Breitseiten für Breitbart

Screenshot Twitter-Auftritt Sleeping Giants

Sleeping Giants: Seit etwa einem Jahr gibt es eine neue Strategie, um gegen rechte Hetze anzugehen. Kann man dem Kapitalismus Moral beibringen?

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Dass rechte Hetzseiten eine Mitverantwortung für die jüngsten internationalen Erfolge der Neuen Rechten tragen, ist kaum bestreitbar. Zumindest stehen Wahlerfolge und organisierte Hetze in Wechselwirkung, sind Aspekte des gleichen Phänomens: das Absinken eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung entwickelter Staaten in rassistischen, chauvinistischen Wahn. Seit etwa einem Jahr gibt es eine neue Strategie, um gegen die Hetze anzugehen.

Der "schlafende Riese" kann als Metapher für vieles stehen. Für die endlose Liebe, wie in dem bekannten Märchen, für die Sehnsucht nach Veränderung, für Supervulkane.

All das hatten die Sleeping Giants, um die es hier gehen soll, nicht im Sinn, als sie sich einen Namen aussuchten. Eher wollen sie auf die Macht einer stillen Mehrheit anspielen, von der sie zumindest hoffen, dass sie existiert.

Vor einem knappen Jahr in den USA auf den Plan getreten möchten die Sleeping Giants die Kraft des Internets erwecken, um den Sumpf auszutrocknen, der die Existenz und die Reichweite rechter Hetzseiten wie "Breitbart" überhaupt ermöglicht.

"Programmatic Advertising"

Moderne Werbung läuft nicht mehr so, dass einzelne Publikationen bei Wirtschaftsunternehmen Kaltakquise betreiben. Wenn im Internet die Reklame automatisiert wird, kann auch der PR-Abteilung eines Großkonzerns der Überblick abhanden kommen, wo für ihn geworben wird. Die deutsche Abteilung der "Sleeping Giants" schreibt in ihrer FAQ dazu:

Der Grund dafür ist "Programmatic Advertising": Ein komplexes System der Online-Werbeplatzierung, bei dem nicht einfach eine Anzeige auf bestimmten Seiten geschaltet, sondern die Werbung den NutzerInnen angepasst wird. (…) Programmatic Advertising ist eine günstige, niederschwellige Art online zu werben. Große Firmen wie Coca Cola, aber auch das kleine Café um die Ecke nutzen diese Möglichkeit. Was fehlt: die Kontrolle.

Weil Programmatic Advertising auf einzelne NutzerInnen abgestimmt ist, indem es deren Surfverhalten nutzt, um herauszufinden, für welche Produkte sie empfänglich sein könnten, wissen werbende Organisationen oder Firmen oft nicht, auf welchen Webseiten ihre Anzeigen schließlich auftauchen.

Sleeping Giants Europe: FAQ Deutsch

Genau hier setzen die Sleeping Giants an. Sie sichten die Anzeigen, die bei Breitbart aufschlagen, und berichten Firmen, die den Überblick verloren haben könnten, was da in ihrem Namen geschieht. Sie tun das öffentlich, in sozialen Medien (hauptsächlich Twitter und Facebook), mit den betreffenden Screenshots, um sofort maximale Aufmerksamkeit zu erregen.

Wenn die betreffenden PR-Abteilungen reagieren, veröffentlichen sie diese Reaktionen auch. Eine simple Strategie, an der sich jeder beteiligen kann, selbst wenn er nicht zu den eingeweihten Organisatoren gehört. Es scheint die Absicht der Sleeping Giants zu sein, ein möglichst niederschwelliges Mitmachangebot für alle bereit zu halten, denen die rechte Bigotterie ein Dorn im Auge ist.

Über 3.000 Firmen ziehen ihre Anzeigen zurück

Sie weisen auch die Kunden von Google AdWords darauf hin, dass Google eine Möglichkeit bietet, Anzeigen selbst von bestimmten Plattformen zu verbannen. Der Erfolg ist beeindruckend. Mit Stand vom 27.10.2017 hatten 3.370 Firmen ihre Anzeigen von Breitbart zurückgezogen.

Breitbart reagiert bisweilen sehr empfindlich auf Werbetreibende, die keine Lust mehr haben, mit den Methoden und Themen der alt-right in Verbindung gebracht zu werden. Als Kellogg’s seine Anzeigen zurückzog, rief Breitbart zum Boykott der Marke auf.

Die Sleeping Giants selbst beharren darauf, dass ein Boykott der Firmen, die ungewollt bei Breitbart werben, absolut nicht in ihrem Sinn ist. Ihnen geht es schließlich darum, nicht sie, sondern Breitbart zu treffen.

Ein Versuch, dem Kapitalismus Moral beizubringen

Kritisch anzumerken wäre, dass die Kampagne der schlafenden Riesen einer der weiteren Versuche ist, dem Kapitalismus eine Moral beizubringen. Da er keine hat, sind solche Versuche stets mühsam und nur in Ausnahmefällen von Erfolg gekrönt, aber die schnell wachsende Zahl der Firmen, die zumindest ein wenig auf den moralischen Kompass ihrer Kunden Rücksicht nehmen wollen, wirkt immerhin ermutigend.

Zusätzlich stellt sich die Frage, warum sich auch die deutsche Abteilung der Sleeping Giants auf Breitbart konzentriert. Es gibt ja auch in Deutschland Publikationen, Vereinigungen und Websites, die wie Breitbart agieren und die sich ebenfalls gern von Werbekunden unterstützen lassen.

Jedenfalls ist die ganze Sache implizit auch ein großer, deutlicher Kommentar zu den kontraproduktiven Versuchen, mit "Rechten zu reden". Man redet besser über sie. Zum Beispiel darüber, wo sie ihr Geld her haben.