Baerbocks neue Kleider: Wie Mode Politik macht

Seite 2: Durfte Annalena Baerbock in China Freizeitkleidung tragen?

In Deutschland stand unlängst Außenministerin Annalena Baerbock in der Kritik, weil sie auf ihrer China-Reise Freizeitkleidung trug, ist solche Kritik berechtigt?

Daniel Kalt: Die große Aufmerksamkeit auf das modische Bildhandeln von Annalena Baerbock und ihre jeweilige Kleiderwahl zeigt zum einen die Bedeutung, die Kleidung beigemessen wird. Und zum anderen, dass Frauen noch kritischer beäugt werden.

Ich denke, die Außenministerin ist bei offiziellen Terminen nicht unpassend bekleidet gewesen. Sie steht aber als Berufspolitikerin und Repräsentantin der Bundesrepublik ständig im Licht der Öffentlichkeit. Dass sie nach einem Langstreckenflug nicht im Businessoutfit aussteigt, ist meines Erachtens verzeihlich.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj taucht bei Bundeskanzler Olaf Scholz in Cargohosen und schwarzem Sweatshirt auf.

Daniel Kalt: Selenskyj repräsentiert ein Land, das im Krieg steht, nachdem es angegriffen worden ist. Er hat früh mit seiner Kleiderwahl auf diese Situation reagiert und zeigt sich konsequent bei täglichen Videobotschaften und Auslandsauftritten in dieser neuen Aufmachung.

Bemerkenswert erscheint mir, dass er nicht tatsächlich eine Uniform trägt – und damit auf einen militärischen Zusammenhang verweist –, sondern einen Militär-Look pflegt. Politiker:innen, die sich in Uniformen an ihre Bevölkerung wenden, lassen rasch an Militärregimes und nicht unbedingt an demokratische Verhältnisse denken.

Welchen Rahmen nimmt Mode im Budget der Bundespolitik ein?

Daniel Kalt: Abgesehen von der Tatsache, dass immer wieder einmal konkrete Geldbeträge bekannt werden, die auf den Souverän astronomisch hoch wirken: Verglichen mit anderen Berater:innenhonoraren handelt es sich weiterhin um rechtfertigbare Beträge. Zumal, wenn man den Wert gelungener Stilberatung in die Währung der Aufmerksamkeitsökonomie umrechnet, zeigt diese Kurve mit Gewissheit beständig nach oben.

Interessant ist immer wieder, wie über Mode in der Politik von den Medien berichtet wird. Sie schildern in Ihrem Buch mehrere Beispiele, wie Medien eng mit Politiker:innen zusammengearbeitet haben. Sie schreiben aber auch, wie "Fashion Editorials mit gesellschaftlicher Wirkungsabsicht" häufig nicht richtig greifen. Funktioniert diese vermeintliche Symbiose also nicht?

Daniel Kalt: Als konkretes Beispiel nannte ich unter den Modezeitschriften die italienische Vogue, die immer wieder mit Modestrecken zu schockieren versuchte, damit aber viele Leser:innen auch verstörte. Umgekehrt werden Politiker:innen in vergleichbaren Modezeitschriften, häufig etwa in der US-amerikanischen Vogue, entsprechend frisiert und gestylt und in mitunter kostspieliger Markenware abgebildet. Da stellt sich wohl für viele die Frage, ob das noch mit der eigentlichen Tätigkeit in Übereinstimmung steht.

Um zur italienischen Vogue zurückzukommen: Bei gewissen Themen wie häuslicher Gewalt oder Umweltkatastrophen ist die Frage, ob diese Themen durch die Gestaltung eines hochpreisigen Luxusguts wirklich gut behandelt werden können. Möglich wäre auch ein Interview mit einer Person, die sich aktivistisch mit diesen Themen beschäftigt. Ob eine Modestrecke da das wirklich Beste ist, sei mal dahingestellt.

Sie sprechen von "geschicktem Modehandeln". Was ist geschickt?

Daniel Kalt: Das Modehandeln kann viele verschiedene Formen annehmen. Man kann damit offensiv umgehen, bewusst eine Bedeutungsebene der Bekleidung für sich nutzen. Es gibt auch die Strategie, möglichst ohne Bedeutung in der Politik aufzutauchen, also den modischen Aspekten nicht viel Wert beizumessen.

