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Barschels Geister

23 Jahre nach dem spektakulären Tod des Uwe Barschel beschäftigt nicht nur dessen Geist wieder die Medien - auch seine sterblicher Überreste und ein redseliger Ex-Spion sorgen für Aufmerksamkeit

Der weltweit renommierte Schweizer Toxikologe Prof. Hans Brandenberger, der 1987 mit den Untersuchungen der Körperflüssigkeiten Uwe Barschels befasst war, hat dieses Wochenende in der WELT [1] ausführlich über seine Ergebnisse und die unkooperative Zusammenarbeit mit den Kollegen berichtet. Der frühere Präsident der internationalen Vereinigung forensischer Toxikologen hat ebenso wenig wie der Schweizer Staatsanwalt und der später in Deutschland zuständige Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille Zweifel daran, dass der Politiker ermordet wurde.

Nachdem der rätselhafte Fall Barschel kürzlich aufgrund einer obskuren Geisterbeschwörung in den Boulevardmedien [2] wieder verstärktes Medieninteresse erfuhr, meldete sich der nunmehr 89jährige Hans Brandenberger zu Wort und geht unbeirrt mit seinen Kollegen ins Gericht, die Beweise vernichtet und erstaunlich schlampig gearbeitet hätten. Dabei verweist er auf die Schilderung des abtrünnigen Mossad-Agenten Victor Ostrovsky, die seinen Befunden nahe kämen. Doch ist der schillernde Ostrovsky wirklich eine zuverlässigere Quelle als Barschels beschworener Geist?

Der Wunsch, dass ein Selbstmord ein im Interesse aller stehendes Ergebnis sei, soll von deutscher Seite bereits früh an die Schweizer Ermittler herangeragen worden sein. Während staatstragende deutsche Medien die quasi offizielle These vom "Selbstmord" [3] eines sich selbst in die Sackgasse manövrierten Politikers ausriefen, sah Brandenberger stets starke Indizien für Mord - professionell verdeckten Mord, wie ihn eigentlich nur Geheimdienste beherrschen. Schon im Dezember 1987 hatte Brandenberger seine Einschätzung mitgeteilt, das todbringende Gift müsse zeitlich nach den Betäubungsmitteln zugeführt worden sein. Wie später bekannt wurde, kam der Giftexperte der Stasi zum gleichen Ergebnis.

Mit der Chemie in Barschels Körper ist das so eine Sache. Denn der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein pflegte mit Drogen und Aufputschmitteln einen ähnlich offensiven Umgang wie der ebenfalls unter mysteriösen Umständen getötete John F. Kennedy. Die Stoffe, mit denen sich Barschel gegen Flugangst oder Depressionen zu wehren pflegte, lauteten etwa "Tolvin" [4], "Demetrin" [5] und "Tavor" [6] - letzteres schien Barschels cholerischen Anfälle zu reduzieren, denen sein Umfeld wie etwa der Chauffeur ausgesetzt waren. Nach dem Flugzeugabsturz im Mai 1987 und der Pfeiffer-Affäre kam auch Valium hinzu, die tägliche Dosis Tavor verfünffachte sich auf 10,4 mg. Auch anderweitig war die Leber vorbelastet. Einige der Stoffe, die man in Barschels Körper fand, stammten jedoch definitiv nicht aus der Reiseapotheke.

Brandenbergers toxikologischer Einschätzung folgten ein langjähriger Expertenstreit und nur widerwillig auf Druck der Barschel-Familie in der Schweiz durchgeführte Neuuntersuchungen. Als Brandenberger 1992 zur Vereidigung vorgeladen wurde, trug man ihm die Auflage an, er dürfe die Genfer Professoren und Gerichtsmedizinier nicht kritisieren. Der auf seine Unabhängigkeit bedachte Wissenschaftler lehnte ab, bis man ihm 1993 ohne Beschränkung vereidigte. Seine Kollegen verständigten sich heimlich darauf, man habe vorgeblich "nichts mehr zum untersuchen". Diese Lüge vereinbarten sie in seiner Gegenwart in französischer Sprache, da sie davon ausgingen, Brandenberger spreche keine Französisch. Er beherrschte die Sprache jedoch perfekt ... Es fanden sich dann schließlich doch Reste, wobei etliches einfach weggeworfen worden war - für die Branche untypisch. Einiges vom "Weggeworfenen" tauchte später dann doch wieder auf.

