Awdijiwka: Ukrainische Armee vor entscheidendem Rückzug
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Letzte Reserven der Verteidiger eingekesselt; Elitebrigade Asow unter Druck. Der schwierige Kampf um Evakuierungskorridore und internationale Reaktionen.
In Awdijiwka sind die ukrainischen Truppen auf dem Weg, von russischen Streitkräften vollständig eingekesselt zu werden. An der engsten Stelle ist der noch verbliebene Hals des nun fast geschlossenen Kessels nur noch 3,3 Kilometer breit.
Sehr spät, und nachdem in den vergangenen Tagen wohl noch Reserven in den Kessel befohlen wurden, gab es jetzt wohl die Order, den Kessel zumindest in Teilen zu evakuieren.
Elitebrigade eingekesselt
Frisch in den Kessel geführt wurde noch die Elitebrigade Asow (in der englischen Transkription: azov). Diese 3. Separate Sturmbrigade war laut Forbes anscheinend die letzte verbliebene Reservebrigade im Osten der Ukraine.
Teile dieser Brigade scheinen jetzt selbst eingekesselt worden zu sein, laut einer Aussage ihres Sprechers. Diesen lässt der ukrainische Telegram-Kanal Noel Reports zu Wort kommen:
Das Verhältnis der Kräfte im Gebiet von Awdijiwka ist eins zu sieben, und die Lage im Gebiet selbst ist kritisch, sagte der Sprecher der 3. Angriffsbrigade Oleksandr Borodin.
"Wir haben einige Einheiten, die 360 Grad operieren, und eines der Probleme ist, dass der Feind in einigen Gebieten fast vollständig auf [unsere] 360 Grad [operierenden Einheiten] treffen kann. Das bedeutet nicht, dass wir in diesen Gebieten komplett umzingelt sind, aber es bedeutet, dass wir getroffen werden können."
Noel Reports
Ein weiterer ukrainischer Telegram-Kanal, Deepstatemap, kritisiert die Verlegung von Asow mit ungewohnt deutlichen Worten:
Die Entscheidung, die Truppen zu verlagern, wurde schon viel früher getroffen, so dass dies nicht mit einem Wechsel in der militärischen Führung in Verbindung gebracht werden sollte. Die Sinnhaftigkeit eines solchen Manövers - eine Angriffseinheit in ein Operationsgebiet zu verlegen, um die Defensivmaßnahmen zu verstärken - erscheint äußerst merkwürdig.
Laut den Ingenieuren der 3. Angriffsbrigade:
"Im Allgemeinen ist die Situation sehr ähnlich wie bei der Bakhmut-Verteidigungsoperation, als die Infanterie des dritten Sturmbataillons sofort auf dem Marsch die Verteidigung aufnehmen musste. Wie im letzten Jahr wurden keine Stellungen vorbereitet, da zum Zeitpunkt des Angriffs die Stellungen, die von den Nachbareinheiten gehalten wurden, bereits verloren oder zerstört waren."
Deepstatemap
In einem keilförmigen Vorstoß konnten russische Truppen nicht nur den Industrialʹnyy Prospekt überschreiten und damit die letzte befestigte Nachschubverbindung in den Kessel hinein unterbrechen.
Russische Vorstöße und Reaktionen der ukrainischen Verteidiger
Es gelang ihnen auch, den befestigten Punkt "Brevno" unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Punkt markiert die Kreuzung der Landstraße O0542 mit dem Industrialʹnyy Prospekt und war stark befestigt. Von dieser Kreuzung aus gelangt man nördlich in den AKHZ-Kokerei-Komplex und südlich in die Stadtmitte von Awdijiwka.
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Weiter konnten russische Truppen entlang eines Waldstreifens nach Süden vorstoßen, und zwar bis zum Beginn eines Hohlweges, der in Richtung des Dorfes Lastochkyne führt. Damit steht weder dieser Waldstreifen noch der Hohlweg für Absetzbewegungen den ukrainischen Streitkräften zur Verfügung.
Also stehen russische Spitzen nur noch 570 Meter von dem Feldweg in Richtung des Dorfes Sjeverne entfernt.
Demgegenüber konnten die ukrainischen Verteidigungskräfte einen neuen Weg freikämpfen, in dem sie die russischen Truppen in voller Länge auf den Waldstreifen südlich von Sjeverne zurückwarfen. Das zurückeroberte Feldstück befindet sich unmittelbar östlich des Dorfes und ist auf der Karte von Weeb Union als rot umrandetes Vieleck gekennzeichnet.
Der Korridor
Dadurch wird ein Korridor eröffnet, der südlich des 9. Quartiers beginnt und von dort bis zu einem Abzweig führt, von dem man noch entweder das Dorf Sjeverne oder Lastochkyne erreichen kann. Diese Wege führen vollständig und ohne Unterbrechung entlang von Waldstreifen, die einen gewissen Schutz bieten können.
