Cîhad Hesen: Psychische Folter im Nordirak
Was ein Vertreter der Selbstverwaltung in Hewlêr (Erbil) in KDP-Haft erlebte, nachdem er mit zwei weiteren Personen eine Friedensdelegation in Empfang nehmen wollte
Im Juni 2021 wollte eine rund 80-köpfige Friedensdelegation – darunter 40 Deutsche - in den Nordirak reisen. Wie der Spiegel berichtete wollte sich die Delegation "über die seit Wochen laufenden Militäreinsätze der Türkei informieren und auf die ‚völkerrechtswidrigen Angriffe‘ aufmerksam machen". Darüber hinaus wollte sie im Konflikt zwischen der konservativen kurdischen Regionalregierung (KRG) der Barzani-Familie und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vermitteln.
Ein Vertreter der nordsyrischen Partei PYD, ein offizieller Vertreter der demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (NES) und ein Fahrer sollten Mitte Juni mehrere Delegationsteilnehmer am Flughafen in Erbil in Empfang nehmen. Am Flughafen wurden sie mitsamt den Delegationsteilnehmern verhaftet. Während die ausländischen Gäste nach Verhören frei kamen, wurden die Politiker aus Nordsyrien und der Fahrer inhaftiert.
Cîhad Hesen kam Ende September als Letzter frei und wurde nach Nordsyrien abgeschoben. Er berichtet im Gespräch mit Telepolis, was ihm in der Haftzeit widerfahren ist und wie unter psychischer Folter versucht wurde, ihn als Spitzel gegen die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien (Rojava) zu gewinnen. Er sei Vertreter der Selbstverwaltung in Hewlêr (Erbil) gewesen, habe dort eine offizielle Funktion gehabt, mit regionalen Stellen offizielle Kontakte gepflegt und Tätigkeiten im Dienst der Selbstverwaltung ausgeübt.
Sie wurden im Juni 2021 mit zwei weiteren Personen von kurdischen Sicherheitskräften der Autonomieregierung beim Empfang von Teilnehmern einer internationalen Friedensdelegation am Flughafen von Erbil verhaftet. Was ist passiert?
Cîhad Hesen: Drei der vier Gäste, die ich abgeholt habe, waren aus Paris und eine Person aus Katalonien. Sie haben uns festgenommen und uns in einem Revier am Flughafen festgehalten. Dort haben sie die Gäste von uns getrennt und wir wurden allein gelassen...Diejenigen die uns verhört haben, waren vom Geheimdienst der KDP.
Was geschah dann?
Cîhad Hesen: Vier Gäste waren schon da und es war zu erwarten, dass wir gegen Mittag noch vier weitere Gäste bekommen würden...Beim Verhör haben sie großen Druck auf mich ausgeübt. Sie wollten, dass ich die Gäste abhole und ihnen übergebe.
Sie hatten schon vor diesem Ereignis Probleme mit den Behörden der Regionalverwaltung, nachdem Sie von einer genehmigten Reise in Ihre Heimat zurückkehrten. Wieso?
Cîhad Hesen: Ich bin auf legalem Weg in das Selbstverwaltungsgebiet nach Rojava gereist und ich kam auch auf diesem Weg zurück, da ich die Erlaubnis hatte und der Grenzbehörde mein Name bekannt war. Als ich wieder zurückkam, haben sie mich an der Grenze angehalten und ausführlich befragt. Schon da wollten sie mir Schwierigkeiten machen.
Sie wollten, dass ich gegen die Selbstverwaltung mit ihnen zusammenarbeite. Sie wollten, dass ich als Spitzel mit ihnen zusammenarbeite. Ich habe natürlich abgelehnt. Sie haben viel Druck auf mich ausgeübt. Sie haben gesagt, wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten würde, würden sie meine Bedingungen verbessern.
Sie wurden dann ins Gefängnis der Sicherheitskräfte der KRG gebracht. Wie ist es Ihnen dort ergangen?