Den Ergebnissen des Wissenschaftlers, der absichtlich die Medienberichterstattung möglichst ausließ, um unbeeinflusst seiner Arbeit nachzugehen, wurde von Hamburger Wissenschaftlern widersprochen, welche die Selbstmordthese stützten - sowie die noch erstaunlichere Verschwörungstheorie einer "Sterbehilfe". Ein runder Tisch, der 1997 eine Annäherung der Positionen bringen sollte, endete im Eklat.

Auch kriminologisch passte es einfach nicht zu dem eitlen, auf militaristische Grußformeln der Personenschützer wert legenden Barschel, dass dieser für einen starken Abgang statt einer standesgemäßen Kugel an einem würdigen Ort eine so bizarre Szene wie das bekleidete Dahinsiechen in einer Hotelbadewanne gewählt hätte. Das heute ikonenhafte Bild des gescheiterten Mannes in der Wanne, das seinerzeit den "stern"-Titel zierte, wäre kaum das gewesen, mit dem der stolze Kämpfer hätte in Erinnerung bleiben wollen.

Brandenbergers am Wochenende in den Medien platzierte Einschätzung ist alles andere als neu, kann vielmehr detailliert etwa im exzellent recherchierten Buch "Der Fall Barschel. Ein tödliches Doppelspiel" (2007) [7] von Michael Mueller, Rudolf Lamprecht und Leo Müller nachgelesen werden. Und vieles andere mehr, was eigentlich hätte unter der Wasseroberfläche bleiben sollen.

Das Boot

Der rechtskonservative Barschel war seit je her in U-Boote vernarrt gewesen, pries Admiral Dönitz, den er schon als Schüler auf Veranstaltungen hofierte, und verwandte sich für die Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW). Die im Eigentum von Bund und Ländern stehende Rüstungsschmiede war in eine wirtschaftliche Schieflage geraten und benötigte zur Sicherung von Arbeitsplätzen dringend Aufträge. Die militärische Bedeutung nicht atomar bestückter U-Boote war durch den Fortschritt der Militärtechnik immer geringer geworden, sie taugten in erster Linie für geheime Kommando-Operationen oder schlicht und ergreifend zum Prestige von Staatsmächtigen.

Unter den Interessenten für die Kieler U-Boote befand sich vor allem das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, in das offiziell keine Kriegswaffen exportiert werden durften. In Einklang mit dem für seine Südafrika-Kontakte bekannten Ministerpräsidentenkollegen Franz Joseph Strauß versuchte Barschel in Bonn erfolglos, für das Rüstungsgeschäft eine Genehmigung zu erhalten. Schließlich fasste man den Plan, die verbotenen U-Boote "unter der Wasseroberfläche" zu liefern: Die HDW sollte unauffällig die begehrten U-Boote vor Ort in einer getarnten Fabrik in Südafrika bauen - ein klarer Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- bzw. Außenwirtschaftsgesetz. Zu diesem Zweck wurde den Südafrikanern unter strenger Geheimhaltung in mehreren Teilen ein Modell im Maßstab 1:5 übergeben. Antriebsaggregate lieferte man als "Pumpen" getarnt und ließ diese mit Mondpreisen bezahlen, womit in Wirklichkeit die verdeckten Geschäfte vergütet werden sollten. Der Export ganzer U-Boote hätte sich nicht verbergen lassen, der benötigte Spezialstahl ließ sich hingegen unbeanstandet liefern. Abgedeckt wurde das Ganze vom BND. Wie Kanzler Helmut Kohl zu diesen Geschäften stand, ist schwer zu beurteilen - im entsprechenden Untersuchungsausschuss plagten den Kanzler "Gedächtnislücken". Auch Kohls rechte Hand, der spätere Rüstungslobbyist Horst Teltschik, erwies sich zur Aufklärung des Skandals nur eingeschränkt als Hilfe. Jahre später kam 1988 die Oberfinanzdirektion Kiel zu dem Schluss, dass aus den tatsächlich erfolgten Lieferungen keine U-Boot hätten gebaut werden können, und sprach etliche Beteiligte frei. Auch der Iran stand auf der Kundenliste der HDW [8] - sowie das mit dem Iran eigentlich verfeindete Israel.

