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China: EuropÀer wollen weniger Baerbock und mehr Macron

David Goeßmann

Menschen vor dem Rathaus in Krakau, Polen. Bild: Jacek Dylag / Unsplash Licence

Eine europaweite Umfrage bringt Erstaunliches hervor. Gefragt wurde nach der Sicht auf China, aber auch Russland. Warum die Politik dem folgen sollte.

Als sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (GrĂŒne) Mitte April in Beijing aufhielt und drei Wochen spĂ€ter ihren chinesischen Amtskollegen Qin Gang in Berlin empfing, ging sie die chinesische Regierung scharf an [1].

Sie kritisierte das 1,4 Milliarden Menschen umfassende Land, "eigene Regeln" zu schaffen. Über die ZustĂ€nde in China zeigte sich die Außenministerin entsetzt.

Sie habe den Eindruck gewonnen, "dass der Aspekt systemischer Rivale immer stĂ€rker zunimmt, und zwar nicht nur, weil China stĂ€rker nach außen offensiver, man kann auch sagen aggressiver, auftritt, sondern vor allem nach innen repressiver", stellt Baerbock fest [2]. Es sei "wirklich zum Teil mehr als schockierend" gewesen.

Sie warnte Beijing zudem vor einem militĂ€rischen Eingreifen in die Inselrepublik Taiwan. Deutschland und die G7 wĂŒrden eine Eskalation nicht hinnehmen. Im MĂ€rz traf die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in Taiwan mit Politikern und Wissenschaftlern zusammen, was auf starke Kritik vonseiten Chinas stieß.

Beijing forderte die Bundesregierung auf, sich an die Ein-China-Politik zu halten und aufzuhören [3], mit den "separatistische KrÀfte in Taiwan zu interagieren und ihnen falsche Signale zu senden".

Der französische PrĂ€sident Emmanuel Macron schlĂ€gt demgegenĂŒber vermittelnde Töne an. In einem Interview [4] mit der Zeitung Les Echos und dem Magazin Politico forderte er eine eigene europĂ€ische Strategie in der Taiwan-Frage.

Das Schlimmste wĂ€re zu denken, dass wir EuropĂ€er bei diesem Thema zu MitlĂ€ufern werden und entweder dem amerikanischen Duktus oder einer chinesischen Überreaktion folgen mĂŒssen.

Man solle in Europa nicht zur Eskalation des Konflikts beitragen. Eine eigene Position mĂŒsse vielmehr ins Visier genommen werden, um als dritter Pol zwischen den USA und China zu vermitteln [5].

Das löste teils heftige Kritik in Deutschland aus. Das Konzept der "strategischen Autonomie", in dem Europa von den USA abrĂŒckt, erteilte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine klare Absage [6]. Die EU-KommissionsprĂ€sidentin Ursula von der Leyen drĂ€ngt die EU gleichzeitig dazu [7], entschlossenere Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um auf Chinas zunehmendes internationales Selbstbewusstsein zu reagieren.

Fragt man nun die europÀischen Bevölkerungen, dann wollen sie jedoch tatsÀchlich mehr Macron und weniger Baerbock, Scholz und von der Leyen.

So ergab eine reprĂ€sentative Umfrage [8], dass eine Mehrheit der Menschen in den LĂ€ndern der EuropĂ€ischen Union der Auffassung ist, dass China ein "notwendiger Partner" fĂŒr ihre LĂ€nder ist, im Gegensatz zu einem "Rivalen" oder "Gegner". Das ist das Ergebnis der letzte Woche veröffentlichten Untersuchung vom European Council on Foreign Relations ĂŒber die außenpolitischen Einstellungen in Europa.

Die Umfrage, an der mehr als 16.000 Personen aus elf EU-Mitgliedstaaten teilnahmen, zeigt auch, dass eine solide Mehrheit der Befragten es vorziehen wĂŒrde, dass ihr eigenes Land in einem möglichen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China ĂŒber Taiwan neutral bleibt.

Die meisten EuropĂ€er sehen die Vereinigten Staaten zwar als "VerbĂŒndeten" oder "Partner" an, sind aber auch mehrheitlich der Meinung, dass Europa seine eigenen Sicherheits- und VerteidigungskapazitĂ€ten ausbauen sollte und sich bei der GewĂ€hrleistung seiner Sicherheit nicht immer auf Washington verlassen kann.

