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Bedingungsloses Grundeinkommen - Chaos oder Schlaraffenland?

Wer würde noch arbeiten gehen, wenn es ein Grundeinkommen gäbe? Und wie lässt sich ein Grundeinkommen finanzieren?

Jedes Jahr, wenn die Wirtschaft mit einer Stelle hinterm Komma gewachsen ist, geht ein Raunen durch die Medien [1]. Angeblich sind die Arbeitslosenzahlen gegenüber dem Vorjahr wieder einmal gesunken [2]. Seltsamerweise kennen wir niemanden, der jüngst zu einem gut bezahlten, sozial versicherten Job gekommen wäre. Hingegen müssen sich Millionen Menschen den Vorwurf gefallen lassen, sie lägen auf Kosten der Allgemeinheit in der "sozialen Hängematte".

Arbeitende lassen sich gut gegen Arbeitslose ausspielen, besonders bei extrem niedrigen Löhnen. Viele sind noch froh, wenn sie irgend einen noch so unterbezahlten Job haben, denn alles ist besser als Hartz-IV. Ein-Euro-Jobber haben gar nichts zu lachen: Sie müssen eine bestimmte Arbeit machen, um Hartz-IV zu bekommen. Wer zu stolz ist, Sozialleistungen anzunehmen oder keine Lust auf staatliche Bevormundung hat, muss oft mehreren Jobs nachgehen, macht sich selbständig oder "gründet eine Existenz", was nur in seltenen Fällen eine langfristige Lebensplanung zulässt.

Arbeit, die krank macht

Wer das Glück hat, einen sozial versicherten Beruf auszuüben, ist häufig einem Arbeitsdruck ausgesetzt, der auch zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Laut einer Umfrage [3] der Bertelsmann-Stiftung von 2015 erreichen 18 Prozent oft die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, 23 Prozent lassen die regulären Pausen einfach ausfallen.

Jeder Achte erscheint krank im Unternehmen. Bei 42 Prozent ist das Arbeitsumfeld durch steigende Leistungs- und Ertragsziele geprägt. Mehr als die Hälfte der Beschäftigen glaubt, die Arbeitsmenge selber nicht beeinflussen zu können, jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen soll.

So zwingen sich nicht wenige jahrelang zu einer Arbeit, zu der sie eigentlich keine Lust haben und mit der sie definitiv überfordert sind. Dennoch kündigen sie nicht, aus Angst vor dem sozialen Abstieg. Dabei ist die innere Kündigung längst vollzogen. Viele werden unter diesem Druck krank.

Mit markigen Parolen - Arbeiten 4.0 - und gut gemeinten Konzepten will man uns die Angst vor dem überfüllten Arbeitsmarkt nehmen (In Zukunft wird weiter gerackert [4]). Obwohl es noch Menschen gibt, die zusammenzucken, wenn das bedingungslose Grundeinkommen (kurz: BGE) öffentlich angesprochen wird, so wird doch heute quer durch alle Parteien diskutiert.

Was würden wir tun, wenn für unser Einkommen gesorgt wäre? Die Wenigsten würden den ganzen Tag untätig auf dem Sofa sitzen. Einer Umfrage von 2008 zufolge würden 60 % der so Befragten weiterarbeiten wie bisher. 30 % würden weiterarbeiten, aber weniger oder etwas anderes. Lediglich 10 % würden gar nicht mehr arbeiten. Aber interessanterweise denkt jeder der Befragten, dass 80 % der anderen nicht mehr arbeiten würden [5].

Finanzierung über Steuern

Eine der wichtigsten Fragen zum Grundeinkommen ist die Art und Weise der Finanzierung. Hierzu gibt es einige Modelle - eines davon ist das der Besteuerung.

Für den Ökonomen Thomas Straubhaar [6], ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaft an der Uni Hamburg, gilt da ein einfacher ökonomischer Zusammenhang: Je höher das Grundeinkommen, desto höher die Steuersätze, und je niedriger das Grundeinkommen, desto niedriger die Steuersätze. Erhielten normal Verdienende ein Grundeinkommen, richtet sich die Höhe der Besteuerung jeweils nach deren Einnahmen. Das Grundeinkommen wäre also ein Steuerfreibetrag in Höhe des Existenzminimums.

Während ein hohes Grundeinkommen und hohe Steuersätze den Anreiz zu arbeiten verringerte, würde dieser sich erhöhen, je niedriger das Grundeinkommen wäre. Die Reichen, die ebenfalls ein Grundeinkommen erhielten, müssen dieses auch durch die Bruttobesteuerung ihrer Einkommen mitfinanzieren [7].