Die anrüchigen Waffengeschäfte waren nur eine Facette des Doppellebens, das Barschel führte. So unternahm er häufig konspirative Reisen, etwa in die Schweiz oder - für einen rechtskonservativen Politiker erstaunlich - in die DDR, wo er unter Abdeckung der Staatssicherheit geheime Geschäfte [9] mit der Kommerziellen Koordiniereung (KoKo), betrieb, die der Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowsky kontrollierte. Die Dreiecksgeschäfte und Schiebereien, um für beide Seiten aus unterschiedlichen Gründen anrüchige Geschäfte in die geeignete Form zu bringen, waren so dreist wie erfolgreich. Etwa Chrom-Erz aus Südafrika, das mit einem Embargo belegt war, wurde als solches aus der DDR importiert - obwohl jedem Fachmann hätte auffallen müssen, dass es in der DDR keine Chrom-Erz-Vorkommen gab. Umgekehrt konnte die DDR schlecht vom Aphartheidsregime ein Kreuzfahrtschiff kaufen, sodass dieses erst westdeutsch und dort saniert werden musste, bevor Ostdeutschland offiziell zugriff und die "KAP ARKONA" in Dienst stellte [10]. Die westdeutschen Geheimdienste, denen die deutsch-deutsche Kooperation kaum entgangen sein kann, zeigten an einer Aufarbeitung dieses erstaunliche Kapitel bislang kein Interesse, vielmehr streute der BND in den 90ern (durchschaubare) Desinformation diesbezüglich. Der ostdeutsche Geheimdienst jedenfalls war über die schmutzigen Waffen-Deals der westdeutschen Spitzenpolitiker gut informiert, nicht nur aus eigener Beteiligung, sondern durch ihre Abhörspezialisten, die im Westen professionelle Arbeit leisteten.

Auch das Privatleben gestaltete der fromme Katholik Barschel nicht so monogam, wie es sich seine heute geisterbeschwörende Witwe wohl wünschen möchte. Bei den diskreten Besuchen im berüchtigten Stasi-Hotel "Neptun" [11] in Warnemünde versorgten ihn seine Gastgeber ausgiebig mit jungen Damen, denen er sich ohne westdeutsche Zeugen beweisen konnte. Für die Stasi konnte Barschel als "Doppelagent" gar nicht wertvoll genug erscheinen, wurde der Karrierepolitiker für nichts weniger als Kohls möglichen Nachfolger im Bundeskanzleramt gehandelt.

Während Barschel seine DDR-Geheimnisse mit ins Grab nehmen konnte, wurde bereits 1986 das fragwürdige U-Boot-Geschäft ruchbar, was 1987 die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach sich zog. Noch war Barschels Involvierung nicht bekannt, seine Vernehmung wurde tunlichst vermieden.

Medien-Operation

Barschel war nicht der einzige in der Kieler Staatskanzlei, der Doppelspiele betrieb. Vor allem betrog ihn sein neuer Pressereferent, ein vorbestrafter Alkoholkenner, der in den Diensten des Axel Springer-Verlags stand, dort aber nicht mehr benötigt wurde: Reiner Pfeiffer, der sich mit einem gefälschten Abiturzeugnis einführte.

Pfeiffer beauftragte angeblich im Namen Barschels einen Detektiv, der Engholms Sexualleben ausspionieren sollte, unter anderem hinsichtlich Homosexualität. Die Schmutzkampagne verfing nicht. Schließlich "packte" Pfeiffer gegenüber dem SPIEGEL über Barschels angebliche Tricks aus und tischte die Räuberpistole auf, Barschel habe ihn mit dem Beschaffen einer Abhörwanze beauftragt, die bei Barschel "gefunden" werden solle, um hiermit Engholm in Misskredit zu bringen. Der SPIEGEL ließ sich bereitwillig füttern und brachte die falsche Geschichte [12], welche Barschel politisch das Genick brach. Gegen die Meinungsmacht des SPIEGELS nutzten dem Juristen auch "Ehrenerklärungen" [13] nichts mehr. Trotz gerade gewonnener Wahl musste der in den Augen der Öffentlichkeit erledigte Politiker zurücktreten.

