Battlefield Management: Wenn der Krieg zum Computerspiel wird

KI-gernerierte Grafik zeigt Kriegsgerät, Panzer, Fahrzeuge, Flugzeuge und Drohnen, sowie Soladten auf einem Gefechtsfeld, in dessen Mitte ein computerähnliches Sechseck sitzt

KI-generierte Grafik

Moderne Kriegsführung ähnelt immer mehr einem Computerspiel. Auf Bildschirmen verfolgen Soldaten Bewegungen von Drohnen und Truppen in Echtzeit.

Der folgende Artikel basiert auf einem Hintergrundgespräch mit einem BMS-Hersteller. Der Gesprächspartner möchte anonym bleiben. Die dargestellten Einschätzungen spiegeln nicht notwendigerweise die Position des Interviewpartners wider.

Ein kleiner Konvoi nähert sich in der Morgendämmerung den Stellungen. Noch bevor die Fahrzeuge in Sichtweite kommen, haben Aufklärungsdrohnen sie bereits erfasst. Auf den Bildschirmen des Battlefield Management Systems erscheinen automatisch die ersten Markierungen: drei Schützenpanzer, ein Kampfpanzer.

Sekunden später sind die genauen Koordinaten an alle vernetzten Einheiten übermittelt. Das System identifiziert verfügbare Wirkmittel in Reichweite: eine Artilleriestellung fünf Kilometer entfernt, mehrere bewaffnete Drohnen in der Luft, ein Mehrfachraketenwerfer in Stellung.

Der Führende wählt per Fingertip auf dem Touchscreen die Ziele aus und weist sie den Waffensystemen zu. Keine zwei Minuten nach der ersten Entdeckung schlagen bereits die ersten Granaten ein.

Sekundenschnelle Abläufe

Was früher ein komplexer Prozess mit zahlreichen Funksprüchen, handgezeichneten Karten und langwierigen Koordinationsabsprachen war, läuft heute in Sekundenschnelle digital ab. Diese dramatische Verkürzung der "Kill Chain" – der Zeit zwischen Zielerfassung und Waffeneinsatz – hat die moderne Kriegsführung fundamental verändert.

Zentral dafür ist eine Software: die "Battlefield Management Software" (BMS). Sie vernetzt dabei alle Elemente des Gefechts in Echtzeit: von der Aufklärungsdrohne über die Führungsstellen bis zum einzelnen Waffensystem. Sie ist das Betriebssystem des Schlachtfeldes.

Anwendung im Ukraine-Krieg

Besonders im Ukraine-Krieg zeigt sich die umwälzende Wirkung dieser Technologie. Hunderte von Aufklärungsdrohnen überwachen permanent das Gefechtsfeld. Ihre Daten werden durch BMS sofort verarbeitet und mit verfügbaren Wirkmitteln – von Artillerie bis zu FPV-Drohnen – verknüpft.

Diese Vernetzung macht selbst schwer gepanzerte Fahrzeuge hochverletzlich: Vom Moment der Entdeckung bis zur Zielbekämpfung vergehen oft nur wenige Augenblicke.

Die Battlefield Management Software ist damit zum zentralen Nervensystem moderner Kriegsführung geworden. Sie ermöglicht es Streitkräften, Informationen in Echtzeit auszutauschen und Entscheidungen auf Basis eines umfassenden digitalen Lagebilds zu treffen.

Von der Lagekarte zum digitalen System

Die Entwicklung der Battlefield Management Software hat ihre Wurzeln in den analogen Führungssystemen des 20. Jahrhunderts. In den Weltkriegen verwendeten Stäbe große Lagekarten, auf denen mit Hilfe standardisierter Symbole und beweglicher Marker die Position eigener und feindlicher Kräfte dargestellt wurde.

In riesigen Kartensälen schoben Offiziere mit langen Stäben Divisions- und Regimentsmarker über die Karten – ein System, das durch umständliche Kommunikationswege und zeitverzögerte Lageaktualisierungen geprägt war.

Die ersten computergestützten Führungssysteme entstanden im Kalten Krieg. In den 1960er- und 1970er-Jahren experimentierten sowohl Nato als auch Warschauer Pakt mit frühen digitalen Systemen zur Führungsunterstützung, zunächst primär für die Luftverteidigung.

Die eigentliche Revolution begann jedoch erst mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Mikrocomputer in den 1980er-Jahren.

