Corona-Debatte: Kassenärztliche Vereinigung Berlin in der Kritik
Seite 3: Ende der Debatte: Nichtgeimpfte als "Sozialschädlinge"
- Corona-Debatte: Kassenärztliche Vereinigung Berlin in der Kritik
- Offener Brief gegen die KV Berlin: Protest aus der Praxis
- Ende der Debatte: Nichtgeimpfte als "Sozialschädlinge"
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Auf den Intensivstationen wird es derweil mit annähernd 5.000 Covid-19-Patienten beängstigend voll. Nach Worten des Intensivmediziners Christian Karagiannidis brauchte Deutschland eine Sieben-Tage-Inzidenz von unter 200, um seine Intensivstationen arbeitsfähig zu halten.
Wie es aussieht, fehlt es an Plätzen, an Personal, an Einsicht auf den Etagen so mancher Verantwortungsträger. Im Glaubenskrieg um Corona werden die Ungeimpften derzeit als Schuldige vorgeführt und als Sozialschädlinge angeschwärzt. In ihrem Resümee fassen die Schreiber des offenen Briefs so zusammen:
Als Mitglieder der KV Berlin und als Angestellte in Vertragsarztpraxen sowie als Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen sind wir entsetzt und beschämt über die Stellungnahme der Berliner KV. Mit Ihrem Schreiben fördern Sie gesellschaftliche Spaltungsprozesse und stoßen in das populistische Horn der derzeitigen politischen Scharf- und Stimmungsmacher. (…)
Wir fordern die sofortige Rücknahme des Schreibens durch den KV-Vorstand und die Rückkehr zu einer von Toleranz, Respekt und Menschlichkeit geprägten öffentlichen Debatte.
Höchst bedenklich an der Angelegenheit ist die Tatsache, wie leicht und geschmeidig sich verantwortliche Stellen, die sich auch für das Patientenwohl, ergo das allgemeine Wohl starkmachen, in den politisch erwünschten Tenor einreihen, ja, sich durch opportunistische Vorschläge geradezu hervortun.
Konsens der Alternativlosigkeit?
In dem Fall beklagen die Kritiker:innen zu Recht den Verfall des öffentlichen Diskurses. Zugleich, so ist hinzuzufügen, werden hier Techniken sichtbar, einen Konsens der Alternativlosigkeit zu erzwingen.
Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld (emerit.) beklagt die Alternativlosigkeit der "neoliberalen Phantom-Mitte", wie er das Zentrum der Konsensgesellschaft nennt. Mit dessen Entstehung, so Mausfeld, gehe der Rechtspopulismus Hand in Hand.
Man mag mit Mausfeld zusammen den irischen Politikwissenschaftler Peter Mair zitieren, der folgendes sagte:
Der immer stärker eingeschränkte Spielraum für Opposition innerhalb des Systems ist einer der Gründe, warum der politische Bereich zu einem so starken Nährboden für Populismus geworden ist.
Peter Mair, hier zitiert nach: Rainer Mausfeld, Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien. Frankfurt/Main (Westend) 2019, S. 51
Vor nicht allzu langer Zeit machte das Verhalten der KV schon einmal von sich reden. Zwei KV-Vorsitzende der Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) – beides praktizierende Kassenärzte – hatten "Impfverweigerung als frech und gesellschaftlich inakzeptabel" bezeichnet.
Telepolis berichtete über den Vorgang („Ungeimpfte bald ohne Arzt?“). Später wurden die Vorschläge relativiert und das Rundschreiben offline genommen.
De facto lief der ursprüngliche Vorschlag der beiden KV-Ärzte darauf hinaus, Patienten, die sich einer Corona-Impfung verweigerten, von der Behandlung auszuschließen.
Das alles sollte nachdenklich machen. Und sollte helfen, die Debatte nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.