Oft wird die so genannte Negative Einkommensteuer in einem Atemzug mit dem Grundeinkommen genannt. Mag es rein rechnerisch dasselbe sein, bekommt man diese Steuergutschrift nur angerechnet, wenn man sich mittels Steuererklärung als dazu berechtigt "erklärt". Beim Grundeinkommen ist das nicht nötig [8].

Bei unserem heutigen Steuersystem handelt es sich um ein Labyrinth aus verschiedensten Steuerarten, welche zu berechnen ein riesiger bürokratischer Aufwand vonnöten ist. Durch die Einkommens- und Lohnsteuer werde in den Wertschöpfungsprozess eingegriffen, noch bevor dieser zum Abschluss gekommen ist, kritisieren Götz Werner und Adrienne Göhler in ihrem Buch "1000 € für jeden. Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen".1 [9]

Menschliche Arbeitskräfte werden besteuert, während Maschinenarbeit subventioniert wird. Hinzu kommen die Steuerprivilegien für Vermögende. Ein Grundeinkommen, gekoppelt an eine einzige Steuer - die Konsumsteuer -, würde nicht nur die Menschen frei von Existenzangst, sondern auch das Kapital in Ruhe arbeiten lassen.

Kritiker halten dagegen, dass mit einer Konsumsteuer in höheren Einkommensschichten mehr gespart werde, wodurch sich mehr unversteuertes Geld in den Händen Weniger konzentriert und deren Macht und politischer Einfluss zunehme [10]. Was Millionäre und deren Besteuerung angeht, die vor 20 Jahren abgeschafft wurde, so wird die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer ohnehin seit längerem diskutiert [11].

Wegfall staatlicher Leistungen

Der Staat verzettele sich in einem unübersichtlichem System aus Zuschüssen von Hartz-IV über Kindergeld, Elterngeld, Bafög bis hin zur Rente. Das geht auch anders, sagt der Berliner Aktivist Ralph Boes, der im vergangenen Jahr öffentlich hungerte, um auf unmenschliche Hartz-IV-Sanktionen aufmerksam zu machen [12]. Ihm zufolge koste das BGE keinen Cent.

Er warnt jedoch davor, über Nacht an jeden 1.000 € auszuzahlen. Dann stünden die Unternehmen still, die Geschäfte wären geschlossen, weil keiner mehr zur Arbeit ginge, glaubt der engagierte Arbeitslose, der für die Durchsetzung der Menschenrechte in den Jobcentern kämpft [13]. Seine Idee: Jeder erhält zunächst einen Betrag von 200 €, der nach einigen Monaten schrittweise um jeweils 200 € aufgestockt wird.

Dieser Betrag ist bereits in Kindergeld, Bafög, Rente, Arbeitslosengeld und Lohnsteuerfreibetrag enthalten, von wo sie jeweils abgezogen werden. Wird auf 400 € aufgestockt, sind diese ebenfalls in den o. g. Leistungen enthalten, außer im Kindergeld. Dafür fallen die für Kindergeld zuständigen Behörden und Gehälter weg, so dass Geld wiederum freigesetzt wird. Das Wohngeld käme dann noch obendrauf. Bei der Auszahlung von 600 € wäre die Sozialversicherung bereits mit drin.

Weil schon in 400 € der Hartz-4-Satz enthalten ist, könnten bei der Auszahlung dieses Betrages alle Jobcenter schließen. Eine Verschlankung des aufgeblasenen Apparates zur Verwaltung der Arbeitslosen würde gewaltige Summen freisetzen. Außerdem überfordere schon heute das wachsende Heer der Arbeitslosen die wenigen Sachbearbeiter (in Berlin früher 6.000, heute 2.000). Ein Drittel sei wegen des hohen Drucks am Arbeitsplatz ständig krank. Um die verbleibenden Arbeitssuchenden könnten sich die Fallmanager endlich verantwortungs- und respektvoll kümmern.

Zudem würden viele Jobs staatlich subventioniert, kritisiert der Mitbegründer der Bürgerinitiative Bedingungsloses Grundeinkommen in einem Interview im Mai 2015 [14]. So werde zum Beispiel im Ruhrgebiet bis zu 10.000 € für einen Job gezahlt, der gerade mal mit 1.000 € entlohnt wird. Durch eine Streichung derartiger Subventionen wäre zusätzliches Geld übrig. 12.500 € pro Person zahle der Staat jährlich an Sozialleistungen.

