Corona-Maßnahmen-Exit in drei Ländern: Vorbilder für Deutschland?

Unter anderem in Kopenhagen kehrt gerade so etwas wie Normalität ein. Das hat auch mit den Impfquoten zu tun. Archivbild: Stan Petersen auf Pixabay (Public Domain)

Dänemark, Norwegen und Schweden im "Alltag mit erhöhter Bereitschaft" und nur noch wenigen Einschränkungen

Tanzen im Club ohne Maske und Abstand, Konzerte vor Tausenden von Leuten ohne komplizierte Auflagen: Das ist seit September in drei skandinavischen Ländern wieder möglich. Dänemark beendete die Corona-Einschränkungen weitgehend am 10. September, Norwegen am 25. und Schweden am 29. "Alltag mit erhöhter Bereitschaft" nennt das beispielsweise Norwegen. Wie haben sie das geschafft? Wie sind die Aussichten, dass es so bleibt? Kann man in Deutschland etwas von diesen Ländern lernen?

Die Corona-Strategie der drei Länder war bekanntlich sehr unterschiedlich. Dänemark und Norwegen reagierten im Frühjahr 2020 schnell, schlossen Grenzen, Schulen und Läden. Schweden reagierte langsam, das Virus fand den Weg in die Altersheime, Tausende starben. Auch in Schweden gab es später massive Einschränkungen, es blieb dennoch immer ein vergleichsweise offenes Land. Alle drei sind nun aber an einem Punkt, wo im Alltag weder die Maske noch der ständige Nachweis des Impfstatus oder Testergebnisses gefordert werden - sehr anders als in Deutschland also.

In allen drei Ländern war das Ende der Corona-Maßnahmen kein plötzlicher Beschluss, sondern ein Ergebnis langfristiger Pläne mit Etappenzielen, die bei Bedarf justiert wurden. Es bestand Einigkeit darin, dass nur eine hohe Impfquote wieder ein freieres Leben ermöglicht. Von den Maßnahmen geblieben ist unter anderem der Aufruf, sich bei Symptomen zu isolieren und zu testen (auch Geimpfte). Kontakte von Infizierten müssen sich ebenfalls isolieren, der Kreis ist jedoch kleiner geworden.

Dänemark

Ein erster langfristiger Rahmenplan zur Wiederöffnung wurde in Dänemark am 22. März 2021 verabschiedet. Die sozialdemokratische Minderheitsregierung sicherte sich dafür eine breite Mehrheit im Folketing. Ein wichtiges Etappenziel darin war die erste Impfung aller über 50 Jahren sowie der Risikogruppen. Als vorübergehendes Hilfsmittel wurde der "coronapas" eingeführt, als App oder auf Papier, inhaltlich vergleichbar mit "3G" - also geimpft, genesen oder getestet. Benötigt wurde er unter anderem für Friseur- und Restaurantbesuche oder Veranstaltungen.

Anfangs waren Kinder unter 15, später Kinder unter 16 davon befreit. Mit steigender Impfquote wurden die möglichen Öffnungszeiten und Obergrenzen für Publikum erhöht. Ende August erklärte die Regierung, angesichts der hohen Impfzahlen sehe man Covid-19 nicht mehr als eine die Gesellschaft gefährdende Krankheit an und werde diesen Status, aus dem sich die rechtlichen Möglichkeiten zu den Einschränkungen ableiteten, ab dem 10. September nicht mehr verlängern. Bereits ab dem 1. September war der "coronapas" an den meisten Orten nicht mehr verpflichtend. Er dient nun noch als Impf- oder Testnachweis bei Reisen ins Ausland.

Mit mehr als 70 Prozent voll Geimpften stand Dänemark an seinem "Freedom Day" am 10. September weit geschützter da als Großbritannien an seinem. Inzwischen haben die besonders gefährdeten über 65-Jährigen eine Impfquote von mehr als 95 Prozent. In der Altersgruppe der 40- bis 64-Jährigen liegt sie bei 90 Prozent. Seit Juli impft Dänemark auch Kinder ab zwölf Jahren. Die Verteilung der dritten Dosis hat ebenfalls begonnen.

