gestalt von Andrias Mann Sosias, auch für Paul Kemp eine Doppelrolle) ein deutlich besserer Liebhaber als sein Chef. Bei Hitler und seinem Propagandaminister soll es so ähnlich gewesen sein, aber vielleicht war auch das mit der Libido des kleinen Doktors nur gelogen.

Amphitryon

Ein Höhepunkt der Verwechslungskomödie ist der triumphale Einmarsch des siegreichen Heeres der Thebaner in die Stadt. "Französische Filmhistoriker", schreibt Karsten Witte in der bei Metzler erschienenen Geschichte des deutschen Films, "sahen eine Verwandtschaft der Ufa-Bauten von Theben zu den NS-Feldzeichen und der von Speer errichteten Architektur des Nürnberger Parteitages, aus dem im gleichen Jahr Leni Riefenstahl ihren Triumph des Willens schuf." Das würde ich auch so sehen. Die Frage dabei ist: Welchen Zweck verfolgt diese Verwandtschaft? Ab und an ist zu lesen, Amphitryon sei selbst ein NS-Propagandafilm. Wer das glaubt, schaut besser noch mal hin. Die Absicht ist eine parodistische.

Amphitryon

Die Soldaten sind schwarz gekleidet wie die SS und nehmen eine jener geometrischen Formationen ein, wie sie die Nazis liebten. Doch der Kriegsminister hält eine Rede über die Geduld der Frauen, die sofort als Lüge zu entlarven ist, weil wir am Anfang das Gegenteil gesehen haben. Thebanische Revuegirls in weißen Gewändern tanzen auf einer gigantischen Freitreppe, der Chor singt das Lied "Hoch aus den Wolken kommt das Glück" dazu, und dann tanzen die rebellischen Thebanerinnen zwischen die starren Kolonnen der Soldaten. Damit nicht genug, wird Juno, durch den Gesang auf das irdische Treiben aufmerksam geworden, ebenfalls nach Theben reisen, um ihren Mann, den Schürzenjäger, zurück auf den Olymp zu holen.

Amphitryon

Amphitryon ist ein Film der Auflösung und Durchdringung, nicht der beinharten Abgrenzung. Den respektlosen Umgang mit den Mächtigen und mit dem Militär kennt man aus amerikanischen Musicals, nicht aus dem autoritären NS-Propagandakino. "Mit der Choreographie und Ausstattung der triumphalen Heimkehr des thebanischen Heeres", schreibt Joe Hembus, "wird dann vollends das Nürnberger Parteitags-Happening durch den süßesten Kakao gezogen." Für ein damaliges Publikum war das unschwer zu bemerken, weil Triumph des Willens, Riefenstahls Pseudo-Dokumentarfilm über den NSDAP-Parteitag von 1934, ein Vierteljahr zuvor angelaufen war. Darum dürfte auch leicht zu verstehen gewesen sein, dass das sich als Untertitel einbürgernde "Aus den Wolken kommt das Glück" nicht nur eine Anspielung auf Jupiters Seitensprünge (oder wenigstens den Versuch derselben) war, sondern auch auf den Anfang von Triumph des Willens.

Triumph des Willens

Bei Riefenstahl fliegt Hitler zur Meistersinger-Ouvertüre von Richard Wagner durch die Wolken über Nürnberg, und als der Pilot das Landemanöver einleitet, geht die Musik in das Horst-Wessel-Lied über. Jupiters Flugzeug ist ein Regenschirm, und wenn man Horst Wessel durch "Aus den Wolken kommt das Glück" ersetzen würde, käme eine ähnlich komische Szene dabei heraus wie beim Walzertanz in Volker Schlöndorffs Blechtrommel-Verfilmung (vielleicht sollte man das mal machen, statt Triumph des Willens weiter zu verbieten, was doch ziemlich phantasielos ist - für die Lieder "Ich muss mal wieder was erleben" und "Tausendmal war ich im Traum bei dir" hätte ich auch ein paar geeignete Stellen vorzuschlagen).

Acropolis Germaniae

Aber warum verfielen Schünzel und seine Mitarbeiter (Regieassistent war Kurt Hoffmann, der in den späten 1950ern, mit Das Wirtshaus im Spessart und Wir Wunderkinder, an die mit Amphitryon und der Abwanderung aller wichtigen Talente ins demokratische Ausland abgerissene Tradition anknüpfte) auf die Idee, eine im alten Griechenland angesiedelte Operette zum Vehikel der Parodie zu machen? Die Antwort findet man in München, dem als Hitlers "emotionaler Heimatstadt" und "Hauptstadt der Bewegung" bei der Selbstdarstellung des Regimes eine besondere Bedeutung zukam.

