In der Welt des grundlosen Bedingungseinkommens
Der Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens steht eine Realität gegenüber, die hier in zärtlicher Ironie als grundloses Bedingungseinkommen beschrieben werden soll
Höret, eine Zeit bricht an: EFA-Runden (Entwicklung-Förderung-Anerkennung), Jahresabschlüsse und Lieferantenbewertungen, Zielvereinbarungen für 2013 und Reviews jeder Couleur lassen das Jahr ausklingen, das für nicht wenige Berufstätige wie jedes Jahr nicht am 31., sondern am 21. Dezember endet.
Ohne Grund heißt nicht ohne Bedingung
Eine bisher nicht erfasste, aber gefühlt große Anzahl von Arbeitsplätzen existiert ohne besonderen, zumindest aber ohne jährlich nachzuweisenden Grund. Gewachsene Traditionen und Umstände haben in ferner Vorzeit zur Schaffung dieser Positionen geführt. Ob sie noch einen produktiven Nutzen haben, ob sie entbehrlich sind? Nur der Herr weiß es. Für die Stelleninhaber sind sie es meist.
Wer so eine Position ergattert hat, erhält sie um jeden Preis. Es gibt Gesellschaften wie die griechische oder die ostdeutsche vor 1989, die von offensichtlichen Spielarten des bedingungslosen Grundeinkommens für unproduktive Mitläufer ruiniert wurden. Und es gibt Gesellschaften wie die amerikanische, die französische oder die bundesrepublikanische, die um den fehlenden Grund der Beschäftigung herum kluge Bewertungssysteme errichtet haben, die ihn erfolgreich verdecken. Die Mitarbeiter sind dann zwar ohne erkennbaren gesellschaftlichen oder gar sinnvollen wirtschaftlichen Grund in Lohn und Brot – dies könnte man zum Beispiel von den Beschäftigten und Lieferanten der amerikanischen Armee und der Homeland Security und in der französischen EDF (dazu Corinne Maiers köstliches Lob der Faulheit) sagen – müssen aber dennoch ständig Ziel- und Leistungskontrollen erdulden.
Ganze Apparate und Dienstleister haben sich darauf konzentriert, fiktive Kriterien auf sinnentleerte Tätigkeiten herabregnen zu lassen. Der Grundlosigkeit der Beschäftigung steht ein Overkill der Bedingungen für ihre Entlohnung gegenüber: Da sollen etwa Zeitkonten geführt, die Länge von Telefonaten protokolliert, Agendas für Meetings verfasst und Compliance-, Sustainability- und Governance-Kompendien studiert werden. Wie wäre es mit einer Selbsteinschätzung? Einem Schema der internen Prozessabläufe, bis das Produkt oder der Dienst das Büro verlässt? Benchmarks? Balanced Scorecard?
Glücklich jene, die nur mit dem Controlling ihrer eigenen Selbstorganisation beschäftigt sind, denn jener Teil der Beschäftigten, der tatsächlich mit Kunden, Kindern und Kranken, ausfallgefährdeter oder gar lebensgefährlicher Technik und hochproduktiver Wertschöpfung zu tun hat, muss die frei erfundenen Bedingungen der Leistungs- und Qualitätskontrolle meist noch zusätzlich erfüllen.
Die Hauptbedingung für grundloses Einkommen: Lebenszeit opfern
Die größte und wohl härteste Bedingung für eine grundlose Beschäftigung liegt nicht in der fiktionalen Kontrolle ihrer Produktivität, nicht in dem entstehenden Vakuum der Sinnlosigkeit, die auch einem unsensiblen Beschäftigten kaum entgeht, sie liegt in der vertraglichen Verpflichtung, 38 Stunden plus An- und Abfahrt wöchentlich der Aufrechterhaltung der Position zu widmen. Die Organisation gerade überflüssiger Scheinbeschäftigung widmet dieser Bedingung einen Großteil ihrer Managementkapazität. Betriebs- und Personalräte, Gleitzeitbeauftragte und externe Flexibilisierer sorgen dafür, dass diese Stundenzahl eine kultische Bedeutung erhält: Da ihre Senkung auch das Einkommen vermindern würde, muss sie um jeden Preis aufrecht erhalten werden.
