zurĂŒck zum Artikel

Bedingte Medienfreiheit

Bild: freestocks.org/Pexels

Wie steht es hierzulande um die sogenannte "innere Medienfreiheit"? Zwei gegenwÀrtige Beispiele aktualisieren ein bekanntes Strukturproblem

Zensur hier und heute? Intelligentere Kritiker:innen der bundesrepublikanischen VerhĂ€ltnisse verweisen zu Recht darauf, dass sich herrschende Diskurse eher beispielsweise durch die eigentĂŒmlichen Organisationsformen der Medien – privat-wirtschaftliche, öffentlich-rechtliche – und durch das relativ homogen besetzte Berufsfeld Journalismus herstellen sowie erweitert reproduzieren als durch vergleichsweise plumpes Anordnen oder eben "Zensieren".

Themen- und Meinungskorridore in wichtigen, etablierten Medien in der Bundesrepublik erscheinen nicht primĂ€r deswegen recht Ă€hnlich und eng, weil dort jemand von außen persönlich anriefe oder durchgriffe. So weit, so klar – mögen wir gedacht haben. Aber auch darĂŒber hinaus scheint es Anzeichen fĂŒr regressive, autoritĂ€re VerĂ€nderungen zu geben.

"Eine Zensur findet nicht statt", heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes zur Medienfreiheit hierzulande. Dieser Tage jedoch titelte der Branchendienst kress: "Warum zensiert das ZDF einen Beitrag über Axel Springer und den BDZV?" [1].

Vor einigen Wochen erst hatte es betrĂ€chtliche Debatten gegeben um das Vorgehen von Verleger Dirk Ippen, ebenfalls im Kontext eines Beitrages zu Entwicklungen im Springer-Verlag. Markus Reuter von netzpolitik.org fĂŒhlte sich an "lĂ€ngst vergangene Zeiten" erinnert angesichts Ippens Agierens, einen komplett fertig recherchierten und produzierten Springer-kritischen Beitrag des Ippen-Investigativteams in verlagseigenen Medien schlicht nicht erscheinen zu lassen [2].

Journalisten-VerbÀnde wie die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di kritisierten einen "skandalösen Eingriff in unabhÀngige Berichterstattung bei Ippen" [3].

Bemerkenswerterweise dreht es sich bei beiden FĂ€llen von "verschwundenen" BeitrĂ€gen um solche zum Thema "Springer-Verlag", mit (Ex-)Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und vor allem mit Springer-Vorstandschef sowie -GroßaktionĂ€r und Zeitungsverleger-Verbandschef Mathias Döpfner als Gegenstand der Berichterstattung.

Im Falle "Ippen" war es im Oktober darum gegangen, dass das Ippen-Investigativteam das Vorgehen des Verlegers offenbar in einem internen Brief an Dirk Ippen als Mehrheitsgesellschafter anprangert hatte, den dann andere Medien aufgriffen.

Laut Berichten unter anderem der New York Times sowie des Branchenportals Übermedien hatte der 81-jĂ€hrige Verleger das Veröffentlichen einer monatelangen Recherche des hauseigenen Investigativteams zu mutmaßlich höchst umstrittenen Praktiken von Julian Reichelt anscheinend aus persönlichen GeschmacksgrĂŒnden gestoppt.

Interessant die Verteidigungslinie von Dirk Ippen: Er hatte als Legitimationsversuch gesagt, man wolle den Eindruck vermeiden, mit einer solchen Veröffentlichung einen Konkurrenten wirtschaftlich zu schÀdigen [4]. Es habe dabei keinerlei Einwirkung des Springer-Verlages als des besagten Konkurrenten in dieser Sache gegeben, "ganz und gar keine", betonte seinerzeit Ippen.

Nicht wenige Kommentatoren sahen das ganz anders, vermuteten eine Intervention seitens Springers und werteten das Ergebnis dann im Sinne von: "Eine KrÀhe hackt der anderen kein Auge aus" [5].

Tendenzschutz vs. Medienfreiheit

Wie aber steht es um publizistische Verantwortung, um das ErfĂŒllen der öffentlichen Aufgaben des Journalismus (wie Kritik und Kontrolle) laut Landespressegesetzen? Um die Einhaltung von Richtlinien des Pressekodex, denen zufolge Verlag und Redaktion getrennt arbeiten sollten?

Wichtig mit Blick auf die Strukturen an der Stelle: VerstĂ€ndlicherweise fordern Journalisten-Vertreterinnen und -Vertreter wie Tina Groll (dju) oder Frank Überall (DJV) mit Bezug auf Grundgesetz, Landespressegesetze und Pressekodex, Verleger hĂ€tten "grundsĂ€tzlich die Finger von redaktionellen Entscheidungen zu lassen" [6].