Die Nazis gefielen sich nicht nur als nordisch-germanische Herrenmenschen, sondern auch als die angeblich einzig legitimen Nachfolger der Hellenen. Dabei konnten sie eine alte, auf die Klassik und die Romantik zurückgehende Griechenland-Begeisterung der Deutschen aufgreifen, die sie mit ihren abstrusen Rassetheorien verquirlten. Das NS-Standardwerk zum Thema war das 1929 erschienene Buch Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes von Hans Friedrich Karl Günther. Kurz gefasst: Nordische Stämme drangen in den Süden vor, unterwarfen die dort lebenden Menschen "niederen Blutes", erschufen die Hochkulturen von Mykene, Athen und Sparta und begingen dann den Fehler, sich mit den Eroberten zu vermischen ("Entnordisierung"), was zu ihrem Untergang führte. Daraus ließen sich zwei Schlussfolgerungen ableiten: 1. Nicht die jetzt lebenden Griechen waren die neuen Hellenen, sondern die "rassereinen" Nazis, und 2. Das Dritte Reich war die Wiederbelebung der Antike.

Wenn man die Welt erobern will, ist so ein kultureller Anspruch immer gut. Außerdem schufen sich die braunen Potentaten eine Ersatzreligion, die nach und nach das Christentum ablösen sollte. Da wurde hineingerührt, was kultisch und ideologisch nutzbar zu machen war: das christliche Mittelalter genauso wie die Opern Richard Wagners, nordische Mythen und ein Konglomerat aus griechischer und römischer Antike (der aufmerksame Leser hat sicher längst bemerkt, dass es in Amphitryon ebenfalls wild durcheinandergeht).

Bei Staatsakten traf man sich gern an der Feldherrnhalle in München, gebaut (1841-44) von Friedrich von Gärtner und der Loggia dei Lanzi in Florenz nachempfunden. Dort gab es ein Mahnmal mit SS-Ehrenwache für die Männer, die am 9. November 1923 beim Hitler-Ludendorff-Putsch ("Marsch zur Feldherrnhalle") von der Bayerischen Bereitschaftspolizei erschossen worden waren. Wer vorbeikam, musste den Arm zum "deutschen Gruß" heben (wer das nicht wollte, ging hintenrum durch die Viscardigasse, auch als "Drückebergergassl" bekannt). Nicht weit von der Feldherrnhalle entfernt liegt der Königsplatz, entstanden nach einer durch Leo von Klenze weiterentwickelten Konzeption Karl von Fischers. Auftraggeber war Ludwig I., dem es München zu verdanken hat, dass es zu einer Stadt der Kunst wurde. Der Platz sollte ein Zentrum der Musen im Stil des antiken Griechenland werden, mit Glyptothek, Museum und einem Torbau, den Propyläen.

Staatsakt vor der Feldherrnhalle (Die deutsche Wochenschau, 1939)

Die Nazis machten aus dem Königsplatz (umbenannt in "Königlicher Platz") eine Kultstätte der NSDAP, das Ziel ihrer Paraden und den Mittelpunkt ihres "Parteiviertels" mit der Reichsleitung der NSDAP im "Brauen Haus", "Führerbau" (die heutige Hochschule für Musik) und einem "Verwaltungsbau" (das heutige Institut für Kunstgeschichte), in dem die Mitgliedskartei der NSDAP aufbewahrt wurde. 1935 wurde der mit seinen Rasenflächen sehr einladende Königsplatz eingeebnet und durch das Verlegen von 20.000 Granitplatten in einen Ort für Massenaufmärsche verwandelt. Die pompöseste und bizarrste Veranstaltung fand im November 1935 beim alljährlichen Putschgedenktag statt.

Hitler, Göring, Himmler und eine Hundertschaft "alter Kämpfer" schritten am 9. November noch einmal den Weg vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle ab, den sie 1923 zurückgelegt hatten. In der Loggia warteten sechzehn fahnengeschmückte Sarkophage mit den vorher ausgegrabenen Überresten der "Gefallenen" von 1923 auf den Führer. Nach Salutschüssen, Abspielen des Liedes "Ich hatt’ einen Kameraden", andächtigem Schweigen und Kranzniederlegung ging es weiter zum "Platz der Wiederauferstehung". Alles, was in der SA, der SS und der NSDAP Rang und Namen hatte, stand Spalier. Unterwegs schmetterte eine immer lauter werdende Blaskapelle die deutsche Nationalhymne als Endlosschleife. Die sechzehn Sarkophage wurden auf Pferdegespannen mitgeführt.

