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China im Corona-Krisenmodus, Entwarnung für Europa

Bild Flughafen Peking: N509FZ / CC-BY-SA-4.0 / Bearbeitung: TP

Infektionswelle in urbanen Zentren erreicht Rekordwert. Offen ist, wie sich das chinesische Neujahrsfest auswirken wird. In Europa zeichnet sich die Ausbreitung der Untervariante XBB.1.5 ab.

Seit Peking Anfang Dezember die Abkehr von der Null-Covid-Strategie verkündete, überschlagen sich die Hiobsbotschaften zusammen mit Spekulationen über die Situation in China, es regen sich auch Bedenken, was den Rest der Welt betrifft.

Das Problem mit den Zahlen

Offiziell unbestätigte Schätzungen sprechen für die ersten drei Dezemberwochen von 248 Millionen Corona-Infizierten im Reich der Mitte, eine beachtliche Zahl, die hierzulande unter anderem von der ARD-tagesschau verbreitet wurde [1]. Die Welle habe, so heißt es mit Bezug auf die chinesischen Staatsmedien, in Großstädten ihren Höhepunkt überschritten und erfasse allmählich die ländlichen Gebiete.

Leider sind die Meldungen vielfach garniert mit Zahlensalat, so auch bei den Todesfällen. In der Mehrzahl berichten ausländische Medien von etwa 9.000 Corona-Toten pro Tag. Von chinesischer Seite werden die Zahlen notorisch stark untertrieben, um das Öffnungskonzept nicht übermäßiger öffentlicher Kritik auszusetzen. Ganze 15 Covid-Todesfälle wurden gemeldet, seit am 7. Dezember die Aufhebung der Beschränkungen losging.

Das britische Gesundheitsdatenunternehmen Airfinity, eine weltweite Anlaufstelle für Gesundheitsanalysen in Echtzeit, beziffert die täglichen Todesfälle aktuell auf 18.900 [2] (Zeitpunkt 9. Januar) und nennt eine kumulative Zahl von 269.400 Toten seit dem 1. Dezember.

Täglich infizieren sich laut Airfinity knapp drei Millionen Chinesen mit dem Virus.

"Ideale Bedingungen für das Virus"

Die chinesische Bevölkerung konnte durch die Null-Covid-Strategie keine ausreichende Grundimmunität gegen das Virus aufbauen, daher trifft das Virus nach der abrupten Kehrtwende der Corona-Politik viele Menschen ungewappnet. Wie Björn Meyer, Leiter der Arbeitsgruppen Virusevolution der Universität Magdeburg, laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte, bieten gerade die chinesischen Metropolen ideale Bedingungen für das Coronavirus, weil hier Millionen Menschen dicht beieinander leben.

Die Lage in China ist vergleichbar mit der in Europa im Frühjahr 2021, als ein Großteil der Bevölkerungen noch nicht geimpft war.

Björn Meyer

Die hauptsächlich verwendeten Impfstoffe – Sinopharm und Sinovac – erweisen sich als wenig wirksam gegen die Omikron-Variante; dazu kommt, viele der Älteren sind nicht geboostert [3] und daher potenziell schweren Krankheitsverläufen ausgesetzt.

"Covid Chaos at Hospitals"

Obwohl die chinesische Führung alles tut, um die Situation als beherrschbar darzustellen, dürfte es immer weniger gelingen, der Bevölkerung mit Erfolg amtliche Beruhigungspillen zu verpassen. Das renommierte chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin beispielsweise brachte die Situation in Metropolen wie Peking, Guangzhou, Chengdu oder Shijiazhuang auf den Nenner und sprach von "Covid Chaos at China's Hospitals [4]".

Allerdings ist laut Aussage von Experten die Welle in den urbanen Zentren wohl offenbar überschritten, so den Städten Peking, Chengdu und Tianjin. Eine Einschätzung, die vergangene Woche von Wu Zunyou, dem führenden Epidemiologen des chinesischen CDC (Chinese Center for Disease Control and Prevention), bestätigt wurde.

Die bekannten Zahlen sind dennoch erschreckend hoch. Wie das Nachrichtenportal New Delhi Television (ndtv) mitteilt [5], wurden zuletzt allein in der wohlhabenden Küstenprovinz Zhejiang täglich eine Million Einwohner infiziert.

Die Städte Quzhou und Zhoushan gaben dem Sender zufolge an, dass sich mindestens 30 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus infiziert hätten, die östliche Küstenstadt Qingdao ging von rund 500.000 neuen Fällen pro Tag aus und das südliche Produktionszentrum Dongguan von bis zu 300.000.

Droht ein Superspreader?

Was vor allem die städtischen Gebiete betrifft, rechnen Beobachter aber noch mit einem Andauern der ersten Welle bis Mitte Januar. Und einige prophezeien mindestens noch eine weitere Welle: Mitte Januar bis Mitte Februar die Welle Nummer 2. Hier kommt das chinesische Neujahrsfest ins Spiel.

Um den 22. Januar schwärmen Millionen Chinesen aus, um ihre Freunde und Verwandten im In- und Ausland zu besuchen. Die Reisewelle könnte sich zum Superspreader auswachsen. Das weckt bei manchen Menschen ungute Erinnerungen.

Vor drei Jahren, im Januar 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, war es das chinesische Neujahrsfest, das dazu beitrug, Corona in alle Welt zu tragen [6]. Für zigtausende chinesische Kunden sind um die Zeit Reisepakete Richtung Europa geschnürt. Droht also tatsächlich doch noch "der Geist aus der Flasche"?

