Bangladesch: Der Mensch frisst sich weiter auf
Die Zerstörungen von Lebensraum für mehr Wirtschaftswachstum gehen ungezügelt weiter
Bangladesch boomt - das ist überall zu sehen. Auch im Bezirk Mohammadpur in der Hauptstadt Dhaka wachsen Hochhäuser wie Pilze aus der Erde. Plötzlich regnet es für 20 Minuten und die "fortschrittlichen" Eindrücke sind wie fortgespült: Der Strom ist weg und Straßen stehen unter Wasser, was in diesem Viertel für die neue Mittelklasse besonders zum Tragen kommt - die meisten Häuser wurden so planlos hingesetzt, dass vier von fünf Straßen zu Sackgassen geworden sind.
Auch ohne Regen geht es mangels Wegen über einen stinkenden Abwasserkanal zur neuen Eigentumswohnung. Dass das Labyrinth Dhaka zu den am meisten erdbebengefährdeten Städten der Erde gehört, ist jedoch nicht die einzige Tatsache, die die wachstumsfanatische Regierung Bangladeschs beim planlosen Bauboom ignoriert.
"Alle Flüsse Dhakas sind so verdreckt, dass sie nicht mehr als Trinkwasserquelle zu nutzen sind, so dass das Grundwasser gnadenlos abgepumpt wird", sagt Sheikh Rokon und teilt dann etwas bemerkenswert Ehrliches mit: "Doch selbst ich als Journalist und Umweltaktivist kann kaum mit Daten argumentieren, weil wir weder regelmäßige Studien des Grundwasserproblems von Dhaka besitzen noch über die Verschmutzung unserer Flüsse."
Zuletzt warnte im Jahr 2016 eine von der WHO finanzierte Studie davor, dass der 20-Millionen-Einwohner-Metropole in 20 Jahren das Grundwasser ausgeht.
Aber selbst die Einwohnerzahl der Hauptstadt Bangladeschs beruht nur auf Schätzungen, ebenso dass sie jedes Jahr um 700.000 Menschen wächst - so gibt es nicht wenige, die Dhaka schon jetzt 25 Millionen Einwohner zuschreiben.
Was die Regierung zur Rettung der Flüsse betreibt, kann nur als Augenwischerei beschrieben werden: Am pechschwarzen Buriganga geht sie gegen illegal gebaute Gebäude am Flussufer vor, angeblich ohne Rücksicht auf einflussreiche Grundstücksbesitzer. Doch 18 Tage nach dem Beginn der Abrissarbeiten wurde der dafür zuständige Beamte in eine andere Stadt versetzt. Kurz davor mussten die Abrissarbeiten sogar für einen Tag eingestellt werden, weil das Haus des Schwiegervaters eines Anwalts der Anti-Korruptions-Kommission abgerissen wurde.
Die Seitenarme des Buriganga sind weiterhin nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit Müll. Da scheint die Regierung auf den jährlichen Monsun zu hoffen, der die Metropole einmal im Jahr ordentlich durchspült: "Wir haben festgestellt, dass seit zwei Jahren Fische kurz nach der Regenzeit für drei Monate in den Buriganga zurückkehren und gehen davon aus, dass es daran liegt, dass die meisten der 200 alten Gerbereien in Hazaribagh mittlerweile geschlossen sind," sagt Rokon.
So lohnt ein Blick in das Industriegebiet Hemayetpur, wo das chromverseuchte Abwasser des neuen "modernen" Gerberei-Parks in den schwarzgefärbten Dhalesshwari-Fluss fließt. Die buntgefärbten Abwasser der Aji-Gruppe, die unter anderen für C&A Textilien herstellt, fließen zwar mittlerweile in einen betonierten Graben, doch der leitet die chemische Brühe über Felder ebenfalls in den Dhalesshwari - und der fließt dann in den Buriganga.
Neben dem "modernen" Gerbereipark kann weiteres Wachstum beobachtet werden: Die Fläche, auf der aus den chromverseuchten Lederresten Fisch- und Hühnerfutter hergestellt wird, hat sich seit letztem Jahr auf die benachbarten Felder ausgebreitet.
Das Geschäft mit dem giftigen Tierfutter floriert
Auch die alte Gerbereigegend in Hazaribagh ist trotz aller Versprechungen der Regierung noch nicht komplett geschlossen. Dazu floriert das Geschäft mit dem giftigen Tierfutter weiterhin: "Viele der Gerbereien fangen während des Opferfestes (Eid ul-Adha) wieder an zu produzieren, weil dann massenweise Kuh-Häute geliefert werden", sagt der Gewerkschaftler Sekender Ali Mina. Auf die Frage, wie die Gerbereien ohne Strom, den die Regierung abgestellt hat, arbeiten können, antwortet Sekender schmunzelnd: "Gegen ein kleines Handgeld kommt der Strom über eine Ersatzleitung."