Am Königsplatz hatte man zwei "Ehrentempel" im griechischen Stil errichtet. Dort wurden die sechzehn "Helden der Bewegung", acht pro Tempel, zur vorläufig letzten Ruhe gebettet. Beiderseits der Brienner Straße sind heute noch die Fundamente zu sehen. Von der Fläche mit den zur Schau gestellten Särgen führten fünf Stufen empor. Von dort oben am Rand des Sockels, aus anderthalb Metern Höhe, durfte das Volk fortan auf die Sarkophage mit Hoheitsadler und Hakenkreuz blicken. In jeder Ecke stand eine gusseiserne Pfanne, in der ein "ewiges Feuer" brannte. Für Touristen wurde ein Besuch des neuen Königsplatzes ein fester Bestandteil des Besichtigungsprogramms.

Am 9. November 1935 marschierte die "SS-Standarte Deutschland" im Stechschritt durch die Propyläen und über die Granitplatten zu den Tempeln am anderen Ende des Platzes. Gauleiter Wagner rief laut den Namen eines jeden Märtyrers, die versammelte Menge wiederholte ihn, und dann ging Hitler allein in die Tempel und legte weitere Kränze nieder, um die Toten mit dem "Lorbeer der Unsterblichkeit" zu ehren. Einer von den sechzehn "Blutzeugen" war der Oberkellner Karl Kuhn, der nach Angaben des für gewöhnlich gut informierten David Clay Large (Autor von Hitlers München) am 9. November 1923 auf dem Nachhauseweg war, als ihn eine verirrte Kugel in den Kopf traf. Aus Gründen der Symmetrie nahmen ihn die Nazis mit dazu. Jetzt wird der arme Mann oft als Putschist geführt, und die Neonazis finden es gemein, wenn man ihren "Märtyrer" zum zufällig getöteten Passanten erklärt. Das ist der Stoff, aus dem die Legenden sind.

War also München das neue Theben und nicht Nürnberg, wo Hitler 1934 eingeschwebt war wie Jupiter in Amphitryon? Den Nazis war das zu wenig. Der Kunstexperte Alexander Heilmeyer gab die Richtung vor, als er den 1935 verschandelten und erst 1988 wieder begrünten Königsplatz nicht mit irgendeiner antiken Stätte in Griechenland verglich, sondern gleich mit dem Tempelberg in Athen. "So konnte auch ein durch Opfergedächtnis geweihter Bezirk von Würde und Hoheit entstehen, eine Acropolis Germaniae", schrieb er 1935 in einem Beitrag für die Süddeutschen Monatshefte mit dem Titel "Die Stadt Adolf Hitlers". Nachdem das mit der Akropolis geklärt war, fiel es auch nicht mehr besonders schwer, die Eroberung von Griechenland als eine Art Heimkehr zu den kulturellen Wurzeln zu verkaufen, als Zeitreise in die große Vorgeschichte sowohl der Deutschen als auch der Griechen. Das machte sich viel besser als eine Invasion. Nicht so gut war es für die Menschen, die schon dort lebten. Die real existierenden Griechen nämlich.

Einmarsch ohne Aufenthalt

Die Vorgeschichte des Balkanfeldzugs von 1941 ist kompliziert und muss hier nicht weiter erläutert werden. Jedenfalls scheiterten die Italiener im Herbst 1940 mit dem Versuch, das neutrale Griechenland per Blitzkrieg einzunehmen, die Briten besetzten Kreta und verminten die griechischen Gewässer, und jetzt streiten die Fachleute darüber, ob Hitler den Angriff auf Griechenland vorbereiten ließ, weil er das so wollte oder ob er musste, weil Mussolini Fakten geschaffen hatte, die er nicht ignorieren konnte. Schwer zu bestreiten ist, dass die Wehrmacht am 6. April 1941 Griechenland und Jugoslawien von Bulgarien aus angriff, ohne vorherige Kriegserklärung. Die wurde nachgereicht. Als Kinogeher erfuhr man davon durch einen "Sonderbericht" der Deutschen Wochenschau.

Die deutsche Wochenschau

Am Anfang sieht man den Wilhelmplatz im Regierungsviertel von Berlin mit den da aufgestellten Preußenstatuen. Eine geht mit der Fahne voran, aber noch ist alles menschenleer. Nur die Nazis sind schon wach. Goebbels sitzt um 6 Uhr morgens im Propagandaministerium und verliest "die Proklamation des Führers an das deutsche Volk und den Tagesbefehl des Truppenbefehlshabers der Wehrmacht an die Soldaten der Südostfront". Diese Soldaten sind auch schon aufgestanden, sitzen startbereit im Auto und warten darauf, dass es losgehen kann. Um 6:45 Uhr nimmt uns die Wochenschau mit ins Auswärtige Amt. "Nachdem der Reichsminister des Auswärtigen der in- und ausländischen Presse die Erklärung der Reichsregierung bekanntgegeben hatte", sagt der Sprecher zu feierlicher Musik, "wurden die Noten an Jugoslawien und Griechenland verlesen." Die Presse schreibt aufmerksam mit, damit auch die Griechen und die Jugoslawen am nächsten Morgen in der Zeitung lesen können, dass sie tags zuvor überfallen wurden.

