BND hielt Laborunfall in Wuhan für wahrscheinlichen Ursprung der Pandemie

Marcel Kunzmann
Werbeplakat am Zaun des BND-Geländes in Berlin Mitte

Werbeplakat am Zaun des BND-Geländes in Berlin Mitte

(Bild: Meiling Media Motion/Shutterstock.com)

Der BND vermutet, die Covid-19-Pandemie begann durch einen Laborunfall in Wuhan. Das Kanzleramt hielt die Einschätzung geheim. Jetzt erhalten Virologen Datenzugriff.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hält es für sehr wahrscheinlich, dass die weltweite Corona-Pandemie ihren Ursprung in einem Laborunfall im chinesischen Wuhan hatte. Zu dieser Einschätzung kam der deutsche Auslandsgeheimdienst nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und Zeit bereits im Jahr 2020.

Grundlage für die Bewertung waren demnach neben einer Analyse öffentlicher Daten vor allem Material, das im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Operation mit dem Codenamen "Saaremaa" beschafft wurde.

Dabei handelt es sich laut den Berichten unter anderem um wissenschaftliche Daten aus dem "Wuhan Institute of Virology", einer der führenden chinesischen Einrichtungen für Virenforschung.

Riskante Experimente und Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften?

Das "Saaremaa"-Material soll Hinweise auf "riskante Experimente" liefern, bei denen in der Natur vorkommende Viren künstlich verändert wurden, um deren Übertragbarkeit auf den Menschen zu erforschen. Zudem weise es zahlreiche Verstöße gegen Vorschriften für die Laborsicherheit nach.

Der BND bewertete die Laborthese den Berichten zufolge mit einer Wahrscheinlichkeit "von 80 bis 95 Prozent". Die alternative These eines natürlichen Ursprungs, wie schon bei der SARS-Epidemie 2002/2003, wurde demnach für weniger wahrscheinlich gehalten.

Zwei Regierungen hielten die Einschätzung unter Verschluss

Die "Laborhypothese" wurde in den USA schon länger diskutiert, in Deutschland allerdings schnell als Verschwörungstheorie abgetan.

Besonders brisant: Laut Süddeutscher Zeitung entschied das Kanzleramt, die Einschätzung des BND geheim zu halten. Weder die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel noch der zuständige Kanzleramtsminister Helge Braun wollten sich auf Anfrage dazu äußern.

Auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständig ist, sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seien nicht informiert worden.

Ende 2022, direkt nach dem Regierungswechsel zu Olaf Scholz, habe BND-Chef Bruno Kahl das Kanzleramt erneut über die Einschätzung in Kenntnis gesetzt, berichtet die Tagesschau.

Die neue Bundesregierung beauftragte dem Bericht zufolge daraufhin Ende vergangenen Jahres externe Experten mit der Überprüfung der BND-Erkenntnisse, darunter den RKI-Präsidenten Lars Schade und den Berliner Virologen Christian Drosten.

"Erst jetzt, fünf Jahre danach, können Wissenschaftler wie Christian Drosten prüfen, wie belastbar die Belege des BND sind", kritisiert der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Holger Stark, auf X. Ein abschließendes Ergebnis liege noch nicht vor.