Conceiving Ada

Die Experimentalkünstlerin Lynn Hershman Leeson erweckt Ada Lovelace zu neuem Leben

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Pop~Feature

Ada Countess of Lovelace ist eine der interessantesten weiblichen Techno-Identifikationsfiguren in der Geschichte von Frauen und Computern, die dazu beitragen, das weibliche Datenset in der technologischen Jetztzeit zu konsolidieren. Lynn Hershman Leesons neuer Film "Conceiving Ada" bringt viktorianische Rollenmodelle in die gegenwärtige Diskussion der cyberfeministischen Gemeinde.

Lynn Hershmans neuer experimenteller Spielfilm "Conceiving Ada" könnte der Independent Film des Jahres 1998 werden.

Conceiving Ada wird als experimenteller Independent Film gewiss Anerkennung finden. Lynn Hershmans neue Arbeit könnte aber nicht nur deshalb Filmgeschichte schreiben, weil innovative Simulationstechnologien zum Einsatz kamen, sondern auch weil Ada Lovelaces Beitrag zur Entwicklung vom Computersprachen ins Zentrum der Aufmerksamkeit eines internationalen Publikums gerückt wird, indem die Struktur der Überlegungen von Ada in die des Filmes übertragen wird.

Mitunter wird die Hobbymathematikerin Ada Byron King, Countess of Lovelace (1815-1852) als die Mutter des Programmierens bezeichnet. Sie schrieb das, was wir als Programmierung... für die noch nicht gebaute Differenziermaschine von Charles Babbage... bezeichnen würden und sagte ihren Gebrauch zur Schöpfung von Musik, Dichtung und Kunst" voraus.

Quelle

Lynn Hershman in ihrem Studio in San Francisco

Als eine in Fragen der weiblichen Identitätsfindung bewanderte Künstlerin beschreibt dies Lynn Hershman Leeson folgendermassen:

Adas Leidenschaften und Perversionen zwangen sie zu einem Doppelleben. Die Dualität ihrer Existenz als Mutter/Visionärin, Geliebte/unabhängige Denkerin, wird im Film durch eine Erzählform verdeutlicht, die sich auf die beiden Stränge des DNA-Moleküls bezieht.

Lynn Hershman Leeson

Adahome

PASSWORTE: ERINNERUNG - DNA MEMORY - UNSTERBLICHKEIT

Ada Lovelace, dargestellt von Tilda Swinton, ist sowohl Gegenstand als auch Metapher im Film. Dieses nicht sehr bekannte Geekgirl aus dem 19. Jahrhundert, opiumabhängig und promiskuitiv, erhält nun späte Ehrungen von der Computergemeinde für ihre Erstellung einer ersten Programmiersprache. In Büchern von Kultliteraten der Cybergeneration spielt sie die Hauptrolle ("The Difference Machine" von Bruce Sterling& William Gibson, "Zeros and Ones" von Sadie Plant). Für die wachsende feministische Gemeinde im Cyberspace dient sie als Beipiel für weibliche Beiträge zur Entwicklung der Computerkultur. "TAP: The Ada Project" der Yale University bietet dazu eine Übersicht der Leistungen und der Rolle von Frauen in der Technikgeschichte.

TAP

Ein _Augenblick_ aus "A room of ones own", Lynn Hershman 1990-93

In Conceiving Ada verbindet Hershman gekonnt kreative Produktion und feministisches Engagement, zeigt weibliche Sichtweisen und Sexualität, sowie Machtverhältnisse heute und im Leben Adas. In früheren künstlerischen Arbeiten Hershmans waren es Lorna, Roberta, Marion oder Chystene, auf jeden Fall aber immer weibliche Charaktere, die dem Betrachter direkt ins Auge blickten und so direkte Aussagen machen konnten. Im Film treten Ada und Emmy, die jetztzeitliche Protagonistin im Film, visuell, geistig und fachlich in Verbindung und kommunizieren über ihre Arbeitsbedingungen und Theorien.

