"Aus den Wolken kommt das Glück"
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Die Rettungspakete, die Griechen, die Nazis und wir
Mit den bisherigen Rettungspaketen für Griechenland wurde ganze Arbeit geleistet. In Griechenland, wo die Not immer größer wird, wächst die Wut auf die Deutschen. In Deutschland wächst die Wut auf die undankbaren Griechen, die sich Milliarden überweisen lassen und dann die auf einem Umfragehoch schwebende Kanzlerin in eine NS-Uniform stecken oder ihr einen Hitlerbart anmalen. Wir geben unser sauer verdientes Geld, und die Griechen erinnern uns an unsere Vergangenheit. Das wird allgemein als ungehörig empfunden. Dabei wäre es gerade jetzt an der Zeit, sich diese Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen, weil sich viele der aktuellen Verwerfungen vermeiden ließen, wenn wir ein feineres Sensorium dafür hätten, was gewesen ist und wie das in die Gegenwart hereinreicht. Hilfestellung beim Erinnern können drei wertvolle Zeitzeugen leisten: Ein Spielfilm mit Gesang, die Deutsche Wochenschau und ein Buch, das sich zum Longseller auf dem Markt für Reiseliteratur entwickelte und das zuerst der deutsche Soldat und dann der deutsche Bildungsbürger im Gepäck hatte, wenn er nach Griechenland fuhr.
[…] das Gemuhe und Gemähe dringt […] bis in die Cafés, […] in denen die Männer sitzen vom frühen Morgen bis zum späten Abend und nichts tun, denn das ist die wahre griechische Nationalleidenschaft. Nur wenn sie sehr aktiv gestimmt sind, spielen sie dabei ihr Brettspiel, um Drachmen natürlich.
Erhart Kästner, Griechenland (1942)
Neulich in der Quasselwelt von ARD und ZDF. In den Sendungen Maybrit Illner und Menschen bei Maischberger kauen die Talkshow-Denker das Thema Griechenland wieder einmal durch. Griechische Boulevardblätter, sagt Frau Illner, zeigen unsere Kanzlerin und "Minister unseres Landes" jetzt dauernd als Nazikarikaturen. Das ist wohl wahr, und weil es so ist, darf es auch gesagt werden. Warum das aber ausgerechnet mit Paul Ronzheimer besprochen werden muss, dem Griechenland-Korrespondenten der Bild-Zeitung, ist mir nicht so klar. Ich nehme an, dass es zur Logik einer fortschreitenden Boulevardisierung des gebührenfinanzierten Fernsehens gehört, wenn sich Bild-Leute zunehmend als verantwortungsbewusste Journalisten präsentieren dürfen. Den Redebeitrag von Herrn Ronzheimer würde ich so zusammenfassen: Die Griechen haben ihn freundlich aufgenommen, aber den Griechen geht es schlecht, und dafür suchen sie einen Schuldigen. Gefunden haben sie die deutschen Politiker. Und dann sagt Ronzheimer etwas, das jeder hätte sagen können und das so banal ist, dass man dafür keine Sendezeit verschwenden muss: "Eins muss ich sagen: Ich verstehe jede Emotionalisierung in Zeitungen, aber eine Kanzlerin in Naziuniform auf Seite 1, das geht nicht." Natürlich geht das nicht.
Der Opa von Costa Cordalis bewundert Kaiser Wilhelm
Aber warum machen es die griechischen Boulevardblätter dann trotzdem? Vom Griechenland-Versteher der Bild-Zeitung kommt dazu gar nichts. Das hätte ich auch nicht erwartet, denn sein Blatt ist eher auf das Aufwärmen des Klischees vom faulen Griechen spezialisiert, der an unser Geld will. Das Bedienen von Vorurteilen und Ressentiments bringt viel höhere Auflagen als Berichte über deutsche Kriegsverbrechen. Mehr erwartet hätte ich mir von der Sendung insgesamt. Das mit den Nazis ist der Redaktion und der Moderatorin eigentlich recht wichtig, was man daran sehen kann, dass es ziemlich genau für die Mitte der Talkshow eingeplant ist, also an einer dramaturgisch herausgehobenen Stelle. Doch was wird dazu gesagt? Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer erwähnt etwas von der "großen Schuld", die wir "historisch mit uns rumschleppen", und in zwei Nebensätzen ist von einer "Besatzung" die Rede, die es wohl mal gab. Das ist alles.
