Chinas Aufstieg zur Supermacht und das bröckelnde US-Imperium

US-Präsident Joe Biden nimmt an einem virtuellen Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping am 15. November 2021 im Weißen Hauses teil. Bild: Cameron Smith, White House / Public Domain

Vom Ukraine-Krieg bis Saudi-Arabien: China überholt die USA als globaler Vermittler. Der Niedergang der US-Macht reicht zurück zum Irak-Kriegsverbrechen. Warum der US-Hegemon nicht mehr auf die Füße kommt.

Der chinesische Präsident Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin haben nach ihrem Treffen in Moskau Anfang dieser Woche eine "neue Ära" in den chinesisch-russischen Beziehungen ausgerufen.

Andrew Bacevich ist Präsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft.

Die beiden Staatsoberhäupter haben Berichten zufolge Chinas Zwölf-Punkte-Vorschlag zur Beendigung des Krieges in der Ukraine erörtert, wobei Putin erklärte, dass Chinas Plan die Grundlage für ein Friedensabkommen sein könnte.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich kürzlich ebenfalls bereit erklärt, Chinas Friedensplan in Betracht zu ziehen, obwohl er selbst noch nicht mit Xi zusammengetroffen ist.

Amy Goodman und Juan González vom US-Nachrichtenprogramm Democracy Now haben mit Andrew Bacevich, Mitbegründer des Quincy Institute for Responsible Statecraft, über den Aufstieg Chinas und den 20. Jahrestag der US-Invasion im Irak gesprochen.

Bacevich ist emeritierter Professor für internationale Beziehungen und Geschichte an der Boston University und Autor von "On Shedding an Obsolete Past: Bidding Farewell to the American Century".

Ich möchte mit Ihnen über Entwicklungen sprechen, die zurückreichen zu den Ereignissen vor zwanzig Jahren, der US-Invasion in den Irak, und sich fortsetzten bis hin zum Krieg in der Ukraine. Lassen Sie uns in der Gegenwart beginnen, mit den Nachrichten vom Xi-Putin-Gipfel, dem chinesischen Friedensplan, der angeboten wurde, und Selenskyjs Reaktion darauf. Sehen Sie im Moment einen Weg für Diplomatie? Sprechen Sie zunächst über die Bedeutung des Gipfels.

Andrew Bacevich: Zunächst einmal sollten wir nichts von dem, was die einzelnen involvierten Akteure sagen, für bare Münze nehmen, egal ob es sich um Russland, China, die Ukraine oder die Vereinigten Staaten handelt.

Ich denke, was mich beeindruckt, ist das diplomatische Engagement Chinas. Und das sage ich auch im Hinblick auf ihre Rolle bei der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Unsere Diplomatie, die amerikanische Diplomatie, erscheint mir reaktiv, fantasielos und ineffektiv.

Die chinesische Diplomatie hingegen scheint mir einfallsreicher und potenziell effektiver zu sein. Das bedeutet, dass sich die Welt in Bezug auf die Verteilung von Macht und Einfluss auf der Welt auf wichtige und dramatische Weise verändert.

Das bestätigt in gewisser Weise etwas, was wir schon immer sehen konnten, oder seit Langem wussten, dass China tatsächlich zu einer globalen Supermacht aufsteigt, die den Vereinigten Staaten von Amerika ebenbürtig ist.

Können Sie über den Friedensplan sprechen, den China angeboten hat? Selenskyj lehnt ihn zwar ab, da er bedeuten würde, dass Russland in den besetzten Gebieten in der Ukraine, sowohl auf der Krim als auch in der Ostukraine, bleiben würde, und es ihnen erlauben könnte, zu einem späteren Zeitpunkt einzumarschieren. Aber es ist schon auffällig, wenn Selenskyj sagt: "Ich möchte mit dem chinesischen Präsidenten sprechen", und dann seinen eigenen Friedensplan vorlegt. Was halten Sie davon?

Andrew Bacevich: Ich habe das nicht im Detail analysiert, aber ich denke, Sie treffen den Kernpunkt, dass Selenskyjs Bereitschaft, China anzuhören, auf eine Offenheit gegenüber Beijing als Vermittler hindeutet, was ein Abkommen möglich machen würde.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es in diesem Konflikt eine Seite gibt, die gewinnt, und eine, die verliert, auch wenn das die Erwartung der Biden-Administration zu sein scheint, nämlich dass die Ukraine gewinnt und Russland verliert. Das wird nicht passieren. Also muss es einen Kompromiss geben.