Lynn Hershman Leeson schafft einen neuen Filmstil

Conceiving Ada ist nicht nur eine wichtige feministische Darstellung des Lebens und des ungewöhlichen Genies der historischen Person Ada Lovelace. Indem sie ihre Geschichte als Parallele erzählt, webt Hershman Darstellungen zum Thema der Erinnerung und des Gedächtnisses und des Wunsches nach Unsterblichkeit ein, wie es Ada in ihren verschlüsselten Stickereien tat. Über assoziative Mechanismen und durch die vorsichtigen Hinweise von Emmys Mentor, der von Timothy Leary dargestellt wird, realisiert Emmy als Genetiksoftwarespezialistin den Kontakt in die DNA Adas. Nachdem ihr unwissender männlichen Partner Nicolas, J. D. Wolfe, mit ihrer Programmierung spielt, ermöglicht ihr Programm zufällig eine Übertragung der DNA Information Adas. Dadurch kann Emmy als Voyeurin Einblick in die intimsten Momente aus dem Leben Adas nehmen.

Im Film bilden die selbstverständlichen Freiheiten, die Frauen in den 90er Jahren geniessen, wie eine "digitalen Karriere", alternativer Lebensstil und Zeitgeist-Diäten einen Gegenpol zum prüden viktorianischen Zeitalter. Dies wird in Szenen wie jener deutlich, in der Ada vom Arzt erklärt wird, dass ihre körperlichen Schmerzen, die auf Gebärmutterkrebs beruht haben dürften, auf ihre intensive Auseinandersetzung mit Mathematik zurückzuführen wären und nur die Geburt eines weiteren Kindes Abhilfe bringen könne. Beim romantischen Ende meint Ada schliesslich auf dem Totenbett, "Das immer wiederkehrende Geschenk der Menscheit ist es, dass jede Generation die Möglichkeit hat, sich selbst wiederzuerschaffen", während die Erinnerungen Adas auf den ungeborenen Fötus Emmys übertragen werden.

Phantom Limb, Fotoarbeit, 1984

Die künstlerischen Stilelemente Hershmans sind durchgehend präsent. Deutlich wird dies am symbolischen Einsatz des Auges und dessen was Margaret Morse als die "Umkehrung des männlichen Blicks" bezeichnet hat. Hershman verstärkt die persönliche Betroffenheit der Betrachter durch den direkten Blick ihrer Protagonistinnen, den unmittelbaren Augenkontakt und den subjektiven Blick. Üblicherweise enthebt dieser unverschämte Blick Frauen ihrer Macht und objektiviert sie. In Conceiving Ada ist der Blick ein Augenblick. Es ist ein Blick durch das Auge einer parallelen Identität und Persönlichkeit in die Vergangenheit.

Filmstill aus 'Room of One's Own' , s.o.

In ihrer kritischen Analyse der frühen interaktiven multimedialen Arbeiten von Hershman, wie 'Room of One's Own' 1990-93, mit Sara Roberts und Palle Henckel, die eine Art "elektronischer Peepshow darstellt, schreibt die kalifornische Kritikerin Margaret Morse:

Das Geheimnis liegt darin, dass Technologie auf eine ganz ander Art und Weise gebraucht wird, als es eigentlich gedacht war und dies so weit zu treiben, dass ein selbstreflexives Ergebnis dabei entsteht.

Margeret Morse
Phantom Limb, Fotoarbeit, 1984

Virtual Sets/Infinite Reality: The Making of Conceiving Ada

I felt it important to use the technology Ada pioneered. Virtual sets and digital sound became the vehicle through which her story could be told. They provided environments in which she moves freely through time, becomes liberated and, ultimately, moves into visibility.

Lynn Hershman Leeson
'Tilda in der Blue Box'. Shot während der Aufnahmen zu Conceiving Ada.

Hershman setzt Computergrafik und Software zur Bildbearbeitung ein, um alle Spuren des 20. Jahrhunderts zu beseitigen. Sie findet es "einfach schön", wenn sie digital alle Hintergrundsets herstellen kann, anstatt sie tatsächlich bauen zu lassen. Die Schauspieler agierten in einer Bluebox und wurden nachträglich in die virtuellen Umgebungen einmontiert. Der Unterschied zur üblichen Blueboxpraxis ist der, dass sich die Schauspieler über einen Monitor in Echtzeit in einer virtuellen Umgebung sehen konnten.

Hershman hat mit ihren multimedialen Installationen schon die unterschiedlichsten Möglichkeiten der Interaktion und Narration in virtuellen Umgebungen erprobt. Ihr ist aber klar, dass lineare Systeme klare Entscheidungen verlangen. Sie empfand den Prozess des Filmemachens als radikal. In Conceiving Ada interagierten die Schauspieler miteinander und mit dem Prozess des Filmemachens, indem sie sich über das auf dem Monitor sichtbare und sich verändernde Set anpassten. Dieser Vorgang erinnerte sehr an die Spontanität und Interaktivität mit dem Publikum, die in Hershmans Installationen vorherrschte.

