Boris Johnson: Eine griechische Tragödie als Zirkusrevue

Lockdowns waren für Boris Johnson Party-Time. Jetzt will er seine Widersacher mit der Pädophilen-Lobby in Verbindung bringen. Symbolbild: Gerhard G. auf Pixabay (Public Domain)

Die letzten Getreuen sind schweigsam und die Stimmen derer, die den britischen Premier für untragbar halten, mehren sich. Er wird die Bühne aber nicht ohne weitere Knalleffekte verlassen

Am Mittwoch, dem 9. Februar 2022 sind – wieder einmal – neue Fotos aufgetaucht. Das Publikum sieht diesmal den englischen Premier in der Rolle des Quizmasters. Neben ihm ein Mitarbeiter festlich mit Lametta behangen und die unvermeidliche Pulle Schampus steht auf dem Tisch. Ein Weihnachtsquiz mag eine schöne englische Tradition sein und sie lockert die Stimmung in jedem Büro. Dumm nur, dass diese Sause am 15. Dezember 2020 stattgefunden hat, während schärfster Corona-Lockdown-Regeln.

Boris Johnson ist dies alles nur noch lästig. Befragt nach dem gerade erst aufgetauchten Foto, meinte er, diese Party sei doch ohnehin bereits in den Ermittlungen des Sue Gray-Reports enthalten gewesen, ohne sagen zu können, ob die Spitzenbeamtin Gray auch dieses Bild schon kenne.

Außerdem sei es ja ein Online-Quiz gewesen. Nur, die Anzahl der auf dem Bild identifizierten Personen, widersprach den damaligen Lockdown-Regeln. Ein typischer Johnson-Kniff: Die Leute sollen froh sein, dass sich nicht hunderte Party-People im Amtssitz tummelten, sondern die meisten nur online dabei waren.

Viele Fotos und polizeiliche Ermittlungen

Der politische Erfolg Johnsons war viele Jahre an das Geschick des Politikberaters Dominic Cummings geknüpft, der als der Mastermind hinter der erfolgreichen Brexit-Kampagne gilt. Cummings selbst musste Downing Street 10 verlassen, nachdem bekannt geworden war, dass er sich nicht an die Lockdown-Regeln gehalten hatte. Er selbst hielt seinen Rauswurf für ziemlich übertrieben und schwor Rache.

Kurz nachdem der Daily Mail, während der Parlamentsdebatte, die neuen kompromittierenden Fotos Johnsons veröffentlich hatte, ließ Cummings genüsslich auf Twitter verbreiten, es gäbe noch "vieeeeeeel bessere Fotos". Auch Aufnahmen aus der Privatwohnung von Boris Johnson seien vorhanden und sie würden sicher bald geleakt werden. Das Publikum darf somit gespannt bleiben. Allerdings ist fraglich ob sich die Bevölkerung nicht schon längst ein recht genaues Bild von den Verhältnissen im Amtssitz gemacht hat.

Unangenehm für Premier und Partei sind zudem die sich ständig, durch neuen Fotos und andere Hinweise, ausweitenden Untersuchungen der Metropolitan-Police. Die kämpft nämlich um ihren eigenen Ruf, nachdem es anfänglich so aussah, als sollten mit den polizeilichen Ermittlungen die Vorwürfe erst einmal in der Asservatenkammer verschwinden, bis sich der Staub gelegt hat.

Nun aber erkennt die Polizei überall neues, strafrechtlich relevantes Material und bei den laufenden Untersuchungen gegen Johnson lässt sich leicht der Überblick verlieren. Es geht neben den Partys beispielsweise auch um die teure Renovierung seiner Privatwohnung.

Das passt alles nur zu gut zur verhaltensauffälligen Persönlichkeit von Boris Johnson. Der hatte nach einem Jahr als Premierminister bereits gegenüber Freunden verlautbaren lassen, dass der Job wesentlich weniger "fun" sei, als gedacht und er einfach mit dem geringen Salär nicht auskäme. Nur wenige in England werden sich Tränen der Anteilnahme von den Wangen gewischt haben.

Ist das Ende nah?

Bei einer griechischen Tragödie ist das Ende zu Beginn klar. Es kann keine Rettung geben und das Schicksal wird unausweichlich seinen Lauf nehmen. Der gerne mit altphilologischen Bildungsbrocken um sich werfende Boris Johnson weiß dies natürlich. Die Frage ist, wie lange sich seine eigene Tragödie noch ziehen wird.

