Barschels Geister
Seite 2: Der talentierte Herr Ostrovsky
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1994 trat der israelische Whistleblower Victor Ostrovsky auf den Plan, und behauptete, der Mossad habe Barschel umgebracht, weil dieser sich als Ministerpräsident geweigert habe, das geheimdienstliche Verschieben von Waffen zu dulden. Israel hätte zur Schwächung des Irak Waffen an den Iran liefern wollen, wobei die Herkunft über den europäischen Umweg verschleiert werden sollte.
Die Glaubwürdigkeit des schillernden Ex-Agenten Ostrovsky und die Glaubhaftigkeit seiner Barschel-Informationen sind jedoch nicht über Zweifel erhaben. Ostrovsky hatte nach seinem erfolgreichen Dienst in der israelischen Armee eine Karriere als Kleinkrimineller eingeschlagen, wurde jedoch aufgrund seiner Talente vom Auslandsgeheimdienst Mossad angeworben und zum Führungsoffizier ausgebildet. Nachdem Ostrovsky beim Mossad schließlich in Ungnade gefallen war, setzte er sich in die USA und Kanada ab und machte sein Insiderwissen über den geheimnisvollen Ex-Arbeitgeber auf vielfältige Weise zu Geld. So schlug Ostrovsky bei allerhand Botschaften auf und verriet die innere Struktur und Arbeitsweise des beeindruckend effizienten Mossad, der offenbar bis dahin keine Überläufer oder vergleichbare Wissensabflüsse erlitten hatte. Schließlich verwertete er 1990 sein Wissen im Enthüllungsbuch "By Way of Deception" (deutsche Ausgabe: "Der Mossad"), das nicht zuletzt aufgrund der israelischen Bemühungen, das Erscheinen zu verhindern, zu einem weltweiten Bestseller wurde. Wie etliche Whistleblower stellte sich Ostrovsky als den einzig aufrechten Patrioten dar, der an korrupten und unfähigen Vorgesetzten etc. gescheitert sei. Neben seiner eigenen Biographie schilderte Ostrovsky auch etliche Geheimoperationen, die in der Öffentlichkeit teilweise zu einer Neubewertung einiger zeitgeschichtlicher Ereignisse führten.
Aufgrund des exorbitanten Verkaufserfolgs seines Sachbuchs versuchte sich Ostrovsky mit einem Agentenroman, der von Tatsachen inspiriert sein soll. Jedoch war der Fiktion weitaus weniger Aufmerksamkeit beschieden. So veröffentlichte der geschäftstüchtige Ostrovsky 1994 nun eine "Fortsetzung" seiner Agentenautobiographie, obwohl diese ja eigentlich schon hinreichend erzählt war. In "The Other Side of Deception" (deutsche Ausgabe: "Geheimakte Mossad") stellte er sich als Doppel- und Dreifachagent dar, der in Wirklichkeit planmäßig ausgeschieden sei, um im Auftrag von Intriganten Führungspersonen des Mossad in Misskredit zu bringen usw.. Auch seine zweite, sehr dick aufgetragene Autobiographie reicherte Ostrovsky mit allerhand "Insiderstorys" an, wobei er den deutschen Markt mit Schilderungen über den Barschelmord bediente. Quelle sei ein früherer Mossad-Kollege "Ephraim" gewesen, der ihm sein Herz ausgeschüttet habe.
Nach Darstellung Ostrovskys sei Barschel als Ministerpräsident bei vom Mossad eingestielten Waffendeals nicht kooperativ gewesen. Schleswig-Holstein war neben den Waffenschiebereien auch deshalb Operationsgebiet des Mossad, weil Israel dort heimlich iranische Piloten ausgebildet habe. Angeblich habe der Mossad geschickt den Auslandsgeheimdienst BND gegen den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz sowie gegen die übergeordneten Politiker und diese gegeneinander ausgespielt. Auf Arbeitsebene hätten BND-Leute Kontakte mit dem Mossad unterhalten, welche gegenüber den vorgesetzten Politikern verheimlicht worden seien, was den Israelis gewisse Manipulationen ermöglicht habe.