An den Flüssen Tureg, Buriganga und Shitalakhya ist um diese Jahreszeit Folgendes zu beobachten: Der Oberlauf ist ausgetrocknet, trotzdem fließt im Unterlauf "Wasser", das zu 100 Prozent aus Haushalts- und Industrieabwasser besteht. Die verdreckten Flüsse gehen jedoch nicht nur Bangladesch etwas an. Jeden Tag landen die Haushalts- und Industrieabwasser einer aufstrebenden Industrienation von 162 Millionen Menschen über die Flüsse im Meer.
"Laut Anordnung der Regierung steht die Umweltbehörde sogar über dem Wirtschaftsministerium. Auch gibt es mittlerweile genug Gesetze, die die Firmen verpflichten, ihre Abwässer mit Filteranlagen zu reinigen. Doch in der Praxis verfügt das Umweltministerium weder über genug Mitarbeiter, noch über qualifizierte Personen, um die Firmen zu überwachen", sagt der Wasserexperte Zakir Hossain gegenüber Telepolis.
Auch verlässliche Studien und Daten der Regierung in Sachen Wasser, sind laut Zakir äußerst dürftig. So ist es leicht beunruhigend, dass sich die Weltbank in einem Bericht vom vergangenen Jahr zum Thema Grundwasser einzig auf Regierungsdaten stützt und zum Schluss kommt, dass alles gut wird, wenn die Regierung jetzt Maßnahmen ergreift - was sie nicht tut.
Sonder-Wirtschaftszonen
Dass der Wirtschaftsboom in Bangladesch wegen der Nähroboter endet, weil fünf Millionen Arbeiter in der Textilindustrie ihre Arbeit verlieren, ist nicht zu befürchten: "Ich bin hocherfreut, einmal mit den Besitzern der Textilfirmen übereinzustimmen", sagt der Wirtschaftsexperte Monover Mostafa.
In 10 bis 15 Jahren wird diese Ausbeuterindustrie aus Bangladesch verschwunden sein - bis auf einen kleinen hochqualitativen Sektor. Doch der Grund werden nicht die Nähroboter sein. Damit drohen die Firmenbesitzer, um den schon geringen Lohn von 95 Dollar im Monat zu drücken. Sie glauben doch nicht, dass ein Geschäftsmann in teure Maschinen investiert, wenn er weiß, dass seine Kunden in 10 Jahren woanders günstiger einkaufen. Selbst unsere Textilunternehmer investieren heute schon in Afrika, weil dort ein "Lohnsklave" noch für einen Dollar am Tag zu bekommen ist.
Monover Mostafa
Dann erklärt Monover, dass die Regierung Bangladesch schon 25 Sonder-Wirtschaftszonen eingerichtet hat, mit Steuerbefreiungen und günstigen Strompreisen für ausländische Investoren - 75 weitere sind geplant.
Die Chinesen zum Beispiel werden dort Komponenten für elektronische Geräte herstellen lassen. Dafür braucht es dann qualifizierte Arbeiter, die auch besser als die Näherin bezahlt werden. Die kommen dann von unseren technischen Hochschulen.
Monover Mostafa
Auf meinen Hinweis, dass die Chinesen also dem westlichen Vorbild folgen und vor allem das auslagern, dessen Herstellung Mensch und Umwelt schadet, antwortet Monover gespielt empört: "Seit wann interessiert man sich in Deutschland für die Umwelt Bangladeschs? Soweit ich weiß, zählt bei eueren Wirtschaftsexperten alleine das Wachstum in Ländern wie Bangladesch."
Wirtschaftswachstum und Autokratie
Immerhin sorgen sich einige deutsche Wirtschaftsexperten auch über den autokratischen Stil der Regierung Bangladeschs. Weniger weil sie Angst um Bürgerrechtler, Gewerkschafter oder Umweltschützer haben, gegen die die Regierung immer brutaler vorgeht, sondern weil die Wirtschaftsexperten um das Wachstum in Bangladesch besorgt sind.