Seit der Öffnung des Landes am 10. September sind Inzidenzen, Neuaufnahmen im Krankenhaus und coronabedingte Todesfälle etwa auf demselben Niveau geblieben.

Norwegen

Die norwegische Regierung stellte ihren Plan zur schrittweisen Wiedereröffnung am 7. April 2021 vor. Auch hier hingen die Etappenziele vom Stand der Impfkampagne, der Belastung in den Krankenhäusern und der Inzidenz ab. Ein "koronasertifikat" als App oder auf Papier wurde im Juni als Zwischenlösung im Inland eingeführt. An Veranstaltungen, die den Test- und Impfstatus ihrer Besucher prüften, durften mehr Leute teilnehmen. Auch für touristische Schiffsreisen wurde es verlangt. Das "koronasertifikat" war keine Voraussetzung für Restaurant- oder Friseurbesuche. Es lässt sich wie der dänische "coronapas" auch als Nachweis bei Auslandsreisen nutzen. Im Inland wird es nun nicht mehr benötigt.

Ursprünglich war das Ziel, Norwegen wieder zu öffnen, wenn alle über 18 ein Impfangebot erhalten hatten. Die eigentlich erhoffte Zeitplanung in Norwegen verzögerte sich etwas durch die Delta-Variante, einen Anstieg der Infiziertenzahlen im Sommer und besonders nach Ende der Schulferien. Diese Kurve erreichte ihren Höhepunkt Anfang September und begann dann wieder zu sinken.

Die zuständigen Fachbehörden kamen in ihrer Analyse am 20. September zu dem Schluss, das Impfprogramm habe der Epidemie weitgehend den Stachel genommen. Bei den Älteren und den Risikogruppen gebe es eine hohe Impfquote. Sie empfahlen ein Ende der coronabedingten Einschränkungen zum Monatswechsel September/Oktober bei Fortsetzung der Impfungen. Die scheidende Regierung machte schnell Nägel mit Köpfen und kündigte das Ende der Maßnahmen von einem Tag auf den nächsten an.

85 Prozent der Einwohner Norwegens ab 18 Jahren sind inzwischen vollständig geimpft, 90 Prozent haben die erste Dosis erhalten. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen sind rund 67 Prozent voll geimpft. Erst seit Anfang September wird in Norwegen die Impfung auch Kindern und Jugendlichen zwischen zwölf und 15 Jahren angeboten. Erwachsene mit geschwächter Immunität erhalten eine dritte Dosis. Seit der Öffnung des Landes ist die Lage in den Krankenhäusern stabil und die Inzidenz ist gesunken.

Norwegen hatte die Einreise sehr streng reguliert. Auch für Norweger galt in vielen Fällen bei der Rückkehr Quarantänepflicht. Mit Impfung entgehen sie dieser, unabhängig davon, woher sie kommen. Die Regeln sind nun etwas gelockert, was vor allem für Familien mit Kindern von Vorteil ist.

Schweden

In Schweden wurde der Plan zur Abwicklung der Maßnahmen Ende Mai 2021 vorgestellt und war ebenfalls an Krankenhausbelastung, Inzidenz und Impfquote geknüpft. Seit dem 1. Juli wurden nun schrittweise Teilnehmer-Obergrenzen für Veranstaltungen erhöht, Öffnungszeiten verlängert und Empfehlungen zurückgenommen. Am 29. September wurden fast alle Maßnahmen aufgehoben. Gleichzeitig wurde aber das befristete "Pandemiegesetz", das die Grundlage für viele rechtlich verpflichtende Maßnahmen war, um vier Monate verlängert.

Damit bleibt der Regierung ihr Werkzeug erhalten, falls doch wieder Bedarf ist. Eine höhere Impfquote ist das erklärte Ziel. Für ungeimpfte Erwachsene gilt explizit die Empfehlung "Abstand halten, vor allem von Risikogruppen, und Menschenmengen meiden".