Drahtzieher der Pfeiffer-Affäre sei Ostrovsky zufolge der Mossad gewesen, der dem unbequemen Ministerpräsidenten die bevorstehende Wahl habe sabotieren wollen, in dem er Barschel eine inszenierte Schmutzkampagne gegen seinen politischen Gegner Engholm in die Schuhe geschoben habe. Der schillernde Pfeiffer sei als nützlicher Idiot unter falscher Flagge angeworben worden, um die Drecksarbeit zu erledigen. Durch die politische Beschädigung Barschels habe auch Kohl eingeschüchtert werden sollen, der zum Ärger Israels für den ins Zwielicht geratenen Kurt Waldheim Partei genommen hatte.
Ostrovsky zufolge hätte der politisch an der Wand stehende Barschel, der in Bonn alle "Freunde" verloren hatte, mit Enthüllungen u.a. über den Mossad-Partnerdienst BND gedroht, etwa im entsprechenden Untersuchungsausschuss. Dies sei sein Todesurteil gewesen. Ein Mossad-Offizier habe daraufhin Barschel mit Informationen über Pfeiffer geködert und in einem Genfer Hotelzimmer mit präpariertem Wein betäubt. Ein Team von Spezialisten habe dem ohnmächtigen Barschel Wirkstoffe sowohl mit einen Schlauch durch den Hals in den Magen als auch rektal eingeführt und durch Kälte- und Wärmeschocks in der Badewanne einen Tod herbeigeführt, der nach einer Herzattacke habe aussehen sollen. Hierzu habe man das Opfer ent- und wieder ankleiden müssen. Aufgrund von Regiefehlern habe die präparierte Weinflasche nicht gegen eine der gleichen Marke ausgetauscht werden können, so dass man sie plump mitgenommen habe.
Bevor Ostrovsky "Ephraims" Barschel-Story in seinem Buch veröffentlichte, hatte er sie deutschen Medien angeboten, etwa dem "Focus". Der "stern" jedoch konfrontierte Ostrovsky mit einigen Details, die im Widerspruch zu seiner Version standen. Der Ex-Spion bewies Chuzpé und verwendete die ihm neuen Information in seinem schließlich erscheinenden Buch als scheinbar eigene.
Dieser opportunistische Umgang mit "Insiderinformationen" stellt die Glaubwürdigkeit des geschassten Schlapphuts stark infrage. Da Prof. Brandenberger seine Mordthese im Wesentlichen bereits einen Monat nach dem Todesfall geäußert hatte, wäre es geradezu verwunderlich, wenn sich der gewiefte Ostrovsky sieben Jahre später auch insoweit nicht bei Brandenberger bedient hätte. Wenn nun wiederum Brandenberger auf Ostrovsky hinweist, so ergibt sich ein selbstreferentielles Informationskartell.
Auch, wenn Ostrovsky seiner Glaubwürdigkeit hierdurch geschadet hat, so folgt hieraus nicht notwendig, dass alle seine Geschichten aus 1000 und einer Nacht stammen. Im selben Buch schildert Ostrovsky das Schicksal des Medienmagnaten Robert Maxwell, der 1991 auf seiner Yacht tot aufgefunden wurde. Die Version, dass aus dem Meer aufgetauchte Froschmänner des Mossad dem inzwischen gefährlich gewordenen Maxwell ein Ende bereiteten, in dem sie ihm Luft in die Adern spritzten, wird von gut informierten Fachleuten wie etwa Gordon Thomas geteilt.
Ostrovsky, der immer Künstler werden wollte, hält sich heute mit allerhand Spionage-Kitsch über Wasser.
Schillernde Leichen
Ein weiterer Mann folgte Barschel ins Reich der Geister: Die Barschels hatten den Privatermittler Jean-Jacques Griessen angeheuert, einen für sein diskretes Metier erstaunlich redseligen Zeitgenossen. Der Schnüffler soll seinerzeit im Auftrag des häufig für deutsche Behörden arbeitenden Privatdetektivs Werner Mauss in Genfer Hotels Abhörgeräte installiert haben. Griessen sah angeblich die Iraner hinter dem Mord und behauptete Ende 1992, kurz vor der Aufklärung zu stehen. Auch ein deutscher Waffenhändler hatte ein gemeinsames Treffen mit Barschel und Ajatollah Chomeinis Sohn in Genf behauptet, bei dem Barschel den Iran mit seinem Wissen über die heiklen Geschäfte zu erpressen versucht habe. Griessen starb jedoch vor Auftragserfüllung an Herzversagen - in den Armen einer Prostituierten. Das mag man glauben oder nicht.