Der Golfkrieg 1991

Einen entscheidenden Entwicklungsschub erhielten Battlefield Management Systeme durch den Golfkrieg 1991. Die Erfahrungen aus diesem Konflikt zeigten die Notwendigkeit einer besseren digitalen Vernetzung.

Die "Friendly Fire" Vorfälle während der Operation Desert Storm führten zur verstärkten Entwicklung von Systemen, um eigene Einheiten tracken zu können, den "Blue Force Tracking Systemen". In den 1990er-Jahren begannen dann die meisten Nato-Staaten mit der systematischen Einführung digitaler Führungssysteme.

Parallel zur militärischen Entwicklung beeinflussten auch zivile Technologien die Evolution der Battlefield Management Software. Frühe Echtzeit-Strategiespiele wie "Command & Conquer" (1995) verwendeten bereits Benutzeroberflächen, die den heutigen militärischen Systemen tatsächlich ähneln.

Die Erwartungshaltung junger Soldaten, die mit diesen Spielen aufgewachsen sind, prägt bis heute die Gestaltung militärischer Führungssysteme.

Das digitale Nervensystem des Gefechtsfelds

Ein Battlefield Management System stellt dem militärischen Führer Funktionalitäten zur Verfügung, die seine Prozesse unterstützen. Die Software ermöglicht die Navigation im Gelände mittels digitaler Karten sowie das Tracking der eigenen und verbündeten Kräfte.

Moderne Systeme können einzelne Fahrzeuge und sogar individuelle Soldaten auf dem digitalen Lagebild darstellen.

Die Vernetzung verschiedener Komponenten ist dabei zentral. Die Software fungiert als Integrationslayer zwischen unterschiedlichen Kommunikationssystemen – von Satellitenkommunikation bis zum taktischen Truppenfunk. Selbst bei älteren Funkgeräten kann die Software einen "Intelligenz-Layer" hinzufügen, der moderne Datenkommunikation ermöglicht.

Dabei werden Informationen nahtlos von oben nach unten und umgekehrt weitergegeben, immer angepasst an die verfügbaren Kommunikationsmittel.

Für die Kommunikation nutzen moderne Streitkräfte einen ausgeklügelten Mix verschiedener Systeme. Während Satellitenkommunikation hohe Bandbreiten ermöglicht, bietet der taktische Truppenfunk im VHF-Bereich eine höhere Resilienz gegen Störungen. Die Battlefield Management Software muss mit beiden Systemen umgehen können und einen nahtlosen Übergang ermöglichen.

Digitale Befehlskette und Entscheidungsfindung

Ein revolutionärer militärischer Vorteil der Battlefield Management Software liegt in der drastischen Verkürzung der Entscheidungskette. Wurde früher jede Information manuell auf Karten eingetragen und weitergegeben, erfolgt dies heute digital und automatisiert. Wenn ein Kampffahrzeug ein Ziel erfasst, werden die Koordinaten sofort berechnet und an alle relevanten Einheiten bildgebend übermittelt.

Der technische Ablauf ist dabei präzise durchdacht: Eine Aufklärungsdrohne erfasst das Ziel mit ihrer Multisensor-Optik und KI-gestützten Bilderkennung. Die Battlefield Management Software berechnet aus der Position der Drohne, dem Kamerawinkel und der Höhe automatisch die exakte Position des Ziels.

Die Bilderkennung klassifiziert das Fahrzeug und überträgt diese Information in ein Dialogfenster, wo der Operator zusätzliche Beobachtungen wie Aktivität oder Bewegungsrichtung ergänzen kann. Diese Informationen werden sofort an alle relevanten Einheiten ausgespielt – auf Tablets, Bildschirme oder Videowände.

Dabei sieht jeder Nutzer eines BMS sowohl die eigenen Einheiten als auch die Feindeinheiten in Echtzeit markiert auf einer Karte oder einem Videofeed – eine Darstellung, die stark an die Benutzeroberfläche bekannter Echtzeitstrategie-Computerspiele erinnert.

Digitale Befehlsgebung

Die Software ermöglicht auch die digitale Befehlsgebung. Statt komplexer mündlicher Befehle wie "Alpha geht über nach und greift an über kleine Buschgruppe" können Bewegungen und Aktionen per Fingertip auf der digitalen Karte angeordnet werden.