Die positiven Beispiele gebe ich im Buch an vielen Stellen wieder: Wenn ich mich in einem bewussten Sinne kleide, kommuniziere ich mit, dass ich für gewisse Werte einstehe oder für meine Wähler:innen dafür einstehe. Dann ist gutes Modehandeln gelungen, was nicht gleichbedeutend ist mit dem, das man im landläufigen Sinn als "gut angezogen" bezeichnet.

Das modische Bildhandeln von Donald Trump etwa hat gut funktioniert. Mit seinem hochgeschnittenen Businessanzug und der Baseballkappe, die er mit dem Slogan "Make America Great Again" sogar zu einem Politik-Gadget gemacht hat. Er hat politischen Erfolg gehabt, obwohl er nicht im herkömmlichen Sinne gut angezogen war, aber Kleidungs-Codes so einsetzte, dass sein Publikum sie gut deuten konnte.

Die Baseballkappe wurde aus einer Subkultur, einer Sportkultur übernommen, um Signale an seine Anhängerschaft zu senden?

Daniel Kalt: Ja, die MAGA-Kappe von Donald Trump ist besonders in den USA ein Beispiel von vielen. Auch hier ließe sich an Joschka Fischers Turnschuhe denken.

Die Baseballkappe gehört in den USA bereits zur Alltagskultur, wie sie auch zu einem klassischen Vorstadt-Kontext passt. Trump setzt sich dann auch in Beziehung zum Sport, wie er Golf spielt. Damit signalisiert er eine gewisse Nahbarkeit.

Ist die Mode also doch nur triviales Beiwerk?

Daniel Kalt: Nein, denn auch Menschen, die von sich behaupten, sie interessierten sich überhaupt nicht für modische Bekleidungen, sind von angezogenen Menschen umgeben und müssen für sich Kleidung auswählen, die mehr oder weniger dem eigenen Geschmack entspricht – oder im Fall von Politiker:innen, dem Amt, das sie ausüben. Selbst wenn jemandem diese Überlegungen bezüglich der Mode völlig egal sind, wird er oder sie eine Botschaft aussenden.

Wenn ich mir sage: Ich lasse mich vom Äußeren des Gegenübers überhaupt nicht lenken, dann ist das ein Irrglaube, denn wir deuten alle stets das immer unbewusst mit, wie man uns gegenübertritt.

Der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde fehlendes Modebewusstsein nachgesagt.

Daniel Kalt: Merkel ist ein anschauliches Beispiel für einen uniformen Kleidungsstil. Sie fand für sich eine Art Personaluniform, die in jeder Situation funktionierte. Sie hatte diese Grundkomponenten, die immer da waren: das Jackett in unterschiedlichen Farben. Da wurde viel herumgedeutet, ob diese oder jene Farbe eine Botschaft in konkreten Situationen vermitteln sollte.

Ein modischer Felsen in der Brandung.

Daniel Kalt: Würde ein:e Politiker:in jeder Mode, jeder Trenderscheinung hinterherlaufen, dann würde viel vom Eigentlichen abgelenkt. Das sah man auch gut zur Corona-Zeit, als Masken noch nicht offiziell getragen wurden oder nicht mehr. Trägt man sie bereits oder weiterhin? Manche haben diese Masken dann auch modischer getragen; die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat sie etwa auf ihre Outfits abgestimmt.

Es gab verschiedene Reaktionen darauf: Positive, im Sinne einer wirklichen staatstragenden Mode, also als Vorbild voranzugehen. Aber kritische Stimmen lehnten es ab, etwas zur Mode machen, das auf eine Gesundheitskrise verweist. Es gibt nicht die eine richtige Entscheidung, sondern verschiedene Interpretationen.

Ein anderes politisches Mittel der Mode wäre die sogenannte Sloganmode, dass auf den Kleidungsstücken politische Slogans erscheinen. Wie ist das einzuschätzen?

Daniel Kalt: Wenn ich mich politisch engagiere, auf Demos etwa, dann ergeben diese Slogans durchaus Sinn. Für eine vorpolitische Mobilisierung funktioniert diese Mode hervorragend. Aber ab dem Zeitpunkt, zu dem ich zur Amtsträgerin oder zum Amtsträger werde oder mich um ein Amt bewerbe, habe ich andere Mittel, um das Wort zu ergreifen.

Es gibt vielleicht einzelne Aktionen, bei denen damit gebrochen wird, aber grundsätzlich hat die Sloganmode im Alltag von Berufspolitiker:innen wenig verloren. Übrigens spiegeln das auch die Kleiderordnungen von Parlamenten wider. Das Slogan-T-Shirt ist besser auf den Zuschauerrängen aufgehoben als im Plenum selbst.

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