Dann geht es los. Das war eigentlich um 5:15 Uhr und nicht irgendwann nach 6:45 Uhr, aber nicht in der Wochenschau, weil sich da der deutsche Mensch (im Gegensatz zum Feind) an die Regeln hält und seine Noten verliest, bevor er angreift. Um das zu dokumentieren, wird mehrfach die Uhr gezeigt. "An der Südostfront wird der Kampf in der Morgendämmerung des 6. April eröffnet", meldet der Sprecher. "Feuer auf die feindlichen Grenzbefestigungen." Das ist ein unübersichtliches Gebirgsgelände, erfährt man, und deshalb kann der Vormarsch etwas dauern, aber schließlich kämpft hier die Wehrmacht, und darum wird der erste Widerstand durch Artilleriebeschuss schnell gebrochen, die Infanterie und motorisierte Kolonnen rücken vor, und dann sieht man die ersten Kriegsgefangenen, "serbische Elitetruppen aus den schweren Bunkern an der Grenze". "Panzer auf Panzer rollt über die Grenze", jubelt der Sprecher. Und: "Der Marsch geht ohne Aufenthalt weiter."

Die deutsche Wochenschau

Ohne Aufenthalt. Fast könnte man glauben, dass da eine Reisegruppe unterwegs ist, die sich vorgenommen hat, ohne zeitraubende Zwischenstopps direkt zum Urlaubsziel zu fahren. Tatsächlich gehörten Soldaten verschiedener Wehrmachtsteile, die sich auf ausländischen Straßen begegnen wie Griechenlandurlauber aus demselben Dorf zum Standardrepertoire der Wochenschau. Nur der Feind erweist sich als Spielverderber. "Spitze halt! Schwere Befestigungen sperren den Weg an der griechischen Grenze", teilt der Sprecher mit. Erst die Serben mit ihren Bunkern, und jetzt noch diese Griechen. Da kann man schon mal die Geduld verlieren. "Stukas müssen heran. Alarm!" Damit der Abenteuerurlaub fortgesetzt werden kann, müssen die Flugzeuge "gewaltige Bergmassive" überwinden, aber dafür sieht man Griechenland mal aus der Luft, und dann: "Angriff! Bomben auf die schweren Bergbunker und schwer befestigten Stellungen des Feindes!"

Die deutsche Wochenschau

Da hat der Feind nichts mehr zu lachen. Am Ende des "Sonderberichts" muss dem Publikum noch erzählt werden, wer an allem schuld ist. In diesem Fall sind es die Briten. Auf Bilder von der Bombardierung Griechenlands folgen deshalb solche von italienischen Flugzeugen. "Gleichzeitig mit der deutschen Luftwaffe", kommentiert der Sprecher, "griffen italienische Kampffliegerverbände kriegswichtige Ziele in Südjugoslawien erfolgreich an. So beantworten Deutschland und Italien gemeinsam die neue Herausforderung Englands auf dem Balkan." Zu Jubelmusik wird Bombe auf Bombe abgeworfen. Unten auf der Erde sieht man Explosionen. Die Menschen, die da sterben, sind zwar Griechen und Jugoslawen und keine Briten, aber auf solche Feinheiten kann man im Krieg nicht auch noch achten. Außerdem freuen sich immer die Zivilisten, wenn die Wehrmacht kommt. Am liebsten nimmt die Wochenschau von der Unterdrückung befreite Volksdeutsche (im April 1941 zum Beispiel die im slowenischen Maribor - deutsch: Marburg an der Drau -, die sich umgehend bewaffnen lassen, um für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen), und wenn keine zur Hand sind, werden andere Unterdrückte befreit. Wenn man sich das hintereinander anschaut, aus der Distanz von siebzig Jahren, und wenn man über alternative Informationsquellen verfügt, hat man bald das Muster verstanden und kann die Lügen erkennen. Damals war es wahrscheinlich sehr wirkungsvoll.

Planmäßig stürmen wir dem Siege entgegen

Die von serbischer Unterdrückung befreiten Volksdeutschen haben soeben noch gewunken und eine Hakenkreuzfahne aufgehängt, da "zerhämmern" Artillerie und Stukas die Metaxaslinie. Diese entlang der griechisch-bulgarischen Grenze verlaufende Kette von Verteidigungsanlagen war nicht nach dem Getränk benannt (man liest öfter von einer "Metaxalinie"), sondern nach dem von 1936 bis 1941 regierenden Diktator Ioannis Metaxas. Nachdem das Wochenschau-Publikum eine Weile lang beim Zerhämmern zusehen durfte ("Immer wieder setzt sich der Feind zur Wehr"), werden Straßensperren beseitigt ("Jeder packt mit an"), nach weiteren schweren Kämpfen ist die Metaxaslinie durchbrochen, dann geht es "dem Ägäischen Meer entgegen". Ein Soldatenchor singt das Lied "Wir stürmen dem Siege entgegen", das zur Begleitung des Balkanfeldzugs ab dem 6. April 1941 mehrmals täglich im Rundfunk gespielt wurde, und schon geht es wieder weiter, denn "mit diesem Durchbruch war das Schicksal der griechischen Armee in Thrazien besiegelt".

