Ceta: Schmutzige Werte
Seite 2: Kanadische Skandalprojekte
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Gemeinsam mit ihren Partner:innen hat sich die deutsche Umweltorganisation "Urgewald" mit zwei großen Datenbankprojekten weltweit einen exzellenten Namen ausgerechnet in der Finanzindustrie erworben: Ihre "Global Coal Exit List" (GCEL) und neuerdings auch die "Global Oil and Gas Exit List" (GOGEL) – auf deutsch also in etwa "Ausstiegslisten aus Kohle, Öl und Gas" – führen nämlich präzise auf, welche Unternehmen in welchem Maß inwiefern im Bereich der fossilen Energien engagiert sind.
Professionelle Investor:innen haben damit ein verlässliches Werkzeug an der Hand, sich aus der Finanzierung der Klimakiller herauszuhalten – und sei es nur, um nicht selbst ein doppeltes, nämlich ein Investitions- wie ein Reputationsrisiko einzugehen.
Doch nicht nur für sie dürfte interessant sein, dass im Rahmen des GOGEL-Projekts auch weltweit 25 Öl- und Gasprojekte mit besonders hohem Reputationsrisiko ("Reputational Risk Projects") verzeichnet werden. Das sind also Projekte, die in verschiedenerlei Hinsicht besonders skandalös sind: weil sie besonders umweltschädlich sind oder beispielsweise die Rechte indigener Völker missachten, weil sie gar Gewalt schüren oder jedenfalls vor Gericht verhandelt werden. Nun, man ahnt es schon: Kanada ist in dieser Liste einsamer Spitzenreiter.
Von den weltweit 25 Projekten sind allein fünf eben dort angesiedelt. Weitere drei sind in den USA beheimatet, und eins davon dient wiederum dem Transport dreckigen, kanadischen Teersandöls.
Mag sein, dass im Falle Chinas oder Russlands vielleicht nicht alle vergleichbar problematischen Projekte bekannt sind, zumal Nichtregierungsorganisationen dort nicht in gleichem Maß arbeiten können. Trotzdem kann man sich ja einfach einmal ansehen, was Urgewald über die kanadischen Projekte (sowie das US-Projekt zum Transport kanadischen Öls) so zusammengetragen hat – unter Angabe zahlreicher Belegquellen, die ich für diesen Beitrag jedoch nicht im Einzelnen prüfe.
Goldboro LNG
"LNG" steht für Liquified Natural Gas, also durch Kühlung auf minus 162 Grad Celsius verflüssigtes, fossiles Erdgas. Bereits die Kühlung erfordert so viel Energie, dass sie einen nicht unwesentlichen Teil des Energiegehalts des Erdgases von vorn herein "auffrisst". Zudem besteht LNG fast vollständig aus Methan, das etliche Male klimaschädlicher als CO2 ist und vor allem beim Transport durch Pipelines entweicht, im Zuge deren regelmäßiger Wartung.
Als wäre das nicht schon genug, wird die Ökobilanz von LNG weiter verschlechtert, wenn es durch Fracking gewonnen wird. Dabei werden Flüssigkeit und allerlei giftige Chemikalien mit Hochdruck ins Erdreich gepresst, um das Gestein aufzubrechen und das Gas so entweichen zu lassen – eine Methode, bei der auch wieder Methan frei wird und die wegen ihrer Umweltschädlichkeit in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern verboten ist.
Dennoch will das Unternehmen Pieridae Energy Ltd. im Rahmen des Goldboro-Projekts zwei LNG-Terminals bauen, in denen Gas – auch durch Pipelines aus den USA erst heranzuschaffendes Fracking-Gas – verflüssigt und nach Europa verschifft werden soll. Allerdings fanden sich Geldgeber bisher nur schwer, was von Aktivist:innen öffentlich gemacht wurde.
Woodfibre LNG Ähnlich verhält es sich beim Woodfibre-Projekt, das an der gegenüberliegenden Pazifikküste verwirklicht werden und dem Export in British Coumbia geförderten Fracking-Gases nach Asien dienen soll, bislang aber vor allem wegen der von diesem Bundesstaates gezahlten Subventionen rentabel schien. Zumindest im Mai diesen Jahres war auch noch keine endgültige Investitionsentscheidung gefallen.