Eine Analogie: Auch der scheinbar gratis sinnlos im Internet surfende User bezahlt für sein trickreich gewecktes Interesse an unproduktiver Aufgeregtheit mit seiner kostbaren Lebenszeit, wofür wiederum der Werbekunde den Anbieter per TKP honoriert.
Dass selbst unter den Bedingungen des grundlosen Bedingungseinkommens Überstunden aufgebaut werden können, ist Ausdruck der verzweifelten Sinnsuche der Mitarbeiter. Erst die Überstunde erweckt in ihnen jenes Quentchen von Ehrgeiz und Leistungsbewusstsein, das sie für den fehlenden Sinn ihrer Position entschädigen könnte. Es sind gerade Gewerkschaften und Vorgesetzte, Budgetverantwortliche und externe Berater, die mit größtmöglicher Kreativität Scheinaufgaben aquirieren, die in einer gerne als mittelfristig bezeichneten, drei bis fünfjährigen Zeitschiene das Weiterwursteln garantieren. So ein Leben bemisst sich nicht in Jahren, sondern in Legislaturperioden.
Ganzheitlich-kybernetisch spielt es keine Rolle
Frankly: In einer halbwegs aus unerfindlichen Gründen dennoch funktionierenden Volkswirtschaft wie gerade der deutschen stellt jede Optimierung und Rationalisierung ein Nullsummenspiel dar. Für jeden wegrationalisierten Bezieher eines grundlosen Bedingungseinkommens muss nämlich entweder eine neue Scheinstelle geschaffen – wie wäre es mit Gleichstellungs-, Datenschutz-, Social Media- und Integrationsbeauftragten? - oder aber eine Form von bedingungslosem Grundeinkommen praktiziert werden.
Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens haben stets betont, dass aufgrund einer ständig steigenden Produktivität die Zahl sinnvoller Arbeitsplätze derart sinkt, dass immer mehr Menschen ohne abhängige Beschäftigung bleiben müssen. Allerdings ist es nicht gesichert, dass eine Produktivität, die auf der Herstellung von 85 Joghurtsorten, 412 Automodellen und 97 Shampoos basiert, wirklich über den Zustand eines grundlosen Bedingungseinkommens hinausgeht. Anders gesagt: Auch die Herzstücke unserer angeblichen Produktivität könnten zu einem erheblichen Teil ihren Sinn nur noch in den Bedürfnistheorien der Marktpsychologie finden.
Der Unterschied zwischen Apple Inc. - wo übrigens einst Mitarbeiter tatsächlich Computer fertigten – und der Bundesnetzagentur, der Bertelsmann-Stiftung, dem ADAC, der EU oder dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist deshalb unter Sinnaspekten nicht so groß, denn alle verdanken ihre Existenz einer als religiös zu bezeichnenden Lehre der emotionalen Bedürfnisse etwa nach Kontrolle und Teilhabe. Die Bundesnetzagentur ist zwar nicht hip, aber ihre Mitarbeiter verdienen mit Altersversorgung genauso viel wie Apple-Mitarbeiter, opfern ebenso ihre Lebenszeit und müssen zum Jahresende ihre Berichts- und Kontrollgymnastik verrichten.
So gesehen gibt es zum grundlosen Bedingungseinkommen keine wirkliche Alternative. Ein Großteil der Menschen, Kinder, Alte, Arbeitslose, aber eben auch Berufstätige sind zur Unproduktivität verurteilt. Von den 82 Millionen Deutschen tragen maximal 20 Millionen in einem streng ökonomischen Sinne zum Erhalt der Gemeinschaft bei. Die anderen contributen vielfältig zum Wohlbefinden und zur Überwindung der Einsamkeit der Leistungsträger. Sie massieren sozusagen – insbesondere an Wochenenden - die Stakeholder. Diese dürfen Anerkennung und Dankbarkeit für ihre Versorgungsfunktion erwarten. Ob die 62 Millionen Statisten nun Pensionen oder Bafög, grundloses Bedingungseinkommen, Unterhalt oder bedingungsloses Grundeinkommen beziehen, ist zum Glück für den Bestand des Landes unerheblich. In der Welt ganzheitlich-kybernetischer, gar systemtheoretischer Erkenntnisse lösen sich Grundlosigkeit und sinnloser Überfluss im Erfolg des Gesamten auf. Zum Glück.
Alexander Dill ist Vorstand des Basel Institute of Commons and Economics, das nicht-materielle Güter der Gesellschaft erforscht.