"Aus den Wolken kommt das Glück"

Seite 2: Acropolis Germaniae

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Aber warum verfielen Schünzel und seine Mitarbeiter (Regieassistent war Kurt Hoffmann, der in den späten 1950ern, mit Das Wirtshaus im Spessart und Wir Wunderkinder, an die mit Amphitryon und der Abwanderung aller wichtigen Talente ins demokratische Ausland abgerissene Tradition anknüpfte) auf die Idee, eine im alten Griechenland angesiedelte Operette zum Vehikel der Parodie zu machen? Die Antwort findet man in München, dem als Hitlers "emotionaler Heimatstadt" und "Hauptstadt der Bewegung" bei der Selbstdarstellung des Regimes eine besondere Bedeutung zukam.

Die Nazis gefielen sich nicht nur als nordisch-germanische Herrenmenschen, sondern auch als die angeblich einzig legitimen Nachfolger der Hellenen. Dabei konnten sie eine alte, auf die Klassik und die Romantik zurückgehende Griechenland-Begeisterung der Deutschen aufgreifen, die sie mit ihren abstrusen Rassetheorien verquirlten. Das NS-Standardwerk zum Thema war das 1929 erschienene Buch Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes von Hans Friedrich Karl Günther. Kurz gefasst: Nordische Stämme drangen in den Süden vor, unterwarfen die dort lebenden Menschen "niederen Blutes", erschufen die Hochkulturen von Mykene, Athen und Sparta und begingen dann den Fehler, sich mit den Eroberten zu vermischen ("Entnordisierung"), was zu ihrem Untergang führte. Daraus ließen sich zwei Schlussfolgerungen ableiten: 1. Nicht die jetzt lebenden Griechen waren die neuen Hellenen, sondern die "rassereinen" Nazis, und 2. Das Dritte Reich war die Wiederbelebung der Antike.

Wenn man die Welt erobern will, ist so ein kultureller Anspruch immer gut. Außerdem schufen sich die braunen Potentaten eine Ersatzreligion, die nach und nach das Christentum ablösen sollte. Da wurde hineingerührt, was kultisch und ideologisch nutzbar zu machen war: das christliche Mittelalter genauso wie die Opern Richard Wagners, nordische Mythen und ein Konglomerat aus griechischer und römischer Antike (der aufmerksame Leser hat sicher längst bemerkt, dass es in Amphitryon ebenfalls wild durcheinandergeht).

Bei Staatsakten traf man sich gern an der Feldherrnhalle in München, gebaut (1841-44) von Friedrich von Gärtner und der Loggia dei Lanzi in Florenz nachempfunden. Dort gab es ein Mahnmal mit SS-Ehrenwache für die Männer, die am 9. November 1923 beim Hitler-Ludendorff-Putsch ("Marsch zur Feldherrnhalle") von der Bayerischen Bereitschaftspolizei erschossen worden waren. Wer vorbeikam, musste den Arm zum "deutschen Gruß" heben (wer das nicht wollte, ging hintenrum durch die Viscardigasse, auch als "Drückebergergassl" bekannt). Nicht weit von der Feldherrnhalle entfernt liegt der Königsplatz, entstanden nach einer durch Leo von Klenze weiterentwickelten Konzeption Karl von Fischers. Auftraggeber war Ludwig I., dem es München zu verdanken hat, dass es zu einer Stadt der Kunst wurde. Der Platz sollte ein Zentrum der Musen im Stil des antiken Griechenland werden, mit Glyptothek, Museum und einem Torbau, den Propyläen.

Staatsakt vor der Feldherrnhalle (Die deutsche Wochenschau, 1939)

Die Nazis machten aus dem Königsplatz (umbenannt in "Königlicher Platz") eine Kultstätte der NSDAP, das Ziel ihrer Paraden und den Mittelpunkt ihres "Parteiviertels" mit der Reichsleitung der NSDAP im "Brauen Haus", "Führerbau" (die heutige Hochschule für Musik) und einem "Verwaltungsbau" (das heutige Institut für Kunstgeschichte), in dem die Mitgliedskartei der NSDAP aufbewahrt wurde. 1935 wurde der mit seinen Rasenflächen sehr einladende Königsplatz eingeebnet und durch das Verlegen von 20.000 Granitplatten in einen Ort für Massenaufmärsche verwandelt. Die pompöseste und bizarrste Veranstaltung fand im November 1935 beim alljährlichen Putschgedenktag statt.

Hitler, Göring, Himmler und eine Hundertschaft "alter Kämpfer" schritten am 9. November noch einmal den Weg vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalle ab, den sie 1923 zurückgelegt hatten. In der Loggia warteten sechzehn fahnengeschmückte Sarkophage mit den vorher ausgegrabenen Überresten der "Gefallenen" von 1923 auf den Führer. Nach Salutschüssen, Abspielen des Liedes "Ich hatt’ einen Kameraden", andächtigem Schweigen und Kranzniederlegung ging es weiter zum "Platz der Wiederauferstehung". Alles, was in der SA, der SS und der NSDAP Rang und Namen hatte, stand Spalier. Unterwegs schmetterte eine immer lauter werdende Blaskapelle die deutsche Nationalhymne als Endlosschleife. Die sechzehn Sarkophage wurden auf Pferdegespannen mitgeführt.

Am Königsplatz hatte man zwei "Ehrentempel" im griechischen Stil errichtet. Dort wurden die sechzehn "Helden der Bewegung", acht pro Tempel, zur vorläufig letzten Ruhe gebettet. Beiderseits der Brienner Straße sind heute noch die Fundamente zu sehen. Von der Fläche mit den zur Schau gestellten Särgen führten fünf Stufen empor. Von dort oben am Rand des Sockels, aus anderthalb Metern Höhe, durfte das Volk fortan auf die Sarkophage mit Hoheitsadler und Hakenkreuz blicken. In jeder Ecke stand eine gusseiserne Pfanne, in der ein "ewiges Feuer" brannte. Für Touristen wurde ein Besuch des neuen Königsplatzes ein fester Bestandteil des Besichtigungsprogramms.

Am 9. November 1935 marschierte die "SS-Standarte Deutschland" im Stechschritt durch die Propyläen und über die Granitplatten zu den Tempeln am anderen Ende des Platzes. Gauleiter Wagner rief laut den Namen eines jeden Märtyrers, die versammelte Menge wiederholte ihn, und dann ging Hitler allein in die Tempel und legte weitere Kränze nieder, um die Toten mit dem "Lorbeer der Unsterblichkeit" zu ehren. Einer von den sechzehn "Blutzeugen" war der Oberkellner Karl Kuhn, der nach Angaben des für gewöhnlich gut informierten David Clay Large (Autor von Hitlers München) am 9. November 1923 auf dem Nachhauseweg war, als ihn eine verirrte Kugel in den Kopf traf. Aus Gründen der Symmetrie nahmen ihn die Nazis mit dazu. Jetzt wird der arme Mann oft als Putschist geführt, und die Neonazis finden es gemein, wenn man ihren "Märtyrer" zum zufällig getöteten Passanten erklärt. Das ist der Stoff, aus dem die Legenden sind.

War also München das neue Theben und nicht Nürnberg, wo Hitler 1934 eingeschwebt war wie Jupiter in Amphitryon? Den Nazis war das zu wenig. Der Kunstexperte Alexander Heilmeyer gab die Richtung vor, als er den 1935 verschandelten und erst 1988 wieder begrünten Königsplatz nicht mit irgendeiner antiken Stätte in Griechenland verglich, sondern gleich mit dem Tempelberg in Athen. "So konnte auch ein durch Opfergedächtnis geweihter Bezirk von Würde und Hoheit entstehen, eine Acropolis Germaniae", schrieb er 1935 in einem Beitrag für die Süddeutschen Monatshefte mit dem Titel "Die Stadt Adolf Hitlers". Nachdem das mit der Akropolis geklärt war, fiel es auch nicht mehr besonders schwer, die Eroberung von Griechenland als eine Art Heimkehr zu den kulturellen Wurzeln zu verkaufen, als Zeitreise in die große Vorgeschichte sowohl der Deutschen als auch der Griechen. Das machte sich viel besser als eine Invasion. Nicht so gut war es für die Menschen, die schon dort lebten. Die real existierenden Griechen nämlich.

Einmarsch ohne Aufenthalt

Die Vorgeschichte des Balkanfeldzugs von 1941 ist kompliziert und muss hier nicht weiter erläutert werden. Jedenfalls scheiterten die Italiener im Herbst 1940 mit dem Versuch, das neutrale Griechenland per Blitzkrieg einzunehmen, die Briten besetzten Kreta und verminten die griechischen Gewässer, und jetzt streiten die Fachleute darüber, ob Hitler den Angriff auf Griechenland vorbereiten ließ, weil er das so wollte oder ob er musste, weil Mussolini Fakten geschaffen hatte, die er nicht ignorieren konnte. Schwer zu bestreiten ist, dass die Wehrmacht am 6. April 1941 Griechenland und Jugoslawien von Bulgarien aus angriff, ohne vorherige Kriegserklärung. Die wurde nachgereicht. Als Kinogeher erfuhr man davon durch einen "Sonderbericht" der Deutschen Wochenschau.

