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Ausgesorgt

Die Immobilie steht im Mittelpunkt des Ausgesorgt-Habens …. Bild: A. Dill

Drei Geschichten aus einer unglücklichen Mehrheit

Ausgesorgt - dieses Wort kann man mit Neid aussprechen. Es ist dann ein Schimpfwort, denn während man selbst täglich um sein Überleben und die Altersvorsorge kämpfen muss, sind die Ausgesorgten von diesem Druck entlastet. Warum aber sind sie trotzdem nicht glücklicher? Ein Besuch bei einer unglücklichen Mehrheit.

Jeder kennt sie: Sie sind über 60, wohlhabend, arrogant und finden alles Scheiße. Jakob Augstein identifizierte [1] sie als Kernzielgruppe der "Alternative für Deutschland". Dabei sind sie, emeritierte Redakteure, Staatssekretäre, Anwälte, Professoren und Manager diejenigen, die am wenigsten irgendeine Alternative benötigen.

Sie stehen an der Spitze einer seit 1945 andauernden Entwicklung, die weite Teile der Bevölkerung völlig von unangenehmen Existenzrisiken und angelsächsischem Performancedruck entkoppelt hat. Arme (Hartz IV). Mittlere (Erbe&Abfindung&unkündbar). Reiche (Vermögen+8000 Euro Rente) Alte. Eine Mehrheit, denn selbst unter den 41,5 Millionen Erwerbstätigen, die Deutschland Anfang 2013 zu verzeichnen hat, stehen nur ein Drittel, also etwa 14 Millionen unter dem erbarmungslosen täglichen Leistungsdruck des Vollerwerbs. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die anderen zwei Drittel geringer gefordert und belastet fühlen. Die Gratifikationskrise [2] trifft jeden. Das grundlose Bedingungseinkommen [3] wird nur selten als Form des Ausgesorgt-Habens empfunden.

Das erstaunliche Ergebnis dieser historisch einmaligen Entlassung in eine sorgenfreie, mündige Existenz ist allerdings eine Unzufriedenheit, ja ein Unglück, das nach Erklärung schreit. Es artikuliert sich klassenüberschreitend, findet sich also in allen Einkommensschichten. Drei kleine Geschichten über drei, die ausgesorgt haben

Der Untere: Franz würde gerne, darf aber nicht

Franz (Name geändert), 58, drei Kinder, aus Berlin, lebt, inzwischen geschieden, seit 27 Jahren von Sozialhilfe. In dieser Zeit erlebte er, wie sich die Bedingungen zur Auszahlung ständig verschlechterten. Er weiß aber von Kollegen aus München und Hamburg, dass Berlin zum Bezug von Sozialhilfe nicht unbedingt der schlechteste Ort ist: "Es ist schon so, dass in Berlin politischer Druck besteht, die Hartz IV-Gesetze nicht zu restriktiv anzuwenden. Für Familien ist es nach wie vor akzeptabel."

Franz hat keine abgeschlossene Ausbildung, die ihm allerdings mit 58 Jahren auch nichts nützen würde. Die Jobangebote für Wachschutz und Lagerarbeit mit Nachtschicht und Führerschein Klasse III kann er ablehnen, da er keinen Führerschein hat. Und wegen attestierten Rückenproblemen. Franz hat Filme gemacht, gemalt und kleine Läden betrieben. Läden für Kunst, Trödel und den Plausch mit Nachbarn. Früher betrug die Miete dafür 250 Mark. Heute kosten solche Läden 700 Euro monatlich.

Wenn er so einen Laden bekäme, sagt Franz, eine kleine Galerie, einen Bürgerladen, würde er dort jeden Tag arbeiten. Auch zehn Stunden. Das liegt ihm. "Zu mir sind Mütter zum Kaffee trinken in den Laden gekommen. Rentner. Schulschwänzer. Nur zum Reden. Gekauft haben die nix."

