Baerbock im Spiegel-Interview: Warum es keine grüne Außenpolitik gibt
Seite 2: Deutsche Aufrüstung
Zudem wird die russische Aggression benutzt, tatsächlich missbraucht, um aufzurüsten, Pläne, die sicherlich lange bei westlichen Rüstungslobbyisten in den Schubladen lagen, aber jetzt umgesetzt werden können. Auch dafür steht Baerbock – auch wenn sie nicht allein damit ist.
In Zahlen: Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, einfach mal an der heiligen deutschen Schuldenbremse vorbei beschlossen. Und dann im laufenden Jahr ein historischer Rekordwert an Militärausgaben, über 73 Milliarden für die "Kriegstüchtigkeit" Deutschlands.
Erstmals seit über 30 Jahren erzielt man damit die Nato-Vorgabe von zwei Prozent vom BIP. So sieht die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gepriesene Friedensdividende heute aus, wie sie in den 1990er-Jahren in aller Munde war (aber wer erinnert sich noch daran bei den Grünen?).
Das Geld fließt in noch mehr Kampfpanzer, Kriegsschiffe und moderne Kampfjets, in jede Menge Gewehre, Raketensysteme und Munition. Rheinmetall lässt die Sektkorken knallen. Währenddessen plant die Ampel-Regierung unter grüner Außenministerin und grünem Vizekanzler eine Kürzung des Entwicklungs-Etats, über alle Ressorts hinweg.
Israel: Waffen für den Aggressor
Baerbock hält massive Aufrüstung allerdings für notwendig, um Deutschland und Europa sicherer zu machen. Sie begrüßt auch die Stationierung von US-Raketen mit einer großen Reichweite, die fähig sind, atomare Startrampen in Russland zu zerstören, was, wie eine aktuelle Studie zeigt, die geopolitische Lage tatsächlich instabil macht.
Beim Gaza-Krieg verfolgt das deutsche Außenministerium unter Baerbock die langjährige deutsche Strategie, Israel das Recht zur Selbstverteidigung zuzusprechen, egal, wie schlimm die Kriegsverbrechen sind, während man die Netanjahu-Regierung gelegentlich sanft daran erinnert, Völker- und Menschenrechte zu respektieren, was diese ignoriert.
Nach elf Monaten israelischer Aggression mit über 40.000 getöteten Palästinenser:innen, inklusive des Einsatzes der Netanjahu-Regierung von Hunger als Kriegswaffe, Masseninhaftierungen im Westjordanland, Folter usw., was der Internationale Gerichtshof insgesamt als "plausiblen Genozid" bezeichnet, stellt sich Baerbock (wie andere auch) weiter hinter Israels Vorgehen.
Währenddessen werden bedingungslos Waffen an den Aggressor gesendet (Deutschland ist hinter den USA der zweitgrößte Waffenlieferant für Israel und hat die Hilfen im Zuge des Kriegs noch aufgestockt), der schwere Kriegsverbrechen begeht, wahrscheinlich auch mit deutschen Waffen. Die Spannungen mit dem Iran und der Hisbollah im Libanon drohen wegen der israelischen Friedensblockade und Provokationen zu eskalieren.
Staatsräson auf grün
In der UN-Generalversammlung hat sich Baerbock bei Abstimmungen zu einer Waffenruhe in Gaza zweimal der Stimme enthalten, während die überwältigende Mehrheit der Staaten dafür stimmte. Selbst die essenzielle UNRWA-Hilfe für den Gazastreifen stellte Deutschland über mehrere Monate mitten im Kriegswüten ein, weil Israel unbewiesene Vorwürfe gegen die UN-Organisation erhob, was die humanitäre Lage dort noch katastrophaler machte.
Deutschland könnte einen unabhängigen, friedenschaffenden Weg gehen, sowohl bezüglich des Ukraine- wie des Gaza-Kriegs. In Gaza braucht es als ersten Schritt einen echten Waffenstillstand, der nicht nur gefordert, sondern mit Sanktionsandrohungen durchgesetzt werden muss. In der Ukraine braucht es Diplomatie und Verhandlungen. Waffen sind in beiden Fällen nicht die Lösung.
Es sagt schon viel, wenn der außenpolitische Chef der Europäischen Union, Josep Borrell, US-Präsident Joe Biden drängte, in Bezug auf Israel den Worten endlich auch Taten folgen zu lassen.
Wenn Sie glauben, dass zu viele Menschen getötet werden, sollten Sie vielleicht weniger Waffen liefern, um zu verhindern, dass so viele Menschen getötet werden.
Von Baerbock hört man solche Worte nicht.
Doppelmoral und Feigheit
Man könnte die Liste an Doppelmoral und transatlantischer Hörigkeit bei Baerbock fortsetzen: Saudi-Arabien wird hofiert (als Partner der USA und fossiler Lieferant), erhält nun auch wieder Waffen aus Deutschland, aber Chinas Präsident Xi nennt Baerbock einen "Diktator", brüskiert das Land immer wieder mit undiplomatischen Statements und droht mit Sanktionen.
Auf dem "Free-Julian-Assange"-Ticket betrieb sie zwar Wahlkampf, um Stimmen damit zu erlangen. Aber als Außenministerin änderte sie den Kurs, forderte nun nicht mehr von den USA, deren Auslieferungsantrag zu beenden. Sie schwieg auch dann noch zu dem skandalösen Angriff auf die Pressefreiheit, als sich selbst Kanzler Olaf Scholz im März dieses Jahres der australischen Forderung an US-Präsident Joe Biden anschloss, die Verfolgung des Journalisten fallen zu lassen. Der Druck führte schließlich zum Erfolg.
Aber man muss Baerbock zugutehalten, dass sie ehrlich ist. Es stimmt nämlich, dass es ziemlich irrelevant ist, welche Partei das Außenministerium führt – was viel über den Zustand Deutschlands aussagt. Es gibt keine "grüne Außenpolitik", das war schon unter dem damaligen Außenminister Joschka Fischer zu beobachten.
Wenn Baerbock jedoch von "unseren Interessen" spricht, dann benutzt sie den typischen "Nationale-Sicherheit"-Jargon, der im politischen Establishment der Vereinigten Staaten fest verankert ist. Es ist ein ideologisches Codewort, das die Bedürfnisse eines Taxifahrers im Ruhrgebiet und einer Verkäuferin in Dresden mit denen von Kapitaleignern und Manager:innen von München, Frankfurt bis Hamburg in einen Topf schmeißt.
Und ob es im Interesse der deutschen Bevölkerung ist, dass wir Kriege und Eskalationen unterstützen, Waffen liefern, Verhandlungen unter Tabu stellen und Geflüchtete immer schlechter behandeln, mag man infrage stellen (die verlinkten Umfragen zeigen progressive Haltungen bei Deutschen und Europäer) – vor allem vor dem Hintergrund, dass es zu all diesen Politiken bessere, für alle Beteiligten sinnvollere Alternativen gibt.