Das BGE kostet den Staat nur 12.000 € pro Person und Jahr. Ein Blick in den Bundeshaushaltsplan zeigt, dass für 2016 dem Ministerium für Arbeit und Soziales allein rund 130 Milliarden Euro für Sozialleistungen zur Verfügung stehen [15]

Schwarzarbeit für alle?

Ein anderes Dilemma, dass sich aus Hartz-IV ergibt, ist der Umgang mit der so genannten Schwarzarbeit: Dazuverdientes Geld über 100 € wird vom Amt mit ALG II verrechnet. Warum eigentlich? Wer arbeitslos ist, sieht nicht ein, warum er sich mit Almosen zufrieden geben soll, wenn er Gelegenheit hat, sie aufzubessern.

Außerdem fördert Beschäftigung die sozialen Kontakte. Wer es aber tut, handelt de facto illegal. Mit einem Grundeinkommen wäre dies erlaubt. Auch wer vorher für einen Niedriglohn schuften musste, kann sich dieses Geld dann ganz legal zum BGE oben drauf verdienen. Besonders im Niedriglohnsektor, so Ralph Boes, gehe es darum, die Menschen, vom Druck arbeiten zu müssen, zu befreien, ihnen aber gleichzeitig die Möglichkeit zum Arbeiten zu geben.

Oben genanntes Konzept klingt auf den ersten Blick überzeugend, wären da nicht die zahllosen Randgruppen, die irgendwie durchs Raster fallen: Nicht jeder bezieht Bafög, Rente, ALG, Grundsicherung, Kindergeld oder ein festes Gehalt. Viele Studenten müssen nebenher arbeiten gehen. Kleinstunternehmen und Selbständige genießen keine staatliche Unterstützung. Tausende Menschen leben in Deutschland mit nichts auf der Straße, nicht zu vergessen die Gefängnisinsassen, die durch Steuern mitfinanziert werden. Auch für diese Leute müsste dann ein Grundeinkommen mittels wegfallender Sozialleistungen der anderen mitfinanziert werden.

Verschenkte Milliarden durch unsinnige Subventionen

Der Markt regelt bekanntlich alles. Oder doch nicht? Offenbar können wir uns mit den unbequemen Konsequenzen einer funktionierenden Marktwirtschaft nicht so recht anfreunden. Warum sonst werden jährlich Milliarden Subventionen in umweltschädliche Industriezweige versenkt?

Zum Beispiel in die Stein- und Braunkohleindustrie: 2012 wurde sie EU-weit mit fast 10 Milliarden Euro bezuschusst. Der größte Anteil kam mit 3,1 Milliarden Euro aus Deutschland. Noch 2015 wurde der deutsche Steinkohlebergbau mit rund einer Milliarde Euro direkt subventioniert. NRW gab noch eine halbe Milliarde dazu [16].

Würde man anstelle der Subventionen allen Bergarbeiterfamilien ein angemessenes Grundeinkommen zahlen, wären sie nicht nur materiell grundversorgt, sondern könnten sich auch in aller Ruhe beruflich umorientieren [17].

Massiv subventioniert wird auch die Autoindustrie. Alle Hersteller von VW bis Daimler können somit Autos auf Halde produzieren - mehr als jemals gekauft werden [18]. Geht es nach der EU-Kommission, sollen vor allem Innovationen, die das "grüne Auto" fördern, in den nächsten Jahren kräftig bezuschusst werden [19].

Ein ähnliches Dilemma zeichnet sich im Agrarsektor ab: Jährlich werden EU-weit Agrarsubventionen in Millionenhöhe verteilt - mehr oder weniger ungerecht. So wurden 2013 in Deutschland 231 Unternehmen mir mehr als einer Million Euro bezuschusst. Während zwei Prozent der Betriebe mehr als 1,7 Milliarden Euro (mehr als 30 % der Subventionen) erhielten, hatte sich drei Viertel aller mit weniger als 20.000 Euro zu begnügen [20].

Unterm Strich wird ein Wirtschaftsystem am Laufen gehalten, das ohne staatliche Unterstützung gänzlich zusammenbrechen würde. Direkt an die Menschen ausgezahlt, hätten alle mehr davon, denn Geld, das ausgegeben wird, steigert die Nachfrage, und nicht zuletzt würde auch die Wirtschaft angekurbelt. Die vorhandenen Gelder wären nicht nur gerechter verteilt, es entstünden für jeden Einzelnen auch neue Freiheiten.

Ausblick

Angemessen bezahlte Arbeit ist ein rares Gut. Die Gründe für ihr Verschwinden sind vielfältig. Bestraft werden immer die Menschen, die sie verloren haben, und zwar mit Armut und Hartz 4. Warum eigentlich? - Es stellt sich die Frage, warum in einer Gesellschaft, in der immer mehr Reichtum angehäuft wird, Menschen keine Tätigkeit ausüben dürfen, die sie für sinnvoll halten, ohne um ihre Existenz bangen zu müssen.