Ich habe den Eindruck, dass Selenskyj Kompromissbereitschaft signalisiert, während die Vereinigten Staaten auf einer sehr harten Position beharren.

Die USA sagen, dass sie China nicht trauen können. Warum glauben Sie, dass China und andere Länder bei der Vermittlung eines Friedensabkommens eine wichtige Rolle spielen könnten?

Andrew Bacevich: Der größere Zusammenhang ist der, den auch andere Kommentatoren vorbringen, nämlich dass der Krieg zwischen der Ukraine und Russland ein Stellvertreterkonflikt ist. Es ist ein Stellvertreterkonflikt, der Teil eines größeren Wettbewerbs zwischen dem Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten (auch wenn die US-Regierung sich nicht ganz sicher ist), und der Volksrepublik China. Es zeigt sich dabei ein Durchsetzungsvermögen, eine Vorstellungskraft seitens der Volksrepublik, die von den USA nicht auf vergleichbare Weise beantwortet wurde.

Andrew Bacevich, wir haben nun den zwanzigsten Jahrestag der US-Invasion in den Irak miterlebt, während der Ukraine-Krieg sich weiter fortsetzt. Von den Medien wird an den Irak-Einmarsch kaum erinnert. Und selbst wenn die Mainstream-Medien darauf eingehen, dürfen dieselben Leute darüber reden, die vor zwanzig Jahren für den Krieg, für die Invasion die Werbetrommel rührten – und ich spreche nicht nur vom Sender Fox News. Sie kopierten die Art und Weise, wie die politisch Verantwortlichen – von Joe Biden bis Hillary Clinton, die damals im Senat saßen – für die US-Invasion stimmten, die der damalige US-Präsident George W. Bush vorantrieb. Was sind die Auswirkungen dieses katastrophalen Krieges, in dem – anders als in Afghanistan – immer noch 2.500 US-Soldaten stationiert sind?

Andrew Bacevich: Eine Frage ist: Warum sind die Vereinigten Staaten überhaupt in den Irak eingefallen? Und es gibt mehrere Antworten auf diese Frage. Ich denke, in vielerlei Hinsicht ist die wichtigste Antwort, dass der Irak-Krieg sowohl von der Bush-Regierung als auch von den Befürwortern des Krieges – zum Beispiel in den Medien – als eine Möglichkeit gesehen wurde, zu demonstrieren, dass die Anschläge vom 11. September 2001 tatsächlich bedeutungslos seien. Die USA, das sollte gezeigt werden, sind immer noch die einzige globale Supermacht

Die Botschaft war: Wenn wir US-Truppen in den Irak schicken, wenn wir Saddam Hussein zusammenschlagen und stürzen, dann können wir damit die offensichtlichen Konsequenzen aus den Anschlägen vom 11. September vergessen machen. Denn die Angriffe hatten gezeigt, dass die USA viel verletzlicher, viel schwächer waren, als nach dem Ende des Kalten Krieges mit Hinweis auf die "unverzichtbare Nation" behauptet wurde.

Es war also ein Versuch, zu zeigen, dass 9/11 wirklich keine Rolle gespielt hat. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die USA einen großen, entscheidenden militärischen Sieg ohne größere Kosten im Irak erringen würden. Und das ist natürlich nicht eingetreten.

Hier stehen wir nun zwanzig Jahre später. Sie haben recht: Das Establishment ist wirklich nicht bereit, sich ehrlich mit den Folgen des Krieges auseinanderzusetzen. Und in gewisser Weise, ironischerweise, bietet der Krieg in der Ukraine dem Establishment eine günstige Gelegenheit, das Thema zu wechseln.

Wir haben immer noch US-Truppen im Nahen Osten. Wir halten an der Grundstruktur der nationalen Sicherheitspolitik fest, geben mehr Geld für das Militär aus als die zehn nächstgrößten Militärmächte der Welt, unterhalten mehr als 800 Stützpunkte auf der ganzen Welt, betreiben regionale Kommandozentralen, wie das Zentralkommando, die Nato und so weiter. Wir haben nichts gelernt.

