Barschels Geister
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- Der talentierte Herr Ostrovsky
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23 Jahre nach dem spektakulären Tod des Uwe Barschel beschäftigt nicht nur dessen Geist wieder die Medien - auch seine sterblicher Überreste und ein redseliger Ex-Spion sorgen für Aufmerksamkeit
Der weltweit renommierte Schweizer Toxikologe Prof. Hans Brandenberger, der 1987 mit den Untersuchungen der Körperflüssigkeiten Uwe Barschels befasst war, hat dieses Wochenende in der WELT ausführlich über seine Ergebnisse und die unkooperative Zusammenarbeit mit den Kollegen berichtet. Der frühere Präsident der internationalen Vereinigung forensischer Toxikologen hat ebenso wenig wie der Schweizer Staatsanwalt und der später in Deutschland zuständige Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille Zweifel daran, dass der Politiker ermordet wurde.
Nachdem der rätselhafte Fall Barschel kürzlich aufgrund einer obskuren Geisterbeschwörung in den Boulevardmedien wieder verstärktes Medieninteresse erfuhr, meldete sich der nunmehr 89jährige Hans Brandenberger zu Wort und geht unbeirrt mit seinen Kollegen ins Gericht, die Beweise vernichtet und erstaunlich schlampig gearbeitet hätten. Dabei verweist er auf die Schilderung des abtrünnigen Mossad-Agenten Victor Ostrovsky, die seinen Befunden nahe kämen. Doch ist der schillernde Ostrovsky wirklich eine zuverlässigere Quelle als Barschels beschworener Geist?
Der Wunsch, dass ein Selbstmord ein im Interesse aller stehendes Ergebnis sei, soll von deutscher Seite bereits früh an die Schweizer Ermittler herangeragen worden sein. Während staatstragende deutsche Medien die quasi offizielle These vom "Selbstmord" eines sich selbst in die Sackgasse manövrierten Politikers ausriefen, sah Brandenberger stets starke Indizien für Mord - professionell verdeckten Mord, wie ihn eigentlich nur Geheimdienste beherrschen. Schon im Dezember 1987 hatte Brandenberger seine Einschätzung mitgeteilt, das todbringende Gift müsse zeitlich nach den Betäubungsmitteln zugeführt worden sein. Wie später bekannt wurde, kam der Giftexperte der Stasi zum gleichen Ergebnis.
Mit der Chemie in Barschels Körper ist das so eine Sache. Denn der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein pflegte mit Drogen und Aufputschmitteln einen ähnlich offensiven Umgang wie der ebenfalls unter mysteriösen Umständen getötete John F. Kennedy. Die Stoffe, mit denen sich Barschel gegen Flugangst oder Depressionen zu wehren pflegte, lauteten etwa "Tolvin", "Demetrin" und "Tavor" - letzteres schien Barschels cholerischen Anfälle zu reduzieren, denen sein Umfeld wie etwa der Chauffeur ausgesetzt waren. Nach dem Flugzeugabsturz im Mai 1987 und der Pfeiffer-Affäre kam auch Valium hinzu, die tägliche Dosis Tavor verfünffachte sich auf 10,4 mg. Auch anderweitig war die Leber vorbelastet. Einige der Stoffe, die man in Barschels Körper fand, stammten jedoch definitiv nicht aus der Reiseapotheke.
Brandenbergers toxikologischer Einschätzung folgten ein langjähriger Expertenstreit und nur widerwillig auf Druck der Barschel-Familie in der Schweiz durchgeführte Neuuntersuchungen. Als Brandenberger 1992 zur Vereidigung vorgeladen wurde, trug man ihm die Auflage an, er dürfe die Genfer Professoren und Gerichtsmedizinier nicht kritisieren. Der auf seine Unabhängigkeit bedachte Wissenschaftler lehnte ab, bis man ihm 1993 ohne Beschränkung vereidigte. Seine Kollegen verständigten sich heimlich darauf, man habe vorgeblich "nichts mehr zum untersuchen". Diese Lüge vereinbarten sie in seiner Gegenwart in französischer Sprache, da sie davon ausgingen, Brandenberger spreche keine Französisch. Er beherrschte die Sprache jedoch perfekt ... Es fanden sich dann schließlich doch Reste, wobei etliches einfach weggeworfen worden war - für die Branche untypisch. Einiges vom "Weggeworfenen" tauchte später dann doch wieder auf.