FĂŒr die im April dieses Jahres durchgefĂŒhrte Umfrage wurden Menschen in Österreich, Bulgarien, DĂ€nemark, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und Schweden befragt.

Der Bericht stellt fest, dass die befragten EuropÀer China "nicht als eine Macht" ansehen, die "Europa herausfordert und untergraben will, und sie glauben nicht an den von der Biden-Regierung propagierten Rahmen 'Demokratie gegen Autokratie'".

Keine Eskalation und mehr Abstand zu den USA

Und diese Meinung ist recht konstant. Trotz der Weigerung Chinas, Russlands Aggression in der Ukraine zu verurteilen, und der Tatsache, dass beide LÀnder weiter in enger Partnerschaft agieren, hat sich die Einstellung der EuropÀer seit 2021 wenig geÀndert. In fast allen LÀndern wird China als "notwendiger Partner" angesehen.

Es gibt aber Unterschiede zwischen den EU-Staaten. In Deutschland, Schweden, Frankreich und DĂ€nemark gibt es eine leichte Mehrheit, die in China einen Rivalen oder Gegner statt eines VerbĂŒndeten und Partner sieht.

In der EU insgesamt sieht aber eine Mehrheit der Befragten China entweder als "VerbĂŒndeten" (3,3 Prozent) oder als "notwendigen Partner" (43 Prozent) fĂŒr ihr jeweiliges Land an, wĂ€hrend 33 Prozent das Land als "Rivalen" (22 Prozent) oder "Gegner" (elf Prozent) betrachten.

Zudem sind mehr als 60 Prozent der Befragten der Meinung, dass ihr Land neutral bleiben sollte, wenn China in Taiwan einmarschieren wĂŒrde und die Vereinigten Staaten das Land verteidigen. NeutralitĂ€t war in allen elf LĂ€ndern die Mehrheitsmeinung – in neun stellte sie sogar die absolute Mehrheit.

Der Historiker Adam Tooze twitterte [9] in Bezug auf die Befragung:

Nur 23 Prozent der befragten EuropĂ€er sind der Meinung, dass Europa die USA in einem Krieg mit China um Taiwan unterstĂŒtzen sollte. Selbst in den kĂ€mpferischsten LĂ€ndern sind es nicht mehr als 35 Prozent. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Politik dem folgt.

In der Befragung wurde auch nach Russland gefragt. Die EuropÀer sehen Russland mehrheitlich als Gegner. Doch es gab in zehn LÀndern auch eine Mehrheit, die sagt, dass ihr Land im Falle einer Verhandlungslösung erneut "begrenzte Beziehungen" zu Russland aufbauen solle.

Die Untersuchung ist ein Beleg dafĂŒr, dass weiter Möglichkeiten fĂŒr pragmatische Beziehungen der EU-Staaten zu China, aber auch zu Russland im Zuge einer Lösung des Ukraine-Kriegs, bestehen. Die Ergebnisse machen auch deutlich, dass den USA bei wachsender Eskalation mit China droht, die transatlantische Einigkeit zu verlieren.


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https://www.heise.de/-9185201

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/china-aussenminister-qin-berlin-reise-annalena-baerbock-ukraine-russland-taiwan-100.html
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/china-reise-annalena-baerbocks-geheimes-menschenrechts-treffen-18832629.html
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/taiwan-stark-watzinger-103.html
[4] https://www.politico.eu/article/emmanuel-macron-china-america-pressure-interview/
[5] https://www.sueddeutsche.de/politik/china-eu-macron-frankreich-kritik-1.5791549
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/china-aussenminister-qin-berlin-reise-annalena-baerbock-ukraine-russland-taiwan-100.html
[7] https://www.politico.eu/article/eus-ursula-von-der-leyen-xi-jinping-calls-for-tougher-policy-on-china-ahead-of-beijing-visit/
[8] https://ecfr.eu/publication/keeping-america-close-russia-down-and-china-far-away-how-europeans-navigate-a-competitive-world/
[9] https://twitter.com/adam_tooze/status/1666425570371026944?s=46&t=329Ul5ifrWy6uwyinjROMA