China: Partner, Konkurrent oder Rivale?

Seite 3: Handels- und Technologiepolitik

Ein letztes Beispiel für das komplexe Zusammenspiel zwischen geteilten und widerstreitenden Interessen, wie auch deren stetiger Neuinterpretation, findet sich in den Handelsbeziehungen der EU mit China. Diese galten lange als harmonischstes Feld und exemplarisch für die viel beschworene "win-win-Kooperation".

Jedoch beurteilen die EU und China die Handelsbeziehungen zunehmend unter strategischen Gesichtspunkten. Insbesondere die coronapandemiebedingten Lieferkettenunterbrechungen und die schwerwiegenden Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft haben in den vergangenen Monaten Alarmglocken in den Hauptstädten Europas läuten lassen. Die ökonomische Abhängigkeit von China sei schlichtweg zu groß und sollte reduziert werden.

EU Anteil an Chinas Industriemaschinen-Importen, ausgewählte Kategorien. Quelle: UN comtrade database, comtrade.un.org

Dabei gerät aus dem Blick, dass ökonomische Abhängigkeit beiderseitig verläuft, denn auch China braucht europäische Produkte und Technologie. Wie das Diagramm zeigt, hat der europäische Anteil von Chinas Industriegüterimporten in vielen Bereichen sogar zugenommen. Diese Abhängigkeit kann konflikthemmend wirken, denn wirtschaftliche Verflechtungen erhöhen die Kosten, einen Konflikt eskalieren zu lassen.

Abhängigkeit zwischen China und Europa kann Konflikte vermeiden

Doch ebendiese bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen stehen sowohl in China als auch in der EU zunehmend auf dem Prüfstand. EU-China-Beziehungen sind zwar nach wie vor primär wirtschaftlicher Natur, aber menschenrechtliche, geopolitische und sicherheitspolitische Erwägungen treten zunehmend in den Vordergrund von Handels- und Technologiepolitik. Ökonomische und technologische Abhängigkeiten werden so zum Druckmittel der Durchsetzung nationaler Interessen.

Bereits seit Monaten arbeiten China und die EU an neuen Instrumenten, die zu einer wirtschaftlichen Entkopplung und damit zum Wegfall gemeinsamer Interessen beitragen können. Beispiele sind Exportkontrollen und verschärfte Investitionskontrollmechanismen. Noch sind die wirtschaftlichen Konsequenzen kaum spürbar, europäische Unternehmen haben sich nicht aus China zurückgezogen.

Im Gegenteil, angetrieben durch Chinas Wirtschaftswachstum steigen bilaterale Handels- und Investitionsvolumen weiterhin an. Aber die neuen Instrumente verschlechtern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und erhöhen Unsicherheit, was Handel und Investitionen langfristig hemmen kann.

Während in Europa die Politisierung von Handel und Technologie erst seit Kurzem an Fahrt aufnimmt, unter anderem aufgrund der Lieferkettenunterbrechungen und wertebasierten Differenzen, setzt China schon lange auf ökonomische und technologische Unabhängigkeit. Um nationale Champions zu fördern, beschränkt die Regierung den Marktzugang ausländischer Unternehmen. Das trägt dazu bei, dass geteilte wirtschaftliche Interessen wegfallen.

Pekings Strategie "Made in China 2025" macht das Streben nach Unabhängigkeit explizit, die Kontrollierbarkeit von Technologie rückt in den Fokus von nationaler Sicherheit. Dieser Trend wird sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Im vergangenen Dezember hat die chinesische Regierung auf der zentralen Arbeitskonferenz Wirtschaft die Stärkung nationaler Forschung und Technologie als höchste wirtschaftliche Priorität identifiziert. Durch Investitionen in nationale Forschung sollen Lieferketten von Kerntechnologien wie Halbleitern kontrollierbar gemacht und Wertschöpfungsketten nach China verlagert werden.

Diese Zielsetzungen erschweren die Mitwirkung ausländischer Unternehmen auf dem chinesischen Markt. US-Sanktionen, gerichtet gegen chinesische Technologiefirmen wie ZTE und Huawei, wirken lediglich als Katalysator für diese wirtschaftliche Entkopplung. In Zukunft soll Sanktionen keine Angriffsfläche geboten werden. Wirtschaftliche Verflechtungen, bei denen China auf Importe angewiesen ist – wie bei Halbleitern und Saatgut –, sind der Regierung deshalb ein Dorn im Auge.

Sitzt China dagegen selbst am längeren Hebel, nutzt Peking asymmetrische Handelsbeziehungen immer offensiver, um nationale Interessen durchzusetzen. Staaten wie Südkorea und Australien werden von China bestraft, wenn sie Kritik üben oder als Bedrohung gewertet werden. Ein beliebtes Mittel zur Bestrafung sind dabei Unternehmen des jeweiligen Landes, deren Abhängigkeit von chinesischen Konsumenten zur wirtschaftlichen Waffe wird.

Zunehmend ist auch Europa betroffen. Nachdem Schweden entschieden hatte, Huawei vom nationalen 5G-Ausbau auszuschließen, drohte Chinas Handelsministerium mit Vergeltung. Bereits im Dezember 2019 drohte der chinesische Botschafter Deutschland mit Konsequenzen für die Autoindustrie, sollte Berlin sich ähnlich entscheiden. Nur wenige Tage vor Abschluss des Investitionsabkommens mit der EU, das den Marktzugang für europäische Unternehmen in China verbessern soll, verschärfte Peking Kontrollmaßnahmen für ausländische Investitionen.

Handelsstruktur ausgewählter Länder und Wirtschaftsräume mit China
Anteil Chinas am Gesamthandel von: Anteil des jew. Landes am Gesamthandel Chinas
Australien 32,78 % Australien 3,67 %
EU-27 und Großbritannien 16,27 % EU-27 und Großbritannien 13,54 %
Südkorea 23,29 % Südkorea 6,23 %
USA  13,75 % USA  11,86 %
Quelle: UN comtrade database, comtrade.un.org

Das gibt der Regierung ein neues Instrument an die Hand, um unliebsame ausländische Unternehmen in China und indirekt deren Herkunftsstaaten zu sanktionieren. Noch hat China davon abgesehen, diese Drohungen gegenüber EU-Mitgliedsstaaten umzusetzen. Die gegenseitige ökonomische Abhängigkeit wirkt, der Politisierung von Handel und Wirtschaft zum Trotz, als Konfliktbremse.

Die EU beliefert China nicht nur mit wichtigen Maschinen und Technologien, sondern hat im Vergleich mit Südkorea und Australien auch Wirtschaftsbeziehungen mit China, die auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhen (siehe Tabelle). Nach Meinung der Autoren ist es angesichts der werte- und sicherheitsbasierten Neubewertung von Handelspolitik im Interesse der EU, wirtschaftliche Verflechtungen mit China zu vertiefen, solange Menschenrechte und nationale Sicherheit nicht beeinträchtigt werden.