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Bauern, Jäger und Sammler: Was neue Methoden über unsere Vorfahren verraten

Arbeit im Palaeogenetik-Labor der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Foto: Joachim Burger

Paläogenetik: Wie kam es zur neolithischen Revolution, und wer waren die ersten Bauern in Europa?

Einmal mehr ist es die Paläogenetik, die maßgeblich dazu beiträgt, jetzt eine der großen Fragen der Menschheitsgeschichte zu beantworten: Wie kam es zur neolithischen Revolution, und wer waren die ersten Bauern in Europa?

Ein internationales Team aus mehr als 30 Wissenschaftlern zeigt jetzt durch die Analyse des Erbguts von 25 Individuen aus der neolithischen Frühzeit, dass sie aus einer komplexen Vermischung verschiedener Bevölkerungsgruppen stammen, die lange vor der Landwirtschaft begann.

Europa und der fruchtbare Halbmond

In der Wissenschaftszeitschrift Cell [1] veröffentlichte die Gruppe um Nina Marchi von der Universität Bern [2], Laura Winkelbach und Maxime Brami von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz [3] sowie Ilektra Schulz von der Universität Fribourg [4] ihre Analyse der Genetik früher Bauern in Europa (The genomic origins of the world's first farmers [5]).

Nina Marchi erklärt:

Wir zeigen nun, dass die ersten Bauern Anatoliens und Europas aus einer Bevölkerungsmischung zwischen Jägern und Sammlern aus Europa und dem Nahen Osten hervorgegangen sind.

Warum Menschen in der Jungsteinzeit vor etwa 11.000 bis 12.000 Jahren damit begannen, Pflanzen zu kultivieren, Felder anzulegen und Haustiere zu züchten, ist noch umstritten. Es geschah zuerst vermutlich gleichzeitig an mehreren Orten im Gebiet des Fruchtbaren Halbmondes, im heutigen Irak, Syrien, Türkei, Libanon, Jordanien, Israel und im Westjordanland.

Möglicherweise gingen klimatische Veränderungen voraus, vielleicht kam der Anstoß aber auch durch gesellschaftliche Veränderungen, denn bereits die Jäger und Sammler bauten sehr große Anlagen und Tempel, wie die Entdeckung von Göbekli Tepe in Südanatolien beweist (Ältester Tempel gibt Rätsel auf [6]). Für den Bau derartig großer Gebäude brauchte es über einen langen Zeitraum die kontinuierliche Versorgung der Erbauer mit Lebensmitteln vor Ort.

Auf jeden Fall löste die grundlegende Veränderung der Lebensweise einen nachhaltigen kulturellen und gesellschaftlichen Wandel aus, der heute oft als "neolithische Revolution" bezeichnet wird. Die Menschen ließen sich bei ihren Feldern nieder, hatten wesentlich mehr Nachkommen, es entstanden Dörfer und Städte, Arbeitsteilung und Hierarchien.

Ein umfassender Kulturwandel über Jahrtausende, der in der Mitte Europas erst vor rund 7.500 Jahren begann, wo danach parallel noch lange eine Jäger- und Sammlergesellschaft weiterlebte.

Kulturdiffusion oder Migration

Wie verbreitete sich das Bauerntum vom Nahen Osten aus? Darüber gab es lange eine Debatte unter den Experten. Das Kulturdiffusions-Modells beschreibt den Übergang von der Wildbeutergesellschaft zur bäuerlichen Lebensform durch die Vermittlung von Wissen, das sich durch Nachbarschaften und deren jeweilige Kulturtechnik-Aneignung ausbreitet. Das Migrationsmodell geht von der Einwanderung von Bäuerinnen und Bauern aus, die ihr Knowhow, Saatgut und ihre Tiere mitbringen.

Erste genetische Untersuchungen der prähistorischen Skelette bäuerlicher Pioniere in Europa zeigten, dass sie aus Vorderasien stammten, über Anatolien und den Balkan zogen sie am Mittelmeer entlang und dann die Donau hinauf (Die ersten Bauern in Mitteleuropa stammten aus dem Nahen Osten [7]).

Sie kamen zusammen mit ihren Tieren, denn unsere heutigen Rinder-, Schafe- und Ziegenrassen stammen von in Vorderasien lebenden Wildtieren ab. Daher rührte die Annahme, die ersten Ackerbauern Europas würden nur von lokalen Nomaden ihrer Herkunftsregion abstammen.

Fundstelle der Bestattung einer frühen neolithischen Frau aus Essenbach in Niederbayern, Foto [8]: ADA – Archäologie GbR

Ein wohl zu schlichtes Modell, das auf zu wenigen Daten basierte und jetzt ins Wanken gerät. Die aktuellen Analysen der Wissenschaftler um Nina Marchi ergaben, dass die ersten Bauern in Wirklichkeit von mehreren Jäger- und Sammlerpopulationen abstammen, die vom Nahen Osten bis zum Balkan lebten.

Nach Einschätzung der Forschergruppe war der Mangel an hochwertigem Genmaterial aus Populationen vom Anfang der landwirtschaftlichen Expansion in Europa der Grund für die bisherige Fehleinschätzung.

Deswegen nahmen sie gezielt 25 steinzeitliche Genome aus verschiedenen Epochen genau unter die Lupe, 15 davon wurden von ihnen selbst sequenziert. Sie untersuchten Knochen von Individuen aus den Fundorten Vlasac, Lepenski Vir, Vinča-Belo Brdo und Grad-Starčevo (Serbien), Aktopraklık and Barcın (Türkei), von Nea Nikomedeia (Griechenland), Kleinhadersdorf und Asparn-Schletz (Österreich), sowie Essenbach-Ammerbreite, Dillingen-Steinheim und Herxheim (Deutschland).

