Beyond Corona: Und wenn die Normalität gar nicht gut war?

Ideologiekritiker haben bisher mit vollen Bierzelten gefremdelt, volle Raucherkneipen mochten sie eher. Seit Corona ist beides verpönt. Foto: holzijue auf Pixabay / Public Domain

Wie der Ex-Grüne Thomas Ebermann für die Corona-Maßnahmen argumentiert und die Herausgeber von "Der Erreger" dagegen. Können sie noch miteinander streiten?

Corona hat den Alltag selbst in Zeiten mit relativ niedrigen Inzidenzen weiter voll im Griff. Das Cuba-Solidaritätsfest der traditionalistischen Linken in Berlin wurde als geschlossene Veranstaltung begangen, obwohl es bis 2019 auf einem großen Parkgelände stattgefunden hatte, wo die Ansteckungsgefahr nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen gering sein müsste.

Auch von einer Rückkehr zur Normalität bei Konzerten und Musik kann keineswegs die Rede sein. Der Entertainer Helge Schneider sagte weitere Konzerte unter Corona-Bedingungen ab. Konzerte von Nena hingegen wurden von den Veranstaltern abgesagt, nachdem sie bei einem Auftritt in Berlin von der Bühne aus die Corona-Maßnahmen kritisiert hatte.

Wenn also nirgends Normalität ist, wollten dieser Tage die Herausgeber der Broschüre "Der Erreger" mit einer Veranstaltung in Berlin das Gegenteil zelebrieren. Ihre Textsammlung kann für fünf Euro unter der E-Mail-Adresse dererereger@posteo.de bestellt werden. Mit der Veranstaltung wollten sie zumindest für einige Stunden praktisch "gegen die Sterilisierung des Lebens" vorgehen, wie der Untertitel der Broschüre heißt. Daher gab es natürlich keine Onlinevorstellung.

Auch das Hybrid-Format, also die schon etablierte Mischung aus Präsenz- und Digitalveranstaltung kam für die Broschüren-Herausgeber und ihre Freunde nicht infrage. Da man auch darauf verzichtete, eine große Wiese als Veranstaltungsort zu nehmen und aus Prinzip in einem sommerlich aufgeheizten Raum auch zum Rauchen ermunterte, stellte sich bald die Frage, ob denn die Rückkehr zu dieser "Normalität" überhaupt so erstrebenswert ist. Ist es wirklich ein zivilisatorischer Fortschritt, auf engem Raum zu schwitzen und passiv zu rauchen?

Die Texte zumindest regten zu Diskussion und Nachdenken an, auch wenn man die politischen Implikationen der verschiedenen Autoren nicht teilt. Es sind keine Texte, die auf schnellen Konsens zielen, und auch der heute so beliebte moralische Unterton wird größtenteils vermieden.

"Alle reden vom Virus, wir nicht"

Schließlich kommt ein Großteil der Autoren von "Der Erreger" aus dem Milieu der Ideologiekritik. Sie hatten sich schon vor 20 Jahren an der einst antideutschen Publikation Bahamas gemessen und irgendwann in eigenen Medien abgearbeitet. Losgekommen sind sie von der Bahamas nie ganz.Das zeigt sich schon daran, dass sie in einer Flugschrift mit den hochtrabenden Titel "Wider das Schweigen der Ideologiekritik zu Corona" der Bahamas vorwerfen, nicht stark genug gegen die Corona-Maßnahmen zu mobilisieren.

Prägend bei der Veranstaltung war die dem schon lange zu Tode zitierten Slogan des SDS entlehnte Parole "Alle reden vom Virus, wir nicht".

Der Verweis, dass man kein Virologe sei, ist ein richtiger Einwand gegen die vielen Hobbywissenschaftler mit ihren individuellen Therapievorschlägen. Aber kann man wirklich über die Corona-Maßnahmen urteilen, ohne zumindest eine Vorstellung vom Charakter der Pandemie zu haben? Zwischen den Zeilen war häufig zu lesen, dass ein Konsens jedenfalls in der Aussage besteht, ein "Killervirus" sei es zumindest nicht.

Störung im Betriebsablauf

Viele der Autorinnen und Autoren von "Der Erreger" bewegten sich für einige Jahre in einem Milieu, das sich mit Verweis auf verschiedene Schriften der Frankfurter Schule wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gegen Antisemitismus und deutschen Nationalismus wandte. In verschiedenen Texten wurden auch die Klassiker der Frankfurter Schule zitiert. Dazu gehörte auch Adornos-Satz aus einem Spiegel-Interview, dass die Welt auch vor zwei Wochen nicht in Ordnung war.

Auch der Publizist Thomas Ebermann gehörte lange Zeit zu dem Milieu, das mit der Frankfurter Schule gegen die schlechte Wirklichkeit argumentierte. Auch er hat kürzlich im Konkret-Verlag unter dem Titel "Störung im Betriebsablauf" eine Reihe der Texte zusammengefasst, die er in den letzten 15 Monaten verfasst hat.

Dabei ist er so ehrlich zu schreiben, dass er noch im Februar 2020 dem Virus, das da plötzlich in China auftauchte, keine besondere Beachtung schenkte. Zudem schreibt er offen, dass er von Naturwissenschaft wenig Ahnung hat und verweist auf Berater, auf die er sich dabei stützt. Sie haben wohl auch Anteil daran, dass Ebermann schreibt, dass ihm heute die Zero-Covid-Kampagne am nächsten ist, obwohl er deren staatstragenden Ton überzeugend kritisiert.

Weniger überzeugend ist allerdings das harsche Verdikt, mit der er Kritiker der Corona-Maßnahmen - wie auch den Verfasser dieses Textes wegen eines Buchprojekts - ins Lager der sogenannten Corona-Leugner zu stellen versucht. Da kommt der Sound autoritärer Linker zum Vorschein, zu denen Ebermann wie so viele andere, die später bei den Grünen Karriere gemacht hatte, in den 1970er-Jahren gehörte.

Obwohl er einst in der Fraktion der Grünen sogar die Wahl zum Vorsitzenden gegen den späteren SPD-Politiker und Bundesinnenminister Otto Schily gewann, hat Ebermann die Partei schon vor mehr als 30 Jahren verlassen. Noch 1984 verfasste er mit seinem Freund Rainer Trampert das Buch "Die Zukunft der Grünen - ein realistisches Konzept für eine radikale Partei". Es ist erstaunlich, dass sich Ebermann in seinem aktuellen Buch zur Coronakrise mehrmals positiv auf dieses Buch bezieht, obwohl es doch eigentlich heute noch vor allem als Dokument von Illusionen gelesen werden kann. Auch Ebermann verteilt eifrig Adorno-Zitate in den durchweg kurzweilig zu lesenden Texten.

Neben Adorno ist vor allem Herbert Marcuse sein Hauptzitatgeber. Ebermann betont häufig auch mit Verweis auf die Frankfurter Schule, dass ein Zurück zur Normalität ein reaktionärer Spießertraum ist. Ob er damit auch eine Veranstaltung in einem rauchgeschwängerten Veranstaltungsraum an einem warmen Sommerabend meint? Es wäre schon viel gewonnen, wenn es gelänge, die Autoren von "Der Erreger" mit Ebermann ins Gespräch zu bringen.

Sie sollten gegeneinander argumentieren, streiten und polemisieren. Das wäre auch ein Zeichen der Hoffnung, dass Menschen, die teilweise über Jahre gemeinsam gegen die realen Deutschen Verhältnisse angeschrieben haben, sich zumindest noch etwas zu sagen haben, wenn sie in einer wichtigen Frage zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.

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