Die deutsche Wochenschau

Den Feind, also irgendwelche Griechen, hat man bisher nicht zu Gesicht gekriegt. Das deckt sich mit meiner Schulerfahrung. Trotz Leistungskurs Geschichte habe ich da nie etwas vom Leid der Griechen im Zweiten Weltkrieg gehört - so wenig wie von Leo von Klenze (oder dem noch mit den Naziplatten zugepflasterten Königsplatz), obwohl das Münchner Gymnasium, auf dem ich Abitur gemacht habe, nach ihm benannt ist. Die Griechen kamen nur als antike Philosophen und Heereslenker vor, und Thrazien, durch das die Wehrmacht mit ihren Panzern pflügt, war eine uralte Kulturlandschaft und hatte mit der Neuzeit nichts zu tun. Übrigens hat sich die Stadt München dazu durchgerungen, doch keine tausend Jahre mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit im Dritten Reich zu warten, sondern bereits am 8. März 2012 den Grundstein für ein NS-Dokumentationszentrum [3] am Königsplatz gelegt. Schließlich haben wir eine Erinnerungskultur, um die uns andere Länder beneiden. Falls der für 2014 anvisierte Eröffnungstermin eingehalten werden kann, käme man den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Kriegsendes knapp zuvor. Einen interaktiven Stadtplan [4] gibt es schon ("work in progress").

"Und mögen auch manche noch bluten", singt der Chor der Wochenschau, "dringt vorwärts das tapfere Heer, zu der Adria schimmernden Fluten, und zum blauen Ägäischen Meer", dazu rollen wieder die Panzer, und dann, als man fast schon vergessen hätte, dass es sie gibt, tauchen doch noch die Griechen auf. Einige von ihnen stehen staunend am Wegesrand, als die Wehrmacht durch Saloniki rollt, weil ein Sieg erst richtig schön wird, wenn man Zuschauer hat (im Hintergrund brennen Häuser, was die Wochenschau nicht interessiert). "Saloniki ist in deutscher Hand", jubelt der Sprecher. "Hier war im Weltkrieg das Hauptquartier der Alliierten. Jetzt ist dieser wichtige Hafen schon nach viereinhalb Tagen von unseren Truppen erobert." Im April 1941 waren in Saloniki keine Alliierten, sondern neutrale Griechen, aber die sind ganz egal, weil die Botschaft jetzt die ist, dass eine im Ersten Weltkrieg erlittene Schlappe wettgemacht wurde. Dann sind wir auch schon wieder mit den Panzern allein, und die Räder rollen für den Sieg.

Die deutsche Wochenschau

Bei der nächsten Stippvisite in Griechenland begleitet die Wochenschau Verbände des Heeres und der Kriegsmarine auf dem Weg zum Ägäischen Meer: "Die Besetzung der Küste und der vorgelagerten Inseln wird planmäßig vollzogen." Das Schlüsselwort ist "planmäßig". Den Nazis war es ganz wichtig, einem Plan zu folgen (oder wenigstens so zu tun als ob), damit alles seine Ordnung hatte. In Saloniki gab es nur Gaffer und keine Jubler. Das muss jetzt anders werden: "In Kavala. Durch Lautsprecherwagen der Propagandakompanien erfährt die Bevölkerung zum ersten Male Einzelheiten über die wahre Kriegslage." Da freut sie sich, die Bevölkerung, der griechische oder sonstige feindliche Machthaber, griesgrämig im Bunker sitzend, womöglich etwas von der jüdischen Weltverschwörung, den Bolschewisten oder dem Endsieg vorgeschwafelt haben. Das machen die wahrheitsliebenden Deutschen nicht, und darum lächelt eine junge Mutter dankbar, während deutsche Truppenverbände zu den Inseln vor Kavala übersetzen, um sie "im kühnen Handstreich" zu nehmen.

Die deutsche Wochenschau

Die Einheimischen schauen mit ihrem Popen zu, als wunderten sie sich über den Fleiß und die Disziplin, mit dem die perfekt organisierten Besucher aus Deutschland zu Werke gehen. Hätten sie damals besser aufgepasst, diese Anmerkung kann ich den griechischen Freunden nicht ersparen, würden sie heute nicht in diesem Schlamassel stecken. Oder sie haben die falschen Teile der Wochenschau studiert. Das würde erklären, warum sie so viele Panzer bei uns kaufen. Noch eine Möglichkeit: Deutsche Politiker sehen sich die Wochenschau an und lassen das einwirken, bevor sie das nächste Mal darüber schwadronieren, dass in Europa wieder deutsch gesprochen wird, einen Sparkommissar für Griechenland fordern, deutsche Finanzbeamte nach Athen schicken wollen und dergleichen mehr. Alles, was in Deutschland gesagt und geschrieben wird, bemerkt Herr Ronzheimer bei Maybrit Illner ganz richtig, findet in Griechenland höchste Beachtung. Warum ist das so? Ein Tipp: An der rhetorischen Brillanz unserer Politiker liegt es nicht.

Die deutsche Wochenschau

Die Italiener überwinden das albanisch-griechische Grenzgebirge "in schweren Kämpfen", die Deutschen nehmen griechische Stellungen unter Beschuss (nicht die Griechen, die sieht man nicht, nur manchmal ihre Häuser, aber da ist sicher keiner drin, wenn die Granate einschlägt, weil die Griechen dauernd in der Taverne sitzen oder faul am Strand herumstehen, wo die Deutschen ihre Arbeit tun), der "letzte Widerstand des Gegners vor Jannina wird von Formationen der SS-Leibstandarte Adolf Hitler gebrochen". "Widerstand brechen", am besten noch im Passiv, ist einfach viel menschlicher, als aktiv Leute umzubringen, die da wohnen und einem nichts getan haben. Dann folgt eine dieser netten Begegnungen von alten Bekannten im Ausland: "Die Vereinigung der deutschen und italienischen Truppen ist vollzogen." Das gibt ein großes Hallo mit Fahnenschwingen und Händeschütteln.

Die deutsche Wochenschau

Kampf um die Thermopylen

"Am 23. April", meldet die Wochenschau, "kapituliert die griechische Epirus- und Mazedonienarmee. Generalfeldmarschall List leitet die Übergabeverhandlungen." Den italienischen Waffenbrüdern gegenüber ist das sehr charmant. Diese Armee hatte schon früher kapituliert, aber dabei hatte man die Italiener schlicht vergessen. Auf Drängen Mussolinis, der auch einen Propagandaerfolg haben wollte, wurde der Vorgang am 23. April wiederholt. Daraus wurde das offizielle Datum. Für geschichtsbewusste Griechen muss es schmerzlich gewesen sein, als die damalige Regierung Papandreou ausgerechnet am 23. April 2010 um Finanzhilfe bat. Ich weiß noch, dass in britischen Zeitungen auf das historisch vorbelastete Datum hingewiesen wurde, in deutschen "Leitmedien" dagegen nicht. Wenn man "Griechenland 23. April" eingibt, spucken die Suchmaschinen Artikel darüber aus, dass Frankreich und Spanien schnelle Hilfe zusagen und Angela Merkel erst Sparanstrengungen der Griechen sehen will. Ist mir recht. Ein schaler Nachgeschmack bleibt trotzdem. Seit es bei ARD und ZDF die regelmäßigen Berichte von der Börse gibt, vergeht kein Tag, an dem man nicht darauf hingewiesen wird, wie "sensibel" diese Börse und wie wichtig daher die Psychologie ist. Wie wäre es, wenn wir diese Erkenntnis beim Umgang mit den Griechen anwenden würden - unabhängig davon, ob es die Aktienkurse direkt beeinflusst oder nicht?

Bei der am 23. April 1941 wiederholten Kapitulation der Epirus- und Mazedonienarmee ist Sepp Dietrich mit dabei, der mit seiner SS Leibstandarte Adolf Hitler bei der Liquidierung der SA-Führung um Ernst Röhm geholfen hatte und sich in Griechenland für seine mit enorm hohen Verlusten erkauften Siege als SS-Panzergeneral warmlief. Dietrich gehörte zu den wenigen deutschen Kriegsverbrechern, die nach 1945 angeklagt und verurteilt wurden (für das Massaker von Malmedy, vorzeitige Haftentlassung 1955). 1966 erlag er einem Herzschlag. Sehr aufschlussreich ist die Meldung im Spiegel [5]. Von Massakern und Kriegsverbrechen ist nicht die Rede (Griechenland wird ebenfalls nicht erwähnt). Über das Deutschland, gegen das die 68er revoltierten, sagt das eine Menge. Dietrich, liest man oft, war bei den Soldaten äußerst beliebt. Zur Beerdigung sollen 7000 Bewunderer gekommen sein. Diejenigen, die gestorben waren, weil der Sepp auf andere Menschen keine Rücksicht nahm, wenn er seine Uniform trug, blieben fern.

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Sepp Dietrich ist einer von den Parteitagsrednern in Riefenstahls Triumph des Willens (er spricht darüber, dass die Nationalsozialisten von der Presse nur die Wahrheit verlangen und sonst nichts), und anhand seiner Star-Auftritte in der Wochenschau ließe sich gut zeigen, wie die NS-Propaganda ihre Helden systematisch aufbaute. Die Wehrmacht würde den Feind auch ohne den Sepp "niederhämmern", weil sie so "tüchtig" ist, aber mit ihm geht es besser. Und weil die Nazis die wahren Hellenen sind, kämpfen sie nicht nur die Schlachten des Ersten Weltkriegs noch einmal neu, sondern auch die der Antike. Die Thermopylen kennt man aus 300, der Graphic Novel von Frank Miller und Zack Snyders Verfilmung, oder vielleicht aus einer Rede Hermann Görings vom Januar 1943, zur Schlacht von Stalingrad, in der er unter Verweis auf die Spartaner alle Kapitulationsgedanken zurückwies und den Opfertod verherrlichte. In der Wochenschau von Anfang Juni 1941 fahren wieder deutsche Panzer durch die Gegend - oder das, was von ihr noch übrig ist, wenn die Artillerie ihr Tagewerk vollbracht hat.

"Kampf um die Thermopylen!" tönt der Sprecher. "Hier, auf einem der berühmtesten Schlachtfelder des klassischen Altertums, versuchten Griechen, Neuseeländer und Australier noch einmal, den ungestümen Angriff der deutschen Truppen aufzuhalten und den Rückzug der Engländer zu decken. Schwere Waffen kämpfen die Widerstandsnester auf den Höhenzügen nieder. Infanterie und Panzerkraftwagen gehen vor. Die Thermopylen sind in deutscher Hand!" Um Missverständnissen vorzubeugen: Es sind die "Neugriechen", die auf der Höhe niedergekämpft werden. Die Nachfolger der antiken Heroen sind die Deutschen. Auch mit den Persern darf man sie nicht verwechseln. Man sieht das daran, dass Xerxes erst nach der Thermopylenschlacht nach Athen marschierte, während in der Wochenschau schon Ende April, also vor den Thermopylen, die Hakenkreuzfahne auf der Akropolis flattert.

Bevor Athen erreicht ist, muss noch das eine oder andere erobert werden. Als heutiger Zuschauer begegnet man dabei dem nackten Wahnsinn, der damals womöglich - schauriger Gedanke - als "normal" durchging. Nachdem der joviale Sepp Dietrich im Kreise anderer Uniformträger zu bewundern war, erfolgt der Vorstoß nach Thessalien. Die Gebirgsjäger müssen "auf verschneiten und vereisten Wegen" vordringen. Das wäre nicht so schlimm, wenn die Einheimischen ordentliche Straßen gebaut hätten. Das haben sie versäumt, und darum müssen sich jetzt deutsche Elitesoldaten durch den Dreck kämpfen. Trotzdem hält sich das Mitleid mit den wackeren Gebirgsjägern in Grenzen, wenn man weiß, welche Massaker sie später in Orten wie Kommeno oder Akmotopos begingen. Mittlerweile sind so viele furchtbare Dinge bekannt, dass sie sich hier nicht alle auflisten lassen, und ich will auch nicht die Opfer addieren, weder alle zusammen noch getrennt in Männer, Frauen und Kinder. Wieder daheim, wischten die Gebirgsjäger das Blut vom Edelweiß, einer ihrer Kommandeure behauptete, sie hätten nicht einen einzigen Zivilisten getötet, und die deutsche Justiz hatte Wichtigeres zu tun, als die Mörder zu belangen.

Keine Autobahn am Olymp

In der Wochenschau begehen nur die anderen die Massaker, der deutsche Landser ist tüchtig und korrekt. Aber die Griechen machen es ihm doch schwer, denn ihre Infrastruktur ist total verlottert. Das gilt sogar für die Orte mit dem Flair der Antike, die der kulturell interessierte Reisende gerne besichtigen würde, wenn er nun schon mal da ist, und die Leute, die da wohnen, sind nicht immer so freundlich, wie man das erwarten dürfte. "Am Fuße des Olymp", sagt der Sprecher missbilligend, "leisten die Griechen heftigsten Widerstand." Also sind sie selber schuld, wenn beim Beschuss durch die Artillerie etwas kaputtgeht. Die Hauptverantwortung tragen jedoch die Briten und ihre "Vasallenländer", denn: "Auch Australier und Neuseeländer müssen den Rückzug der englischen Truppen decken. Aber auch sie können dem Angriffsgeist der deutschen Soldaten und der Wirkung der deutschen Waffen nicht widerstehen. Stellung um Stellung wird niedergekämpft."

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Folglich gelingt "der Einbruch in die thessalische Tiefebene", doch da sind die Deutschen gleich wieder mit einem altbekannten Problem konfrontiert. Die armen Soldaten müssen durch den Morast fahren und werden dabei ganz schmutzig. Der Sprecher kommentiert in einer Mischung aus Spott und Missbilligung: "Das sind die Wege und Straßen, auf denen unsere Truppen marschieren müssen." Diese Griechen! Wenigstens am Olymp braucht man eine Autobahn. Nur gut, dass jetzt die Deutschen da sind. Sonst müssen die Götter noch in tausend Jahren mit dem Regenschirm nach Theben segeln.

Ein Flughafen wird zerbombt, "die umliegenden Ortschaften werden systematisch vom Feind gesäubert", im Straßengraben liegen Tote, und während man noch überlegt, ob das Griechen sind (man sieht sogar ein paar griechische Kriegsgefangene), stehen bereits Dorfbewohner am Straßenrand und winken mit weißen Tüchern, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie zuerst kapitulieren oder sofort die Befreier willkommen heißen wollen. Nur: Befreit von wem? Von den Engländern vielleicht, wobei das schwierig ist, weil die irgendwie mit der griechischen Armee im Bunde zu sein scheinen. Oder von den versprengten serbischen Soldaten, die zwischendurch als Gefangene vorgeführt werden. Während die Wochenschau an der Ostfront bolschewistische Agenten und jüdische Weltverschwörer als die Bösen zeigt, bleibt sie in Griechenland seltsam vage. Volksdeutsche sind Mangelware. Das mit der jüdisch-bolschewistischen Unterdrückung ist auch kompliziert in einem Land, in dem kurz zuvor noch ein faschistischer Diktator herrschte. Besser, man befreit ganz generell.

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"Deutsche Panzerspähwagen dringen in Lamia ein", und da steht ein Wegweiser nach Athen. "Schnelle Truppen der SS Leibstandarte Adolf Hitler bleiben dem Feind hart auf den Fersen." Deutsche Panzerkraftwagen bezwingen griechische Flüsse (die Brücken sind auch kaputt in diesem Land der Tagediebe), die Luftwaffe wirft wieder Bomben ab, dann geht es "der griechischen Hauptstadt entgegen. Am Sonntag, den 27. April meldete das Oberkommando der Wehrmacht, dass deutsche Truppen Athen erreicht und auf der Akropolis die Hakenkreuzfahne gehisst haben." Acropolis Germaniae in Griechenland! Da muss jetzt unbedingt ein Marschlied her. Deutsche Soldaten fahren in Athen ein, am Wegesrand steht freudig winkendes Volk, Mädchen und junge Frauen reichen den deutschen Freunden Blumen, und der Soldatenchor singt dazu "O Deutschland hoch in Ehren" in voller Länge.

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Die erste Juni-Ausgabe der Wochenschau schlachtet die Besetzung Athens weiter aus. In Triumph des Willens fällt der Schatten eines Flugzeugs auf Nürnberg, jetzt ("Flug nach Athen!") fällt er auf die Akropolis. Deutsche Truppen fahren durch die Stadt. Formationen der SS Leibstandarte Adolf Hitler stoßen nach Patras vor und treffen italienische Verbände. Wieder eine nette Begegnung auf der Auslandsreise: "SS Obergruppenführer Sepp Dietrich im Gespräch mit dem italienischen Armeegeneral Rossi." Soldaten machen eine Bootsfahrt, der Peloponnes wird "vom Feind gesäubert", dann gibt es "eine freudige Überraschung. Die Waffen-SS trifft mit den bei Korinth gelandeten Fallschirmjägern zusammen." Großes Hallo, hinterher werfen Stukas über dem Peloponnes viele Bomben ab, zu Musikbegleitung. Gut für die Menschen da unten, dass die Deutschen keine Zivilisten umbringen.

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Teil 2 führt uns nach Kreta, zurück zum Olymp und in die Untiefen des deutschen Bildungsbürgertums: "Es wehte homerische Luft": Krieg als Bildungsreise [6]


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[1] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1582444/Dauerauftrag-fuer-Athen%253F?bc=kua884720#/beitrag/video/1582444/Dauerauftrag-fuer-Athen%3F
[2] http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/311210_menschen-bei-maischberger/9666622_der-letzte-sirtaki-griechen-bankrott-deutsche
[3] http://www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de/zentrum
[4] http://www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de/ns_in_muenchen/stadtplan-muenchen-im-nationalsozialismus/interaktive-karte
[5] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46407056.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Es-wehte-homerische-Luft-3393522.html