Vielleicht erfährt man bei Menschen bei Maischberger mehr. Da wird ebenfalls gezeigt, dass die Griechen unsere Kanzlerin als Nazi zeigen. Von Herrn Bosbach (CDU) sind aus dem Off Geräusche der Empörung zu hören. Herr Eichel, früher Finanzminister der SPD, ist nur da, um sich gegen den Vorwurf der Bild-Zeitung zu wehren, dass er an dem Debakel schuld ist. Costa Cordalis vergleicht die Nazi-Merkel mit dem Rosenmontagszug und erzählt, dass die Griechen ihre Landesfarben dem aus Bayern importierten König Otto verdanken und dass sein Großvater ein Bewunderer von Kaiser Wilhelm war. Herr Chatzimarkakis von der FDP erläutert, dass die griechische Bevölkerung solche Nazi-Vergleiche nicht goutiert, vergleicht die soziale Lage in Griechenland mit der Weimarer Republik und nennt erschreckende Zahlen über die soziale Lage, die Frau Kohl vom ARD-Börsenstudio sogleich anzweifelt, um dann zu fragen, warum die Griechen uns die Schuld geben und nicht der herrschenden Klasse bei sich daheim. Frau Maischberger lässt sich von Costa Cordalis versichern, dass sie als Deutsche das nicht ernst nehmen muss und fragt nicht weiter nach. Damit ist das mit dem Hitlerbart abgehakt und wir sind wieder auf vertrautem Terrain: Beim Kopfschütteln über "diese Griechen".
Leider ist das typisch für den Umgang mit der NS-Vergangenheit, der sich seit den 1950ern bei uns eingeschliffen hat: Ja doch, es gab da diesen Krieg, und irgendwie sind damals ein paar unangenehme Dinge passiert, aber jetzt vergessen wir das lieber und konzentrieren uns auf die Gegenwart und unser derzeitiges Verhältnis zu den Ländern, die wir mal erobert haben. Und wenn diese Länder es nicht auch so machen, nehmen wir das übel, weshalb ich gut verstehen kann, dass die Griechen im Quasselfernsehen das Thema vorsichtig umschiffen (Vicky Leandros erzählt bei Maybrit Illner stattdessen, dass es in Piräus keinen Computer gab, als sie sich da um die Kultur kümmern sollte). Wenn das Abhaken der Vergangenheit so billig zu haben wäre, hätte ich nichts dagegen. Diese Ausgaben von Maybrit Illner und Menschen bei Maischberger zeigen aber, dass es so einfach doch nicht geht. Wenn wir den Griechen in der deutschen Talkshow sagen, dass sie Angela, die Mutter der Nation nicht in NS-Uniform zeigen dürfen, ohne uns weiter dafür zu interessieren, warum es solche Titelblätter gibt, sind wir genau bei der Art von "Emotionalisierung", für die Herr Ronzheimer viel Verständnis hat, ich hingegen nicht.
Selbstverständlich suchen die griechischen Boulevardjournalisten Sündenböcke. Warum sollten sie da besser als ihre deutschen Kollegen sein? Wenn aber der Sündenbock mit Hakenkreuz, Wehrmachtsuniform und Hitlerbart ausgestattet wird, ist das ein Beleg dafür, dass sich etwas in die Psyche mehrerer Nachkriegsgenerationen hineingefressen hat, das nicht dadurch verschwindet, dass der Griechenland-Gesandte der Bild-Zeitung den Griechen (oder eigentlich doch eher dem vergreisten Publikum des ZDF) sagt, was geht und was nicht. Das müsste auch diejenigen interessieren, die gern einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen würden. Denn wer hilft (ob freiwillig oder weil es nicht anders möglich ist), sollte auf die psychologischen Befindlichkeiten der Hilfsbedürftigen Rücksicht nehmen und die im Dritten Reich verbreiteten Vorurteile kennen, um nicht - bewusst oder unbewusst - an diese anzuknüpfen. Alles andere sorgt für Animositäten, wo eigentlich ein Gefühl der Solidarität überwiegen sollte und wird am Ende nur noch teurer. Und über die Befindlichkeit erfährt man wenig, wenn man sich mit der Feststellung zufrieden gibt, dass auch Griechenland von Hitler-Deutschland besetzt wurde. Übrigens kenne ich viele Leute, die das bisher gar nicht gewusst haben.