Ebenfalls unter mysteriösen Umständen schied 1994 der südafrikanische Schattenmann Dirk Stoffberg aus dem Leben. Dem Anschein nach hatte er zunächst seine deutsche Lebensgefährtin und dann sich selbst erschossen. Der zwielichtige Stoffberg war ein Agent des südafrikanischen Geheimdienstes gewesen, der sowohl für das Streuen von Desinformation, wie auch "fürs Grobe" zuständig war. Stoffberg war für seine Leidenschaft für Whiskey bekannt, dem Weintrinker Barschel wiederum nichts abgewinnen konnte, weshalb es erstaunlich war, dass im Genfer Hotelzimmer ein Whiskeyfläschchen gefunden wurde. Das Fläschchen dürfte aber kaum zum Eigengenuss gedacht gewesen sein, denn in ihm fand Prof. Brandenberger das Sedativ Diphenhydramin.
Agent Stoffberg, dessen Apartheidsregime 1994 weggebrochen war, brüstete sich auf seinem für seine angespannten finanziellen Verhältnisse erstaunlich luxuriösen Anwesen Journalisten gegenüber offen mit Morden etwa an der ANC-Frau Ruth First - und dem an Uwe Barschel. Tatsächlich hatte Stoffberg in der fraglichen Zeit in Genf residiert, dem bevorzugten Ort für Waffengeschäfte. Stoffberg zufolge wäre der eigentlich Mord durch Killer der CIA durchgeführt worden, während der südafrikanische Dienst lediglich Beobachterstatus gehabt hätte.
Das Apartheidsregime hatte ein nachvollziehbares Mordmotiv, denn für das große U-Boot-Geschäft mit HDW hatten die Südafrikaner üppige Anzahlung und Schmiergelder geleistet. Nun, nach dem Scheitern, sah sich in Deutschland niemand zur Rückzahlung verpflichtet. Die Enthüllungsjournalisten Mueller, Lambrecht und Müller warten in ihrem Buch "Der Fall Barschel" mit einem Mr. X auf, einem Kenner des südafrikanischen Waffenbusiness. Mr. X zufolge hatte Barschel Handschlagverträge mit dem Apartheidsregime gemacht - Verträge, die nirgends eingeklagt, aber der Geschäftssitte der Waffenbranche entsprechend bei Vertragsbruch letal sanktioniert würden. Barschel hatte für die U-Boote demnach allerhand Schmiergelder erhalten, die er für den Wahlkampf verwandt habe, daher nicht mehr zurückzahlen konnte.
Neben simpler Rache hätten die Südafrikaner jedoch auch existenzielle Motive gehabt. Dass der von seinen Parteifreunden bitter enttäuschte Barschel zwei Wochen vor seinem Tod Rechnungen offen hatte und damit drohte, dass diese Leute, die ihn fallen ließen, "kennen lernen" würden, bestätigen die Telefonabhörer der Stasi. Die Abhörerfolge der Stasi im Westen dürften auch anderen Diensten gelungen sein. Eine Enthüllung Barschels wäre für viele Parteien unakzeptabel gewesen: Für die Südafrikaner, denen ihre wichtigen Handelswege weggebrochen wären; für die Regierung Kohl, die öffentlich als korrupt und intern ihren geheimen Partnern nicht als zuverlässig dagestanden hätte; für Israel, dessen Kooperation mit dem rassistischen Südafrika und dem offiziell verfeindeten Iran geheim bleiben musste.