Einige fühlen sich bereits an die letzten Wochen von Maggie Thatcher erinnert, als die Tories ihrer Chefin die Gefolgschaft versicherten, wohl wissend, dass man bereits ohne sie plante. Anstehenden Regionalwahlen im Mai könnten schließlich den Wählern Gelegenheit bieten, die entsprechende Quittung auszustellen. Dies wollen viel verhindern.

Es sind aber nicht nur die Hinterbänkler die in den Wahlbezirken den moralischen Druck spüren. Gestern äußerte sich der Milliardär und Tory-Spender John Armitage zur Lage. Ihm gehe Johnsons Rücktritt zu langsam und er beklagt mangelndes Ehrgefühl in der Politik, weshalb er seine Millionenzahlungen an die Partei vorerst einstellen werde.

Andere Beobachter verweisen auf die berüchtigten Fähigkeiten Johnsons, seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge zu ziehen. Genau das macht Johnson im Moment auch so gefährlich. Seine politischen Ablenkungsmanöver verpufften derweil weitgehend. Nicht einmal das Versprechen, die Lockdown-Maßnahmen aufgrund der epidemiologischen Lage einen Monat früher enden zu lassen, zog den Fokus weg von den Skandalen.

Deshalb ist Johnson nun schon jedes Mittel der Ablenkung recht. Wie weit Johnson und mit ihm seine Partei bereits gesunken ist, lässt sich gut am Fall Jimmy Savile veranschaulichen.

Der Savile-Skandal

Jimmy Savile war ein beliebter Fernsehstar in Großbritannien, der sich einen Namen im Kinderprogramm der BBC gemacht hat. Nach seinem Tod wurde bekannt, dass er seine Position genutzt hat, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder auszuüben. Der in die Ecke getriebene Premier des Vereinigten Königreichs, Boris Johnson, meinte nun Montag letzte Woche, sein Opponent von Labour, Keir Starmer, habe seinerzeit als Chef der zuständigen Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gegen Savile nicht ausreichend untersucht.

Weil viele Menschen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder betroffen sind, ist dies ein hochemotionales Thema. Gerade Rechtsextremisten nutzen systematisch Vorwürfe dieser Art gegen Spitzenpolitiker, wie etwa beim "Pizzagate" in den USA. Britische Neo-Nazi-Gruppen bedienen sich der Vorgänge um Jimmy Savile seit langem, um den Verdacht gegen "mächtige Kreise" zu schüren, die angeblich abscheuliche Verbrechen begehen und verdecken.

Keir Starmer wurde nach den Vorwürfen Boris Johnsons auf offener Straße von einem aufgebrachten Mob attackiert. Johnson, der fraglos um die Konsequenzen seiner Hundepfeifen-Politik weiß, ruderte aber nur äußerst halbherzig zurück, selbst nachdem ihn die Opfer Saviles dazu aufriefen.

Er habe sicherlich nicht gemeint, dass Keir Starmer persönlich verantwortlich sei. Tatsächlich hatte dieser 2013 für die Verfahrensfehler seiner Behörde um Verzeihung gebeten. Mithin genau das, was ein verantwortungsvoller Chef tun sollte. Johnson der weitgehend unfähig ist, jemals Verantwortung zu übernehmen, nutzt nun genau dieses Eingeständnis Starmers für eine Verunglimpfung.

Das hat längst eine bedrohliche Dimension angenommen. Kräfte die hier entfesselt werden, sind kaum mehr zu bändigen. Wer glauben will Keir Starmer habe Jimmy Savile und dessen Verbrechen gedeckt (wofür es nicht den kleinsten Hinweis gibt und was auch die überwiegende Anzahl aller Tory-Abgeordneten für vollkommen absurd halten), der wird dies auch weiterhin tun. Jede Gegendarstellung, jeder Beleg dafür, wie falsch und leicht widerlegbar der Vorwurf ist, werden als Hinweis dafür verbucht, wie mächtig die Lobby der "paedophile protectors" sei.

Keir Starmer betont, diesen Vorwürfen vor den Anschuldigungen Johnsons noch nie ausgesetzt gewesen zu sein. Der Premierminister hat somit diesen Stein ins Rollen gebracht. Mehr kann ein Politiker kaum tun, um die politische Debatte zu vergiften. Einige in seiner eigenen Partei glauben, dass Johnson allein deswegen gehen sollte.

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