Corona-Akten: Tagesspiegel klagt Protokolle frei, berichtet dann aber nicht

Geheime Absprachen und fehlende Transparenz: Die Bund-Länder-Konferenzen während der Pandemie. Freigeklagte Protokolle erscheinen angesichts der Tragweite mangelhaft.

Während der Corona-Pandemie waren Besprechungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten das entscheidende Gremium zur Vereinbarung politischer Maßnahmen. Diese sogenannten Bund-Länder-Konferenzen sind zwar kein offizielles Gremium mit juristischer Beschlusskraft, sie fanden aber zum Austausch auch vor Corona zweimal im Jahr statt.

Die Absprachen während der Pandemie wurden allerdings fast durchgängig von den Bundesländern eingehalten und auf dem Verordnungswege umgesetzt. Dazu zählten die zahlreichen und mehrfach geänderten Kontaktbeschränkungen bzw. -verbote.

Beratungen sollten geheim bleiben

Die Ergebnisse dieser Absprachen von Bundeskanzlerin und den in den Einladungsschreiben so bezeichneten "Regierungschefinnen und Regierungschefs" der Länder wurden zwar regelmäßig in Pressemitteilungen veröffentlicht, die Beratungen selbst jedoch sollten geheim bleiben. So teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken am 26. August 2021 mit:

Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist ein länderinternes Gremium. Fragen, die dieses Gremium betreffen, wären dorthin zu richten. Sie betreffen nicht den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung. (...)

Eine Auskunft zu vertraulich geführten Gesprächen im Rahmen von Besprechungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder liefe auf die Beeinträchtigung der Vertraulichkeit der Beratungen insgesamt hinaus.

Dieses berechtigte schutzwürdige Interesse an einem geschützten Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, der einen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt, fällt in den Schutzbereich des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung. Er umfasst auch Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung.

Bundestags-Drucksache 19/32222

Entsprechend gab die Regierung die geforderten Informationen zu den Beratungen, insbesondere zu Beschlussentwürfen, nicht preis. Auch eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz zu Protokollen einzelner Besprechungen wurde abgelehnt.

Dennoch waren zahlreiche Medien über Inhalte der Bund-Länder-Konferenzen informiert. Justus Bender schrieb dazu in der FAZ:

Politiker verschiedener Lager sind unzufrieden mit der Art, wie Bund und Länder über die Corona-Maßnahmen beraten. Sie beklagen, dass vor den Sitzungen der Ministerpräsidentenkonferenz Angst vor Durchstechereien herrsche; darum werde vorab teilweise auf Absprachen verzichtet. Manche begründen damit sogar die Fehlentscheidung zur geplanten Osterruhe, die von der Bundeskanzlerin zurückgenommen werden musste, als handwerkliche Fehler deutlich wurden.

FAZ vom 27. März 2021

Dass es ein öffentliches Interesse an den Bund-Länder-Absprachen gab, ist naheliegend, wurden hier doch weitreichende Einschränkungen der individuellen Freiheiten verabredet, die unter anderem in sogenannten Lockdowns mündeten.

Während die Ergebnisse natürlich von der Politik selbst publiziert wurden, blieb ihr Zustandekommen im Dunkeln. Wie wurden die schließlich getroffenen Maßnahmen diskutiert? Welche Abwägungen gab es? Wie einige waren sich die Ländervertreter jeweils? Wie sah das reale Machtverhältnis zwischen Bundeskanzleramt und den 16 Bundesländern aus?

Tagesspiegel klagte

Dem Berliner Tagesspiegel gelangt es schließlich, auf 0dem Klageweg 00000die Herausgabe einzelner Protokolle dieser Besprechungen zu erzwingen (VG Berlin 2 K 155/21 vom 30.06.2022). Verlangt hatte dies die Zeitung bereit am 11. Dezember 2020. Weil das Bundeskanzleramt die Herausgabe jedoch verweigerte, reichte sie am 1. Juni 2021 Klage ein, um "Zugang zu den fünf Kurzprotokollen der Bund-Länder-Konferenzen zur Corona-Pandemiebekämpfung vom 16. März 2020, 1. April 2020, 15. April 2020, 30. April 2020 und 16. November 2020" zu erlangen.

Das ein Jahr später ergangene Urteil akzeptierte die Regierung schließlich nach zweieinhalb Monate langem Abwägen und machte dem Tagesspiegel die geforderten Dokumente zugänglich.

Für die Allgemeinheit allerdings wollte die Regierung die Protokolle weiterhin nicht herausgeben, wie sie am 25. Januar 2023 mitteilte.

Umso erstaunlicher ist, dass der Tagesspiegel ausweislich seines Archivs nach dem 19 Monate währenden Bemühen um die Herausgabe nie über den Inhalt der erhaltenen Protokolle berichtet hat. Insgesamt drei Anfragen dazu von Telepolis ließ die Pressestelle des Verlags inhaltlich, der zuständige Redakteur Jost Müller-Neuhof gänzlich unbeantwortet.

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