Ein Einkommen zum Leben brauchen alle, ob sie arbeiten oder nicht. Ein BGE könnte das leisten. Zu klären wären noch etliche Detailfragen wie: Wie hoch ist das so genannte Existenzminimum? Kommen auch Asylsuchende in den Genuss des BGE? Müssen sich die vom BGE Ausgeklammerten weiter im Niedriglohnsektor ausbeuten lassen?

Während bei uns noch über den Sinn diskutiert wird, ist man in anderen Ländern schon einen Schritt weiter: So wird in diesem Sommer in der Schweiz per Volksabstimmung über ein Grundeinkommen entschieden [21].

In Finnland, wo die Arbeitslosigkeit die 10-Prozent-Marke erreicht hat, rückt es bereits in greifbare Nähe [22]. Und in Deutschland kamen - finanziert über Crowdfunding - seit 2014 eine Viertel Millionen Euro zusammen. Davon wurden ein Jahr lang an 23 Menschen 1.000 € im Monat gezahlt. Sie können über erste Erfahrungen mit dem Grundeinkommen berichten [23].

Sicher wird ein Grundeinkommen nicht die Welt retten. Der Kapitalismus wird nicht ausgehebelt, die Regeln der Marktwirtschaft gelten immer noch. Es wird nach wie vor extremen Reichtum geben. Doch da wo es eingeführt wird, gäbe es keine extreme Armut mehr. Alle Menschen hätten ein Dach über dem Kopf und können sich genug zu essen leisten. Genau dafür ist es gedacht. Ein kleiner Schritt hin zu etwas mehr Gerechtigkeit. Weitere Schritte dürfen folgen.


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https://www.heise.de/-3377979

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.merkur.de/wirtschaft/wirtschaftswachstum-deutschland-prozent-jahr-2015-zr-6033539.html
[2] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse-startpunkt/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/steigende-zielvorgaben-im-betrieb-foerdern-selbstgefaehrdendes-verhalten-von-arbeitnehmern/
[4] https://www.heise.de/tp/features/In-Zukunft-wird-weiter-gerackert-3377843.html
[5] http://www.zeitschriftlq.com/archiv_zlq/2009/1/lq-0901-01-was-wuerden-sie-tun-wenn-fuer-ihr-Einkommen.pdf
[6] http://www.insm-oekonomenblog.de/author/thomasstraubhaar/
[7] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/debatte-ueber-deutschen-sozialstaat-gleiches-geld-fuer-alle-a-679461.html
[8] http://www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de/de/faqs/31-allgemein/42-bge-versus-negative-einkommensteuer
[9] https://www.heise.de/tp/features/Bedingungsloses-Grundeinkommen-Chaos-oder-Schlaraffenland-3377979.html?view=fussnoten#f_1
[10] https://www.grundeinkommen.de/08/07/2011/der-konsumsteuer-vorschlag-ein-hindernis-auf-dem-weg-zum-bedingungslosen-grundeinkommen.html
[11] http://www.cecu.de/vermoegenssteuer.html
[12] https://www.freitag.de/autoren/liebernichts/hungern-gegen-hartz
[13] http://ralph-boes.de/Aktion.htm
[14] https://www.youtube.com/watch?v=Z8p0H8RvkBw
[15] http://www.bundeshaushalt-info.de/#/2016/soll/ausgaben/einzelplan.html
[16] http://klima-der-gerechtigkeit.boellblog.org/2015/06/05/viel-geld-fuer-investitionen-ohne-zukunft
[17] https://www.boell.de/de/2015/06/02/preisgestaltung-verdeckte-subventionen-offene-rechnungen
[18] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/automobilindustrie/subventionen-daimler-profitiert-am-meisten-1340.html
[19] http://www.dw.com/de/kommission-will-autoindustrie-helfen/a-16366407
[20] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/landwirtschaft-das-sind-die-groessten-empfaenger-von-eu-agrarsubventionen-1.1943758
[21] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grundeinkommen-was-sich-2016-in-der-schweiz-und-finnland-entscheiden-wird-a-1069076.html
[22] http://www.deutschlandfunk.de/finnland-erster-realtest-fuer-das-bedingungslose.795.de.html?dram:article_id=341025
[23] http://www.deutschlandradiokultur.de/praxistest-ein-jahr-bedingungsloses-grundeinkommen.1076.de.html?dram:article_id=341377