Die deutsche Wochenschau

Am Anfang sieht man den Wilhelmplatz im Regierungsviertel von Berlin mit den da aufgestellten Preußenstatuen. Eine geht mit der Fahne voran, aber noch ist alles menschenleer. Nur die Nazis sind schon wach. Goebbels sitzt um 6 Uhr morgens im Propagandaministerium und verliest "die Proklamation des Führers an das deutsche Volk und den Tagesbefehl des Truppenbefehlshabers der Wehrmacht an die Soldaten der Südostfront". Diese Soldaten sind auch schon aufgestanden, sitzen startbereit im Auto und warten darauf, dass es losgehen kann. Um 6:45 Uhr nimmt uns die Wochenschau mit ins Auswärtige Amt. "Nachdem der Reichsminister des Auswärtigen der in- und ausländischen Presse die Erklärung der Reichsregierung bekanntgegeben hatte", sagt der Sprecher zu feierlicher Musik, "wurden die Noten an Jugoslawien und Griechenland verlesen." Die Presse schreibt aufmerksam mit, damit auch die Griechen und die Jugoslawen am nächsten Morgen in der Zeitung lesen können, dass sie tags zuvor überfallen wurden.

Dann geht es los. Das war eigentlich um 5:15 Uhr und nicht irgendwann nach 6:45 Uhr, aber nicht in der Wochenschau, weil sich da der deutsche Mensch (im Gegensatz zum Feind) an die Regeln hält und seine Noten verliest, bevor er angreift. Um das zu dokumentieren, wird mehrfach die Uhr gezeigt. "An der Südostfront wird der Kampf in der Morgendämmerung des 6. April eröffnet", meldet der Sprecher. "Feuer auf die feindlichen Grenzbefestigungen." Das ist ein unübersichtliches Gebirgsgelände, erfährt man, und deshalb kann der Vormarsch etwas dauern, aber schließlich kämpft hier die Wehrmacht, und darum wird der erste Widerstand durch Artilleriebeschuss schnell gebrochen, die Infanterie und motorisierte Kolonnen rücken vor, und dann sieht man die ersten Kriegsgefangenen, "serbische Elitetruppen aus den schweren Bunkern an der Grenze". "Panzer auf Panzer rollt über die Grenze", jubelt der Sprecher. Und: "Der Marsch geht ohne Aufenthalt weiter."

Die deutsche Wochenschau

Ohne Aufenthalt. Fast könnte man glauben, dass da eine Reisegruppe unterwegs ist, die sich vorgenommen hat, ohne zeitraubende Zwischenstopps direkt zum Urlaubsziel zu fahren. Tatsächlich gehörten Soldaten verschiedener Wehrmachtsteile, die sich auf ausländischen Straßen begegnen wie Griechenlandurlauber aus demselben Dorf zum Standardrepertoire der Wochenschau. Nur der Feind erweist sich als Spielverderber. "Spitze halt! Schwere Befestigungen sperren den Weg an der griechischen Grenze", teilt der Sprecher mit. Erst die Serben mit ihren Bunkern, und jetzt noch diese Griechen. Da kann man schon mal die Geduld verlieren. "Stukas müssen heran. Alarm!" Damit der Abenteuerurlaub fortgesetzt werden kann, müssen die Flugzeuge "gewaltige Bergmassive" überwinden, aber dafür sieht man Griechenland mal aus der Luft, und dann: "Angriff! Bomben auf die schweren Bergbunker und schwer befestigten Stellungen des Feindes!"

Die deutsche Wochenschau

Da hat der Feind nichts mehr zu lachen. Am Ende des "Sonderberichts" muss dem Publikum noch erzählt werden, wer an allem schuld ist. In diesem Fall sind es die Briten. Auf Bilder von der Bombardierung Griechenlands folgen deshalb solche von italienischen Flugzeugen. "Gleichzeitig mit der deutschen Luftwaffe", kommentiert der Sprecher, "griffen italienische Kampffliegerverbände kriegswichtige Ziele in Südjugoslawien erfolgreich an. So beantworten Deutschland und Italien gemeinsam die neue Herausforderung Englands auf dem Balkan." Zu Jubelmusik wird Bombe auf Bombe abgeworfen. Unten auf der Erde sieht man Explosionen. Die Menschen, die da sterben, sind zwar Griechen und Jugoslawen und keine Briten, aber auf solche Feinheiten kann man im Krieg nicht auch noch achten. Außerdem freuen sich immer die Zivilisten, wenn die Wehrmacht kommt. Am liebsten nimmt die Wochenschau von der Unterdrückung befreite Volksdeutsche (im April 1941 zum Beispiel die im slowenischen Maribor - deutsch: Marburg an der Drau -, die sich umgehend bewaffnen lassen, um für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen), und wenn keine zur Hand sind, werden andere Unterdrückte befreit. Wenn man sich das hintereinander anschaut, aus der Distanz von siebzig Jahren, und wenn man über alternative Informationsquellen verfügt, hat man bald das Muster verstanden und kann die Lügen erkennen. Damals war es wahrscheinlich sehr wirkungsvoll.

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