Corona-Krise wird Regierungskrise: Frankreich in der Falle

Die Achse, die nicht mehr gut funktioniert. Bild: Kremlin.ru/CC BY 4.0

Erfolgte AstraZeneca-Impfstopp unter Druck aus Deutschland? Im Großraum Paris könnten bald Intensivbetten knapp werden

Deutschland verfügte am Montag den einstweiligen Stopp der AstraZeneca-Impfung, Frankreich und Italien folgten. Ein koordinierter Schritt der europäischen Staaten, dem sich auch Spanien anschloss, teilte die britische Financial Times am nächsten Tag mit und vermittelte das Bild, wonach die Zusammenarbeit zügig und reibungslos verlief.

Zuerst telefonierten Mario Draghi und Angela Merkel, dann sprach Draghi mit Emmanuel Macron. Man war sich einig: "Wir sprachen mit Italien und mit Spanien und mit Deutschland und es ist kein Zufall, dass alle vier Länder an diesem Tag dieselbe Entscheidung trafen", wird die französische Ministerin für Industrie Agnès Pannier-Runacher zitiert. Die Länder hätten in einer gemeinsamen Anstrengung gehandelt, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu schützen.

"Ist die Regierung in die Falle getappt?"

Heute stellt sich die Sache in Frankreich etwas anders dar. Nämlich so, als ob Präsident Macron nicht wirklich aus eigenem Entschluss heraus so gehandelt habe, sondern weil ihm von der deutschen Regierung gar keine andere Alternative gelassen wurde. "Ist die Regierung in die Falle ihrer europäischen Partner getappt, insbesondere Deutschland, das am Montag beschlossen hat, den Impfstoff auszusetzen?", fragt Le Monde.

Die Zeitung Libération geht noch weiter: Macron habe sich von der Bundesregierung unter Handlungszwang gesetzt gesehen. Mit seiner Pressekonferenz habe Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den französischen Präsidenten kurz vor dessen geplanten Presseauftritt an der Seite des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez unter Druck gesetzt: "Nachdem die Feuerwehr- und Rettungskräfte in Südfrankreich bereits ihre Impfkampagne mit Astra-Zeneca ausgesetzt hatten, sah sich Macron nicht in der Lage, einen anderen Kurs als Deutschland einzuschlagen." (FAZ)

"Das Virus ist nicht mehr unter Kontrolle"

Die Corona-Fallzahlen steigen auch in Frankreich. Auch dort ist die Rede von einer dritten Welle. Dem Ballungsraum Paris (Region Ile-de-France) steht der nächste Lockdown bevor. Seit Montag liege die 7-Tage-Inzidenz bei 400 pro hunderttausend Einwohner, wenn es so weitergeht, werde es Ende März, Anfang April sehr schwierig mit den Intensivbetten.

"Das Virus ist nicht mehr unter Kontrolle", gab der Leiter des Krankenhausverbunds im Raum Paris (l’Assistance publique-Hôpitaux de Paris), Martin Hirsch, bekannt. Sorgen bereitet auch in Frankreich die Verbreitung der britischen Mutation B.1.1.7 des Coronavirus. Man fürchtet, dass die Ansteckungszahlen höher ausfallen könnten als bei der zweiten Welle.

Die akuten Probleme im Großraum Paris sind nur ein Ausschnitt aus einer Corona-Krisen-Wirklichkeit, die im Nachbarland bestimmt nicht weniger kompliziert ist als in Deutschland - mit dem Unterschied, dass es den Staatschef Macron noch mehr erwischt hat als die deutsche Regierungschefin Merkel. Macron ist seit längerem schon in eine Vertrauenskrise geraten, die sich ständig weiter vertieft.

"Ausfall von zwei Millionen Impfungen in den nächsten zwei Wochen"

Ganz ähnlich wie in Deutschland verläuft auch in Frankreich die Impfkampagne nur sehr schleppend. Das hat viele Gründe, einer davon hatte auch mit dem Nachschub des AstraZeneca-Impfstoffes zu tun. Die genannte Industrieministerin Agnès Pannier-Runacher legte sich auf ihrem Twitterkonto ins Zeug, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie sehr sie sich anstrengte, um den britisch-schwedischen Pharmakonzern dazu zu bringen, mehr Impfstoff zu liefern. Dann kam die Vorsichtsmaßnahme, der Stopp machte einen Strich durch die nächste Rechnung.

