Baerbock und die Drohnen auf Moskau: völkerrechtlich unbedenklich?

Moskau ist weit weg von der Front. Kiews Argument für die Angriffe: Die Distanz der meisten Russen zum Geschehen verschaffe dem Feldzug Unterstützung. Symbolbild: tixonov_valentin / Pixabay Licence

Deutsche Außenministerin hält ukrainische Drohnenangriffe für "vom internationalen Recht gedeckt". Warum das für eine Völkerrechtlerin erstaunlich ist.

Wie weit ein angegriffener Staat wie die Ukraine bei der Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts bei Attacken im Angreiferstaat gehen darf, ist im Völkerrecht recht klar definiert. Auf Anfrage von Telepolis führt der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott dazu aus:

Aus dem Recht der Selbstverteidigung ist das Recht der Ukraine abzuleiten, das russische Territorium anzugreifen, womit auch immer. Aber es dürfen nur militärische Ziele oder in Ausnahmefällen zivile Ziele, die vorwiegend militärisch genutzt werden, angegriffen werden.


Gerhard Mangott, Russland-Experte der Uni Innsbruck gegenüber Telepolis

Diese Regelung ergibt sich aus den Genfer Konventionen, die den Schutz von Personen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, regeln – etwa Zivilpersonen. In Teil vier des Zusatzprotokolls von 1977 findet sich hier eine Bestimmung, dass sich Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten dürfen. Bei der Frage der Völkerrechtswidrigkeit der ukrainischen Angriffe auf Moskau ist es also entscheidend, ob die Ziele militärischer Art sind.

Bei anderen Drohnenangriffen in der russischen Provinz, etwa auf die Militärflugplätze bei Engels oder Nowgorod weit im russischen Hinterland, ist diese Frage sehr einfach mit "Ja" zu beantworten – denn die Entfernung von der Front spielt bei diesem Thema keine Rolle.

Militärische Zielbestimmung in Moskau schwierig

Anders sieht es jedoch bei den inzwischen fast täglichen Attacken auf Moskau selbst aus. Das Trefferbild in der Hauptstadt und ihrer Umgebung, veröffentlicht in regionalen Medien verteilt sich bunt über die gesamte Moskauer Region. Lediglich zwei "Einflugschneisen" von Westen und Südwesten her sind grob ersichtlich. Getroffen wurden Wohnhäuser, Ausstellungshallen, Straßen, aber auch unter anderem militärisch genutzte Gebäude, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind.

Erschwerend für die Zielermittlung kommt hinzu, dass die Mehrzahl der Drohnen in der stark verteidigten Stadt nicht dort einschlug, wo sie wohl ursprünglich hin sollte. Aktive Störeinrichtungen beeinträchtigen die Zielfindung der ferngelenkten Geschosse und viele wurden unterwegs auch einfach abgeschossen.

Von der Ausschaltung eines bedeuteten militärischen Ziels in Moskau ist nichts bekannt, die Schäden sind trotz viel Aufwand eher gering, und falls die Drohnenangriffe wirklich einem rein militärischen Zweck dienen würden, wäre es eine berechtigte Frage, warum man sie dennoch fortsetzt, ja sogar verstärkt.

Mit einer erfolgreichen Zerstörung eines militärischen Ziels "durch Drohnen mit einem eher bescheidenen Sprengkopf" ist laut der exilrussischen, regierungskritischen Zeitung The Insider nicht zu rechnen.

Angriffe mit psychologischem Hintergrund

Tatsächlich ist es naheliegend, dass die Drohnenangriffe auf Moskau selbst mehr einen psychologischen als einen militärischen Hintergrund haben, der Verunsicherung der russischen Bevölkerung dienen.

Die Distanz der meisten Russen zum Geschehen verschaffe dem Feldzug Unterstützung, führen zwei hohe ukrainische Militärs schon im September 2022 in einem Fachaufsatz aus. Dem müsste mit Angriffen mit höherer Reichweite in die Tiefe des russischen Hinterlands begegnet werden.

Der Krieg, unter dem aktuell vor allem ukrainische Zivilisten leiden, soll nach Russland getragen werden. Auch Selenski selbst spricht davon, dass "der Krieg auf das Territorium Russlands zurück kehrt, in seine symbolischen Zentren". Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Selenski führt dazu gegenüber dem exilrussischen Medienportal Meduza in einem Interview zu den Drohnenangriffen aus:

Die Russen, die die Regierung unterstützen, lieben diesen Krieg, wenn sie in Russland auf ihren Sofas sitzen. Aber sie mögen es nicht, wenn sie weniger Geld haben, auf Gewohnheiten oder ihre Bewegungsfreiheit verzichten müssen oder sogar in den Kampf transportiert werden.


Michail Podolyak gegenüber Meduza

Im gleichen Interview bestreitet Podolyak, wie alle Kiewer Offiziellen, dass die offensichtlich eigenen Drohnenangriffe auf Moskau - von einem anderen Urheber geht niemand aus - ein Werk der ukrainischen Armee sind. Würde es sich um zweifelsfrei völkerrechtlich legitime Attacken handeln, wäre diese Verhaltensweise nicht nachvollziehbar.

Zu eindeutigen Angriffen auf militärisch genutzte Infrastruktur wie der Krim-Brücke liegen zumindest im Nachhinein ukrainische Bekenntnisse vor. Den Ukrainern ist es - offenbar im Gegensatz zur deutschen Außenministerin - klar, wie heikel ihre Angriffe von völkerrechtlicher Seite sind.

Somit ergibt sich weder von den getroffenen Zielen noch vom Verhalten des Urhebers der Drohnenangriffe auf Moskau ein Hinweis darauf, der Baerbocks Kurzanalyse, diese Angriffe würden dem Völkerrecht entsprechen, stützt. Denn sie treffen weder mehrheitlich militärische Ziele noch ist ihr strategischer Hintergrund überhaupt auf das russische Militär. Ziel ist eine Demoralisierung der Bevölkerung.

All das mögen radikale Unterstützer der Ukraine angesichts der heimtückischen Invasion Russlands in seinen Nachbarstaat mit der Schaffung unermesslichen Leids als taktische Finte gut heißen. Innerhalb des Rahmens des internationalen Rechts bewegen sich fortgesetzte Angriffe ohne militärischen Nutzen vor allem mit Treffern im zivilen Raum jedoch nicht. Das sollte einer studierten Völkerrechtlerin klar sein.