China und Brasilien weisen den Weg, nicht die G7

Treffen der G7-Außenminister:innen in Karuizawa in Japan. Bild: G7-Familienfoto

Die mächtigsten Staaten der Welt verharren in bleierner Stagnation und zeigen sich unfähig, auf die vielfältigen Krisen zu reagieren. Anders Brasilien und China, die Lösungen anbieten. Ist es der Beginn einer neuen globalen Dynamik?

Das letzte Treffen der Außenminister:innen der G7-Staaten – also der mächtigen Industriestaaten USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada – ist im japanischen Karuizawa mit einer Abschlusserklärung zu Ende gegangen.

Was das Treffen besonders macht, ist jedoch nicht das, was dort verkündet worden ist, sondern was parallel dazu geschah.

Während die G7-Außenminister und -Außenministerinnen erklärten, dass man die Sanktionen gegen Russland verstärken werde und sich bereit mache für nukleare Bedrohungen vonseiten des russischen Präsidenten Wladimir Putins im Zuge einer möglichen ukrainischen Gegenoffensive, unterstützt von weiteren westlichen Waffenlieferungen, arbeiten Brasilien unter Luiz Inácio Lula da Silva und China unter Xi Jinping daran, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen.

So erklärte Lula, er sei dabei, eine Gruppe von Staats- und Regierungschefs zu bilden, die "lieber über Frieden als über Krieg sprechen", in der Hoffnung, den Konflikt auf dem diplomatischen Weg zu beenden. Er fügte hinzu:

Präsident Putin ergreift nicht die Initiative für ein Ende. Selenskyj ebenso nicht. Europa und die Vereinigten Staaten tragen dazu bei, dass dieser Krieg fortgesetzt wird. Ich denke, wir müssen uns an einen Tisch setzen und sagen: "Es reicht. Lasst uns beginnen, miteinander zu reden", denn Krieg hat der Menschheit nie etwas gebracht und wird ihr auch nie etwas bringen.

Lula, der das Statement in Abu Dhabi machte, fügte hinzu, er habe mit den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie mit China, wo er sich letzte Woche aufhielt, über gemeinsame Vermittlungsbemühungen gesprochen.

Ein weiteres Thema der G7 war der Iran und der Nahe Osten. In der Abschlusserklärung heißt es dazu:

Wir bekräftigen unsere klare Entschlossenheit, dass Iran niemals eine Atomwaffe entwickeln darf, und verlangen von Iran, die nukleare Eskalation zu beenden. Wir fordern Iran auf, seinen rechtlichen Verpflichtungen und politischen Zusagen in Bezug auf die Nichtverbreitung von Kernwaffen ohne weitere Verzögerung nachzukommen. Wir sind nach wie vor zutiefst besorgt über die ungebremste Eskalation des iranischen Atomprogramms, für das es keine glaubwürdige zivile Rechtfertigung gibt und dass das Land gefährlich nahe an tatsächliche waffenrelevante Aktivitäten heranführt.

Wir erinnern uns, dass es 2018 die USA waren, die aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran ausstiegen und bisher keine Anstrengungen unternommen haben, den Deal wiederzubeleben. Zugleich weisen Militärexperten und Geheimdienste in den Vereinigten Staaten bei Anhörungen im Kongress immer wieder daraufhin, dass der Iran keine militärische Bedrohung darstelle.

Das Land könne jedoch durch äußere Bedrohungslagen defensiv dazu veranlasst werden, sich im Zuge eines Atomwaffenprogramms ein effektives Abschreckungsinstrument zu verschaffen – über das Nordkorea bereits verfügt –, und damit den Handlungsspielraum für die USA stark einschränken.

US-Kritiker Noam Chomsky bringt es derart auf den Punkt:

Wenn jemand nach globaler Vorherrschaft strebt wie die Vereinigten Staaten, dann will man jedoch kein Land mit Abschreckungspotenzialen.

Vor allem nicht in einer derart strategisch wichtigen, ölreichen Region wie dem Nahen und Mittleren Osten.