Die Arbeitsagenturen haben darauf keine Antwort. Existenzgründer werden in Businessplan-Schulungen geschickt und können Bürgschaften bekommen. Aber ein Laden zum Plauschen ist als Business Case nicht vorgesehen. Das ist allerdings völliger Unsinn, denn Läden zum Plauschen senken die Opportunitätskosten des klammen Haushaltes der mit über 60 Milliarden Euro verschuldeten Hauptstadt des zumindest Netto-nominell reichsten Staates der Welt.

Früher, als noch nicht so streng geprüft wurde, konnte Franz den Laden mit Schwarzgewerbe quersubventionieren. "Ick habe natürlich nie in Umsatzsteuer mitjemacht", berlinert er. Heute wäre das strafbar.

Ist Franz in seiner Perspektivlosigkeit bewusst, dass er ausgesorgt hat? "Nee", erklärt er, "Icke würde jerne noch wat machen, een Laden ebent. Aber keene Kohle da." Franz stammt aus der Welt der Kieze des alten Westberlin. In die Welt der Dumpinglöhne für Ungelernte, wo längst Russen, Polen, Bulgaren, Rumänen als Konkurrenten auftreten, kann er nicht mehr eintreten. Und so wird Franz ein Hartz-IV-Rentner. Einer seiner Söhne studiert übrigens. Jura. Mit Bafög. Er hilft Papa schon bei den Einsprüchen gegen die Bescheide. Bisherige Erfolgsquote: 100 Prozent.

Der Mittlere: Herbert würde gern, kann aber nicht

Herbert, 60, war als Wirtschaftsingenieur gutdotierte Kraft in einem Weltkonzern. Dieser schickte ihn bereits vor 14 Jahren, also 1999, mit einer kräftigen Abfindung nach Hause. Von dieser kaufte er sich eine Doppelhaushälfte in einem attraktiven Kurort. Sein Einkommen bezieht er aus einigen Mietshäusern, die er von Eltern und Verwandten geerbt hat. Er ist ein gemütlicher Vermietertypus, der nicht auf Spitzenmieten, sondern auf Kontinuität der Mieter setzt. Reparaturen macht er auch schon mal selbst. Inzwischen sind die schuldenfreien Häuser einige Millionen wert.

Seine daraufhin gegründete Vermögensverwaltung musste er schließen, als er und seine Kunden auf Anlagebetrüger hereinfielen. "Bringen Sie Ihr Geld in Sicherheit", hatten diese geworben und tun dies noch heute. Die einzige Zielgruppe des Anlagebetrügers ist der wohlhabende Mann ab 50, der den Untergang vor der Nase sieht und an die Selbstvermehrung von Geld glaubt.

Ich hatte Herbert frühzeitig mitgeteilt, dass er sofort aussteigen soll. Da konnten die Verluste seiner Kunden etwas minimiert werden. Herbert kann sich intensiv über den Euro, Bankenrettung und Steuern empören. Seit er weiß, dass ich für eine Schuldentilgung in den Euro-Staaten eintrete, hat sich unser Verhältnis abgekühlt. "Du willst, dass die mir meine Häuser nehmen", wirft er mir vor. Er bewirbt sich um kleinere Jobs in seiner Branche und träumt von einer Projektleitung. Aber sein ganzer Gestus ist der eines Privatiers. Seine Auftraggeber spüren, dass er weder up-to-date noch motiviert ist. Er tritt als eine Art Aufsichtsrat auf - aber welcher Mittelständler in der Nähe einer Kurstadt braucht schon Aufsichtsräte? Und so gibt's nur kleine und kurzfristige Jobs.

Herbert hält sich für politisch äußerst interessiert und informiert. Er hat die NZZ abonniert und liest Sarrazin, Otte, Sinn, Müller. Der Crash kommt, aber die Klugen haben Immobilien und Gold. Nur die Dummen werden im Crash verlieren.

Herbert isst und trinkt zu viel. Er würde so gerne als Senior Consultant durchgehen. Aber sein Fachwissen ist völlig veraltet und seine unternehmerische Qualifikation liegt im Minusbereich. Auf Charity und Freiwilligenarbeit hat er null Bock.