Jedoch ist in jedem Fall interessant, wie die kanadische Politik hier den roten Teppich für einen Investor ausgerollt hat, dessen Konzern "Royal Golden Eagle" (RGE) in Asien "regelmäßig die Menschenrechte verletzt, Regenwald zerstört, Steuern hinterzogen und Betrug begangen hat" (Übers. TK) – und bei dem es sich nach Greenpeace 2013 um den größten für Entwaldung verantwortlichen Einzelakteur handelte.
Auch am kanadischen Standort wären erhebliche Auswirkungen für das Ökosystem, aber auch die Ureinwohner:innen zu erwarten.
Coastal GasLink Pipeline
Von der Coastal GasLink Pipeline, die das Fracking-Gas aus British Columbia zur Pazifikküste transportieren soll, sind dieselben Ureinwohner:innen (die Wet’suwet’en) sogar noch stärker betroffen. Obwohl sie ihre Zustimmung dazu nie erteilt haben, verläuft die 670 Kilometer lange und teilweise bereits gebaute Pipeline quer durch ihr Gebiet.
Dafür hat das Unternehmen, TC Energy, uralte Wälder gerodet und Friedhöfe der Wet’suwet’en planiert. "TC Energy und seine Coastal GasLink Pipeline erzeugen eine Atmosphäre der Gewalt" (Übers. TK). Die Wet’suwet’en selbst sprechen gar von Völkermord.
Trans Mountain Pipeline Expansion (TMX)
Im Fall der Erweiterung der Trans Mountain Pipeline, die von Alberta nach British Columbia führt, haben sich auch die Vereinten Nationen in Gestalt ihres Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung eingeschaltet: Die kanadische Regierung müsse "sämtliche Aktivitäten im Zusammenhang mit dem TMX stoppen, solange einige indigene Gruppen das Projekt ablehnen. Bis heute ignoriert die kanadische Regierung diese Aufforderung" (Übers. TK).
Tatsächlich haben die insgesamt 129 indigenen Gemeinschaften, die entlang der Pipeline siedeln, allen Grund zur Sorge: Schon die bisherige, 1953 in Betrieb genommene Pipeline hat ihr Land und Wasser verschmutzt.
Durch die geplante Erweiterung, die die nahezu Verdreifachung der Kapazität, den Bau zwölf neuer Pumpstationen sowie einen Ausbau des Westridge Marineterminals nahe Vancouver vorsieht, verschlimmerte sich die Lage weiter. Insbesondere wäre mit noch mehr Lecks und schwerwiegenderen Folgen einzelner Lecks zu rechnen. Aber auch die Wal-Populationen vor der Küste wären wegen des zunehmenden Unterwasserlärms noch erheblich stärker bedroht.
Dabei wäre das gesamte Projekt wohl längst gestorben, wenn der kanadische Staat mit seiner Canada Development Investment Corporation (CDEV) nicht eingesprungen wäre, nachdem der texanische Fossilenergiekonzern Kinder Morgan wegen der Widerstände in der Bevölkerung den Rückzug angetreten hatte. Doch tatsächlich wollen auch viele Versicherungen mit dem Projekt nichts zu tun haben, wie CDEV nun feststellen muss.
Die Line 3 Pipeline (USA)
Auch der – bereits abgeschlossene und seinerseits mit einer enormen Kapazitätsausweitung einhergehende – Neubau der Line 3 Pipeline zerstört und bedroht mit großen Naturlandschaften auch die Lebensgrundlagen der Ureinwohner:innen, nunmehr im US-Bundesstaat Minnesota.
Zudem reichte bereits ein einziges Leck, um nicht nur etwa die Anishinaabe zum Verlassen ihres Landes zu zwingen, sondern darüber hinaus auch das Trinkwasser von insgesamt 18 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zu gefährden – bei insgesamt 3389 Lecks in den USA seit 2012.
Bei Protesten wurden Hunderte Aktivist:innen verhaftet und schoss die Polizei mit Gummigeschossen. Gleichzeitig zahlte der Bauherr der Pipeline, das kanadische Ölunternehmen Enbridge Inc., aufgrund einer Abmachung mit dem Staat die Gehälter der Einsatzkräfte. Einige Finanzinstitutionen hingegen nehmen die Proteste auch hier ernst und ziehen sich zurück.
Alberta Tar Sands – Teersandöl
Anders als bei der Coastal GasLink Pipeline (s. o.) soll jedoch in den beiden zuletzt vorgestellten Stahlröhren kein Fracking-Gas transportiert werden – sondern Öl, das im kanadischen Bundesstaat Alberta aus Teersanden gewonnen wird.