Entwarnung kommt vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC [7]). Die Agentur mit Sitz in Solna (Schweden) hilft bei der Früherkennung aufkommender Bedrohungen, analysiert Daten aus EU-Ländern zu übertragbaren Krankheiten mithilfe des europäischen Überwachungssystems Tessy und leistet wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU.

Das ECDC hat eigenen Angaben zufolge zusammen mit den EU-/EWR-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission seine Überwachungsaktivitäten verstärkt und stellt seine Einschätzung online. Die Zahl der Covid-19-Fälle, so die Agentur Anfang Januar, hat auf dem chinesischen Festland "einen Rekordstand" erreicht [8].

Nach wie vor fehlt es aber an zuverlässigen Daten über Covid-19-Fälle, Krankenhauseinweisungen, Todesfälle sowie die Kapazität und Belegung von Intensivstationen (ICU). China habe derweil begonnen, Sars-CoV-2-Sequenzen in größerer Zahl in GISAID zu hinterlegen. GISAID ist eine globale wissenschaftliche Plattform zur gemeinsamen Nutzung von Influenzadaten.

Entwarnung für Europa – mit Vorbehalt?

Nun, gibt es Entwarnung für Europa? So scheint es zumindest:

Die in China zirkulierenden Varianten sind bereits in der EU im Umlauf und stellen daher keine Herausforderung für die Immunantwort von EU/EWR-Bürgern dar. Außerdem sind die EU-/EWR-Bürger relativ häufig geimpft und immunisiert.

ECDC [9]

Dennoch melden einige Stimmen Vorbehalte angesichts der dynamischen Situation an. "Wir brauchen jetzt ein europaweit einheitliches Schutzkonzept", so zuletzt Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes der Mediziner.

Jeder Reisende aus China sollte bei der Einreise in die EU per Schnelltest getestet werden.

Johannes Nießen [10]

Bei einem positiven Testergebnis müsse ein PCR-Test folgen und die Probe sollte sequenziert werden.

Mehrere europäische Länder setzen bereits auf Einreisebeschränkungen für Reisende aus China, darunter Frankreich, Italien und Spanien. Frankreich hatte am Neujahrstag damit angefangen [11], an seinen Flughäfen stichprobenartig Covid-Tests für Reisende aus China durchzuführen. Auch Großbritannien, die USA, Kanada, Australien, Indien und Südkorea kündigten Änderungen ihrer Einreiseregeln an.

Flugreisende aus der Volksrepublik China, Hongkong oder Macau, die in die USA einreisen [12], müssen seit dem 5. Januar einen negativen PCR-Test oder einen Covid-Antigen-Test vorlegen.

Corona-Variante XBB.1.5 in Europa

Der deutsche Virologe Christian Drosten merkte frühzeitig besorgt an: Aufgrund der anschwellenden Infektionszahlen in China steige die Wahrscheinlichkeit, dass das Coronavirus erneut problematisch mutiere [13].

Chinesischen Gesundheitsexperten zufolge bietet die Delta-Variante wohl keine Gefahr mehr im Land, was von vielen Chinesen noch befürchtet worden war. Omikron sei der vorherrschende Stamm. Aus Peking verlautet, die Omikron-Untervarianten BA.5.2 und BF.7 seien am weitesten verbreitet.

Die besonders leicht übertragbaren Untervarianten, die in China (noch) nicht vorherrschen, sind XBB und BQ, sie sind in den westlichen Ländern unterwegs. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht aktuell Anzeichen für die Ausbreitung von Corona-Variante XBB.1.5 in Europa [14].

Auf einer Online-Pressekonferenz in Kopenhagen sprach der Direktor des WHO-Regionalbüros Europa, Hans Kluge, am Dienstag davon, dass jüngste Daten aus einigen Ländern der Region auf die zunehmende Präsenz von XBB.1.5 hindeuteten.

Es dürfte in der Frage also noch weitere Aufschlüsse und auch Diskussionen geben.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7455483

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-corona-einreise-101.html
[2] https://www.airfinity.com/articles/airfinitys-covid-19-forecast-for-china-infections-and-deaths
[3] https://www.rnd.de/gesundheit/corona-in-china-wie-gefaehrlich-wird-die-welle-fuer-den-rest-der-welt-37FP7YEGA5AMNHHIHZM45ALS6Q.html
[4] https://www.caixinglobal.com/2022-12-30/caixin-top-stories-of-the-month-covid-chaos-at-chinas-hospitals-as-stringent-control-policy-eases-101983844.html
[5] https://www.ndtv.com/world-news/china-covid-why-chinas-latest-covid-wave-has-sparked-global-panic-3658848
[6] https://www.heise.de/tp/features/Covid-19-Italien-als-Europas-Einfallstor-4681284.html
[7] https://europa.eu/european-union/about-eu/agencies/ecdc_de
[8] https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/impact-surge-china-covid-19-cases
[9] https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/impact-surge-china-covid-19-cases
[10] https://www.handelsblatt.com/dpa/covid-19-amtsaerzte-wollen-corona-testpflicht-fuer-reisende-aus-china/28901536.html
[11] https://de.euronews.com/2023/01/01/frankreich-beschrankungnen-fur-reisende-aus-china-in-kraft-getreten
[12] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/usa-node/usavereinigtestaatensicherheit/201382
[13] https://www.bluewin.ch/de/news/international/baut-sich-nach-null-covid-jetzt-der-corona-tsunami-auf-1538971.html
[14] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/corona-news-china-uebt-vergeltung-fuer-einreise-regeln-keine-visa-fuer-suedkoreaner-who-anzeichen-fuer-ausbreitung-von-corona-variante-xbb-1-5-in-europa/25471608.html