Cîhad Hesen: Sie haben mich aufgefordert, mein Handy anzumachen, damit sie über meine Kontakte an Informationen kommen, was ich verweigerte. Wo ich untergebracht war, wurden ansonsten Kriminelle und Drogenabhängige festgehalten. Als ich unter diesen schlechten Bedingungen, mit diesen Menschen dort war, haben sie mich ständig verhört. Es gab Versuche, mich auf verschiedenste Weise zu unterschiedlichen Zeiten zu verhören. Sie haben behauptet, dass die Delegationsteilnehmer, die uns besuchen, die Lage in Südkurdistan verschlechtern und destabilisieren wollten.
Ich habe gesagt, dass unsere Gäste nicht mit schlechten Absichten gekommen sind – außerdem wurden ja wieder in ihre Länder zurückgeschickt. Sie konnten uns auch nichts beweisen und es gab auch nichts zu beweisen – entgegen ihrer Behauptungen.
Im Gefängnis haben Sie mich gezwungen, mich neben der Toilette aufzuhalten. So wurde ich zur Schau gestellt und denjenigen, die zur Toilette gingen, als Übeltäter präsentiert. Dann haben sie mich in einem anderen Gebäude desselben Gefängnisses untergebracht, dort waren unter anderem Mörder und Schwerstkriminelle.
In diesem Raum lebten 130 bis 140 Menschen auf 54 Quadratmetern. Unter diesen Gefangenen waren zwölf IS-Mitglieder, acht Insassen waren politische Gefangene aus Südkurdistan, vier bis fünf Personen hatten Morde begangen. Alle übrigen waren Drogendealer und Drogenabhängige. Wir hatten keinen Platz, konnten nicht einmal die Beine ausstrecken.
Zum Schlafen konnten wir uns nur auf die Seite legen. Weil kein Platz war, haben unsere Körper jeweils andere Menschen gestört. Durch diese Schlafsituation waren Füße und Zehen anderer Menschen in meinem Gesicht. 92 Tage lang musste ich unter diesen Bedingungen schlafen. Da es nicht nur eng, sondern auch warm war, wurden von diesen 130 Menschen 110 Menschen krank. Am 15. Tag meines Aufenthalts war ich krank; und am 100. Tag war ich immer noch krank. Ich hatte Durchfall; und vier Mal am Tag wurde mir schwindelig. Vier bis fünf Mal habe ich auch Blut verloren.
Ich habe nach Medikamenten und einem Arzt verlangt – aber vergeblich. Alle zehn bis zwölf Tage haben sie mir die Haare abrasiert. Mit derselben Rasiermaschine wurden 130 Personen die Haare und Bärte abrasiert. Die Maschine wurde eingesetzt, ohne zwischendurch gesäubert zu werden. Viele Gefangene hatten deshalb Hautreizungen und Verletzungen. Es gab keine Matratzen, keine Betten. Auf den Bettdecken konnte man schlafen. Die waren aber immer dreckig und man lag immer auf dem Boden.
Es ist bekannt, dass es innerhalb der regierenden Barzani-Familie und der Regierungspartei KDP Differenzen über den Umgang mit der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien sowie der PKK gibt. Die einen setzen auf Verhandlungen, die anderen unterstützen die Politik und die militärischen Interventionen der Türkei. Hat Ihre Verhaftung etwas mit diesen Differenzen zu tun? Was hat man Ihnen überhaupt als Grund genannt?
Cîhad Hesen: Es gibt Differenzen zwischen den Leuten der beiden Verwandten. Präsident Necirvan Barzani ist auf der Seite der Koalition, die mit uns verhandelt und Premierminister Masrur Barzani ist auf der Seite der türkischen Regierung. Zu dem Zeitpunkt, als die Verhandlungen mit dem Kurdischen Nationalrat ENKS* stattfanden, war Masrur Barzani nicht einverstanden, er war gegen diese Verhandlungen.