Tod in Genf

Fest steht, dass Barschel mit professionellen Anschlägen auf sein Leben rechnete - warum auch immer. So hatte er etwa den Flugzeugabsturz vom Mai 1987 als Anschlag auf sein Leben gedeutet. Tatsächlich blieben die Umstände der tragischen Nacht mysteriös, als Barschels Flugzeug einen Mast streifte, nachdem der erfahrene Pilot den Tower energisch gebeten hatte, die ihn blendenden Lichter zu dimmen [14]. In den Wochen vor seinem Tod hatte Barschel auch einen Anruf erhalten, der ihm Angst machte.

Mit mysteriösen Morden an Leuten in seiner Branche war Barschel durchaus vertraut: Etwa der Unternehmer und hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry, der in diverse Schmiergeldgeschichten und Spendensammeleien verwickelt war, wurde 1981 zu Beginn der Flick-Affäre durch das offene Schlafzimmerfenster erschossen [15]. Zur Aufklärung des Mordes an Karry, seinerzeit FDP-Schatzmeister, präsentierten die Behörden kaum mehr als ein angebliches Bekennerschreiben der "Revoluzionären Zellen", sowie Jahrzehnte später die Tatwaffe, die im Auto ausgerechnet eines späteren Bundesaußenministers kutschiert [16] worden war. Wie Barschel, hatte auch Karry schmutzige Geschäfte für die Waffenindustrie getätigt.

Der gescheiterte Politiker tauchte vor der Öffentlichkeit ab und flüchtete heimlich nach Gran Canaria, wo er über ein neues Leben fernab der Politik in Kanada nachdachte. Obwohl seine Geheimnummer auf Gran Canaria nur einer Hand voll Menschen bekannt war, meldete sich dort der ominöse Informant "Robert Roloff". Der bis heute nicht identifizierte Anrufer bot Informationen über das Komplott an, in das Barschel geraten sei. Am 10. Oktober traf Barschel in Genf ein, wo er den geheimnisvollen Informanten treffen wollte. Reporter, die den bekannten Politiker am Flughafen zufällig (oder aber aufgrund von Informationen) erkannten, bemühten sich vergeblich um ein Interview. Am andern Tag waren es Leute vom "stern", die sich eigenmächtig Zutritt zu Barschels Zimmer verschafften, wo sie seine Leiche bekleidet in der Badewanne fanden.

Die deutsche Journaille einigte sich erstaunlich schnell auf die praktische Version "Selbstmord" eines gescheiterten Mannes, wobei sich allerdings nie zuvor - und wohl auch niemals danach - ein Suizident bekleidet in eine Badewanne gelegt hatte. Wer auf die seltsamen Spuren am Tatort sowie auf die Obduktionsergebnisse hinwies und damit die Autorität der führenden Deuter der Presse infrage stellte, wurde zum "Verschwörungstheoretiker" ausgerufen - damals, wie heute [17]. Die deutschen Behörden hielten sich zunächst bemerkenswert zurück. Der später zuständige Staatsanwalt Heinrich Wille, der ein Buch "Der Mord an Uwe Barschel" veröffentlichen wollte, hat bis heute Schreibverbot.

Der talentierte Herr Ostrovsky

1994 trat der israelische Whistleblower Victor Ostrovsky auf den Plan, und behauptete, der Mossad habe Barschel umgebracht [18], weil dieser sich als Ministerpräsident geweigert habe, das geheimdienstliche Verschieben von Waffen zu dulden. Israel hätte zur Schwächung des Irak Waffen an den Iran liefern wollen, wobei die Herkunft über den europäischen Umweg verschleiert werden sollte.

Die Glaubwürdigkeit des schillernden Ex-Agenten Ostrovsky und die Glaubhaftigkeit seiner Barschel-Informationen sind jedoch nicht über Zweifel erhaben. Ostrovsky hatte nach seinem erfolgreichen Dienst in der israelischen Armee eine Karriere als Kleinkrimineller eingeschlagen, wurde jedoch aufgrund seiner Talente vom Auslandsgeheimdienst Mossad angeworben und zum Führungsoffizier ausgebildet. Nachdem Ostrovsky beim Mossad schließlich in Ungnade gefallen war, setzte er sich in die USA und Kanada ab und machte sein Insiderwissen über den geheimnisvollen Ex-Arbeitgeber auf vielfältige Weise zu Geld. So schlug Ostrovsky bei allerhand Botschaften auf und verriet die innere Struktur und Arbeitsweise des beeindruckend effizienten Mossad, der offenbar bis dahin keine Überläufer oder vergleichbare Wissensabflüsse erlitten hatte. Schließlich verwertete er 1990 sein Wissen im Enthüllungsbuch "By Way of Deception" (deutsche Ausgabe: "Der Mossad"), das nicht zuletzt aufgrund der israelischen Bemühungen, das Erscheinen zu verhindern, zu einem weltweiten Bestseller wurde. Wie etliche Whistleblower stellte sich Ostrovsky als den einzig aufrechten Patrioten dar, der an korrupten und unfähigen Vorgesetzten etc. gescheitert sei. Neben seiner eigenen Biographie schilderte Ostrovsky auch etliche Geheimoperationen, die in der Öffentlichkeit teilweise zu einer Neubewertung einiger zeitgeschichtlicher Ereignisse führten.

Aufgrund des exorbitanten Verkaufserfolgs seines Sachbuchs versuchte sich Ostrovsky mit einem Agentenroman, der von Tatsachen inspiriert sein soll. Jedoch war der Fiktion weitaus weniger Aufmerksamkeit beschieden. So veröffentlichte der geschäftstüchtige Ostrovsky 1994 nun eine "Fortsetzung" seiner Agentenautobiographie, obwohl diese ja eigentlich schon hinreichend erzählt war. In "The Other Side of Deception" (deutsche Ausgabe: "Geheimakte Mossad") stellte er sich als Doppel- und Dreifachagent dar, der in Wirklichkeit planmäßig ausgeschieden sei, um im Auftrag von Intriganten Führungspersonen des Mossad in Misskredit zu bringen usw.. Auch seine zweite, sehr dick aufgetragene Autobiographie reicherte Ostrovsky mit allerhand "Insiderstorys" an, wobei er den deutschen Markt mit Schilderungen über den Barschelmord bediente. Quelle sei ein früherer Mossad-Kollege "Ephraim" gewesen, der ihm sein Herz ausgeschüttet habe.

Nach Darstellung Ostrovskys sei Barschel als Ministerpräsident bei vom Mossad eingestielten Waffendeals nicht kooperativ gewesen. Schleswig-Holstein war neben den Waffenschiebereien auch deshalb Operationsgebiet des Mossad, weil Israel dort heimlich iranische Piloten ausgebildet habe. Angeblich habe der Mossad geschickt den Auslandsgeheimdienst BND gegen den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz sowie gegen die übergeordneten Politiker und diese gegeneinander ausgespielt. Auf Arbeitsebene hätten BND-Leute Kontakte mit dem Mossad unterhalten, welche gegenüber den vorgesetzten Politikern verheimlicht worden seien, was den Israelis gewisse Manipulationen ermöglicht habe.

Drahtzieher der Pfeiffer-Affäre sei Ostrovsky zufolge der Mossad gewesen, der dem unbequemen Ministerpräsidenten die bevorstehende Wahl habe sabotieren wollen, in dem er Barschel eine inszenierte Schmutzkampagne gegen seinen politischen Gegner Engholm in die Schuhe geschoben habe. Der schillernde Pfeiffer sei als nützlicher Idiot unter falscher Flagge angeworben worden, um die Drecksarbeit zu erledigen. Durch die politische Beschädigung Barschels habe auch Kohl eingeschüchtert werden sollen, der zum Ärger Israels für den ins Zwielicht geratenen Kurt Waldheim Partei genommen hatte.

Ostrovsky zufolge hätte der politisch an der Wand stehende Barschel, der in Bonn alle "Freunde" verloren hatte, mit Enthüllungen u.a. über den Mossad-Partnerdienst BND gedroht, etwa im entsprechenden Untersuchungsausschuss. Dies sei sein Todesurteil gewesen. Ein Mossad-Offizier habe daraufhin Barschel mit Informationen über Pfeiffer geködert und in einem Genfer Hotelzimmer mit präpariertem Wein betäubt. Ein Team von Spezialisten [19] habe dem ohnmächtigen Barschel Wirkstoffe sowohl mit einen Schlauch durch den Hals in den Magen als auch rektal eingeführt und durch Kälte- und Wärmeschocks in der Badewanne einen Tod herbeigeführt, der nach einer Herzattacke habe aussehen sollen. Hierzu habe man das Opfer ent- und wieder ankleiden müssen. Aufgrund von Regiefehlern habe die präparierte Weinflasche nicht gegen eine der gleichen Marke ausgetauscht werden können, so dass man sie plump mitgenommen habe.