Dies minimiert Übertragungsfehler und beschleunigt die Befehlskette erheblich. Koordinatenfehler, die früher häufig vorkamen, werden so praktisch ausgeschlossen.

Moderne Battlefield Management Systeme verfügen zudem über integrierte Chat-Funktionen für die direkte Kommunikation zwischen Einheiten. Dies ermöglicht eine schnelle Abstimmung und Koordination, ohne den Funkverkehr zu belasten.

Die verschiedenen Kommunikationsformen – von Befehlen über Statusmeldungen bis zum Chat – werden dabei in einer einheitlichen Benutzeroberfläche zusammengeführt.

Integration von Aufklärungsdaten und Sensorfusion

Die Battlefield Management Software vernetzt verschiedenste Aufklärungsmittel – von Drohnen über Bodentruppen bis zu Radar- und Infrarotsystemen. Hinzu kommen Daten etwa aus der Funkaufklärung, Schallortung oder elektrooptischen Sensoren. Die Software korreliert diese unterschiedlichen Informationsquellen und erstellt daraus ein kohärentes Lagebild.

Bei der Sensorfusion müssen unterschiedliche Datenformate und Genauigkeiten berücksichtigt werden. Während Luftaufklärung relativ präzise Positionsdaten liefert, sind Meldungen von Bodentruppen oft ungenauer.

Die Software muss diese Unterschiede ausgleichen und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenführen. Bei Landstreitkräften ist dies besonders herausfordernd, da sich Bodenziele mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und in verschiedene Richtungen bewegen können.

Die Integration der Aufklärungsdaten ermöglicht eine deutlich präzisere Zielerfassung und -bekämpfung. Gleichzeitig hilft die Software dabei, versehentliche Angriffe auf eigene Kräfte zu vermeiden und zivile Begleitschäden zu minimieren.

Logistische Vernetzung und Versorgungsmanagement

Moderne Battlefield Management Systeme sind eng mit der Logistik vernetzt. Sie erfassen beispielsweise den Munitionsverbrauch und Treibstoffstand von Kampffahrzeugen in Echtzeit. Dies ermöglicht eine vorausschauende Versorgungsplanung. Fällt der Gefechtswert eines Fahrzeugs unter einen kritischen Wert, kann es rechtzeitig aus dem Gefecht genommen und versorgt werden.

Die Software berechnet aus den verfügbaren Daten einen Einsatzwert für jedes Fahrzeug. Ein Panzer mit wenig Munition oder Treibstoff erhält beispielsweise einen niedrigen Einsatzwert und wird automatisch für Nachschub vorgemerkt.

Militärische Führer können diese Informationen nutzen, um ihre Kräfte optimal einzusetzen – ein Fahrzeug mit niedrigem Einsatzwert wird beispielsweise nicht im Schwerpunkt des Gefechts eingesetzt, sondern geht zunächst in die Reserve.

Die Logistiksysteme können diese Informationen nutzen, um Versorgungsfahrten zu optimieren und Engpässe zu vermeiden. Dabei werden teilautomatisierte Prozesse eingesetzt, die den Nachschub koordinieren.

Eine vollständige Automatisierung ist derzeit noch nicht möglich, da einzelne Versorgungsgüter wohl nicht immer präzise getrackt werden können.

Der "Fog of War" im digitalen Zeitalter

Trotz aller technischen Möglichkeiten bleibt die Ungewissheit – der "Fog of War" – ein bestimmender Faktor auf dem Gefechtsfeld. Anders als in Computerspielen, die als erste eine ähnliche Benutzeroberfläche einführten, liefert die Battlefield Management Software kein vollständiges Lagebild. Funkverbindungen können abreißen, Sensoren können ausfallen, und Aufklärungsdaten können veraltet sein.

Die Software zeigt nur einen Ausschnitt der Realität, der nicht zwangsläufig mit der tatsächlichen Situation übereinstimmen muss. Während Computerspiele eine "God View" mit vollständiger Information bieten, arbeitet ein Battlefield Management System immer mit unvollständigen und teils unsicheren Daten.

Militärische Führer müssen daher weiterhin ihre Erfahrung und ihr Urteilsvermögen einsetzen, um die digitalen Informationen richtig zu interpretieren.

Innovation durch Krieg: Das "Uber-Prinzip" der Kriegsführung

Der Ukraine-Krieg hat zu bedeutenden Innovationen in der Nutzung von Battlefield Management Systemen geführt. Ein besonders interessantes Konzept ist dabei das "Uber-Prinzip" der Feuerunterstützung.

