Bundestag: Sitzt ein Geheimnisverräter in der Unions-Fraktion?

Das Flottendienstboot Alster im Hafen von Kiel (2009). Bild: Bin im Garten, CC BY-SA 3.0

Nachrichtenmagazin skandalisiert parlamentarische Frage nach Kriegsschiffen im Ukraine-Einsatz. Doch solche Gesuche sind üblich. Eng könnte es für einen anderen Abgeordneten werden.

Mit einer beachtlichen Meldung hat es der Linken-Bundestagsabgeordnete Ali Al-Dailami in das aktuelle Heft des Nachrichtenmagazins Der Spiegel geschafft. Im Verteidigungsausschuss des Bundestags, so heißt in dem auch online verbreiteten Kurztext, gebe es "Unmut" über den Verteidigungspolitiker, weil er "Fragen zu den genauen Standorten von Überwachungsbooten der deutschen Marine gestellt, von denen eines nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in die Ostsee ausgelaufen war".

So weit, so parlamentarisch-langweilig. Der Spiegel aber skandalisierte die Einzelfrage, weil Al-Dailami "eine aktive Kriegsbeteiligung durch die Bundesrepublik insinuierte" und die "Offenlegung solcher Koordinaten vor allem für Russland interessant wäre", so der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl gegenüber dem Magazin. Brandl wird in der Meldung als einziger Kritiker namentlich genannt, was nahelegt, dass die Redaktion durch ihn auf die Frage aufmerksam geworden ist.

Nun sind solche Geplänkel nicht unüblich, was auch durch den Allgemeinplatz nicht wettgemacht wird, Al-Dailamis Frage habe "bei Verteidigungspolitikern anderer Fraktionen für Kopfschütteln" gesorgt.

Konkret hatte Al-Dailami gefragt:

Wo konkret waren bzw. sind die Flottendienstboote der Bundeswehr seit dem 13.April 2022 positioniert (Positionen bitte als Liste bzw. Grafik angeben), und kann die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen ihrer Aufklärungstätigkeit und dem Kriegsgeschehen in der Ukraine, da- runter auch die Torpedierung des russischen Kriegsschiffs Moskwa am 14.April 2022 ausschließen?

Schriftliche Frage des Linken-Abgeordneten Ali Al Dailami, hier auf Seite 102

Nun ist es nicht unüblich, dass im Verteidigungsausschuss nach solchen Details gefragt wird. Sind Sicherheitsinteressen betroffen, hat die Bundesregierung laut Geschäftsordnung immer die Möglichkeit, ihre Antwort ganz oder teilweise mit einer Geheimschutzstufe zu verstehen: "Verschlusssache – Nur für Dienstgebrauch" oder "Geheim".

Wer hat geschützte Informationen an die Presse gegeben?

Und genau so wurde im aktuellen Fall verfahren. Das Bundesverteidigungsministerium stellte seiner Replik voraus:

Die Beantwortung der Frage kann in offener Form nicht erfolgen. Die Einstufung als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad "VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH" ist im vorliegenden Fall in Hinblick auf das Staatswohl erforderlich*. Nach § 2 Absatz 2 Nummer 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung, VSA) vom 10. August 2018 sind Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein können, entsprechend einzustufen.

Einleitungsbemerkung des Bundesverteidigungsministeriums

Interessant ist die Meldung und ihr politischer Hintergrund dennoch. "Andere (Abgeordnete) sagen", heißt es darin, "solche Fragen seien äußerst unüblich, auch wenn der Ausschuss geheim tage".

Aber ist das so? Nachdem das deutsche Flottendienstbootes "Alster" Ende 2011 von den Bordkanonen eines syrischen Kriegsschiffes in Visier genommen worden war, protestierte der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour just im Spiegel, es sei "zu prüfen ist, ob ein solcher Einsatz ein Mandat des Bundestags braucht". Auf jeden Fall müsse das Parlament informiert werden.

Vergleicht man diesen (und andere) verteidigungspolitische Konflikte im Deutschen Bundestag mit jenem, den der Spiegel nun skandalisiert, bleiben Fragen.

Politisch: Dürfen Abgeordnete des Deutschen Bundestags künftig noch zu Einsätzen fragen? Müssen sie Bedenken haben, indirekt als Informanten einer gegnerischen Macht dargestellt zu werden?

Medienethisch: Was ist der Nachrichtenwert dieser Meldung? Inwieweit macht sich der Spiegel selbst zum Sprachrohr politischer Interessen? Weshalb wird mit den beiden genannten Fällen journalistisch völlig anders umgegangen?

Strafrechtlich übrigens könnte ein gänzlich anderer Aspekt Folgen haben. In der Kurzmeldung wird nämlich sogar aus der als Verschlusssache eingestuften Antwort der Bundesregierung zitiert: "Ein Zusammenhang mit der ‚Moskwa‘ kann ausgeschlossen werden."

Damit steht die Frage im Raum, ob der im Text zitierte CSU-Verteidigungspolitiker Reinhard Brandl ein Geheimnisverräter ist, oder ob der Redaktion einer der "anderen" angeführten Ausschussmitglieder die Information zugespielt hat.

Damit wäre Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Zug. In einem ähnlichen Fall, so hatte Bas gegenüber Telepolis vor einigen Wochen erklären lassen, sei wegen des Verdachts "eines Geheimnisverrats die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353b Abs. 4 Nummer 1 StGB erteilt" worden.

Die Pressestelle des Bundestags ließ dazu ergänzend wissen, es entspräche "der langjährigen parlamentarischen Praxis, dass der Präsident bzw. die Präsidentin des Bundestags in Verdachtsfällen eines Geheimnisverrats die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteile.


Redaktioneller Hinweis: Der Abgeordnete Reinhard Brandl gehört der CSU-Fraktion an, nicht der CDU. Die Frage von Al-Dailami bezog sich, wie auf der kommenden Seite zu lesen, generell auf Flottendienstboote, nicht nur auf jene in der Ostsee, wohin laut Spiegel eines dieser Boote ausgelaufen war. Beide Passagen sind korrigiert.

Deutsche Kriegsschiffe im Ukraine-Einsatz: Die gesamte Antwort der Bundesregierung

Telepolis dokumentiert die Frage des Abgeordneten Al-Dailami sowie die Antwort von Siemtje Möller, Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium.


Abgeordneter Ali Al-Dailami (DIE LINKE.):

Wo konkret waren bzw. sind die Flottendienstboote der Bundeswehr seit dem 13. April 2022 positioniert (Positionen bitte als Liste bzw. Grafik angeben), und kann die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen ihrer Aufklärungstätigkeit und dem Kriegsgeschehen in der Ukraine, darunter auch die Torpedierung des russischen Kriegsschiffes Moskwa am 14. April 2022 ausschließen?

Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Siemtje Möller vom 8. Juni 2022

Die Beantwortung der Frage kann in offener Form nicht erfolgen. Die Einstufung als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad „VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“ ist im vorliegenden Fall in Hinblick auf das Staatswohl erforderlich.

Nach § 2 Absatz 2 Nummer 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung, VSA) vom 10. August 2018 sind Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein können, entsprechend einzustufen.

Eine zur Veröffentlichung bestimmte Antwort der Bundesregierung auf diese Frage würde Rückschlüsse auf die operative Einsatzplanung zulassen.

Darüberhinaus ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung der Auffassung, dass der Frageanteil zu den konkreten Positionsangaben der Flottendienstboote aus Gründen des Staatswohls nicht, auch nicht in eingestufter Form, beantwortet werden kann.

Die Beantwortung der Frage würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maße berühren. Auch eine Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen als Verschlusssache beim Deutschen Bundestag würde der Bedeutung der Informationen in Hinblick auf die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie dem Schutz deutscher Interessen im Ausland nicht ausreichend Rechnung tragen.

Selbst eine Bekanntgabe gegenüber dem begrenzten Kreis von Empfängern kann dem Schutzbedürfnis nicht hinreichend Rechnung tragen, da auch nur die geringe Gefahr des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann.

Die Beantwortung der Fragen würde die Fähigkeiten und Arbeitsweisen so detailliert beschreiben, dass daraus unmittelbar oder mittelbar Rückschlüsse auf den Einsatz und die Fahrprofile der Flottendienstboote gezogen werden können.

Eine Preisgabe dieser Informationen könnte zu einer erheblichen Gefährdung der Flottendienstboote führen. Daraus können schwerwiegende negative Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland entstehen.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass die erbetenen Informationen derart besonders schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen berühren, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht wesentlich überwiegt. Insofern muss ausnahmsweise das Fragerecht der Abgeordneten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen.