Bürgergeld-Reformpläne der CDU: Her mit den kleinen Sparvermögen!
Auch Selbständige müssen sich warm anziehen: Die CDU stellt Karenzzeit und Schonvermögen infrage. Was der Europarat stattdessen anmahnt.
Die Unionsparteien sind zur Zeit in Umfragen stärkste Kraft, stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit den nächsten Kanzler und haben scheinbar kaum Bedenken, als Parteien der sozialen Kälte wahrgenommen zu werden. Mahnende Worte aus Straßburg hin oder her.
Der dort ansässige Europarat ist der Meinung, dass schon die aktuelle Bundesregierung nicht genug gegen Armut und Wohnungsnot in Deutschland unternimmt. Die Bundesrepublik solle "Menschenrechtsversprechen einlösen und den Zugang zu sozialen Rechten verbessern", heißt es in einem aktuellen Bericht des Europarats.
Warum Armut in Deutschland europaweit auffällt
Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes – diesen Eindruck nahm die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, bei einem Besuch in Deutschland vom 27. November bis 1. Dezember 2023 mit.
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Die Veröffentlichung des Berichts erfolgte nur wenige Stunden, nachdem die CDU am Montag in Berlin ihr Konzept zur Abschaffung des Bürgergeldes in seiner jetzigen Form vorgestellt und damit klar gestellt hatte, dass sie gegen Armut nicht mehr, sondern weniger als die aktuelle Bundesregierung tun will. Vor allem soll der Druck auf Bedürftige beim Bezug der Lohnersatzleistung steigen.
Die harte Linie der CDU: Noch mehr Druck auf Bedürftige
Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab ("Totalverweigerer"), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist. Ein Anspruch auf Grundsicherung besteht dann nicht mehr.
Die Neue Grundsicherung Beschluss des Bundesvorstandes der CDU, Berlin, 18. März 2024
Dabei soll angeblich sichergestellt werden, dass "Kinder und Partner nicht unter dem Verhalten von Totalverweigerern leiden". Wie genau die CDU sich das vorstellt, verrät sie nicht. Verbleiben die Kinder im betroffenen Haushalt, werden sie die Mangelsituation zu spüren bekommen – werden sie den Eltern weggenommen, kann das traumatisierend wirken.
"Mit ihren Plänen zum Bürgergeld forciert die Union die Kinderarmut. Wenn Menschen die Leistungen komplett gestrichen werden, leiden darunter vor allem deren Kinder", kritisierte Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic am Montag.
Zwei Monate kein Bürgergeld: Grüne pochten auf Befristung
Die Grünen hatten im Januar zumindest durchgesetzt, dass die von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplante Vorschrift, dass der Bürgergeld-Regelsatz für bis zu zwei Monate vollständig zu gestrichen werden kann, auf zwei Jahre befristet wird. Begründet wurde dies mit der angespannten Haushaltslage.
Die CDU will von solchen Fristen unabhängig von der Haushaltslage nichts mehr wissen. Auch bei versäumten Terminen im Jobcenter sollen wegen Verletzung der "Mitwirkungspflicht" automatisch keine Leistungen mehr ausgezahlt werden, bis "der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird".
Der Partitätische Wohlfahrtsverband hat in diesem Zusammenhang davor gewarnt, Betroffenen während einer Depression den "letzten Tritt" zu geben.
Das Schonvermögen in Gefahr: CDU-Pläne in der Kritik
Aber das ist noch nicht alles."Die CDU-Grundsicherung ist eine Bedrohung für Familien, vor allem für Selbstständige, für die Altersvorsorge, das Häuschen", wirft der Grünen-Sozialexperte Andreas Audretsch den Christdemokraten vor.
Aus der Luft gegriffen ist dieser Vorwurf nicht: Auch das Schonvermögen ist in Gefahr, wenn sich die CDU mit ihren Plänen durchsetzt. Beim Bezug ihrer "Neuen Grundsicherung" soll die Karenzzeit von zwölf Monaten abgeschafft und bereits ab dem ersten Tag eine Vermögensprüfung durchgeführt werden. Auch die Grenzen für das Schonvermögen sollen abgesenkt werden. Audretsch sieht darin einen "Schlag vor allem für Selbständige".
