Bundeswehr-Kitas in Litauen – die deutsche Rolle in der Nato

Wehrminister Boris Pistorius (Mitte, SPD, hier mit US-Botschafterin Amy Gutmann, r.) ist angeblich unbesorgt, genug Freiwillige zu finden. Foto: U.S. Secretary of Defense / CC0 1.0

Deutschlands Beitrag zum neuen Nato-Streitkräftemodell. Teils hohe Anreize für Soldat:innen. Wie steht es um die Resonanz?

Mit einiger Effekthascherei wurde kürzlich gemeldet, Deutschland stelle 35.000 Soldat:innen für das neue Nato-Streitkräftemodell zur Verfügung. Der Neuigkeitswert dieser Nachricht ist allerdings begrenzt: Ähnliche Angaben ließen sich bereits im Sommer auf der Internetseite des Verteidigungsministeriums nachlesen.

Dennoch werden allmählich mehr und mehr Einzelheiten über die deutsche Rolle in den neuen Nato-Plänen bekannt – im Zentrum steht dabei die Aufstellung einer schweren Division sowie die Aufstockung der Bundeswehrdauerpräsenz in Litauen. Allerdings werfen die Pläne auch die Frage auf, ob die Bundeswehr sich allerdings mit ihrem ambitionierten Zeitplan nicht übernommen hat.

Bei ihrem Gipfeltreffen im Juni 2022 verabschiedete die Nato nicht nur ein neues Strategisches Konzept, sondern auch ein neues Streitkräftemodell (New Force Model, NFM). Bis dato wurden im Rahmen der Schnellen Nato-Eingreiftruppe "nur" 40.000 Soldat:innen in einem hohen Bereitschaftsgrad vorgehalten, um sie bei Bedarf schnell verlegen zu können.

Demgegenüber sieht das NFM nun drei Bereitschaftsgrade vor: 100.000 Soldat:innen sollen innerhalb von nur zehn Tagen in Bewegung gesetzt werden können; bis Tag 30 will die Nato dann in der Lage sein, bis zu 200.000 weitere bewaffnete Kräfte hinterherzuschicken; und bis Tag 180 sollen noch einmal 500.000 Soldat:innen mobilisiert werden können.

Die entsprechenden Verteidigungspläne, mit denen diese Truppen auf rund 4.000 Seiten detailliert mitsamt Bewaffnung bestimmten Regionen zugeordnet werden, wurden dann beim letzten Nato-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 verabschiedet. Die Details sind zwar geheim, generell sollen nun aber wieder klare geografische Zuständigkeiten existieren, weshalb dementsprechend drei regionale Verteidigungspläne auf dem Nato-Gipfel verabschiedet:

Ein Plan beschäftigt sich mit der Sicherung des hohen Nordens sowie des Atlantikraums, die von Norfolk in den USA aus organisiert werden soll. Das Hauptquartier im niederländischen Brunssum ist für die Umsetzung des zweiten Plans zuständig, der Mitteleuropa vom Baltikum bis zu den Alpen abdeckt.

Das dritte, ebenfalls als geheim eingestufte Dokument beschreibt den Schutz von Südosteuropa, inklusive des Schwarzen Meers und des Mittelmeers. Dies soll von Neapel geplant werden.


Süddeutsche Zeitung, 12. Juli 2023

Das neue Streitkräftemodell soll bereits ab Januar 2025 in Kraft treten, was Deutschland umgehend dazu veranlasste, auch die eigenen Pläne noch einmal deutlich zu beschleunigen.

Die Bundeswehr stellt "traditionell" rund zehn Prozent der Nato-Kapazitäten, für das neue Streitkräftemodell scheint für die ersten beiden Bereitschaftsgrade sogar mehr zugesagt worden zu sein. Die entsprechenden Zahlen waren, wie eingangs erwähnt, bereits vor einigen Monaten auf der Seite des Verteidigungsministeriums zu finden:

Die Nato wird künftig 300.000 Soldatinnen und Soldaten in hoher Bereitschaft vorhalten, außerdem beträchtliche Marine- und Luftunterstützung. Von 2025 an sollen 35.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu Verbänden der beiden höchsten Bereitschaftsstufen gehören. In Litauen wird die Bundeswehr eine robuste Brigade stationieren, sobald alle infrastrukturellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.


Bundesministerium der Verteidigung / bmvg.de, 13. Juli 2023

Schwerer Großverband: Division 2025

Über den gesamten Zeitraum des Kalten Krieges war die Aufgabe der Bundeswehr relativ klar umrissen: Sie sollte der Nato schwere Großverbände für einen möglichen Krieg gegen die Warschauer Vertragsorganisation zur Verfügung stellen.

Mit deren Auflösung im März 1991 wurde ein neues Aufgabenprofil gesucht und gefunden: Militärinterventionen gegen technologisch deutlich unterlegene Gegner im sogenannten Globalen Süden wurden zur neuen Kernaufgabe der Truppe.

Dementsprechend wurden die Großverbände des Kalten Krieges nach und nach aufgelöst und durch mobilere und schnell über lange Strecken verlegbare Einheiten für weltweite Interventionen "Out-of-Area" ersetzt. Innerhalb von rund 15 Jahren veränderte sich die Truppe damit grundlegend, sodass im ranghöchsten Papier der Bundeswehr im Jahr 2006 festgehalten wurde:

Die Struktur der Bundeswehr wird konsequent auf Einsätze ausgerichtet. […] Sie sind strukturbestimmend und prägen maßgeblich Fähigkeiten, Führungssysteme, Verfügbarkeit und Ausrüstung der Bundeswehr.