Mit dem Regenschirm nach Theben
Was hat es also auf sich mit den Griechen und den Nazis? Ich bin kein Grieche, kein Griechenlandkenner und kein Experte für die Eurokrise oder den Zweiten Weltkrieg. Ich kann jedoch etwas über das Griechenlandbild berichten, das dem deutschen Publikum von der Propagandamaschinerie im Dritten Reich vermittelt wurde. Bevor ich dazu komme, möchte ich einen jener Filme erwähnen, deren Entstehen schwer zu erklären ist, wenn man davon ausgeht, dass ein genialischer Dr. Joseph Goebbels genau kontrollierte, was auf deutschen Leinwänden zu sehen war und nichts zuließ, was das NS-Regime in Frage stellte. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass besagter Film zu einem Zeitpunkt entstand, als Goebbels und seine Leute noch an den Kontrollmechanismen arbeiteten, oder dass sich die Nazis, weil nicht sehr humorbegabt, mit der Ironie besonders schwer taten. Reinhold Schünzels Amphitryon (1935) steht jedenfalls in der Tradition der durch und durch erotisierten, ironischen und gelegentlich sogar anarchischen (siehe den Schluss von Die Drei von der Tankstelle) Operettenfilme der Weimarer Republik und hat so gar nichts mit den Revuefilmen einer Marika Rökk zu tun.
Reinhold Schünzel werden die meisten Leser schon mal als einen von den Nazis in Hitchcocks Notorious gesehen haben. Bevor er 1937 in die USA emigrierte, drehte er Komödien wie Viktor und Viktoria (Remakes von Karl Anton und - viel besser - von Blake Edwards) oder Die englische Heirat und eben Amphitryon - Aus den Wolken kommt das Glück, frei nach Plautus, Molière und Kleist. Für jeden seiner Filme brauchte Schünzel eine Sondergenehmigung, weil er nach NS-Kriterien ein "Halbjude" war. Und an jedem kann man studieren, was in den ersten Jahren der Diktatur noch möglich war.
Amphitryon beginnt mit den demonstrierenden Frauen im antiken Theben, die allmählich die Geduld verlieren, weil ihre Männer nun schon sehr lange Krieg führen und endlich heimkehren sollen. Alkmene (Käthe Gold), die Gattin des Titelhelden, erinnert die Geschlechtsgenossinnen an ihre staatsbürgerlichen Pflichten und daran, dass sie einen guten Eindruck bei der Nachwelt und den Göttern hinterlassen müssen. Sie liebe ihren Feldherrn "heißer, als Feuer brennt", versichert sie:
Aber ich opfere ihn geduldig,
denn das bin ich dem Vaterland schuldig.
Seid mutig in der schweren Zeit.
Die Männer steh’n im blut’gen Streit.
Und wer von ihnen draußen fällt,
der stirbt für’s Vaterland als Held.
Kaum zurück in der Privatheit ihres Hauses, gesteht sie der Dienerin Andria (Fita Benkhoff), dass das nur Verstellung war. Das bleibt, auch wenn der Satz "Ach ja, vor so vielen Leuten redet man leicht etwas, was man nachher selbst nicht glaubt" durch die Zensur entfernt wurde. Statt sich in Geduld zu üben, wie vom Kriegsminister verlangt, betet Alkmene zu Jupiter und bittet ihn, Amphitryon heil zu ihr zurückzuschicken.
Jupiter (Willy Fritsch mit dickem Bauch und Glatze) hält auf dem Olymp gerade seinen Mittagsschlaf und würde gar nichts merken, wenn nicht der Götterbote Merkur (Paul Kemp) auf Rollschuhen anrauschen und die Nachricht bringen würde, dass er aus Theben verlangt wird. Darum blickt er nun mit dem olympischen Vergrößerungsglas - und etwas Anleitung von Merkur - nach Griechenland und entdeckt die schöne Alkmene, die außer einem Tuch nichts anhat, weil die Schneiderin das neue Kleid noch nicht gebracht hat. Jupiter, mit Adele Sandrock verheiratet und sexuell ausgehungert, hätte gegen ein erotisches Abenteuer nichts einzuwenden. Weil Juno das nie erlauben würde, fliegen er und Merkur, an einem überdimensionalen Regenschirm hängend, offiziell zur Kur nach Sparta. Damit beginnt eine Persiflage auf Götter und andere Machthaber und eine Demonstration, wie oft man die Zahl Tausend (wie in "Tausendjähriges Reich") in Liedtexten unterbringen und sogar noch einen frivolen Subtext damit verbinden kann ("Tausendmal gabst du den Himmel mir").
Amphitryon, nebenbei noch eine Parodie auf die Monumentalfilme des faschistischen Italien, zwang die Ufa, ihr tricktechnisches Wissen auf den neuesten Stand zu bringen und ist doch ein Film der Entzauberung. Während die Menschen in Theben idealisierten Jupiterstatuen huldigen, sehen wir das Original als Pantoffelhelden, der keine Chance bei Alkmene hat, weil er nur ein geiler alter Bock ist. Darum nimmt er die Gestalt des stattlichen Amphitryon an (Willy Fritsch in einer Doppelrolle). In den scheinbar seinen Truppen vorausgeeilten Feldherrn verwandelt, hätte er zweimal die Gelegenheit zu einem Schäferstündchen und macht sich doch nur lächerlich. Zuerst schläft er ein, weil er zuviel vom durch Alkmene kredenzten Samos-Wein getrunken hat und dann ist er erkältet. Merkur ist übrigens (in der Gestalt von Andrias Mann Sosias, auch für Paul Kemp eine Doppelrolle) ein deutlich besserer Liebhaber als sein Chef. Bei Hitler und seinem Propagandaminister soll es so ähnlich gewesen sein, aber vielleicht war auch das mit der Libido des kleinen Doktors nur gelogen.
Ein Höhepunkt der Verwechslungskomödie ist der triumphale Einmarsch des siegreichen Heeres der Thebaner in die Stadt. "Französische Filmhistoriker", schreibt Karsten Witte in der bei Metzler erschienenen Geschichte des deutschen Films, "sahen eine Verwandtschaft der Ufa-Bauten von Theben zu den NS-Feldzeichen und der von Speer errichteten Architektur des Nürnberger Parteitages, aus dem im gleichen Jahr Leni Riefenstahl ihren Triumph des Willens schuf." Das würde ich auch so sehen. Die Frage dabei ist: Welchen Zweck verfolgt diese Verwandtschaft? Ab und an ist zu lesen, Amphitryon sei selbst ein NS-Propagandafilm. Wer das glaubt, schaut besser noch mal hin. Die Absicht ist eine parodistische.
Die Soldaten sind schwarz gekleidet wie die SS und nehmen eine jener geometrischen Formationen ein, wie sie die Nazis liebten. Doch der Kriegsminister hält eine Rede über die Geduld der Frauen, die sofort als Lüge zu entlarven ist, weil wir am Anfang das Gegenteil gesehen haben. Thebanische Revuegirls in weißen Gewändern tanzen auf einer gigantischen Freitreppe, der Chor singt das Lied "Hoch aus den Wolken kommt das Glück" dazu, und dann tanzen die rebellischen Thebanerinnen zwischen die starren Kolonnen der Soldaten. Damit nicht genug, wird Juno, durch den Gesang auf das irdische Treiben aufmerksam geworden, ebenfalls nach Theben reisen, um ihren Mann, den Schürzenjäger, zurück auf den Olymp zu holen.
Amphitryon ist ein Film der Auflösung und Durchdringung, nicht der beinharten Abgrenzung. Den respektlosen Umgang mit den Mächtigen und mit dem Militär kennt man aus amerikanischen Musicals, nicht aus dem autoritären NS-Propagandakino. "Mit der Choreographie und Ausstattung der triumphalen Heimkehr des thebanischen Heeres", schreibt Joe Hembus, "wird dann vollends das Nürnberger Parteitags-Happening durch den süßesten Kakao gezogen." Für ein damaliges Publikum war das unschwer zu bemerken, weil Triumph des Willens, Riefenstahls Pseudo-Dokumentarfilm über den NSDAP-Parteitag von 1934, ein Vierteljahr zuvor angelaufen war. Darum dürfte auch leicht zu verstehen gewesen sein, dass das sich als Untertitel einbürgernde "Aus den Wolken kommt das Glück" nicht nur eine Anspielung auf Jupiters Seitensprünge (oder wenigstens den Versuch derselben) war, sondern auch auf den Anfang von Triumph des Willens.
Bei Riefenstahl fliegt Hitler zur Meistersinger-Ouvertüre von Richard Wagner durch die Wolken über Nürnberg, und als der Pilot das Landemanöver einleitet, geht die Musik in das Horst-Wessel-Lied über. Jupiters Flugzeug ist ein Regenschirm, und wenn man Horst Wessel durch "Aus den Wolken kommt das Glück" ersetzen würde, käme eine ähnlich komische Szene dabei heraus wie beim Walzertanz in Volker Schlöndorffs Blechtrommel-Verfilmung (vielleicht sollte man das mal machen, statt Triumph des Willens weiter zu verbieten, was doch ziemlich phantasielos ist - für die Lieder "Ich muss mal wieder was erleben" und "Tausendmal war ich im Traum bei dir" hätte ich auch ein paar geeignete Stellen vorzuschlagen).
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