Demogenomische Modellierung

Die umfassende Untersuchung war nur durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Entwicklung neuer Methoden möglich. Ko-Autor Joachim Burger von der Universität Mainz betont:

Es hat fast zehn Jahre gedauert, die für eine solche Studie geeigneten Skelette zusammenzutragen und zu analysieren. Dies war nur durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen Archäologen und Anthropologen möglich, die uns geholfen haben, unsere Modelle historisch zu verankern.

Joachim Burger, Universität Mainz

Außerdem kombinierten die Wissenschaftler für ihre Studie zwei Techniken. Sie gewannen hoch qualitativer Genome aus prähistorischen Knochen, indem sie ungefähr zwanzigtausendfach mehr DNA-Sequenzen pro Skelett produzierten als sonst üblich.

Zudem verbanden sie die so gewonnen Daten mit einer demografischer Modellierung.

Die Forscherinnen und Forscher bezeichnen ihren neuen Ansatz als "demogenomische Modellierung". Laura Winkelbach sagt:

Das Gebiet der Palaeogenomik ist noch sehr jung, wir haben daher jahrelang unsere Labormethoden optimiert, um die Produktion solch hochauflösender Palaeogenome möglich zu machen. Nur etwa zehn Prozent der untersuchten Skelette enthielten ausreichend DNA, um sie derart intensiv zu untersuchen.

Und Nina Marchi fügt hinzu:

Ein einfacher Vergleich der Ähnlichkeit verschiedener alter Genome reicht nicht aus, um zu verstehen, wie sie sich entwickelt haben. Wir mussten die tatsächliche Geschichte der untersuchten Populationen so genau wie möglich rekonstruieren. Dies ist nur mit komplexen populationsgenetischen Statistiken möglich.

Lebensbild einer frühneolithischen Siedlung in Bayern, Foto [9]: M. Kriek / J. Pechtl / Kastenhof Landau – Das Museum für Steinzeit und Gegenwart

Die Steinzeit verlief für die Menschen nicht als lineare Geschichte. Ihre Realität war nicht zuletzt von den Klimabedingungen geprägt. Vor etwa 25.000 Jahren erreichte die letzte Eiszeit ihren Höhepunkt, ein großer Teil Europas verschwand unter Gletschern. In dieser Epoche, die Letzteiszeitliches Maximum genannt wird, verkleinerte sich der Lebensraum für die vorher eng verwandten Jäger- und Sammlergemeinschaften.

Sie spalteten sich in verschiedene Gruppen auf, die voneinander isoliert weit im Westen des Kontinents und im Südosten lebten, ein dritter Teil zog sich in den Nahen Osten zurück.

Nach dem Ende der Eiszeit setzten sich die Menschen wieder in Bewegung, trafen und vermischten sich. Aus dieser komplexen Bevölkerungsdynamik entstand die genetische Mixtur der Menschen, die später den Ackerbau und die sesshafte Lebensweise erfanden.

Das Forschungsteam datiert diesen Mischungsprozess auf die Zeit vor rund 14’000 Jahren, danach folgte eine mehrere tausend Jahre dauernde Periode extremer genetischer Differenzierung.

Demografische Entwicklungen der Frühgeschichte

Die Autorinnen und Autoren schreiben in ihrem Artikel:

"Obwohl sich die ersten Bauern der Welt genetisch stark von den europäischen Jägern und Sammlern des Holozän unterscheiden, zeigt unsere Simulation auf der Grundlage hochwertiger Genome, dass einige europäische und südwestasiatische Populationen tatsächlich eine gemeinsame jüngere Geschichte hatten, die durch wiederholte Interaktionen seit dem Ende der letzten Eiszeit gekennzeichnet war. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Idee eines einzigen kulturellen und genetischen Ursprungs aller Bauern im Fruchtbaren Halbmond ohne einen signifikanten anfänglichen Beitrag von Jägern und Sammlern des Holozän mit europäischem Charakter in ihrer jetzigen Form nicht mehr haltbar ist."

Das Wissenschaftlerteam will seine Forschung mit seinem Ansatz der demogenomische Modellierung fortführen. Ihnen ist bewusst, dass es noch große räumliche und zeitliche Lücken in ihren Ergebnisse gibt.

Sie sind überzeugt, dass es künftig mit der Kombination von Genomdaten hoher Qualität und den neuesten statistischen Methoden möglich sein wird, demografische Entwicklungen der Frühgeschichte über große Zeiträume zu rekonstruieren. Als nächsten Schritt wollen sie sich jüngere Knochen von Individuen aus dem Neolithikum und der Bronzezeit vornehmen, um ihr demografisches Modell fortzuschreiben.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7127062

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.cell.com
[2] https://www.unibe.ch
[3] https://www.uni-mainz.de
[4] https://www.unifr.ch
[5] https://doi.org/10.1016/j.cell.2022.04.008
[6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/aeltester-tempel-gibt-raetsel-auf-274258
[7] https://www.heise.de/tp/features/Die-ersten-Bauern-in-Mitteleuropa-stammten-aus-dem-Nahen-Osten-3387557.html
[8] https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/bilder/10_IOME_palaeogenetik_skelett_essenbach.jpg
[9] https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/bilder/10_IOME_palaeogenetik_fruehneolithische-siedlung_bayern_lebensbild.jpg