Den Ergebnissen des Wissenschaftlers, der absichtlich die Medienberichterstattung möglichst ausließ, um unbeeinflusst seiner Arbeit nachzugehen, wurde von Hamburger Wissenschaftlern widersprochen, welche die Selbstmordthese stützten - sowie die noch erstaunlichere Verschwörungstheorie einer "Sterbehilfe". Ein runder Tisch, der 1997 eine Annäherung der Positionen bringen sollte, endete im Eklat.
Auch kriminologisch passte es einfach nicht zu dem eitlen, auf militaristische Grußformeln der Personenschützer wert legenden Barschel, dass dieser für einen starken Abgang statt einer standesgemäßen Kugel an einem würdigen Ort eine so bizarre Szene wie das bekleidete Dahinsiechen in einer Hotelbadewanne gewählt hätte. Das heute ikonenhafte Bild des gescheiterten Mannes in der Wanne, das seinerzeit den "stern"-Titel zierte, wäre kaum das gewesen, mit dem der stolze Kämpfer hätte in Erinnerung bleiben wollen.
Brandenbergers am Wochenende in den Medien platzierte Einschätzung ist alles andere als neu, kann vielmehr detailliert etwa im exzellent recherchierten Buch "Der Fall Barschel. Ein tödliches Doppelspiel" (2007) von Michael Mueller, Rudolf Lamprecht und Leo Müller nachgelesen werden. Und vieles andere mehr, was eigentlich hätte unter der Wasseroberfläche bleiben sollen.
Das Boot
Der rechtskonservative Barschel war seit je her in U-Boote vernarrt gewesen, pries Admiral Dönitz, den er schon als Schüler auf Veranstaltungen hofierte, und verwandte sich für die Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW). Die im Eigentum von Bund und Ländern stehende Rüstungsschmiede war in eine wirtschaftliche Schieflage geraten und benötigte zur Sicherung von Arbeitsplätzen dringend Aufträge. Die militärische Bedeutung nicht atomar bestückter U-Boote war durch den Fortschritt der Militärtechnik immer geringer geworden, sie taugten in erster Linie für geheime Kommando-Operationen oder schlicht und ergreifend zum Prestige von Staatsmächtigen.
Unter den Interessenten für die Kieler U-Boote befand sich vor allem das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, in das offiziell keine Kriegswaffen exportiert werden durften. In Einklang mit dem für seine Südafrika-Kontakte bekannten Ministerpräsidentenkollegen Franz Joseph Strauß versuchte Barschel in Bonn erfolglos, für das Rüstungsgeschäft eine Genehmigung zu erhalten. Schließlich fasste man den Plan, die verbotenen U-Boote "unter der Wasseroberfläche" zu liefern: Die HDW sollte unauffällig die begehrten U-Boote vor Ort in einer getarnten Fabrik in Südafrika bauen - ein klarer Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- bzw. Außenwirtschaftsgesetz. Zu diesem Zweck wurde den Südafrikanern unter strenger Geheimhaltung in mehreren Teilen ein Modell im Maßstab 1:5 übergeben. Antriebsaggregate lieferte man als "Pumpen" getarnt und ließ diese mit Mondpreisen bezahlen, womit in Wirklichkeit die verdeckten Geschäfte vergütet werden sollten. Der Export ganzer U-Boote hätte sich nicht verbergen lassen, der benötigte Spezialstahl ließ sich hingegen unbeanstandet liefern. Abgedeckt wurde das Ganze vom BND. Wie Kanzler Helmut Kohl zu diesen Geschäften stand, ist schwer zu beurteilen - im entsprechenden Untersuchungsausschuss plagten den Kanzler "Gedächtnislücken". Auch Kohls rechte Hand, der spätere Rüstungslobbyist Horst Teltschik, erwies sich zur Aufklärung des Skandals nur eingeschränkt als Hilfe. Jahre später kam 1988 die Oberfinanzdirektion Kiel zu dem Schluss, dass aus den tatsächlich erfolgten Lieferungen keine U-Boot hätten gebaut werden können, und sprach etliche Beteiligte frei. Auch der Iran stand auf der Kundenliste der HDW - sowie das mit dem Iran eigentlich verfeindete Israel.