Ähnlich wie bei einem Fahrdienst-Vermittler werden Aufträge nicht mehr strikt hierarchisch zugewiesen, sondern können von verfügbaren Einheiten in der Nähe übernommen werden.

In der praktischen Umsetzung bedeutet dies: Ein Truppenteil, der Feuerunterstützung benötigt, gibt seinen Bedarf in das System ein – vergleichbar mit einer Uber-Anfrage. Verfügbare Unterstützungskräfte in der Nähe – sei es Artillerie, Hubschrauber oder andere Wirkmittel – können den Auftrag dann annehmen.

Dies ermöglicht eine deutlich flexiblere und schnellere Reaktion als die traditionelle hierarchische Befehlskette.

Dieses Konzept stellt einen radikalen Bruch mit traditionellen militärischen Führungsprinzipien dar. Statt einer streng hierarchischen Befehlsgebung setzt es auf Selbstorganisation und dezentrale Entscheidungsfindung. Die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg zeigen, dass dieser Ansatz in modernen Konflikten sehr effektiv sein kann.

Ausblick: KI und Drohnenschwärme revolutionieren das Gefechtsfeld

Die nächste revolutionäre Entwicklung wird durch zwei Technologien getrieben: Künstliche Intelligenz und autonome Drohnenschwärme. Während heute schon erste KI-Assistenten die Entscheidungsfindung unterstützen, werden zukünftige KI-Systeme basierend auf historischen Daten eigenständig Handlungsoptionen entwickeln und Einsätze planen können.

Parallel dazu werden autonome Drohnenschwärme das Gefechtsfeld dramatisch verändern. Die Battlefield Management Software wird einem Schwarm aus Hunderten kleiner Drohnen nur noch ein Zielgebiet zuweisen.

Die KI-gesteuerten Drohnen organisieren sich dann selbstständig, erkunden das Gebiet systematisch und führen koordinierte Angriffe durch. Einzelne Ausfälle kompensiert der Schwarm automatisch durch Anpassung der Formation und Aufgabenverteilung.

Diese Kombination aus künstlicher Intelligenz und Schwarmtechnologie wird die Kriegsführung fundamental verändern. Wo heute noch einzelne Drohnen manuell gesteuert werden müssen, können künftig ganze Gebiete durch KI-koordinierte Drohnenschwärme kontrolliert werden.

Die Battlefield Management Software entwickelt sich damit von einem Führungsinformationssystem zu einer KI-gestützten Plattform, die autonome und bemannte Systeme koordiniert. Das Gefechtsfeld der Zukunft wird von intelligenten Schwärmen dominiert, die schneller und effizienter agieren als jeder menschliche Operator.

Erste KI-Assistenten unterstützen bereits bei der Entscheidungsfindung, ähnlich wie moderne Textverarbeitungsprogramme. Zukünftig könnten KI-Systeme basierend auf historischen Daten Handlungsoptionen vorschlagen – oder gleich selbst handeln.

Viele traditionelle Stabsfunktionen werden überflüssig

Battlefield Management Software verändert auch grundlegend die Personalstrukturen militärischer Führung. Während früher große Divisionsstäbe mit hunderten Soldaten für Koordination, Planung und Logistik benötigt wurden, automatisiert die Software heute einen Großteil dieser Prozesse.

Viele traditionelle Stabsfunktionen werden dadurch überflüssig. Die wenigen noch benötigten Experten für Logistik oder andere Spezialgebiete können aus dem rückwärtigen Raum arbeiten und sind über sichere Datenverbindungen eingebunden – eine Art militärisches Homeoffice, das die gleichen digitalen Transformationsprozesse widerspiegelt wie in der zivilen Arbeitswelt.

Diese Dezentralisierung macht militärische Führungsstrukturen deutlich widerstandsfähiger gegen gegnerische Einwirkung.

Das Militär der Zukunft wird durch diese Automatisierung der Kriegsführung mit deutlich weniger Führungspersonal auskommen – die Software ersetzt ganze Führungsebenen.

Militärische Prozesse laufen zunehmend nach kybernetischen Prinzipien ab: Während strategische Kernentscheidungen weiterhin hierarchisch getroffen werden, regulieren sich operative und taktische Abläufe weitgehend selbst.