Das ist, gelinde gesagt, traurig, und ich denke, dass wir die Fehler wiederholen werden. Wir befinden uns in diesem Showdown, einem Stellvertreter-Showdown, mit Russland und der Ukraine. Wir scheinen davon auszugehen, dass Putins Kriegsanstrengungen ausschließlich aus konventionellen Waffen bestehen werden, obwohl Russland natürlich über ein massives Atomwaffenarsenal verfügt.

Man hat zudem illusorische Annahmen über den Kriegsverlauf. Am Ende sind wir dann völlig überrascht, wenn der Krieg nicht dem gewünschten Drehbuch folgt.

Nach Irak: Chinas Aktienkurse florieren, die in den USA stürzten ab

Sie haben kürzlich einen Artikel für The American Conservative verfasst, mit der Überschrift "And the winner is ... Twenty years after the Iraq invasion: America’s humiliation was China’s gain". ("Und der Gewinner ist ... Zwanzig Jahre nach der Irak-Invasion: Amerikas Demütigung ist Chinas Gewinn") Was meinen Sie damit?

Andrew Bacevich: Chinas Aktienkurse sind gestiegen und florieren, unser Aktienkurs ist abgestürzt. Wir haben unsere Macht verschenkt. Wir haben unseren Einfluss verschenkt. Und ich würde nicht sagen, dass der Irak-Krieg die einzige Erklärung für den relativen Niedergang Amerikas ist. Aber er war ein essenzieller Faktor, der dazu beigetragen hat.

Wenn man Interesse hätte, diesen Niedergang zu stoppen, dann scheint mir der richtige Weg zu sein, mit einer ehrlichen Aufarbeitung des Irak-Krieges, seiner Ursprünge, seiner Durchführung und seiner Folgen zu beginnen. Aber es gibt nicht sehr viele Anzeichen dafür, dass diese ehrliche Aufarbeitung stattfinden wird.

Und was halten Sie von der Rechten, wenn es um die Frage geht, den Irak-Krieg infrage zu stellen? Es verleitet viele zu der Annahme, dass die Seiten gewechselt worden sind. Es gibt diejenigen in der Friedensbewegung, die den Krieg in der Ukraine zutiefst infrage stellen und sagen, dass Verhandlungen hier die einzige Lösung ist. Sie befürchten, dass der Konflikt zu einem Atomkrieg führen könnte. Rechte sagen nun – sogar der Gouverneur von Florida, DeSantis, der Trump herausfordern könnte –, es sei nur ein territorialer Streit. Eine Reihe von Republikanern will den Krieg in der Ukraine nicht weiter finanzieren.

Andrew Bacevich: Bringen Politiker, wenn sie in der Öffentlichkeit sprechen, eine prinzipielle Sichtweise zum Ausdruck? Oder ist es wahrscheinlicher, dass sie tatsächlich Dinge sagen, die innenpolitische Strategien widerspiegeln? Ich muss sagen – und ich will nicht zynisch erscheinen –, ich gehöre eher zum letzteren Lager.

Jetzt, wo Biden den Ukraine-Krieg zu verantworten hat, äußern sich viele Republikaner zurückhaltend und vorsichtig gegenüber der Anwendung von Gewalt. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die heute von Demokraten und Republikanern eingenommenen Positionen prinzipielle Standpunkte widerspiegeln, sondern eher das, was im Moment politisch opportun ist.

Zurück zum Irak. Ein bekannter irakischer US-Amerikaner, der, als die USA in den Irak einmarschierten, Minneapolis verließ, sagte: "Es ist mir egal, wenn ich die Straßen meiner Stadt Nadschaf fegen muss, ich werde dort bei meinen Leuten sein". Er ist jetzt zurückgekehrt. Präsident Putin ist in jüngster Vergangenheit vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden. Es stellt sich aber auch die Frage, was in den USA vor zwanzig oder auch vor zehn Jahren hätte geschehen müssen. Präsident Obama ist bekannt dafür, gesagt zu haben, dass man immer nur nach vorn schauen solle. Aber wenn es um die Verantwortung für die Zerstörung der irakischen Nation geht, was ist dann mit George W. Bush? Nur einen Tag nach dem 11. September – als längst bekannt war, dass 15 der 19 Flugzeugentführer aus Saudi-Arabien stammten – drängte Bush Richard Clarke, der in seiner Regierung für Terrorismusbekämpfung zuständig gewesen ist, zur Frage des Irak: "Wie können wir diese Verbindung herstellen?" Richard Clarke antwortete ihm: "Es gibt keine Verbindung." Sollte Bush nicht auch wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden? Und sollten andere mit ihm auf der Anklagebank sitzen?