Die anrüchigen Waffengeschäfte waren nur eine Facette des Doppellebens, das Barschel führte. So unternahm er häufig konspirative Reisen, etwa in die Schweiz oder - für einen rechtskonservativen Politiker erstaunlich - in die DDR, wo er unter Abdeckung der Staatssicherheit geheime Geschäfte mit der Kommerziellen Koordiniereung (KoKo), betrieb, die der Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowsky kontrollierte. Die Dreiecksgeschäfte und Schiebereien, um für beide Seiten aus unterschiedlichen Gründen anrüchige Geschäfte in die geeignete Form zu bringen, waren so dreist wie erfolgreich. Etwa Chrom-Erz aus Südafrika, das mit einem Embargo belegt war, wurde als solches aus der DDR importiert - obwohl jedem Fachmann hätte auffallen müssen, dass es in der DDR keine Chrom-Erz-Vorkommen gab. Umgekehrt konnte die DDR schlecht vom Aphartheidsregime ein Kreuzfahrtschiff kaufen, sodass dieses erst westdeutsch und dort saniert werden musste, bevor Ostdeutschland offiziell zugriff und die "KAP ARKONA" in Dienst stellte. Die westdeutschen Geheimdienste, denen die deutsch-deutsche Kooperation kaum entgangen sein kann, zeigten an einer Aufarbeitung dieses erstaunliche Kapitel bislang kein Interesse, vielmehr streute der BND in den 90ern (durchschaubare) Desinformation diesbezüglich. Der ostdeutsche Geheimdienst jedenfalls war über die schmutzigen Waffen-Deals der westdeutschen Spitzenpolitiker gut informiert, nicht nur aus eigener Beteiligung, sondern durch ihre Abhörspezialisten, die im Westen professionelle Arbeit leisteten.
Auch das Privatleben gestaltete der fromme Katholik Barschel nicht so monogam, wie es sich seine heute geisterbeschwörende Witwe wohl wünschen möchte. Bei den diskreten Besuchen im berüchtigten Stasi-Hotel "Neptun" in Warnemünde versorgten ihn seine Gastgeber ausgiebig mit jungen Damen, denen er sich ohne westdeutsche Zeugen beweisen konnte. Für die Stasi konnte Barschel als "Doppelagent" gar nicht wertvoll genug erscheinen, wurde der Karrierepolitiker für nichts weniger als Kohls möglichen Nachfolger im Bundeskanzleramt gehandelt.
Während Barschel seine DDR-Geheimnisse mit ins Grab nehmen konnte, wurde bereits 1986 das fragwürdige U-Boot-Geschäft ruchbar, was 1987 die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach sich zog. Noch war Barschels Involvierung nicht bekannt, seine Vernehmung wurde tunlichst vermieden.
Medien-Operation
Barschel war nicht der einzige in der Kieler Staatskanzlei, der Doppelspiele betrieb. Vor allem betrog ihn sein neuer Pressereferent, ein vorbestrafter Alkoholkenner, der in den Diensten des Axel Springer-Verlags stand, dort aber nicht mehr benötigt wurde: Reiner Pfeiffer, der sich mit einem gefälschten Abiturzeugnis einführte.