Weißbuch der Bundeswehr 2006

Nachdem sich das Verhältnis zu Russland über die Jahre immer weiter verschlechtert hatte, setzte spätesten mit der Neufassung des Weißbuchs im Jahr 2016 und dann mit der Konzeption der Bundeswehr im Juli 2018 ein erneuter Sinneswandel ein. Von da ab wurde dem Wiederaufbau von Großverbänden wieder eine hohe Priorität eingeräumt.

Was dies vor allem für das Heer bedeuten sollte, wurde dann im September 2018 im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr mit konkreten Zahlen unterlegt. Ab 2027 wollte die Bundeswehr wieder in der Lage sein, der Nato eine schwere Division (etwa 15.000 bis 20.000 Soldat:innen) und bis 2031 zwei weitere Großverbände zur Verfügung zu stellen.

"Kaltstartfähig, kriegstauglich und damit siegfähig"

Diese ohnehin bereits ambitionierten Pläne wurden im Zuge des neuen Nato-Streitkräftemodells noch einmal deutlich beschleunigt. Das "Zielbild Heer", über das im August 2022 im Reservistenmagazin loyal ausführlich berichtet wurde, sieht vor, dass die erste Division nun bereits 2025 zur Verfügung stehen, eine zweite dann 2027 folgen und die letzte noch vor 2030 aufgestellt sein soll.

Bei den ersten beiden Divisionen soll es sich um schwere Einheiten für mögliche Auseinandersetzungen mit Russland handeln, im dritten Großverband sollen Kräfte für Militärinterventionen im Globalen Süden gebündelt werden. Zukünftig soll die Division 2025 unter Führung der 10. Panzerdivision (Veitshöchheim), die Division 2027 unter der 1. Panzerdivision (Oldenburg) und die dritte Division unter der Division Schnelle Kräfte (Stadtallendorf) stehen (jeweils ergänzt um eine niederländische Brigade).

Generell soll beim Umbau der Truppe kaum ein Stein auf dem anderen bleiben: Nach Bundeswehr-Angaben werden insgesamt etwa 120 von 130 Strukturelemente des Feldheeres von den Veränderungen in unterschiedlicher Intensität betroffen sein.

"Damit werden wichtige Grundlagen für das Heer gelegt, um wieder kaltstartfähig, kriegstauglich und damit siegfähig zu werden", erklärte im März das Presseinformationszentrum des Heeres

Gekommen, um zu bleiben: Litauen-Brigade

Zur Division 2025 soll auch die aufgestockte Bundeswehr-Präsenz in Litauen gehören. Dort hatte die Bundeswehr bislang bereits die Führung des 2016 beschlossenen Nato-Bataillons (rund 1.000 bis 1.500 Soldat:innen) inne. Obwohl es sich auch hier schon um eine Dauerpräsenz handelte, hatten die einzelnen Soldat*innen mit neun Monaten eine relativ kurze Verweildauer.

Ende Juni 2023 preschte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dann allerdings für viele überraschend mit der Ankündigung vor, das Bundeswehr-Bataillon werde auf Brigadegröße aufgestockt:

Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren. Voraussetzung dafür ist, […] dass die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, Kasernen, Übungsmöglichkeiten und die genannten Depots. Wir reden bei einer Brigade von 4.000 Soldatinnen und Soldaten, plus Material, und bei einer dann dauerhaften Stationierung eben auch Familie.


Boris Pistorius

Inzwischen wird zwar eher von 3.500 Soldat:innen gesprochen. Der entscheidende Punkt ist aber, wie Pistorius bereits andeutete, dass sich diese Präsenz fundamental vom bisherigen Litauen-Kontingent (und allen anderen Auslandsstationierungen) unterscheiden soll – in Militärkreisen wird dies etwas salopper auf den Punkt gebracht:

Auf den ersten Blick hat diese Ankündigung enorme außenpolitische, als auch streitkräftepolitische Gravitas. […] An die Soldatinnen und Soldaten gerichtet bedeutet dies, dass sie sich über kurz oder lang darauf vorbereiten müssen ‚mit Sack und Pack‘ nach Litauen umziehen zu müssen, nicht nur für wenige Monate, sondern dauerhaft.


Soldat & Technik, 26. Juni 2023

Die Bundeswehr hat bisher keinerlei Erfahrungen mit permanenten Auslandsstationierungen in auch nur annähernd dieser Größenordnung. Schließlich geht es hier eben nicht nur um die Soldat:innen an sich, sondern auch um deren Angehörige sowie die gesamte Infrastruktur, die neben Kasernen und Materialdepots auch Einkaufszentren, Wohnungen, Kindergärten, Schulen und dergleichen mitsamt entsprechendem Personal umfasst.

Inzwischen soll das Finanzministerium erste Berechnungen angestellt haben, denen zufolge 1.600 Kindergartenplätze und eine deutsche Schule für 3.000 Schüler:innen erforderlich seien.

Es ist relativ offensichtlich, an welchem Vorbild sich hier orientiert wird, wie auch Brigadegeneral Christian Freuding, Leiter des Planungsstabs im Verteidigungsministerium, vor rund zwei Monaten gegenüber dem Magazin stern bestätigte:

Da gibt es natürlich viele Modelle. Wir blicken da insbesondere auf die amerikanische Stationierung in Deutschland. Da wissen wir, welche soziale Einbettung es gibt von Schulen über Kindergärten, über Sozialeinrichtungen bis hin zu kulturellen Einrichtungen.


Brigadegeneral Christian Freuding

Wie bei der Division 2025 soll auch die Litauen-Brigade ab 2025 zur Verfügung stehen – und auch hier ist dieses Ziel, vorsichtig formuliert, äußerst ambitioniert.

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