Nazivergleiche und Faschismusbegriff: Wie viel NSDAP steckt in der AfD?

Die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla

Die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla. Foto: Juergen Nowak / Shutterstock.com

Nazivergleiche und auch Gleichsetzungen nehmen zu. Das trägt kaum zur analytischen Auseinandersetzung bei. Diese Gefahr wird unterschätzt. Ein Kommentar.

"Von Blau zu Braun" titelte die taz bereits im letzten Jahr zum zehnten Jubiläum der AfD-Gründung. Dort wurden allerdings vor allem ehemalige Parteigründer zitiert, die sauer sind, dass sie heute nicht mehr viel zu sagen haben. Dass es in den vergangenen zehn Jahren eine Rechtsverschiebung innerhalb der Partei gegeben hat, wird wohl keiner bestreiten, der sich mit der Entwicklung der AfD befasst.

Braun: Farbe der Sturmverbände, die es in der AfD nicht gibt

Aber rechtfertigt das, sie im Grunde als NSDAP 2.0 zu bezeichnen? Nur dann ergibt es Sinn, die AfD mit der Farbe Braun zu markieren. Die NSDAP wurde mit dieser Farbe identifiziert, weil ihre Sturmverbände Braunhemden getragen haben. Eine solche Formation gibt es bisher bei der AfD nicht, was aber in der Debatte keine besonders große Rolle spielt.

Es geht auch nicht um eine analytische Untersuchung. Da würden Beobachter der rechten Szene immer noch die großen Unterschiede zwischen NSDAP und AfD betonen. Es geht um eine politische Einordnung. Wenn die AfD in die Nähe der NSDAP gerückt wird und sich diese Vorstellung auch gesellschaftlich durchsetzt, könnte dies verhindern, dass die AfD als Koalitionspartner infrage kommt und damit normalisiert wird.

Das sind Überlegungen derjenigen, die diese Nazivergleiche offensiv verteidigen. Es geht ihnen also darum, dass die AfD möglichst weit aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgegrenzt wird, dass sie aus dem braunen Eck nicht mehr herauskommt.

Und was ist, wenn das nicht gelingt? Wenn von einem Teil der Wähler genau diese Braunfärbung zum Anlass nimmt, sich hinter die AfD zu stellen und sie dann erst recht wählen? Dann würde das Anbräunen der AfD diese sogar stärken.

Was, wenn bewusst Rechtsextreme gewählt werden?

Man könnte sagen, damit entlarven sich die Wähler besonders, wenn sie ganz bewusst eine Partei wählen, die man auch als rechtsextrem bezeichnen kann, ohne dass man dafür den Verfassungsschutz bemühen muss. Das trifft sicher auf viele Wähler zu. Sie wählen die AfD nicht obwohl, sondern weil sie als rechtsextrem benannt wird.

Es geht bei den Nazivergleichen nicht um den harten rechten Kern, sondern um Unentschlossene, die die AfD wählen würden, aber vielleicht dafür zurückschrecken, wenn sie mit den Nazis gleichgesetzt wird. Vor allem aber geht es darum, zu verhindern, dass etwa die CDU oder auch das BSW vielleicht nach langen vergeblichen Koalitionsverhandlungen in einem Bundesland doch mal auf die Idee kommen, es mit der AfD zu versuchen.

Das ist mit einer Partei, die in der Öffentlichkeit als NSDAP 2.0 gilt, wesentlich schwieriger. Nun werden viele sagen, dass es doch ein sinnvolles Anliegen ist, der AfD mögliche Koalitionspartner zu nehmen. Wo ist dann aber das Problem?

Enger oder weiter Faschismusbegriff?

Das Problem liegt darin, dass hier eines politischen Zweckes wegen die Analyse vernachlässigt wird. Da müsste man im ersten Schritt fragen, ob die AfD als faschistische Bewegung eingeordnet werden kann. Nun gibt es seit 100 Jahren in der internationalen Linken und der Arbeiterbewegung heftige Auseinandersetzungen um die Frage, welche nationalistischen Bewegungen als faschistisch gelten.

In der Türkei haben sich an dieser Frage viele Linke gespalten, in Argentinien zerstritten sich linke Gruppen darüber, ob der Peronismus eine Facette des Faschismus oder im Gegenteil Bündnispartner der Linken ist. Auch in Deutschland war der Faschismusbegriff immer umstritten. Man erinnere sich nur an die Sozialfaschismusthese der KPD in den frühen 1930er Jahren.

Danach waren SPD und NSDAP zwei Bereiche des Faschismus. Auch nach 1945 entbrannte in der gesellschaftlichen Linken immer wieder Streit an der Frage, ob eine Bewegung faschistisch oder rechtskonservativ ist. Mit der Frage, wie man den Charakter der AfD beurteilt, setzt man also den alten innerlinken Streit über die Voraussetzungen des Faschismus fort.

Nur Faschisten oder auch Nazis?

Die Frage ist einerseits, ob die AfD als faschistisch bezeichnet werden kann. Eine wesentliche Zuspitzung besteht aber darin, sie mit den Nazis gleichzusetzen, also der spezifischen deutschen Form des Faschismus, die mit der Shoah, dem Massenmord an Juden und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion verbunden ist.

Immer wieder und an unterschiedlichen Orten der Welt werden bestimmte Bewegungen oder Einzelpersonen mit den Nazis verglichen, was zu einer Inflationierung des Nazibegriffs führt. Wenn aber für jedes Ärgernis und alles "Böse in der Welt" die Nazis verantwortlich sind, werden sie letztlich verharmlost und normalisiert.

Die besondere Verbrechensgeschichte der Nazis, vorwiegend der Massenmord an den Jüdinnen und Juden, wird dadurch bagatellisiert. Es waren in den 1990er-Jahren gerade Kritiker der deutschen Verhältnisse, die die vor einer solchen Relativierung der NS-Herrschaft warnten, als alle Kriege und alle autoritären Herrschaftsformen in der Welt mit Nazivergleichen belegt wurden.

Besonders makaber ist es, wenn in Deutschland Israel oder auch die Sowjetunion, genauer gesagt: Russland, mit Nazivergleichen belegt werden. Heute scheint von diesen frühen Warnungen vor einem inflationären Nazibegriff wenig geblieben zu sein, wenn man die AfD nicht nur als Spielart des Faschismus, sondern gleich als Nazis bezeichnet.

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