Für heimliche Multimillionäre würde das keinen großen Unterschied machen – aber für Menschen, die mittlere fünfstellige Beträge gespart haben, einen erheblichen. Vor allem, wenn sie bisher selbständig waren und zurückgelegt haben, was abhängig Beschäftigte in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.
Letztere erhalten im Fall der Erwerbslosigkeit zumindest ein Jahr lang Arbeitslosengeld, das als Versicherungsleistung keiner Vermögensprüfung unterliegt.
VdK-Chefin spricht von populistischem Wahlkampf
Wer danach auf Bürgergeld angewiesen ist, darf nach aktuell geltenden Regeln im ersten Jahr des Leistungsbezugs die Ersparnisse behalten. Alleinstehende müssen Vermögen erst ab einer Höhe von 40.000 Euro einsetzen. Für jede weitere Person einer Bedarfsgemeinschaft sind jeweils weitere 15.000 Euro geschützt.
Wenn die Karenzzeit von einem Jahr wegfällt, müssen Selbständige im Fall einer Auftragsflaute sofort anfangen, Ersparnisse "aufzuessen"."Dass die CDU auch alle Schutzbarrieren beim Wohnraum und Ersparnissen beseitigen will, ist eine Bedrohung gerade für ältere Arbeitnehmer und Selbstständige, die sich wegen der Transformation des Arbeitsmarktes neu orientieren müssen", kritisierte am Montag die Chefin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele.
Sie habe den Eindruck, "dass hier sehr frühzeitig der Wahlkampf mit populistischen Angriffen gegen das Bürgergeld eingeläutet wird", sagte Bentele dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Hinweis auf verfassungsrechtlich geschütztes Existenzminium
"Dabei werden auch Vorschläge gemacht, die verfassungswidrig sind, wie zum Beispiel eine politisch gesetzte Begrenzung bei den Regelsätzen. Das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum lässt das aber nicht zu." Gemeint ist diese Passage im CDU-Grundsicherungskonzept:
Es soll weiterhin eine jährliche Anpassung der Regelsätze erfolgen. Es ist richtig, dass steigende Preise nicht erst rückwirkend zu höheren Grundsicherungsleistungen führen.
Die historisch hohen Inflationsraten der vergangenen zwei Jahre haben jedoch zu unverhältnismäßigen Anpassungen und damit Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung geführt. Solche Extreme wollen wir künftig verhindern.
Die Neue Grundsicherung Beschluss des Bundesvorstandes der CDU, Berlin, 18. März 2024
Auf mögliche Akzeptanzprobleme hat CDU-Chef Friedrich Merz allerdings auch aktiv Einfluss genommen, als er behauptete, 1,7 Millionen Menschen würden nur nicht arbeiten, weil es sich aus ihrer Sicht nicht lohne, ohne Faktoren wie fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder unpassende Anforderungsprofile für offene Stellen zu berücksichtigen.
Breite Ablehnung, aber der Arbeitgeberpräsident ist dafür
Auch SPD, Linkspartei, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Sozialverbände äußerten sich zu dem CDU-Vorhaben ablehnend und sehen darin zum Teil einen Angriff auf den Sozialstaat.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat die Pläne allerdings ausdrücklich begrüßt: "Wir brauchen eine Grundsanierung des Bürgergeld-Systems", sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur. "Wir müssen den Sozialstaat vom Kopf auf die Füße stellen." Nötig sei ein "treffsicherer Sozialstaat", der sich auf die Bedürftigen konzentriere und wehrhaft gegen Missbrauch sei. "Daher begrüße ich die Vorschläge der CDU zum Bürgergeld.“
Dulgers positive Reaktion dürfte der Arbeitsrechler und Linken-Politiker Jörg Schindler jedoch als Bestätigung seiner Einschätzung sehen, dass es eher um die Erpressbarkeit von Millionen Lohnabhängigen geht als um ein paar mutmaßlich faule Erwerbslose.