Sie wollten erreichen, dass ich mich gegen den ENKS positioniere. Das wäre in Masrur Barzanis Interesse, da die Türkei davon etwas hätte. Sie behaupteten, dass ich ein Vertreter der PKK bin und kein Vertreter der Selbstverwaltung. Jedes Mal sagte ich, dass ich offizieller Vertreter der Selbstverwaltung bin und kein Kader. Da sie mit ihren Vorwürfen keinen Erfolg hatten, behaupteten sie, dass ich Jugendliche im dortigen Gebiet für die PKK rekrutieren würde.
Sie wussten ganz genau, dass ich das nicht getan habe. Dann kam noch der Vorwurf, dass ich vom Geheimdienst der PKK dorthin geschickt worden wäre. Sie drohten damit, mich jahrelang festzuhalten. Der ganze Druck hatte den Zweck, mich dazu zu bringen, mit ihnen gegen die Selbstverwaltung zusammenzuarbeiten. Ihnen war bekannt, dass meine Kinder in Hewlêr eine Privatschule besuchen, in der Englisch und Sorani unterrichtet wird.
Diese Schulen gibt es in Rojava nicht. Nach all den erfolglosen Versuchen, mich unter Druck zu setzten, haben sie gedroht, meine Kinder nach Rojava zu schicken, damit sie dort Kriegsbedingungen erleben. Nachdem klar war, dass sie auch auf diese Weise keinen Erfolg haben würden, haben sie dann meine Tätigkeit, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdiene, ins Visier genommen.
17 Flüchtlinge arbeiteten mit mir, ich war in der Baubranche tätig. Sie haben die Gelder von den Menschen, die mit mir zusammengearbeitet haben, beschlagnahmt, insgesamt 32.000 Dollar. Nur 6000 Dollar waren von mir und meinen Geschwistern, der Rest gehörte meinen Mitarbeitern. Sie erklärten mir, dass ich auch in 20 Jahren nicht in der Lage sein würde dieses Geld, dass sie beschlagnahmt haben, zurückzuzahlen.
Die Firma, bei der ich gearbeitet habe, gehört der Barzani-Familie und ich wusste nicht, dass sie auch ihrem Geheimdienst gehört. Diejenigen die mit mir gearbeitet haben wurden, alle gefeuert.
"Gesundheitlich geht es mir immer noch schlecht"
Diese Art der Befragung dauerte bis zum 92. Tag meiner Inhaftierung. Ich war die ganze Zeit krank und bekam keine Behandlung. Dann brachten sie mich zum Arzt und ich erhielt vier Tabletten gegen Magenschmerzen. Da war mir klar, dass sie mich freilassen werden. Sie haben mir die Medikamente gegeben, damit sie behaupten können, dass es mir gut geht, wenn sie mich freilassen. In den letzten zehn bis 15 Tagen waren auch meine Schlafbedingungen besser. "Besser" bedeutet, dass ich mich auf 30 Zentimetern seitlich hinlegen konnte.
Sie kamen am 29. September 2021 nach mehr als 100 Tagen frei, weil das Internationale Rote Kreuz das Gefängnis besuchte. Danach wurden Sie nach Nordsyrien abgeschoben. Wie geht es Ihnen jetzt?
Cîhad Hesen: Ich hatte mich für ein Gespräch mit dem Internationalen Roten Kreuz eingetragen. Da sie wussten, dass sie mich nicht aus Bashur (Anm. d. Verf.: Kurdistan-Irak) abschieben können, wenn ich mit dem Roten Kreuz spreche, haben sie mich schnell aus dem Warteraum geholt. Sie haben mich in einen anderen Raum gebracht und haben mir die Augen verbunden und mir die Hände gefesselt.
Sie haben mich dann an die Grenze zum Selbstverwaltungsgebiet gebracht, ohne dass ich anständige Kleidung hatte. Nachdem sie mich nach Rojava abgeschoben hatten, übten sie Druck auf meinen Bruder und meine Familie aus, damit sie das Land verlassen und zurück nach Rojava gehen.