… .aber gebraucht werden möchte Mann dann doch noch. Bild: A. Dill

Dass er ausgesorgt hat, erfüllt ihn nicht mit Glück und Zufriedenheit. Er trauert seinen Geldverlusten nach. Er fühlt sich beruflich unterfordert, obwohl er doch eigentlich überfordert ist. Er empfindet Ärger und Empörung über die Politik. Er gibt der Gesellschaft, die ihm all das schenkte, nichts zurück. Steuern und Sozialabgaben bezahlt er natürlich auch nicht. Aber sobald er ins nahegelegene Grandhotel zur Veranstaltung "Retten Sie Ihr Vermögen - Jetzt!" eingeladen wird, flitzt er los. Er weiß nur nicht, welches seiner drei Autos er nehmen soll.

Der Obere: Richard muss nicht mehr, würde aber

Als Richard noch operational tätig war, als Präsident einer wichtigen Zukunftssparte des Konzerns, sagte er mir einmal: "Ich traue mich nicht, meiner Frau zu sagen, wie viel Geld wir haben, weil sie dann zu viel ausgibt." Tatsächlich ist seine Frau eine geradezu begnadete Shopperin, aber auch eine herzliche Mutter und Hausfrau. Wenn er uns zu seinen kleinen Privatpartys in seiner Hangvilla in einem benachbarten Land einlud, verwöhnte und unterhielt sie uns glänzend.

Der sportliche und jünger aussehende Sunnyboy Richard musste dann doch überraschend früh seinen Posten räumen und wurde in den hochdotierten Ruhestand verabschiedet. Seitdem pendelt er zwischen seiner Villa im Villenvorort und seinen verstreuten Ferienwohnsitzen. Manchmal besucht er mich überraschend und wir öffnen einen Champagner. Richard ist immer unruhig.

Unternehmensberater wollte er im Ruhestand werden, hochgefragter Spezialist. Aber jeder weiß, dass Konzernleute nur wissen, wie man sich im Konzern bewegt. Und dass all ihre Beziehungen nur auf dem Namen des Konzerns basierten. Dann stieg er in ein E-Commerce-Startup ein, das ihn gerne im Board hatte. Das Startup macht nur Verlust, aber Richard macht das nichts aus. Eine halbe Million mehr oder weniger sind bei seinem Gesamtvermögen, das so um die 10 Millionen liegt, kein emotionales Problem. Jeden Monat kommen 12.000 Euro Pension dazu. Natürlich ist er bei den Lions.

Aber auch Richard kann sein Ausgesorgt-Sein nicht genießen. Er verkauft die Ferienwohnsitze, kauft neue. Zu Hause hält er es nicht aus. Er muss ständig Sport machen oder reisen. Oder die Harley aus der Garage holen. Allerdings sorgt er sehr gut für seine drei erwachsenen Kinder, von denen noch zwei zu Hause leben.

Richard hat auch ausgesorgt, ist aber, anders als die anderen Portraitierten, dennoch nicht besonders unglücklich. Allerdings kann man nicht sagen, dass er der Gesellschaft viel zurück gibt. Er bewahrt allerdings einen Lifestyle zwischen St. Moritz und Portofino, der in unserer Leistungsgesellschaft als vorbildlich gilt. Damit trägt er zur Stabilität der Anreizsysteme bei.

Ganz oben zumindest entsteht im Bewusstsein des Ausgesorgt-Habens ab und zu eine kleine Entspanntheit. Statistisch ist das aber zu wenig, um das Ziel des Ausgesorgt-Habens weiter in den Mittelpunkt unserer Berufswelt stellen zu können.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/alternative-fuer-deutschland-neue-populistische-partei-in-deutschland-a-889447.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Klarer-Fall-von-Gratifikationskrise-3397580.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/In-der-Welt-des-grundlosen-Bedingungseinkommens-3396367.html