Dafür wird auf einer Fläche größer als England uralter Wald, der doppelt so viel CO2 wie der tropische Regenwald bindet, vollständig zerstört und durch eine mit Gift versetzte Mondlandschaft ersetzt. Das gesamte, zuvor im Wald gebundene CO2 wird damit direkt in die Atmosphäre entlassen.
Zudem sorgen die in zahllosen, künstlichen Tümpeln zurückbleibenden Chemikalien, die für die "Gewinnung" des Teersandöls zusätzlich zur Zerstörung des Waldes noch erforderlich sind, für erhöhte Krebsraten und Nervenschäden – erneut vor allem bei den Ureinwohner:innen.
Und, natürlich: "Würde Albertas gesamtes Teersandöl verbrannt, stiege die globale Temperatur um 0,4° C (...). Allein dies ließe unsere Erde das kritische 1,5-Grad-Ziel reißen" (Übers. TK).
Kurzfristige Krisenpolitik und langfristige Weichenstellungen Der Autor dieses Beitrags lebt in einer Wohnung mit Gasheizung. Zudem ist er entschieden der Ansicht, dass der Kauf russischen Gases angesichts des verbrecherischen Angriffskriegs gegen die Ukraine besser heute als morgen beendet werden sollte.
Doch es ist eine Sache, kurzfristiges Krisenmanagement zu betreiben – und eine ganz andere, sich mit Verträgen wie Ceta auf lange Sicht rechtlich zu binden. Und zwar keineswegs nur völkerrechtlich – worüber man sich zur Not noch hinwegsetzen könnte.
Zum einen nämlich sind von der EU (und sei es, wie bei Ceta, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten als weiteren Vertragspartnern) geschlossene Übereinkommen mit Drittstaaten wegen Artikel 216 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) integraler Bestandteil des EU-Rechts und damit für Deutschland sogar auch verfassungsrechtlich verbindlich.
Zwar schließen Ceta (in Art. 30.6) und vergleichbare, neuere EU-Handelsverträge ihre sogenannte direkte Anwendbarkeit aus, so dass keine Bürgerin und kein Unternehmen vor Gericht ziehen und sich direkt auf Ceta berufen kann.
Doch die EU-Kommission kann dies nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2020 (in der Rechtssache C-66/18) schon: Sie kann Vertragsverletzungsverfahren gegen die einzelnen EU-Mitliedstaaten anstrengen, wenn sie meint, dass diese eine Politik betreiben, die Kanada dazu veranlassen könnte, vor das zwischenstaatliche Schiedsgericht zu ziehen und zu behaupten, dass die Ceta-Verpflichtungen dadurch nicht erfüllt würden.
Zum anderen geht es bei Verträgen wie Ceta eben auch nicht nur um Verabredungen zur politischen Zusammenarbeit zwischen befreundeten Staaten, oder gar – wie manchmal der Anschein erweckt wird – um eine unabdingbare Voraussetzung einer solchen Freundschaft. Vielmehr werden trotz des erwähnten Ausschlusses der "direkten Anwendbarkeit" doch auch erhebliche Rechtspositionen für Unternehmen und Investor:innen geschaffen.
Unter Ceta kann die deutsche oder europäische Politik eben nicht mehr so einfach entscheiden, dass man – wenn die Notlage des nächsten Winters überwunden ist – lieber kein schmutziges Fracking-Gas und Teersandöl mehr haben möchte. Schließlich sind Freihandelsverträge dazu da, Handelsbeschränkungen aufzuheben und damit auch für die Zukunft zu untersagen.
Zudem drohen durch den in Ceta zusätzlich enthaltenen Investitionsschutz auch noch milliardenschwere – von den Steuerzahler:innen zu zahlende – Entschädigungen, wenn Investitionen in neue Anlagen wegen veränderter politischer Rahmenbedingungen frühzeitig nicht mehr genutzt werden können.
Von beidem wird im konkreten Fall gerade auch die kanadische Fossilwirtschaft profitieren, die, wie oben dargelegt, vielfach schon auf dem absteigenden Ast war.
Sie mag nun kurzfristig als Lückenfüller gebraucht werden – das sei hier dahingestellt. Doch durch Ceta verbesserte sie ihre Position über Jahrzehnte hinaus, zum Schaden alternativer Investitionen und damit des Klimas und des gesamten Planeten.