Doch Azad Abul Kalam, ein Experte zum Thema Landraub von der Organisation Actionaid Bangladesch, beschreibt, wie der diktatorische Führungsstil der Ministerpräsidentin Sheikh Hasina, das rasante Wirtschaftswachstum erst möglich macht:
Um Land und Boden für die geplanten Sonderwirtschaftszonen zu beschaffen, arbeitet die Regierung mit Tricks: Da sich der Grundstückspreis nach dem aktuellen Richtwert richtet, werden die Preise durch eine sogenannte "stay order" in den vorgesehen ländlichen Gegenden einfach für 5-10 Jahre eingefroren. Dazu wird vor Ort mit den bekannten lokalen Parteiführern zusammengearbeitet, die ihre Schlägerbanden einsetzten, um Druck auf die kleinen Landbesitzer auszuüben. Wenn solche Fälle mal ans Tageslicht kommen, tut die Regierung immer so, als sei sie völlig machtlos gegen die Einflussreichen vor Ort.
Azad Abul Kalam, Actionaid Bangladesch
Dabei zeigte der französische Journalist Olivier Cyran in einer Reportage auf, dass es im Geschäftsleben Bangladeschs nicht ohne einflussreiche Regierungsmitarbeiter geht. Das Land belegt nicht umsonst im Korruptionsindex (2018) Platz 149 von 180 Ländern, und so überrascht es nicht, dass Bangladesch das Land auf der Erde ist, mit der aktuell höchsten Wachstumsrate an Superreichen.
Doch eine Zahl zeigt, dass es in Bangladesch erst anfängt, interessant für die westliche Wirtschaft zu werden: Kommen im benachbarten Indien jeden Tag 73.632 Fahrzeuge neu auf die Straße, sind es in Bangladesch gerade mal 63.
Kein Wunder, dass Autokratin Sheikh Hasina bei ihrem Deutschlandbesuch im Februar besonders freundlich empfangen wurde. Siemens konnte sich schon mal eine Beteiligung am Bau eines 2,8 Milliarden teuren Kraftwerks sichern. Die deutsche Firma Verido entwickelt gerade für Bangladesch ein elektronisches Passsystem. Dass die Europäische Union ihre Drohung wahr macht und Bangladesch bei weiteren Menschenrechtsverstößen mit Strafzöllen belegt, braucht die Autokratin so kaum zu befürchten.
In Dhaka herrscht schon ohne deutsche Autos ein so großes Verkehrschaos, dass täglich tausende Fußgänger lieber auf den Eisenbahngleisen laufen - auch die vorbeifahrenden Züge sind "leicht" überfüllt. Um das Chaos einzudämmen, baut die Regierung gerade die erste U-Bahn des Landes. "Doch auch die wird nur kurzfristig Erleichterung bringen", sagt Wirtschaftsexperte Monover und fügt hinzu:
Alle wichtigen Regierungsinstitutionen sind in Dhaka. Alle großen Universitäten und ebenso alle wichtigen Krankenhäuser. In Bangladesch ist alles auf Dhaka zentralisiert und daran wird sich auch nichts ändern. Die einflussreichen Grundstücksbesitzer werden aus Profitgier verhindern, dass endlich dezentralisiert wird und das ganze Land nachhaltig entwickelt. So wird die U-Bahn, so lobenswert das Projekt auch ist, noch mehr Menschen nach Dhaka locken.
Monover Mostafa
Und die brauchen Wohnungen, und dafür braucht es Ziegel, und die werden in einem Kreis aus Ziegeleien um die Hauptstadt mit Kohle gebrannt. Sie sind dafür mitverantwortlich, dass Dhaka zu den Städten mit der schlimmsten Luftverschmutzung der Erde gehört. Was den Energiehunger des Landes betrifft, plant die Regierung bis 2030 die Kapazitäten zu verdoppeln - 50 Prozent der Energie soll dann aus Kohle gewonnen werden (momentan sind es nicht einmal 10 Prozent).
Dass das Wirtschaftswachstum in Bangladesch geholfen hat, den Hunger zu besiegen, ist unbestritten. "Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben uns vor 30 Jahren einen Weg gezeigt, wie wir den Hunger im Land bekämpfen können: Indem wir uns selber aufessen und unserer korrupten Elite wie den westlichen Konzernen die besten Stücke abgeben", kommentierte der Menschenrechtsaktivist Hasan Mehedi 2018 das seit 25 Jahren anhaltende Wirtschaftswachstum in Bangladesch.
"Denn der Preis für dieses 'Wachstum' ist die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch Billigindustrien für den Export", fügt er erklärend hinzu (siehe: Bangladesch: Der Mensch frisst sich selber auf). Auch ein Jahr später lautet das Fazit: Der Mensch frisst sich weiter selber auf.
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