Bis zu zehn Kilometer vorgestoßen: Angriff der Ukraine auf Russland dauert offenbar an

Karte von Kursk

Invasion in Region Kursk. Moskau muss Ausmaß eingestehen, Kiew schweigt, hält wichtige Details zurück. Ist dies der Anfang eines neuen Kapitels im Krieg?

Das ukrainische Militär soll nach russischen Angaben in die Grenzregion Kursk eingedrungen und in anhaltende, teils schwere Gefechte mit russischen Truppen verwickelt sein. Telepolis hatte bereits in der Nacht zum Mittwoch über die ukrainische Invasion in Russland berichtet, inzwischen haben auch Leitmedien wie tagesschau.de und Spiegel die brisante Entwicklung aufgegriffen.

Offiziellen Quellen zufolge hat die ukrainische Armee am Dienstagmorgen ihre bisher größte Truppe regulärer Streitkräfte nach Russland entsandt. Drohnenangriffe hätten den Mittwoch über angedauert.

Das russische Verteidigungsministerium hatte das Kampfgeschehen am Dienstag in Berichten über das militärische Tagesgeschehen erwähnt, die eigene Lage aber sehr positiv dargestellt. Inzwischen stellt sich heraus: Der Vorstoß der Ukrainer nach Russland scheint sehr viel erfolgreicher gewesen zu sein, als das von Moskau zunächst eingestanden wurde.

Das US-amerikanische Institute for the Study of War berichtet unter Berufung auf russische Quellen, dass die ukrainischen Streitkräfte am 6. August "eine Reihe von Überfällen auf das russische Gebiet Kursk durchgeführt" hätten.

Laut der in Kiew erscheinenden Tageszeitung Ukrainska Prawda hätten sowohl das russische Verteidigungsministerium als auch der Inlandsgeheimdienst FSB mitgeteilt, dass russische Grenztruppen zusammen mit FSB-Offizieren mehrere ukrainische Einfälle zurückgeschlagen hätten, an denen eine Streitmacht in Bataillonsstärke mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen beteiligt gewesen sei.

Ukrainische Truppen bis zu zehn Kilometer vorgestoßen

Rund 300 ukrainische Infanteristen, begleitet von einem Dutzend Panzern und mehr als 20 gepanzerten Fahrzeugen, sollen nach russischen Angaben am 6. August russische Militäreinheiten im Gebiet Kursk angegriffen haben, berichtet der US-Auslandssender Radio Free Europe/Radio Liberty in der Ukraine.

Die Invasion habe am Dienstagmorgen begonnen, woraufhin das russische Verteidigungsministerium den Einsatz der Luftwaffe und Artillerie ankündigte, um die eingefallenen Truppen zu zerschlagen.

Ortschaften in Russland attackiert

Die ukrainische Armee habe zwei Orte in der Oblast Kursk – Nikolajevo-Daryino und Oleshnya – angegriffen, die beide direkt an die ukrainische Region Sumy grenzen und 13 Kilometer voneinander entfernt sind. Die Eindringlinge sollen rund zehn Kilometer weit auf russisches Territorium vorgedrungen sein.

Der amtierende Gouverneur von Kursk, Alexej Smirnow, erklärte am Mittwoch über den Nachrichtendienst Telegram, die Situation sei "kontrollierbar". In den vergangenen 24 Stunden gab es in der Oblast Kursk mindestens ein Dutzend Luftalarme.

Nach russischen Angaben wurden fünf Menschen getötet, darunter zwei Besatzungsmitglieder eines Krankenwagens. Mindestens 20 Personen seien verletzt worden, darunter sechs Kinder.

Keine offizielle Stellungnahme aus Kiew

Die Ukraine hat bisher keine offizielle Stellungnahme abgegeben, obwohl es Anzeichen für militärische Aktivitäten auf ihrer Seite der Grenze gibt. Sowohl Kiew als auch Moskau behaupten, ihre Angriffe richteten sich nicht gegen Zivilisten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwähnte in seiner nächtlichen Ansprache am 6. August keine grenzüberschreitenden Operationen in den russischen Oblasten Kursk oder Belgorod. Auch die staatliche ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform und die Nachrichtenagentur Interfax–Ukraine gaben keine Details zu den angeblichen Vorfällen bekannt. Journalisten der Kyiv Post erhielten auf Anfrage von Quellen im ukrainischen Generalstab keine Auskunft.

Russlands Präsident Wladimir Putin berief angesichts der Berichte über einen Vorstoß ukrainischer Truppen auf das eigene Territorium ein Treffen mit Generalstabschef Waleri Gerasimow, Verteidigungsminister Andrei Beloussow und weiteren hochrangigen Offiziellen ein.

Putin bezeichnete diese Vorfälle als "großangelegte Provokation". Eine Stellungnahme von Kiew zu den Kämpfen in der Region liegt bisher nicht vor.

Russische kremlnahe Telegram-Kanäle berichteten, dass die Kämpfe in den Städten Sudscha und Korenewo andauern. Russische Truppen hätten sich von der Verteilungsstation Sudscha zurückgezogen, die Gas nach Europa über die Ukraine leitet.

Als Reaktion auf inoffizielle Berichte, dass ukrainische Kräfte den wichtigen Transitpunkt Sudscha erreicht hätten, stiegen die Preise für europäisches Erdgas stark an, wie die US-Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet.