Berlin und die Verkehrspolitik: Rolle rückwärts beim Radwegenetz
Energie und Klima – kompakt: Umweltschutz und Gesundheit sollen ins Straßenverkehrsgesetz aufgenommen werden. In Berlin zeichnet sich eine neue Verkehrspolitik zugunsten des Autos ab.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat einen Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vorgelegt, der nun noch Bundestag und Bundesrat passieren muss. Das Straßenverkehrsgesetz selbst dürfte den meisten Verkehrsteilnehmern weitgehend unbekannt sein, da sie unmittelbar an die Straßenverkehrsordnung gebunden sind. Um aber Änderungen in der Straßenverkehrsordnung vornehmen zu können, muss zunächst der rechtliche Rahmen im StVG geschaffen werden.
Wohin die Reise mit dem neuen StVG und dem Entwurf einer Verordnung zur Änderung der StVO gehen wird, lässt sich noch nicht genau sagen. Der Verein Changing Cities etwa kommentiert: "Viel Gutes, wenig Konkretes". Aber immerhin soll etwas Gutes aus dem Haus kommen, das über Ministergenerationen hinweg nur durch Klimaschutzverweigerung geglänzt hat.
Worum geht es also bei der StVG-Novelle?
Wir modernisieren und erweitern das Straßenverkehrsgesetz, indem wir auch die Ziele des Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Ordnung mit aufnehmen. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs müssen aber auch in Zukunft immer berücksichtigt werden.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing
Die Aufnahme dieser Ziele kann beispielsweise dazu genutzt werden, neben dem Autoverkehr auch anderen Mobilitätsformen Vorrang einzuräumen. Kommunen erhalten dadurch die Möglichkeit, etwa Sonderfahrspuren für den ÖPNV oder "für bestimmte klimafreundliche Mobilitätsformen auf Erprobungsbasis, etwa für elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge oder mit mehreren Personen besetzte Fahrzeuge" auszuweisen, wie das Ministerium in seiner Pressemitteilung erläutert.
Die Kommunen erhalten damit mehr Handlungsspielraum und müssen ihre Entscheidungen nicht mehr allein der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs unterordnen. Dass dieser Spielraum auch im Sinne eines klimafreundlichen und sicheren Verkehrs für alle genutzt wird, ist allerdings noch nicht garantiert, wie das Beispiel Berlin in diesen Tagen zeigt – doch dazu später mehr.
Erleichtert werden soll laut BMDV auch die Anordnung von Tempo-30-Strecken, etwa in der Nähe von Spielplätzen, Schulen oder Fußgängerüberwegen. Von durchgängigen Tempo-30-Regelungen in Ortschaften ist beim BMDV allerdings nicht die Rede.
Changing Cities vermisst unter den neuen Zielen, die ins Gesetz aufgenommen werden sollen, auch die "Vision Zero", also das Ziel von null Verkehrstoten. "Zwar wirken die bisher genannten Ziele oft auch fördernd für die Verkehrssicherheit, jedoch sind wir der Meinung, dass die Vision Zero entscheidend für den Ausbau des öffentlichen Raums und die Zunahme an aktiver, nicht geschützter Mobilität ist", schreibt Changing Cities.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes starben im Jahr 2022 in Deutschland 2.782 Menschen bei Verkehrsunfällen. Das ist ein Anstieg um neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem mehr Radfahrer (hier hauptsächlich E-Bike-Fahrer) und Fußgänger kamen im Straßenverkehr ums Leben.
Und auch wenn der Klimaschutz nun leichter in die Verkehrsplanung integriert werden kann, hat Wissings Haus mit der in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachten Neufassung des Klimaschutzgesetzes einen Freibrief erhalten, weiterhin zu wenig für die Senkung der Emissionen des Verkehrssektors zu tun. Die bisher geltenden Sektorziele sollen demnach abgeschafft werden, es zählt nur noch die Gesamtbilanz aller Wirtschaftssektoren.
Verkehrspolitische Rolle rückwärts in Berlin
In Berlin sorgt unterdessen der von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) verhängte Stopp für den Ausbau des Radwegenetzes für Aufsehen. Am Wochenende demonstrierten nach Angaben von Changing Cities tausende Radfahrerinnen und Radfahrer gegen den plötzlichen Finanzierungsstopp der Verkehrsverwaltung.
Diese hatte Mitte Juni die Bezirke angewiesen, bereits geplante Radwege vorerst nicht weiter umzusetzen, alle Projekte sollen nach dem Willen der neuen Verkehrssenatorin erst einmal auf den Prüfstand.
Vom vorläufigen Ausbaustopp betroffen sind Radwege und Radfahrstreifen, die den Wegfall einer Fahrspur oder von Parkplätzen zur Folge haben – der Wegfall eines Parkplatzes reiche bereits aus, hieß es in dem Schreiben der Verkehrsverwaltung an die Bezirke. Im Bezirk Reinickendorf, wo eine Parteikollegin Schreiners Verkehrsstadträtin ist, wurde daraufhin der bereits fertiggestellte Fahrradstreifen in der Ollenhauerstraße nicht in Betrieb genommen, die Fahrradsymbole auf der Straße wurden wieder überklebt.
Eine persönlich betroffene Mitarbeiterin der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat nun Widerspruch gegen die Sperrung des fertiggestellten Radweges eingelegt. Die DUH selbst kündigt an, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen, sollte der Radweg nicht bis zum 3. Juli freigegeben werden.
Der Ausbaustopp sicherer Radwege ist ein Schlag ins Gesicht für die Millionen Menschen, die regelmäßig mit dem Rad in Berlin unterwegs sind. Dass ein fertiggestellter Radweg nicht in Betrieb genommen wird, ist ideologischer Wahnsinn. Aber auch den Stopp aller anderen Radwege, die bereits geplant sind, werden wir nicht hinnehmen und prüfen aktuell alle juristischen Möglichkeiten.
DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch
Im 2018 in Kraft getretenen Berliner Mobilitätsgesetz ist verankert, dass "an allen Hauptverkehrsstraßen (…) Radverkehrsanlagen mit erschütterungsarmem, gut befahrbarem Belag in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite eingerichtet werden" sollen.
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