Wirbel um Sylt-Video: Naziparolen im BWL-Chic

Dass zahlende Gäste hier "rumgehitlert" haben, wollen die Betreiber des Kampener Nobelclubs "Pony" erst im Nachhinein erfahren haben. Foto: Magnus Manske / GFDL/CC-BY-SA

Arme Loser sind nicht der Grund für den Rechtsruck. Nicht erst seit gestern verroht das Bürgertum. Warum "Arbeitgeber" das Problem nicht lösen. Ein Kommentar.

Ein arbeitsloser "Wendeverlierer" aus Mecklenburg-Vorpommern wurde 1992 zum Inbegriff des hässlichen Deutschen, als er während der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen – offensichtlich schwer betrunken und mit scheinbar vollgepisster Jogginghose – den rechten Arm zum Hitlergruß erhob. "Obenrum" trug er das Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Nachdem ein Spiegel-Fotograf die Szene festgehalten und zahlreiche Medien sie weiterverbreitet hatten, behauptete der Mann in einem Stern-Interview peinlich berührt, der dunkle Fleck im Schritt stamme aus einer Bierdose, die er bei einer Autofahrt zwischen seinen Beinen eingeklemmt habe.

Angeblich kein Nazi – nirgends

Er könne das aber nicht beweisen, weil er die Jogginghose voller Wut verbrannt habe. Auch sei er kein Nazi und habe den Arm nicht bewusst zum Hitlergruß erhoben.

Gleichwohl wurde er im Frühjahr 1993 wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe in Höhe von 300 D-Mark verurteilt. 2006 starb er laut einem Medienbericht mit Anfang 50 – seine sprichwörtlichen "15 Minuten Ruhm" hatten ihm wohl nicht gutgetan, sie zogen sich aber noch lange hin.

Mit Klassenhass von oben gegen Rechts?

Das Bild vom armen Loser, der auf die aggressivste Form des Nationalstolzes zurückgreift, weil er sonst nichts hat, worauf er sich etwas einbilden kann, wurde auch von Linken und Linksliberalen oft und gern reproduziert.

Viel zu oft mischt sich auch bürgerlicher Antifaschismus mit Klassenhass von oben: Das Naziproblem ist demnach vor allem eines des ungebildeten Pöbels und der Nichtsnutze, denen selbst Menschen, die kaum Deutsch sprechen, noch die Jobs vor der Nase wegschnappen können. Auch wird das Problem oft überwiegend im Osten Deutschlands verortet.

Rassismus de luxe auf Sylt

Im denkbar schärfsten Kontrast dazu steht das Video von der Nordseeinsel Sylt, das gerade bundesweit für Furore sorgt: Hier feiern offensichtlich gutsituierte junge Leute im BWL-Chic und grölen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Einer der Beteiligten scheint mit zwei Fingern auf der Oberlippe einen Hitlerbart anzudeuten und winkt seltsam steif mit dem rechten Arm.

Sie sehen aus, als hätten ihnen bis gestern fast alle Türen offen gestanden – jetzt könnte es bei international tätigen Unternehmen allerdings schwierig werden, heißt es sinngemäß in zahlreichen Online-Kommentaren. Der Staatsschutz ermittelt zudem wegen Volksverhetzung.

Allerdings sehen sie auch nicht aus, als würden sie deshalb gleich in der Gosse landen, da müssten die Eltern schon etwas machen können.

Aufgenommen wurde das Video an Pfingsten im Außenbereich des Kampener Nobel-Clubs "Pony", wo laut einem Bericht der Bild an diesem Tag der Eintritt 150 Euro kostete. Geputzt wird dort wahrscheinlich nicht von Deutschstämmigen. Auf zahlungskräftige ausländische Touristen wollen die Sylter Geschäftsleute wohl mehrheitlich auch nicht verzichten.

Betreiber überhörten angeblich Naziparolen

Der Club jedenfalls distanzierte sich inzwischen von den rechten Parolen – die Betreiber wollen von dem Gegröle im Außenbereich nichts bemerkt und erst im Nachhinein davon erfahren haben.

Der Vorfall hat unerwartet hohe Wellen geschlagen. "Solche Parolen sind eklig. Sie sind nicht akzeptabel" erklärte an diesem Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Plattform X. Mit Spannung dürfen wir nun erwarten, ob die beteiligten Yuppie-Schnösel bessere Ausreden parat haben als damals der arbeitslose Rostocker. Immerhin hatten sie sich wohl nicht eingenässt.

Arbeitgeber als Bollwerk gegen den Rechtsruck?

Dass in "Sozialen Medien" mehrfach die Frage aufgeworfen wird, wie sich "die Arbeitgeber" dazu verhalten, zeigt erneut das Elend des Kapitalismus: Was, wenn sie es gar nicht nötig haben, zu arbeiten, oder ihre "Arbeitgeber" selbst rechts sind? Eine beteiligte Person soll bereits ihren Job verloren haben. Darauf zu vertrauen, dass "Arbeitgeber" im Durchschnitt weniger rechts sind als Lohnabhängige, wäre aber mindestens naiv.

"Das Bürgertum verroht", stellten Forschende um den Bielefelder Soziologen um Wilhelm Heitmeyer in der Studie "Deutsche Zustände" schon 2010 fest. Die AfD, die heute als wesentlicher Motor des Rechtsrucks gilt, war damals noch nicht einmal gegründet worden.