Gesundheitlich geht es mir immer noch schlecht. Ich habe in den vier Monaten Haft zwölf Kilo abgenommen. Als ich in ärztlicher Behandlung war, haben sie mir gesagt, dass es noch Zeit braucht, bis ich gesund werde. Da nur immer seitliches Schlafen möglich war, leide ich an Schmerzen in Armen und Beinen. Ich stehe noch immer unter dem Einfluss dieser Situation, ich trage das immer noch in meinem Körper und habe mit den Folgen zu kämpfen. Kein Medikament hat bis jetzt dagegen geholfen.
Was können Sie über die Haftgründe ihrer Mitgefangenen und deren Behandlung im KDP-Gefängnis allgemein berichten?
Cîhad Hesen: Viele sind politische Gefangene, Akademiker, Intellektuelle, unter ihnen sind auch Doktoranden. In meinem Gefängnisraum waren acht weitere politische Gefangene mit mir. In diesem Gefängnis sind insgesamt 81 politisch Gefangene. 27 waren frühere Mitglieder der KDP, die von der KDP zur YNK (Anm.d.Verf.: Yekîtîya Nîştîman Kurdistan - Patrotische Union Kurdistans, die Partei der nordirakischen Talabani-Familie) wechseln wollten.
Sie werden seit 31 Monaten im Gefängnis festgehalten. Bis heute standen sie weder vor Gericht, noch haben sie einen Rechtsbeistand bekommen. 38 Gefangene kommen aus Gebieten, in denen kein Sorani sondern Kurmanci gesprochen wird. Sieben von ihnen wurde Mitarbeit in der PKK vorgeworfen. Andere Intellektuelle haben Sympathie mit der Politik der PKK geäußert.
Sie wurden mit sechs Jahren und einem Monat Haft bestraft. Sie wurden 60 Tage lang gefoltert und in Einzelzellen untergebracht. Sie haben keine Straftat begangen, sie wurden geschlagen, nur wegen ihrer Meinung. Ohne irgendeinen Schuldnachweis wurden sie verurteilt. Als sie zum Gericht gebracht wurden und das Urteil gefällt wurde, durften sie sich nicht durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen. Die anderen sind Reporter und Journalisten, die Sympathie für die PKK gezeigt haben.
Über die Haftbedingungen kann ich folgendes sagen: Drei bis vier Personen haben ihren Verstand verloren, sie sind verrückt geworden durch das, was sie erlebt haben. Obwohl diese Menschen ihre Gefängnisstrafe abgesessen hatten, wurden sie nicht freigelassen, da ihre Familien wussten, dass ihre Angehörigen gesund ins Gefängnis gekommen waren und bei der Entlassung ein anderes Bild entstehen würde.
Zwei dieser Menschen, die ihren Verstand verloren haben, hatten von hinten Schläge auf den Kopf bekommen. Daraufhin haben die Kontrolle über sich verloren. Diese Menschen wurden mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Sie waren immer ruhig und schläfrig. Ich wurde nicht geschlagen, aber die anderen Häftlinge wurden geschlagen und mit Strom gefoltert.
Die deutsche Bundesregierung unterstützt die kurdische Autonomieregierung im Nordirak und bildet deren Peschmerga-Armee aus. Für sie ist es an der Zeit, ihre Nahost-Politik auf den Prüfstand zu stellen. Es muss die Frage erlaubt sein, warum offensichtliche Menschenrechtsverletzungen sowohl in der Türkei als auch im Nordirak hingenommen und gebilligt werden, während anderen Ländern bei ähnlichen Vorkommnissen sofort die Rote Karte gezeigt wird.
In einem Telefonat von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrem türkischen Amtskollegen Cavusoglu kurz vor Weihnachten soll die Grünen-Politikerin die Bedeutung der türkeistämmigen Bürger als "Brücke" zwischen beiden Ländern betont haben. Bei außenpolitischen Themen wolle man sich "eng abstimmen", berichtete das AKP-nahe Internetmedium TRT Deutsch.
* Anm. d. Verf.: Der ENKS ist ein konservatives Oppositionsbündnis in Nordsyrien unter Führung der Barzani-nahen Partei KDP-S. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien befindet sich derzeit im Dialogprozess mit dem ENKS über ihre Rolle als Opposition im Rahmen der demokratischen Selbstverwaltung.
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