Gleichzeitig haben die USA die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, wie sie von der Konferenz der blockfreien Staaten und auf internationalen Treffen gefordert wird, bis heute verhindert. Denn diese wünschenswerte Zone hat einen Haken: Sie würde auch Israel und seine Nuklearwaffen einschließen, inklusive Inspektionen und Entsorgung der Atomsprengköpfe. Also wird diese Option von den Vereinigten Staaten mit einem Veto belegt.

Anstatt vernünftigerweise mit Abkommen und Diplomatie die Lage in der Region zu entspannen, wird Israel demgegenüber weiter bedingungslos mit US-Waffen wie Raketen gegen Flugabwehrsysteme beliefert, die für einen Angriff auf den Iran genutzt werden können. Überdies stellt Deutschland High-Tech Dolphin-U-Boote aus der Kieler Werft für Tel Aviv zur Verfügung, die man mit Atomwaffen bestücken kann.

Während Washington mit unterschiedlichen Mitteln versucht, Iran weiter zu isolieren und die diplomatischen Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Israel zu stärken, hat sich das Verhältnis zu Saudi-Arabien im Zuge der Weigerung Riads, die Ölproduktion bei steigenden Benzinpreisen aufgrund der Sanktionen gegen Russland zu drosseln, deutlich abgekühlt.

China konnte dieses Vakuum letztlich für eine Vermittlungsoffensive nutzen. Mitte März gelang dem Land ein großer Diplomatie-Erfolg. Saudi-Arabien und Iran einigten sich unter Beijings Moderation auf ein Abkommen. Nach sieben Jahren Eiszeit wollen die beiden Länder nun ihre Beziehungen wieder normalisieren. Und das ist auch dringend notwendig. Denn Saudi-Arabien und Iran führen unter anderem seit 2014 einen blutigen Stellvertreterkrieg im Jemen.

Der chinesische Deal durchkreuzt zugleich die Pläne Washingtons, US-freundliche Allianzen zu schmieden. Trita Parsi, Vizepräsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft, sieht darin Anzeichen einer strategischen Neuorientierung in der Region:

Leider haben die USA einen Ansatz in der Region gewählt, der sie daran hindert, ein glaubwürdiger Vermittler zu werden. Zu oft ergreift Washington in Konflikten Partei und wird zum Mitkriegsgegner – wie im Jemen –, was seine Fähigkeit, die Rolle des Friedensstifters zu spielen, einschränkt.

Mehr vom Gleichen: Sanktionen, Drohungen, Erdgas

Und dann teilte der chinesische Außenminister, Qin Gang, gestern auch noch seinen israelischen und palästinensischen Amtskollegen mit, dass Beijing bereit sei, Friedensgespräche zwischen ihnen zu ermöglichen. Auch in diesem Punkt könnten den USA und der EU ihre Parteilichkeit und diplomatische Tatenlosigkeit über Jahre und Jahrzehnte auf die Füße fallen, während man weiter zuschaut, wie Israels Apartheid-, Siedlungs- und Annexionspolitik unter der rechtsextremen Regierung zu eskalieren droht.

Kommen wir zu einem dritten und letzten Punkt. Bei dem G7-Außenministertreffen ging es zudem um Energiesicherheit und Klimawandel. Auch hier zeigen sich die mächtigen sieben Staaten unfähig, auf die Menschheitskrise einigermaßen rational zu reagieren.

Erneut wurde keine Deadline für Kohlekraftwerke festgelegt. Vor allem alarmierten Wissenschaftler:innen und Klimaschützer:innen Äußerungen der G7-Gruppe zu verflüssigtem Erdgas (LNG), das als fossile Brücke zu einer sauberen Energiezukunft präsentiert wurde.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, so die Energie- und Umweltminister der G7-Staaten, können "Investitionen in den Gassektor …. geeignet sein, potenzielle, durch die Krise verursachte Marktengpässe auszugleichen, sofern die nationalen Gegebenheiten klar definiert sind und die Investitionen im Einklang mit unseren Klimazielen stehen."

Letztes Jahr hatten sich die G7 darauf verständigt, die finanzielle Unterstützung für die fossile Brennstoffindustrie bis Ende 2022 zu beenden. Einem Bericht von Oil Change International zufolge finanzierten die G7-Länder zwischen 2020 und 2022 jedoch Projekte für fossile Brennstoffe mit 73 Milliarden Dollar, mehr als doppelt so viel wie sie in diesem Zeitraum für saubere Energie bereitstellten (28,6 Milliarden Dollar).

Noch letzte Woche genehmigte die Biden-Regierung in den USA LNG-Exporte der Alaska Gasline Development Corporation. In Deutschland werden für das Fracking-Gas "made in USA" parallel neue, völlig überdimensionierte LNG-Terminals an den Küsten gebaut, während man das unzureichende Klimaschutzgesetz beschneidet.

Dabei ist LNG keineswegs, wie oft behauptet, ein klimafreundlicherer Brennstoff. Der Kohlenstoff-Fußabdruck von verflüssigtem Erdgas ist oft größer als der von Kohle oder auch Öl, da während des Produktions- und Transportprozesses Methan entweicht. Es ist keine "grüne Brücke", sondern eine, die in eine heißere, gefährlichere Welt für uns alle führt.

Sicherlich sind China und Brasilien keine Engel, wenn es zu Klimaschutz kommt – einmal abgesehen davon, dass beide Länder wesentlich weniger zur Klimakrise beitragen bzw. beigetragen haben, gemessen an der Bevölkerungsgröße, als die mächtigen Industriestaaten.

Jedoch gehen die aktuellen Entwicklungen dort in eine vielversprechende Richtung. So werden in China, wie Telepolis-Autor Wolfgang Pomrehn schreibt, mehr Solar- und Windkraftanlagen ans Netz angeschlossen, als irgendwo sonst auf der Welt.

Der Absatz von Elektrofahrzeugen (EV) in China hat sich im Jahr 2022 fast verdoppelt. Jedes vierte in China verkaufte Fahrzeug ist mittlerweile ein E-Auto. Auf China entfielen rund 60 Prozent des weltweiten EV-Absatzvolumens.

Die Treibhausgas-Emissionen sanken dort im letzten Jahr um rund ein Prozent, in den USA stiegen sie überdurchschnittlich um 1,5 Prozent.

In Brasilien hat Lula nach seiner Amtseinführung Anfang dieses Jahres angekündigt, das Land zu einer "grünen Supermacht" zu erheben. Man werde nach den Bolsonaro-Jahren illegale Abholzungen im Amazonas Regenwald energisch bekämpfen und die Entwaldung stoppen. Dafür wurde von der neuen Regierung der Amazonas-Fonds wiederbelebt.

In einer gemeinsamen Erklärung mit Xi Jinping betonte Lula, man werde beim Waldschutz eng mit China kooperieren. Beijing unterstützt demgegenüber Brasiliens Bewerbung, die Klimakonferenz im Jahr 2025, die COP30, als gastgebendes Land auszurichten.

Die Hoffnung bei Beobachter:innen ist nun, dass die beiden einflussreichen und großen Schwellenländer eine Art Green-New-Deal-Allianz im globalen Süden bilden, die den Industriestaaten auch bei den Klimaverhandlungen die Stirn bieten kann.

So viel sollte durch die Ausführungen klar geworden sein: In all den oben angeführten Punkten, beim Ukraine-Krieg, beim Konfliktfeld Naher Osten oder bei der Menschheitskrise Erderhitzung, haben die mächtigen G7-Staaten der Welt nicht viel mehr als bleierne Stagnation und hohle Versprechungen anzubieten.

Demgegenüber wirken China und Brasilien dynamisch und kreativ auf der Weltbühne. Sie lassen sich vom "Club der glorreichen Sieben" nicht mehr belehren und einschüchtern, gehen selbstbewusst nach vorn und beschreiten unabhängige Wege, die die globalen Krisen adressieren, statt sie zu verstärken.

Und hinter ihnen stehen viele andere Länder des globalen Südens und ein Großteil der Weltbevölkerung, die Verhandlungen, Kooperation, Fairness und Gleichberechtigung sehen wollen statt Heuchelei, nationalen Chauvinismus der Stärke und eine Politik der verbrannten Erde.

In dunklen Zeiten ein Silberstreif, der zu einer echten globalen Perspektive ausgebaut werden kann, wenn genügend Druck in der Zivilgesellschaft erzeugt wird, der die Regierungen vor allem in den Industriestaaten zum Umsteuern zwingen könnte.

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