Baerbock: Putin vor Gericht (aber nicht die westlichen Massenmörder)
Seite 2: Wie Schweigen Verbrechen legitimiert
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Man könnte so weiter machen. US-Überfall auf Panama direkt nach dem Ende des Kalten Kriegs. Vier Jahre später erklärte die Menschenrechtskommission der dort von den USA installierten Regierung, dass das Recht auf Selbstbestimmung und Souveränität immer noch durch den "Besatzungszustand durch eine ausländische Armee" verletzt wird und verurteilte die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen.
Wie wenig die Supermacht der "regelbasierten Weltordnung", die Menschenrechte und internationales Recht auf ihre Fahnen geschrieben hat, von Rechtsstaatlichkeit hält, lässt sich allein am Fall Nicaragua ablesen. Der Internationale Gerichtshof (IGH) der UN – nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) – verurteilte die Vereinigten Staaten in den 1980er-Jahren wegen ihrer "gesetzwidrigen Gewaltanwendung" in ihrem Terrorkrieg gegen das mittelamerikanische Land. Er forderte Washington zudem auf, Reparationen zu zahlen.
Die Antwort aus dem globalen Machtzentrum: Die US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan ignorierte den Gerichtshof und stoppte eine Resolution des UN-Sicherheitsrats durch ihr Veto (wie auch vergleichbare Mahnungen der Generalversammlung), dass alle Staaten aufforderte, internationales Recht zu befolgen. 1986 zogen sich die USA aufgrund der Verurteilung aus der Gerichtsbarkeit des IGH zurück, während sie den Krieg eskalierten.
Die USA sind auch nicht Unterzeichner des Rom-Statuts, auf dessen Fundament der Internationale Strafgerichtshof ruht. Dass man sich von dem Gericht in den Niederlanden irgendetwas sagen lassen würde, ist unwahrscheinlich. Ein Gesetz von 2002 autorisiert US-Streitkräfte sogar dazu, US-Amerikaner:innen und Bürger:innen von Alliierten mit Gewalt zu befreien, die vom Gericht in Den Haag festgehalten werden.
Alle US-Präsidenten und ihre Führungsriegen haben in der Nachkriegszeit illegale und schwerste Aggressionsakte befehligt. Auch viele Regierungen der Nato-Verbündeten haben Schuld auf sich geladen, als Helfershelfer und Aggressoren.
So haben die deutschen Bundeskanzler:innen Angela Merkel (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) in ihren Amtszeiten Angriffskriege mit unterstützt. Der Irak-Krieg lief zum Beispiel zu einem erheblichen Teil über die militärische Infrastruktur in Deutschland ab.
Und was ist mit den Verantwortlichen für die Kriege und Verbrechen der Türkei, Israels ..., also Ländern, mit denen der Westen verbündet ist?
Die Verbrecher:innen im Westen sind alle straffrei geblieben, werden für ihre Taten keineswegs geächtet, sondern oft noch geehrt, wie der Massenmörder und ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger. Damit müssen die Opfer leben. Das ist unerträglich, sicherlich, aber eine Realität.
Sich nun als deutsche Außenministerin mit enger transatlantischer Bindung vor den UN-Sicherheitsrat zu stellen und exklusiv Putin vor Gericht stellen zu wollen – was an sich richtig ist –, aber gleichzeitig über die prinzipielle Straffreiheit von westlichen Massenmördern und Schwerverbrechern zu schweigen, ist, um es moderat zu formulieren, Ausdruck von schwerster historischer Amnesie, was eine Unverschämtheit angesichts der vielen Opfer westlicher, US-geführter Aggressionen darstellt.
Was aber fast noch schwerer wiegt, ist das Wegschauen der Medien und die stille Komplizenschaft zentraler Teile unserer Gesellschaft, die es vorziehen, mitzuschweigen.