Der Informatik-Ingenieur Guillaume Rozier, dessen Covid-Tracker zur Referenz für die aktuelle Pandemie-Statistik in Frankreich geworden ist, errechnete einen Ausfall von zwei Millionen Impfungen in den nächsten zwei Wochen, sollte Astra-Zeneca nicht verimpft werden. Frankreichs Impfkampagne hat erst seit einer Woche an Fahrt aufgenommen.

FAZ

Laut einer Umfrage für BFM-TV, die am Montag und Dienstag durchgeführt wurde, sind 81 % der Franzosen der Meinung, dass die Regierung mit den verfügbaren Impfdosen falsch umgegangen ist.

Hoffnungen auf eine Rückkehr ins normale Leben

In Frankreich wie in Deutschland äußert die Bevölkerung vernehmbar "Konditionsschwierigkeiten" mit der Lage. Nicht nur die Café-Besitzer, die Restaurants, die Kinos, die Theater und die Touristenbranche warten ungeduldig auf weitere Lockerungen. Dazu ist anzumerken, dass im Nachbarland nominell kein landesweiter Lockdown besteht, man befindet sich eigentlich schon in der Phase der Lockerungen, die härteren Restriktionen gibt es nur für Krisenregionen, z.B. an der Côte d'Azur, ansonsten "lebt man mit dem Virus", wie es salopp in manchen Berichten so genannt wird. Die Schulen sind prinzipiell geöffnet.

Die Hoffnungen auf eine Rückkehr ins normale Leben angesichts der wärmeren Jahreszeit richteten sich wie hierzulande auch auf die Impfungen. Wobei hinzugefügt werden muss, dass es in Frankreich eine Szene von Impfgegnern gibt, die sich seit Jahren immer wieder bemerkbar macht und jetzt zu den Corona-Impfungen auch. Dass sich darunter auch Pflegekräfte befinden und ihre Weigerung, sich gegen Corona impfen zu lassen, öffentlich kundtaten, bereitete der Politik einige Schwierigkeiten.

Nun hat die Regierung das Problem, ihre Vorsichtsmaßnahme gegen den AstraZenica-Impfstoff gut zu begründen, ohne weiteres Vertrauen zu verlieren. Der Maßnahme steht entgegen, dass man den Impfstoff erst rühmte und versuchte, Vertrauen dazu aufzubauen. Am Tag des Impfstopps wurde auch in Frankreich verbreitet, dass AstraZenica die Vorwürfe überprüft habe und zum Ergebnis kam, dass es "kein erhöhtes Risiko" gebe.

Selbst wenn der anglo-schwedische Impfstoff wieder zugelassen wird, wird diese Episode zweifellos die Moral und das Vertrauen der französischen Bevölkerung auf einen schnellen Ausweg aus der Krise, wie er vom Präsidentenpalast versprochen wurde, beeinträchtigt haben.

Le Monde

Abwärtsspirale Macron, Aufwärtstrend Le Pen

Dass man der Regierung in Paris und besonders Macron nun vorwirft, sie hätte in Abhängigkeit von Deutschland gehandelt, ist die nächste Umdrehung einer Spirale, die Macron weiter herunterzieht.

Vor kurzem erregte eine Veröffentlichung der Zeitung Libération größeres Aufsehen, weil sie behauptete, dass die linke, "republikanische" Sperre gegen eine Wahl von Marine Le Pen, sollte diese bei den Präsidentschaftswahlen 2022 in die Stichwahl kommen, verschwunden sei. Es soll nun auch unter den linken Wählern häufiger Stimmen geben, die meinen, dass Le Pen nicht so schlimm sei wie Macron.

Der Akzent liegt hier wohl auf der Äußerung einer Unzufriedenheit und Wut, bis zu den Wahlen vergeht noch einige Zeit, aber es ist der nächste Warnschuss für Macron. Die Chefin der Nachfolgepartei des rechtsextremen Front National darf sich freuen, der Vorwurf, der darauf hinausläuft, dass Macron den Deutschen folge, kommt ihr und ihrer "neuen" Partei Rassemblement National zugute.

"Mein Eindruck ist, dass diese Regierung gar nicht so genau wissen will, warum etwas in der Gesellschaft passiert und welche Fehlentwicklungen es gibt, denn dann könnte sich herausstellen, dass sie falsche Prioritäten gesetzt hat" - die Diagnose, die der Historiker Peter Schöttler in einem Interview mit dem Merkur abgibt, hat, wie er dort klar und im größeren Kontext darlegt, mehrere Gründe und diese reichen weit bis vor die Corona-Krise. Aber sie werden jetzt immer sichtbarer.