Aber sie wissen natĂŒrlich auch, dass im selben Grundgesetzartikel 5 unter Ziffer (2) steht: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (...)". Als ein solches Gesetz hierzulande gilt das Betriebsverfassungsgesetz, dessen Paragraf 118 zufolge privat-wirtschaftlich verfasste Medien (wie die des Ippen-Verlages) in der Regel als "Tendenzbetriebe" angesehen werden, deren EigentĂŒmer weitgehende Rechte haben, im Sinne von "Tendenzschutz".

Bei der verlegernahen "Initiative Tageszeitung e.V." heißt es dazu: "Mitarbeiter oder Mitglieder der Redaktion können nicht unter Berufung auf den grundgesetzlichen Schutz der Pressefreiheit verlangen, dass Artikel veröffentlicht werden, die der Tendenz des Blattes widersprechen" [7].

Oder wie es der konservative Publizist Paul Sethe, einer der fĂŒnf FAZ-GrĂŒndungsherausgeber, bereits 1965 in seinem berĂŒhmten Leserbrief an den Spiegel formuliert hatte: "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das VerhĂ€ngnis besteht darin, dass die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen. [8]"

Das scheint mehr als ein halbes Jahrhundert spĂ€ter auf ganz neue Weise aktuell – zumindest, was privat-wirtschaftliche Medien wie die Zeitungen des Ippen-Verlags betrifft.

Mit dem "Zweiten", also hier dem öffentlich-rechtlichen Teil der deutschen Medienlandschaft, sieht man besser? Das zweite aktuelle Beispiel zum Thema "Bedingte Medienfreiheit" sei hier das von Marietta Slomka moderierte heute-journal im ZDF vom 24. November 2021.

Bei Minute 26:30 der gut halbstĂŒndigen Sendung wurde im Nachhinein ein Beitrag zum Thema "Mathias Döpfner als alter und neuer BDZV-Vorsitzender" aus den im Netz noch auffindbaren Versionen einfach herausgeschnitten, ohne darauf hinzuweisen, dass und warum dies geschah [9]; vgl. auch hier [10].

Das hat der Chefredakteur des Branchendienstes kress, Markus Wiegand, Anfang Januar öffentlich gemacht [11]. In dem gelöschten ZDF-Beitrag ging es laut Wiegend um Turbulenzen im Axel-Springer-Verlag nach der Ippen-Recherche, dem Reichelt-RĂŒcktritt und nach umstrittenen Äußerungen von Mathias Döpfner [12] sowie aktuell um die am 24. November, also am ZDF-Live-Sendungstag, stattgefundene PrĂ€sidiumssitzung des BDZV, die wiederum Döpfner trotz mancher RĂŒcktrittsforderung den RĂŒcken gestĂ€rkt hatte.

Der Branchendienst kress fragt in der Überschrift: "Warum zensiert das ZDF einen Beitrag über Axel Springer und den BDZV?" Das ZDF hat demnach bestĂ€tigt, dass der Beitrag online nicht mehr abrufbar sei. "Aus rechtlichen GrĂŒnden kann der Beitrag leider nicht in der Mediathek bereitgestellt werden", habe das ZDF mitgeteilt und Nachfragen zu den GrĂŒnden zumindest zunĂ€chst "entschieden" abgewehrt.

Springer habe gegen ZDF-Beitrag nicht geklagt

Wiegand schreibt, ihm als Augenzeugen des "unter geheimnisvollen UmstĂ€nden verschwundenen Beitrags" sei auf den ersten Blick nichts Justiziables am Kurzfilm aufgefallen. Döpfner sei "einfach nicht sehr gut" weggekommen, "was auch damit zu tun haben könnte, dass Axel Springer bei ARD und ZDF wegen der scharfen Berichterstattung der Bild (gegenĂŒber den Öffentlich-Rechtlichen, d.A) nicht wirklich viele Freunde" habe.

Springer allerdings habe gegen den Beitrag nicht geklagt, halte der Konzern fest. Dort wundert man sich laut Wiegand ebenfalls, dass der Beitrag nicht mehr abrufbar sei.

Der kress-Chefredakteur hĂ€lt zwei Aspekte fĂŒr merkwĂŒrdig: "Die klammheimliche Zensur eines Beitrags, den Millionen Menschen live gesehen haben". Aber auch "die Weigerung (Kommasetzung redigiert, d.A.), dafĂŒr einen Grund zu nennen.