Viele Charaktere aus der Medienkultur stellen mehr oder weniger sich selbst dar. Der 60er Jahre Gegenkulturheld Timothy Leary, der hoffte irgendwann wiederbelebt werden zu können, stellt Emmys subtilen Mentor dar, der Erinnerung repräsentiert. Die Szenen spielte er neun Tage vor seinem Tod.

"Lives the key, focus on energy, illumination, zeros and ones". Timothy Leary

Seine Botschaft im Film bezieht sich auf Erleuchtung und Überwindung von Frustration:

"..look at what you are doing right....information is like a message, you have to breath it in."

R.U Sirius (Mondo2000) sitzt im Film meditierend zu Learys Füssen. John Perry Barlow, ehemaliger Songwriter von Grateful Dead, unterhält sich in seiner Rolle als John Crosse mit Ada über Kryptographie, die ja auch ein Anliegen der von ihm gegründeten Electronic Frontier Foundation ist. Crosse war Adas Geliebter, der sie auch dazu verleitete, den Grossteil ihres Vermögens im Vertrauen auf mathematische Vorhersagbarkeit beim Pferderennen zu Verlieren.

Super Low Budget

Das Auge, altgedientes Logo der 'Residents'

Conceiving Ada war ein Low Budget Film mit Produktionskosten unter 1 Million Dollar. Dies war nur möglich, weil sich Darsteller und Mitarbeiter nicht an Hollywoodtarifen orientierten und den Film als interessante Investition in die Zukunft des Filmemachens sahen. Ausserdem war Ada für die Beteiligten eine faszinierende weibliche Figur. Final cut editor, Bob Dalva (Industrial Light and Magic), Cinematographer Hiro Narita und die über 300 beteiligten Mitarbeiter sahen das Projekt als Experiment, an dem es sich lohnt, beteiligt zu sein. Finanziert hatte der ZDF.

Conceiving Ada wird im Lauf des Jahres 1998 im ZDF ausgestrahlt werden. Der Film wurde in der Area gedreht, die Blue Box in LynnŽs Atelier aufgebaut. Viele ihrer Studenten von der University of California waren beteiligt. Der Soundtrack zum Film stammt übrigens von der Kultband "The Residents", die auch für den Einsatz der Auges als Bandlogo bekannt sind.

Ein Real Audio Interview, in dem Lynn über die Erstellung des Filmes Conceiving Ada plaudert, finden Sie in Hotwired's pop TALK.

Pre-Screenings bei den Festivals Toronto FilmFest, September 1997, und Sundance im Jannuar 1998 zogen intensive Diskussionen über den technischen Herstellungsprozess nach sich.

Hershmann stellte fest:

"...you must believe in what you do obsessivly to succeed"

Auf Gebieten, in denen immer noch männliche Identifikationsfiguren vorherrschen, korrigiert Hershman mit ihrer Arbeit auch die unhaltbare Behauptung, dass Frauen nicht die Fähigkeit zu logischem und strukturiertem Denken hätten. Bei einem informellen Interview in Hersmans Atelier in San Francisco im August 97 meinte sie auch, dass "die Amerikaner einfach sehr an Vergangenheit interessiert sind, aber viel zu grosse Angst haben, sie zu ändern". In Conceiving Ada ändert sie den Blickpunkt auf die Vergangenheit der Technikentwicklung und bietet Lösungen für Frauen der Gegenwart an. Lynn ist ebenso wie Ada besessen, ihre Vorstellungen in neuen Sprachen zu realisieren. Hershmans Erfolg dabei beruht auf ihrem Auge für neue Formen multimedialer Anwendungen in Installation, Medienarbeiten und Filmproduktion.

Siehe auch Tilman Baumgärtels Kritik zu Conceiving Ada, der eine abweichende Auffassung vertritt.

Screenings: Conceiving Ada wird bei der Berlinale am 16. und 17. Feb.1998 erstmals in Europa gezeigt werden. 16.Feb. 9:30, Delphi
17.Feb. 10:30, Arsenal
Beim Medienfestival Transmediale im Berliner Podewil wird zu dieser Zeit auch eine von Rudolf Frielling organisierte Retrospektive von Arbeiten Hershmans zu sehen sein.
17. Feb. 12-19:00, Podewil