Andrew Bacevich: Zunächst einmal steht es meiner Meinung nach außer Frage, dass der Irak-Krieg, der von den Vereinigten Staaten angezettelt wurde, ein Verbrechen ist, ein wirklich schreckliches Verbrechen. Ich bin wahrscheinlich nachsichtiger mit Präsident Bush als viele andere Menschen. Wissen Sie, ich halte ihn für einen Menschen mit begrenztem Talent, um es ganz offen zu sagen.

Er wurde Präsident, weil sein Nachname "Bush" lautete. Er war eine fantasielose Figur und völlig unvorbereitet für das, was am 11. September geschah. Seine Reaktion, die ich nicht verteidige, ist meiner Meinung nach in erster Linie auf die Mitarbeiter zurückzuführen, mit denen er sich umgeben hat.

Mit anderen Worten: Wenn ich nach Bösewichten suche, dann fange ich nicht bei Bush an. Ich beginne mit Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz und Condoleezza Rice, Leute, die sich einbildeten, strategisch zu denken. Sie gaben vor, die Weltpolitik zu verstehen, und glaubten, dass die amerikanische Militärmacht so groß ist, dass man Saddam Husseins Streitkräfte beiseite fegen und daraus große Vorteile ziehen könne.

Sie haben sich verkalkuliert. Sie haben sich völlig geirrt. Wenn ich also nach jemandem suche, dem ich die Verantwortung geben würde, dann neige ich dazu, diese Leute stärker zu beschuldigen als Bush – ohne Bush natürlich davonkommen zu lassen. Er war der Oberbefehlshaber. Aber auch hier denke ich, dass in gewissem Sinne seine Hände nicht an den Reglern waren.

Wenn Bush so untalentiert war, warum konnte ihn dann die größte Antikriegsbewegung, die die Welt jemals gesehen hat, nicht aufhalten? Diese Bewegung ging weit über die Vereinigten Staaten hinaus. Am 15. Februar 2003 protestierten Millionen von Menschen weltweit, um die US-Invasion im Irak zu stoppen.

Andrew Bacevich: Ich glaube nicht, dass sich Bush oder irgendjemand in der Bush-Regierung für die Weltmeinung interessierte. Es ging ihnen darum, bestimmte Verbündete, wie Großbritannien, dafür zu gewinnen, den Krieg zu unterstützen. Und das ist ihnen gelungen. Tony Blair sollte sich schämen. Ich glaube nicht, dass die Weltmeinung in den inneren politischen Kreisen von Washington D.C. eine große Rolle spielte.

Ich war zufällig in New York City, in Manhattan, am 15. Februar. Es war bewegend, gewaltig und erstaunlich, aber es hatte aus meiner Sicht keinerlei politische Auswirkungen.

Und warum? Ich denke, das sagt etwas über unsere Demokratie aus, dass Eliten dazu tendieren, sich in Richtung auf den Willen des Volkes zu orientieren. Aber wenn sie am Tisch sitzen und Entscheidungen treffen, Entscheidungen, die mit Krieg und Frieden zu tun haben, denke ich nicht, dass sie sehr ernsthaft darüber nachdenken: "Was denken eigentlich die Leute im Bundesstaat Indiana darüber?"

Ihr Kalkül ist von Machtüberlegungen geprägt. Die Bush-Regierung hatte 2003, als der Krieg begann, ein extrem verfehltes Verständnis vom Krieg, von der US-amerikanischen Bevölkerung und vom Potenzial der US-amerikanischen Militärmacht. Unsere politische Führung, gewählt und ernannt, war schlicht dumm. Ich glaube, die Menschen verfügen über ein besseres Verständnis für die Gefahren, die wir eingingen, als wir in den Krieg gegen den Irak zogen.


Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Übersetzung: David Goeßmann

Andrew Bacevich ist Präsident des Quincy Institute for Responsible Statecraft und schreibt regelmäßig für TomDispatch. Sein neues Buch, das er gemeinsam mit Danny Sjursen herausgegeben hat, heißt "Paths of Dissent: Soldiers Speak Out Against America's Misguided Wars". Sein neues Buch heißt "On Shedding an Obsolete Past: Bidding Farewell to the American Century".

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