Sämtliche Wege, die den ukrainischen Kräften jetzt noch zur Verfügung stehen, um sich aus der Stadt hinaus zu bewegen, dürften mit großer Wahrscheinlichkeit wenig für Fahrzeuge geeignet sein – die ukrainische Führung hat den Zeitpunkt verpasst, schweres Gerät und noch eingelagertes Material geordnet rückführen zu können.
Dramatische Lage
Die Lage mutet für die ukrainischen Truppen dramatisch an, denn den Festungstruppen verbleibt nur noch ein kleines Zeitfenster für eine Flucht aus Awdijiwka, ehe sich der Ring um die Stadt vollständig schließt.
Auch an andern Abschnitten des Kessels von Awdijiwka konnten russische Truppen weiter vorstoßen.
Die relevanteste russische Eroberung ist die vollständige Einnahme der ehemaligen Flugabwehrstellung "Zenit", südlich des 9. Quartiers. Dort hatte sich eine Flasche gebildet, die jetzt von den russischen Kräften vollständig eliminiert werden konnte.
Ebenfalls mussten sich ukrainische Truppen aus einem Frontzipfel nordöstlich des ehemaligen Ausfluslokals "Zarenjagd" zurückziehen.
Im östlichen Teil des Kessels konnten das Gewerbegebiet der Donezk Filtrierstation vollständig eingenommen werden und die dortige Autobahn auf voller Länge in Richtung Westen überschritten werden. Diese an Kamjanka vorbeiführende Nord-Süd-Autobahn ist für die russischen Streitkräfte ein wichtiger Baustein für eine leistungsgesteigerte Logistik in der herannahenden Schlammzeit.
Bis zuletzt konnten ukrainischen Kräfte eine befestigte Datschen-/Ferienhaussiedlung halten, die als Bollwerk ausgebaut war. Doch auch hier mussten die Verteidiger sich nun zurückziehen, um einer Einkesselung zu entgehen.
Auch wurden sie gezwungen, sich aus dem gesamten Wald, der sich östlich der Stadt befindet und sich bis zur Autobahn führt, zurückzuziehen. Sie kontrollieren zurzeit nur noch die östlichen Wohngebiete der Stadt.
Neue russische Offensiven
Zudem ist es den russischen Truppen gelungen, den Bahnhof in der Stadtmitte und in nördlicher Richtung die Feuerwehrstation einzunehmen, die sich unmittelbar südlich der AKHZ-Kokerei befindet.
Die russischen Eroberungen seit Januar bis einschließlich 16. Februar sind anschaulich auf einer Zeitrafferkarte des Telegram-Kanals Military Summary Channel zu sehen.
Derweil gehen auch an anderen Frontabschnitten in der Ukraine über die gesamte Kontaktlinie die Kämpfe zugunsten der russischen Truppen weiter. So konnten russische Kräfte in Pervomaiske, vor Ivanivske, westlich von Pobjeda, nördlich von Syn'kivka, westlich von Marinka und in Novomykhailivka Fortschritte erzielen.
Beunruhigend für die ukrainische Führung scheint aber zurzeit die russische Truppenmassierung am Saporischschja-Abschnitt zu sein.
So berichtet das Kiewer Online-Magazin ZN,UA unter der Überschrift "Die russische Armee bereitet eine neue Offensive in der Richtung Saporischschja vor" Folgendes:
Die Russen haben eine bedeutende Anzahl von Truppen in der Richtung Orechowskij konzentriert.
Der Sprecher der operativ-strategischen Truppengruppierung "Tavria" Dmitry Likhoviy sagte in der Sendung, dass die russischen Besatzungstruppen in der Richtung Orekhovsky (Zaporozhye Region) eine größere Anzahl von Personal konzentriert haben als in der Avdeevsky Richtung.
"Die feindliche Gruppierung, die sich in den letzten Tagen oder Wochen in Richtung Orekhovsky konzentriert hat, ist personell stärker als die Gruppierung, die sich jetzt in Richtung Avdiivka befindet. Es ist offensichtlich, dass die Moskau-Krieger dort nicht einfach nur spazieren gegangen sind", betonte Likhoviy.
ZN, UA
Im Kontrast dazu: Die Einschätzung des BW-Generalmajors Freuding
Dagegen sieht Generalmajor Christian Freuding, seines Zeichens Leiter des Lagezentrums Ukraine und des Planungs- und Führungsstab des Bundesministers der Verteidigung in Berlin, in einem Interview vom 13. Februar mit ntv keine russischen Fortschritte in der Ukraine:
Die Ukraine wird in der Lage sein, den Frontverlauf mit den Möglichkeiten und Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, zu verteidigen. Ich gehe derzeit nicht davon aus, dass die russischen Streitkräfte umgekehrt in der Lage sind zu großräumigen, weiträumigen militärischen Operationen, so dass wir, nach meiner Einschätzung, in den nächsten Wochen, vielleicht sogar Monaten entlang des Frontverlaufs keine größeren Verschiebungen zu erwarten haben.
Generalmajor Christian Freuding, ntv
Derweil geht der hektische Versuch weiter, die Ukraine mit weiteren Waffen aufzurüsten. Der einzig verbliebene Player, der noch in großen Mengen Waffen zur Verfügung hätte, wäre die USA.