Wiegand folgert nachvollziehbar: "Wenn es in Teilen der Bevölkerung Vorbehalte gegen die öffentlich-rechtlichen Sender gibt, trÀgt so ein Verhalten sicher nicht dazu bei, das Vertrauen zu steigern."

Nach der Veröffentlichung habe dann die kress-Redaktion zunĂ€chst ĂŒber informelle KanĂ€le "doch noch eine BegrĂŒndung fĂŒr die Löschung" erreicht: "Offenbar sind in dem fraglichen ‚Heute Journal‘-Beitrag juristisch angreifbare Passagen".

An der mangelnden Kommunikation und fehlenden Transparenz zur Löschung habe es allerdings auch senderintern Kritik gegeben. Als Update fĂŒgte die kress-Redaktion schließlich noch an, ein ZDF-Sprecher habe am 4. Januar mitgeteilt: "Der Beitrag ist aus rechtlichen GrĂŒnden nicht mehr in der ZDFmediathek verfĂŒgbar. Die zustĂ€ndige Redaktion hat ihn wegen einer ungenauen Formulierung zurĂŒckgezogen."

Der Springer-Verlag habe sich ĂŒber den Beitrag weder beschwert noch die Veröffentlichung in der Mediathek verhindert. Die Entscheidung sei innerhalb des ZDF getroffen worden.

Die beiden hier skizzierten Fall-Beispiele (also: wie schnell und wie tief "Medienfreiheit" so oder so fallen kann) weisen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf: Es geht um das "Verschwinden" von zwei mehr oder weniger kritischen BeitrÀgen mit Blick auf den Axel-Springer-Verlag.

Einmal privat-rechtlich, das andere Mal öffentlich-rechtlich. Das eine Mal bereits vor der Veröffentlichung, beim zweiten Beispiel hinterher. In beiden FĂ€llen wird offiziellerseits darauf verwiesen, dass der Springer-Verlag nicht aktiv gegen die BeitrĂ€ge vorgegangen sei. Zumindest im "Fall Ippen" wird das in Kommentaren mit guten GrĂŒnden bezweifelt [13].

Schwer zu sagen, was bedenklicher wĂ€re: Wenn das Verschwinden der BeitrĂ€ge tatsĂ€chlich auf Interventionen auf dem Hause Springer zurĂŒckginge, oder aber, wenn in vorauseilendem Gehorsam seitens der Medienorganisationen Ippen-Verlag und ZDF diese BeitrĂ€ge kassiert wurden und damit die "innere Medienfreiheit" massiv unterlaufen wĂ€re.

Mit Blick auf Medienfreiheit nur "bedingt abwehrbereit"? Vielleicht erscheinen auch hier angesichts des mĂ€chtigen Gegenspielers Springer-Verlag (und Ă€hnlich wie gesamtgesellschaftlich gerade durch die Pandemie) lange bestehende und sich verschĂ€rfende Strukturprobleme gleichsam wie im Brennglas verdeutlicht – Medienfreiheit wird zwar prominent im Grundgesetz versprochen, aber spĂ€testens, wenn es kritisch wird, erweist sie sich alles andere als garantiert. Es sei denn, als Freiheit der Reichen und Einflussreichen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6321112

Links in diesem Artikel:
[1] https://kress.de/mail/news/detail/beitrag/148662-warum-zensiert-das-zdf-einen-beitrag-uber-axel-springer-und-den-bdzv.html
[2] https://netzpolitik.org/2021/springer-affaere-wie-aus-laengst-vergangenen-zeiten/
[3] https://dju.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++201c32bc-2ff8-11ec-b5b8-001a4a160111
[4] https://www.sueddeutsche.de/medien/springer-dirk-ippen-julian-reichelt-ippen-investigativ-1.5444106
[5] https://netzpolitik.org/2021/springer-affaere-wie-aus-laengst-vergangenen-zeiten/
[6] https://www.djv.de/startseite/profil/der-djv/pressebereich-download/pressemitteilungen/detail/news-redaktionelle-unabhaengigkeit-achten
[7] https://initiative-tageszeitung.de/lexikon/tendenzschutz/
[8] https://www.spiegel.de/politik/frei-ist-wer-reich-ist-a-9100aa3e-0002-0001-0000-000046413915
[9] https://www.youtube.com/watch?v=tt86BSYVlgc
[10] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-24-11-2021-100.html
[11] https://kress.de/news/detail/beitrag/148662-warum-zensiert-das-zdf-einen-beitrag-uber-axel-springer-und-den-bdzv.html
[12] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ddr-vergleich-medienhaeuser-ueben-kritik-an-springer-chef-doepfner-17596780.html
[13] https://netzpolitik.org/2021/springer-affaere-wie-aus-laengst-vergangenen-zeiten/