Pfeiffer beauftragte angeblich im Namen Barschels einen Detektiv, der Engholms Sexualleben ausspionieren sollte, unter anderem hinsichtlich Homosexualität. Die Schmutzkampagne verfing nicht. Schließlich "packte" Pfeiffer gegenüber dem SPIEGEL über Barschels angebliche Tricks aus und tischte die Räuberpistole auf, Barschel habe ihn mit dem Beschaffen einer Abhörwanze beauftragt, die bei Barschel "gefunden" werden solle, um hiermit Engholm in Misskredit zu bringen. Der SPIEGEL ließ sich bereitwillig füttern und brachte die falsche Geschichte, welche Barschel politisch das Genick brach. Gegen die Meinungsmacht des SPIEGELS nutzten dem Juristen auch "Ehrenerklärungen" nichts mehr. Trotz gerade gewonnener Wahl musste der in den Augen der Öffentlichkeit erledigte Politiker zurücktreten.
Tod in Genf
Fest steht, dass Barschel mit professionellen Anschlägen auf sein Leben rechnete - warum auch immer. So hatte er etwa den Flugzeugabsturz vom Mai 1987 als Anschlag auf sein Leben gedeutet. Tatsächlich blieben die Umstände der tragischen Nacht mysteriös, als Barschels Flugzeug einen Mast streifte, nachdem der erfahrene Pilot den Tower energisch gebeten hatte, die ihn blendenden Lichter zu dimmen. In den Wochen vor seinem Tod hatte Barschel auch einen Anruf erhalten, der ihm Angst machte.
Mit mysteriösen Morden an Leuten in seiner Branche war Barschel durchaus vertraut: Etwa der Unternehmer und hessische Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry, der in diverse Schmiergeldgeschichten und Spendensammeleien verwickelt war, wurde 1981 zu Beginn der Flick-Affäre durch das offene Schlafzimmerfenster erschossen. Zur Aufklärung des Mordes an Karry, seinerzeit FDP-Schatzmeister, präsentierten die Behörden kaum mehr als ein angebliches Bekennerschreiben der "Revoluzionären Zellen", sowie Jahrzehnte später die Tatwaffe, die im Auto ausgerechnet eines späteren Bundesaußenministers kutschiert worden war. Wie Barschel, hatte auch Karry schmutzige Geschäfte für die Waffenindustrie getätigt.
Der gescheiterte Politiker tauchte vor der Öffentlichkeit ab und flüchtete heimlich nach Gran Canaria, wo er über ein neues Leben fernab der Politik in Kanada nachdachte. Obwohl seine Geheimnummer auf Gran Canaria nur einer Hand voll Menschen bekannt war, meldete sich dort der ominöse Informant "Robert Roloff". Der bis heute nicht identifizierte Anrufer bot Informationen über das Komplott an, in das Barschel geraten sei. Am 10. Oktober traf Barschel in Genf ein, wo er den geheimnisvollen Informanten treffen wollte. Reporter, die den bekannten Politiker am Flughafen zufällig (oder aber aufgrund von Informationen) erkannten, bemühten sich vergeblich um ein Interview. Am andern Tag waren es Leute vom "stern", die sich eigenmächtig Zutritt zu Barschels Zimmer verschafften, wo sie seine Leiche bekleidet in der Badewanne fanden.
Die deutsche Journaille einigte sich erstaunlich schnell auf die praktische Version "Selbstmord" eines gescheiterten Mannes, wobei sich allerdings nie zuvor - und wohl auch niemals danach - ein Suizident bekleidet in eine Badewanne gelegt hatte. Wer auf die seltsamen Spuren am Tatort sowie auf die Obduktionsergebnisse hinwies und damit die Autorität der führenden Deuter der Presse infrage stellte, wurde zum "Verschwörungstheoretiker" ausgerufen - damals, wie heute . Die deutschen Behörden hielten sich zunächst bemerkenswert zurück. Der später zuständige Staatsanwalt Heinrich Wille, der ein Buch "Der Mord an Uwe Barschel" veröffentlichen wollte, hat bis heute Schreibverbot.
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