Bevor Ostrovsky "Ephraims" Barschel-Story in seinem Buch veröffentlichte, hatte er sie deutschen Medien angeboten, etwa dem "Focus" [20]. Der "stern" jedoch konfrontierte Ostrovsky mit einigen Details, die im Widerspruch zu seiner Version standen. Der Ex-Spion bewies Chuzpé und verwendete die ihm neuen Information in seinem schließlich erscheinenden Buch als scheinbar eigene.

Dieser opportunistische Umgang mit "Insiderinformationen" stellt die Glaubwürdigkeit des geschassten Schlapphuts stark infrage. Da Prof. Brandenberger seine Mordthese im Wesentlichen bereits einen Monat nach dem Todesfall geäußert hatte, wäre es geradezu verwunderlich, wenn sich der gewiefte Ostrovsky sieben Jahre später auch insoweit nicht bei Brandenberger bedient hätte. Wenn nun wiederum Brandenberger auf Ostrovsky hinweist, so ergibt sich ein selbstreferentielles Informationskartell.

Auch, wenn Ostrovsky seiner Glaubwürdigkeit hierdurch geschadet hat, so folgt hieraus nicht notwendig, dass alle seine Geschichten aus 1000 und einer Nacht stammen. Im selben Buch schildert Ostrovsky das Schicksal des Medienmagnaten Robert Maxwell, der 1991 auf seiner Yacht tot aufgefunden wurde. Die Version, dass aus dem Meer aufgetauchte Froschmänner des Mossad dem inzwischen gefährlich gewordenen Maxwell ein Ende bereiteten, in dem sie ihm Luft in die Adern spritzten, wird von gut informierten Fachleuten wie etwa Gordon Thomas geteilt.

Ostrovsky, der immer Künstler werden wollte, hält sich heute mit allerhand Spionage-Kitsch [21] über Wasser.

Schillernde Leichen

Ein weiterer Mann folgte Barschel ins Reich der Geister: Die Barschels hatten den Privatermittler Jean-Jacques Griessen angeheuert, einen für sein diskretes Metier erstaunlich redseligen Zeitgenossen. Der Schnüffler soll seinerzeit im Auftrag des häufig für deutsche Behörden arbeitenden Privatdetektivs Werner Mauss in Genfer Hotels Abhörgeräte installiert [22] haben. Griessen sah angeblich die Iraner hinter dem Mord und behauptete Ende 1992, kurz vor der Aufklärung zu stehen. Auch ein deutscher Waffenhändler hatte ein gemeinsames Treffen mit Barschel und Ajatollah Chomeinis Sohn in Genf behauptet, bei dem Barschel den Iran mit seinem Wissen über die heiklen Geschäfte zu erpressen versucht habe. Griessen starb jedoch vor Auftragserfüllung an Herzversagen - in den Armen einer Prostituierten. Das mag man glauben oder nicht.

Ebenfalls unter mysteriösen Umständen schied 1994 der südafrikanische Schattenmann Dirk Stoffberg aus dem Leben. Dem Anschein nach hatte er zunächst seine deutsche Lebensgefährtin und dann sich selbst erschossen. Der zwielichtige Stoffberg war ein Agent des südafrikanischen Geheimdienstes gewesen, der sowohl für das Streuen von Desinformation, wie auch "fürs Grobe" zuständig war. Stoffberg war für seine Leidenschaft für Whiskey bekannt, dem Weintrinker Barschel wiederum nichts abgewinnen konnte, weshalb es erstaunlich war, dass im Genfer Hotelzimmer ein Whiskeyfläschchen gefunden wurde. Das Fläschchen dürfte aber kaum zum Eigengenuss gedacht gewesen sein, denn in ihm fand Prof. Brandenberger das Sedativ Diphenhydramin [23].

Agent Stoffberg, dessen Apartheidsregime 1994 weggebrochen war, brüstete sich auf seinem für seine angespannten finanziellen Verhältnisse erstaunlich luxuriösen Anwesen Journalisten gegenüber offen mit Morden etwa an der ANC-Frau Ruth First [24] - und dem an Uwe Barschel. Tatsächlich hatte Stoffberg in der fraglichen Zeit in Genf residiert, dem bevorzugten Ort für Waffengeschäfte. Stoffberg zufolge wäre der eigentlich Mord durch Killer der CIA durchgeführt worden, während der südafrikanische Dienst lediglich Beobachterstatus gehabt hätte.

