Corona-Maßnahmen-Exit in drei Ländern: Vorbilder für Deutschland?

Seite 2: Unterschiede zwischen Geimpften in Deutschland und Schweden

Die Impfquoten von Deutschland und Schweden sind sehr ähnlich, doch die Unterschiede liegen im Detail: In Schweden sind mehr Ältere geimpft, also die, für die das Risiko am größten ist. Wie wirksam das sein kann, zeigte das Frühjahr 2021, als auf die hohen Infektionszahlen in Schweden nicht mehr so viele Todesfälle folgten wie bei vergleichbaren Wellen zuvor. Bei den über 60-Jährigen sind in Schweden um die 90 Prozent voll geimpft, in Deutschland knapp 85 Prozent.

Auffällig ist außerdem, dass in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen in Deutschland zumindest laut RKI Impfdashboard in letzter Zeit kaum noch Menschen den Impfprozess mit der ersten Dosis begonnen haben - als wären nun alle, die dazu bereit sind, schon geimpft, und der Rest will es eben nicht. Die Quote dieser Gruppe scheint somit bei 70 Prozent zu enden. Die schwedische Statistik verzeichnet zahlreiche begonnene Impfungen auch in dieser Altersgruppe, was darauf schließen lässt, dass die Quote deutlich über 70 Prozent wachsen wird.

Einen Vorsprung hat Deutschland bei der Impfung von Kindern ab zwölf Jahren: In dieser Gruppe sind bereits fast 35 Prozent voll geimpft. In Schweden gab es bis vor kurzem gar keine Empfehlung für Kinder von zwölf bis 15 Jahren, wenn sie keiner Risikogruppe angehörten. Diese Impfungen laufen gerade erst an. Nach der Infektionswelle im Frühjahr gibt es in Schweden aber viele "Genesene" mit Antikörpern in der jungen Altersgruppe. Auch in Schweden wird nun eine dritte Dosis für Risikogruppen empfohlen.

Die Frage nach der Impfung bestimmter Berufsgruppen wird in Schweden gerade aufgrund eines aktuellen Falls debattiert. Bei einem Corona-Ausbruch in einem Altenheim in Överkalix starben acht Senioren. Nach allem, was bisher bekannt ist, war es eine ungeimpfte Pflegekraft, die das Virus in die Anlage brachte. Gesundheitsministerin Lena Hallengren sprach bisher nur von der "Umplatzierung" ungeimpfter Angestellter, andere wünschten sich klarere Forderungen an Beschäftigte im Pflegebereich. Der Fall erregte auch deshalb Aufmerksamkeit, weil sieben der acht Verstorbenen voll geimpft gewesen sein sollen. Untersuchungen dazu laufen noch.

Exkurs: Island

Eine hohe Impfquote allein garantiert kein covidfreies Leben. Diese Erfahrung musste Island machen. Am 26. Juni hatte Island sämtliche Maßnahmen im Inland aufgehoben, lediglich bei der Einreise gab es noch Hürden. Im Inland schien das Virus gebannt. Doch mit den Geimpften reiste die Delta-Variante ein, und vier Wochen nach dem Ende aller Maßnahmen gab es wieder neue. Islands Chefepidemiologe Þórólfur Guðnason wurde vor den geplanten Öffnungen in Norwegen vom dortigen Sender TV2 befragt. Dort riet er zu einem langsameren Takt.

Dass sich Impfen trotzdem lohnt und vor schwerer Krankheit schützt, beschrieb der Direktor des isländischen Landeskrankenhauses, Páll Matthíasson, im selben Beitrag mit einem drastischen Vergleich: "Es ist wie Russisch Roulette mit nur einer Kugel im Lauf statt mit vier oder fünf". Inzwischen hat sich die Infektionslage auf Island gebessert, die Zahl der Krankenhauseinweisungen mit Covid ist gesunken, einige Beschränkungen wurden wieder gelockert. Zum 6. Oktober soll die Lage erneut überprüft werden.

Skandinavische Länder als alternative Fallbeispiele

Noch ist die Zeit zu kurz, um die Auswirkungen der "Freiheit" in den drei skandinavischen Ländern beurteilen zu können. Finnland dürfte sich als nächstes zu dieser Gruppe gesellen, dort sind bereits viele Einschränkungen aufgehoben. Für den Rest hat Finnland in einem Grundsatzbeschluss eine Impfquote von 80 Prozent unter den Einwohnern ab zwölf Jahren festgelegt. Gerade wurden die 70 Prozent erreicht.

Die skandinavischen Länder haben ihre Öffnungen unter besseren Bedingungen und mit realistischeren Erwartungen gestartet als die Vorreiter Israel oder Großbritannien. Die Öffnungen folgen dem Bewusstsein, dass die Einschränkungen der Freiheit der Bürger massiv waren. So sprach Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg in ihrer Rede von "den strengsten Maßnahmen in Friedenszeiten", die nun aufgrund der Impfungen beendet werden könnten. Und es bleibt eine Wachsamkeit: "Wir haben nicht alle Waffen weggelegt", so Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell bei SVT - stelle man fest, dass es in die falsche Richtung gehe, könne man sie wieder hervorholen.

In Deutschland werden zwar gelegentlich Lockerungen spendiert, doch konkrete Ziele und Zusicherungen vermieden. Der Noch-Bundesgesundheitsminister machte Schlagzeilen mit der Aussage, er glaube, dass die Pandemie in Deutschland im Frühjahr 2022 ende. Für die künftige Besetzung dieses Ministeriums könnte es interessant sein, auf der Suche nach Fallbeispielen für den Maßnahmen-Exit nicht nur nach Israel, Frankreich oder Großbritannien zu sehen.

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