Zu Beginn der 90er Jahre hatte es etliche Geheimdienstmorde aus weitaus geringeren Gründen im Milieu südafrikanischer Waffenhändler gegeben - zu dem letztlich auch Barschel zählte. Für eine Beteiligung des Geheimdienstes von Südafrika spricht auch die Tatsache, dass dort seit Jahren ein Forschungsprogramm für klandestines Vergiften lief, geleitet von Peter Bothas Leibarzt Wouter Basson, bekannt als "Dr. Death". Wie erst Ende der 90er Jahre bekannt wurde, hatte der Dienst mit Kontaktgiften experimentiert, auch hatte man einen zur Belastung gewordenen Agenten diskret mit einer vergifteten Limonadenflasche zur Eigenbeseitigung manipuliert - eine Parallele zur Weinflasche in Barschels Zimmer, die samt möglicher Spuren auf geheimnisvolle Weise verschwunden war.
In Prof. Brandenbergers aktuellem Beitrag, der sich im Wesentlichen auf die Analyse von Barschels Überresten beschränkt, geht dieser leider nicht auf die auf dem Badvorleger aufgefundenen Spuren der Substanz Dimethylsulfoxid ein, die dazu verwendet wird, um die Haut durchlässig für Wirkstoffe zu machen. Dies wäre ein Hinweis auf versuchte Zuführung eines Kontaktgiftes über die Haut. Das Baden einer Leiche in heißem Wasser wäre zudem eine sinnvolle Maßnahme, um den Abbau verräterischer Giftspuren zu beschleunigen.
Für eine Beteiligung der Südafrikaner sprechen insbesondere die verräterischen Bemühungen des BND, von dieser pikanten Spur abzulenken. So wurden im BND-Umfeld Indizien lanciert, die nach Angola deuteten, sich jedoch alsbald als Desinformation herausstellten. Die Tatsache, dass der wohl einflussreichste BND-Mann Volker Foertsch sich persönlich um die Ermittlungen der Justiz kümmerte und dann entsprechende Fehlspuren auftauchten, erlaubt gewisse Rückschlüsse, wie wichtig diese Ablenkung für das politische Establishment gewesen sein muss.
Das Geld
Eine Ironie am Fall Barschel ist, dass der karrrierebewusste Landespolitiker seinerzeit ausgerechnet Bundesfinanzminister werden sollte. Kohl, der mit Barschel nie so recht warm wurde, hatte jedoch Stoltenberg vorgezogen, der sein Ministerpräsidentenamt an Barschel abtrat. Während ein Finanzminister darüber zu wachen hat, dass die Steuern brav gezahlt werden, hatten die Finanzexperten der CDU hingegen ein klandestines System zur verdeckten wie "steuerneutralen" Parteienfinanzierung aufgebaut, in welchem diskrete Finanzplätze in den Alpen eine Rolle spielten. Dieselben Personen, die in der "Flick-Affäre" aufgefallen waren, gaben auch die Hauptdarsteller in der nach gleichem Muster ablaufenden "CDU-Parteispenden-Affäre". Und auch die U-Boot-Affäre erscheint wie ein Stück des gleichen Parteispendenpuzzles. Zweimal hatte Helmut Kohl auffällig geschwiegen: Vor dem U-Boot-Ausschuss hatte er mit "Gedächtnisproblemen" zu kämpfen; als er die edlen Spender der Schwarzen Kassen nennen sollte, stellte Kohl sein privates Ehrenwort über das Gesetz. Nur Barschel schweigt noch beharrlicher. Die sich aufdrängende Frage, ob es die ominösen Spender wirklich gegeben hat, oder ob das steuerfreie Parteivermögen nicht viel eher aus dem geplatzten U-Boot-Deal mit dem Apartheidsstaat und ähnlich schmutzigen Geschäften stammt, muss mangels Beweisen den Historikern überlassen werden.
An der Mentalität hat sich bei den Schatzmeistern nichts geändert. Unser amtierender Finanzminister ist derzeit Kohls einstiger Kronprinz, der in der CDU-Parteienfinanzierung eine dubiose Rolle gespielt hatte. Den Parteivorsitz und die nachfolgende Kanzlerschaft, von der Barschel einst geträumt hatte, überließ man weitsichtig einer Frau, die aufgrund ihrer Biographie nicht unmittelbar mit der Parteienfinanzierung der 80er Jahre in Verbindung gebracht werden kann. Doch die Geister dieser Zeit erscheinen bisweilen auch der Kanzlerin.
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