Das Apartheidsregime hatte ein nachvollziehbares Mordmotiv, denn für das große U-Boot-Geschäft mit HDW hatten die Südafrikaner üppige Anzahlung und Schmiergelder geleistet. Nun, nach dem Scheitern, sah sich in Deutschland niemand zur Rückzahlung verpflichtet. Die Enthüllungsjournalisten Mueller, Lambrecht und Müller warten in ihrem Buch "Der Fall Barschel" mit einem Mr. X auf, einem Kenner des südafrikanischen Waffenbusiness. Mr. X zufolge hatte Barschel Handschlagverträge mit dem Apartheidsregime gemacht - Verträge, die nirgends eingeklagt, aber der Geschäftssitte der Waffenbranche entsprechend bei Vertragsbruch letal sanktioniert würden. Barschel hatte für die U-Boote demnach allerhand Schmiergelder erhalten, die er für den Wahlkampf verwandt habe, daher nicht mehr zurückzahlen konnte.

Neben simpler Rache hätten die Südafrikaner jedoch auch existenzielle Motive gehabt. Dass der von seinen Parteifreunden bitter enttäuschte Barschel zwei Wochen vor seinem Tod Rechnungen offen hatte und damit drohte, dass diese Leute, die ihn fallen ließen, "kennen lernen" würden, bestätigen die Telefonabhörer der Stasi. Die Abhörerfolge der Stasi im Westen dürften auch anderen Diensten gelungen sein. Eine Enthüllung Barschels wäre für viele Parteien unakzeptabel gewesen: Für die Südafrikaner, denen ihre wichtigen Handelswege weggebrochen wären; für die Regierung Kohl, die öffentlich als korrupt und intern ihren geheimen Partnern nicht als zuverlässig dagestanden hätte; für Israel, dessen Kooperation mit dem rassistischen Südafrika und dem offiziell verfeindeten Iran geheim bleiben musste.

Zu Beginn der 90er Jahre hatte es etliche Geheimdienstmorde aus weitaus geringeren Gründen im Milieu südafrikanischer Waffenhändler gegeben - zu dem letztlich auch Barschel zählte. Für eine Beteiligung des Geheimdienstes von Südafrika spricht auch die Tatsache, dass dort seit Jahren ein Forschungsprogramm für klandestines Vergiften [25] lief, geleitet von Peter Bothas Leibarzt Wouter Basson, bekannt als "Dr. Death". Wie erst Ende der 90er Jahre bekannt wurde, hatte der Dienst mit Kontaktgiften experimentiert, auch hatte man einen zur Belastung gewordenen Agenten diskret mit einer vergifteten Limonadenflasche zur Eigenbeseitigung manipuliert - eine Parallele zur Weinflasche in Barschels Zimmer, die samt möglicher Spuren auf geheimnisvolle Weise verschwunden war.

In Prof. Brandenbergers aktuellem Beitrag, der sich im Wesentlichen auf die Analyse von Barschels Überresten beschränkt, geht dieser leider nicht auf die auf dem Badvorleger aufgefundenen Spuren der Substanz Dimethylsulfoxid [26] ein, die dazu verwendet wird, um die Haut durchlässig für Wirkstoffe zu machen. Dies wäre ein Hinweis auf versuchte Zuführung eines Kontaktgiftes über die Haut. Das Baden einer Leiche in heißem Wasser wäre zudem eine sinnvolle Maßnahme, um den Abbau verräterischer Giftspuren zu beschleunigen.

Für eine Beteiligung der Südafrikaner sprechen insbesondere die verräterischen Bemühungen des BND, von dieser pikanten Spur abzulenken. So wurden im BND-Umfeld Indizien lanciert, die nach Angola deuteten, sich jedoch alsbald als Desinformation herausstellten. Die Tatsache, dass der wohl einflussreichste BND-Mann Volker Foertsch sich persönlich um die Ermittlungen der Justiz kümmerte und dann entsprechende Fehlspuren auftauchten, erlaubt gewisse Rückschlüsse, wie wichtig diese Ablenkung für das politische Establishment gewesen sein muss.

Das Geld

Eine Ironie am Fall Barschel ist, dass der karrrierebewusste Landespolitiker seinerzeit ausgerechnet Bundesfinanzminister werden sollte. Kohl, der mit Barschel nie so recht warm wurde, hatte jedoch Stoltenberg vorgezogen, der sein Ministerpräsidentenamt an Barschel abtrat. Während ein Finanzminister darüber zu wachen hat, dass die Steuern brav gezahlt werden, hatten die Finanzexperten der CDU hingegen ein klandestines System zur verdeckten wie "steuerneutralen" Parteienfinanzierung aufgebaut, in welchem diskrete Finanzplätze in den Alpen eine Rolle spielten. Dieselben Personen, die in der "Flick-Affäre" aufgefallen waren, gaben auch die Hauptdarsteller in der nach gleichem Muster ablaufenden "CDU-Parteispenden-Affäre" [27]. Und auch die U-Boot-Affäre erscheint wie ein Stück des gleichen Parteispendenpuzzles. Zweimal hatte Helmut Kohl auffällig geschwiegen: Vor dem U-Boot-Ausschuss hatte er mit "Gedächtnisproblemen" zu kämpfen; als er die edlen Spender der Schwarzen Kassen nennen sollte, stellte Kohl sein privates Ehrenwort über das Gesetz. Nur Barschel schweigt noch beharrlicher. Die sich aufdrängende Frage, ob es die ominösen Spender wirklich gegeben hat, oder ob das steuerfreie Parteivermögen nicht viel eher aus dem geplatzten U-Boot-Deal mit dem Apartheidsstaat und ähnlich schmutzigen Geschäften stammt, muss mangels Beweisen den Historikern überlassen werden.

An der Mentalität hat sich bei den Schatzmeistern nichts geändert [28]. Unser amtierender Finanzminister ist derzeit Kohls einstiger Kronprinz, der in der CDU-Parteienfinanzierung eine dubiose Rolle gespielt hatte. Den Parteivorsitz und die nachfolgende Kanzlerschaft, von der Barschel einst geträumt hatte, überließ man weitsichtig einer Frau, die aufgrund ihrer Biographie nicht unmittelbar mit der Parteienfinanzierung der 80er Jahre in Verbindung gebracht werden kann. Doch die Geister dieser Zeit erscheinen bisweilen auch der Kanzlerin [29].


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article11107132/Das-Gutachten-im-Fall-Barschel.html
[2] http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/25/freya-barschel-geisterbeschwoerung-im-tv-ich-erhalte/zeichen-von-meinem-toten-mann-uwe.html
[3] http://www.youtube.com/watch?v=IqF2zDdSWrw&feature=related
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Mianserin
[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Benzodiazepine
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Lorazepam
[7] http://www.deutschesfachbuch.de/info/detail.php?PHPSESSID=8db01f3ca22aa5a8496a3c5817e03f53&isbn=3549073259
[8] http://www.youtube.com/watch?v=lxK64h0Yefw&feature=related
[9] http://www.youtube.com/watch?v=H2lYIahlKBY&feature=related
[10] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488970.html
[11] http://www.youtube.com/watch?v=AlT9X380hVc
[12] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13524175.html
[13] http://www.youtube.com/watch?v=PCn-C6AkLm0
[14] http://www.youtube.com/watch?v=1slmVQuZHuo&feature=related
[15] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14018700.html
[16] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-18479591.html
[17] http://www.sueddeutsche.de/politik/uwe-barschel-und-der-mossad-drei-alte-maenner-auf-moerdersuche-1.1026539
[18] http://www.youtube.com/watch?v=B1QFaHQwMOI&feature=related
[19] http://www.youtube.com/watch?v=k178tEy95_U&NR=1
[20] http://www.focus.de/politik/deutschland/barschel-gutachter-krieg-um-eine-polit-leiche_aid_149143.html
[21] http://www.ostrovskyfineart.com/Home.aspx
[22] http://www.welt.de/politik/deutschland/article11104929/Uwe-Barschel-der-Tote-in-Zimmer-317.html
[23] http://de.wikipedia.org/wiki/Diphenhydramin
[24] http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/ruth-first/
[25] http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/1923000.stm
[26] http://de.wikipedia.org/wiki/DMSO
[27] http://www.youtube.com/watch?v=a_fZUl_t8M0
[28] http://www.youtube.com/watch?v=88IqadP-ntg
[29] http://www.youtube.com/watch?v=XaWE8K2nRVs