Der schwedische "vaccinpass" oder "covidbevis", der den Impf-, Genesenen- oder Teststatus dokumentiert, wurde mit Blick auf die entsprechende EU-Vereinbarung entwickelt. Im Inland wurde und wird er nicht benötigt. Die Verwendung im Inland gilt allerdings als eine Option für schlechtere Zeiten.

Schwedens Impfquote ist niedriger als die von Dänemark oder Norwegen. Sie liegt nur wenig über der deutschen mit rund 65 Prozent voll Geimpften. Deshalb gab es im Land warnende Stimmen, die gerne eine noch höhere Impfquote abgewartet hätten oder sich zumindest ersatzweise Maßnahmen wie Schnelltests vor Veranstaltungen oder eine verbesserte Kontaktverfolgung wünschten.

Als kontraproduktiv gilt vielen auch, dass seit Freitag der Karenzabzug wieder gilt - Angestellte, die sich krankmelden, müssen wieder finanzielle Einbußen hinnehmen. Damit wird es auch wieder schwieriger, die immer noch geltende Regel zu befolgen, dass man bei Symptomen zu Hause bleiben und sich testen lassen soll.

Unterschiede zwischen Geimpften in Deutschland und Schweden

Die Impfquoten von Deutschland und Schweden sind sehr ähnlich, doch die Unterschiede liegen im Detail: In Schweden sind mehr Ältere geimpft, also die, für die das Risiko am größten ist. Wie wirksam das sein kann, zeigte das Frühjahr 2021, als auf die hohen Infektionszahlen in Schweden nicht mehr so viele Todesfälle folgten wie bei vergleichbaren Wellen zuvor. Bei den über 60-Jährigen sind in Schweden um die 90 Prozent voll geimpft, in Deutschland knapp 85 Prozent.

Auffällig ist außerdem, dass in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen in Deutschland zumindest laut RKI Impfdashboard in letzter Zeit kaum noch Menschen den Impfprozess mit der ersten Dosis begonnen haben - als wären nun alle, die dazu bereit sind, schon geimpft, und der Rest will es eben nicht. Die Quote dieser Gruppe scheint somit bei 70 Prozent zu enden. Die schwedische Statistik verzeichnet zahlreiche begonnene Impfungen auch in dieser Altersgruppe, was darauf schließen lässt, dass die Quote deutlich über 70 Prozent wachsen wird.

Einen Vorsprung hat Deutschland bei der Impfung von Kindern ab zwölf Jahren: In dieser Gruppe sind bereits fast 35 Prozent voll geimpft. In Schweden gab es bis vor kurzem gar keine Empfehlung für Kinder von zwölf bis 15 Jahren, wenn sie keiner Risikogruppe angehörten. Diese Impfungen laufen gerade erst an. Nach der Infektionswelle im Frühjahr gibt es in Schweden aber viele "Genesene" mit Antikörpern in der jungen Altersgruppe. Auch in Schweden wird nun eine dritte Dosis für Risikogruppen empfohlen.

Die Frage nach der Impfung bestimmter Berufsgruppen wird in Schweden gerade aufgrund eines aktuellen Falls debattiert. Bei einem Corona-Ausbruch in einem Altenheim in Överkalix starben acht Senioren. Nach allem, was bisher bekannt ist, war es eine ungeimpfte Pflegekraft, die das Virus in die Anlage brachte. Gesundheitsministerin Lena Hallengren sprach bisher nur von der "Umplatzierung" ungeimpfter Angestellter, andere wünschten sich klarere Forderungen an Beschäftigte im Pflegebereich. Der Fall erregte auch deshalb Aufmerksamkeit, weil sieben der acht Verstorbenen voll geimpft gewesen sein sollen. Untersuchungen dazu laufen noch.

Exkurs: Island

Eine hohe Impfquote allein garantiert kein covidfreies Leben. Diese Erfahrung musste Island machen. Am 26. Juni hatte Island sämtliche Maßnahmen im Inland aufgehoben, lediglich bei der Einreise gab es noch Hürden. Im Inland schien das Virus gebannt. Doch mit den Geimpften reiste die Delta-Variante ein, und vier Wochen nach dem Ende aller Maßnahmen gab es wieder neue. Islands Chefepidemiologe Þórólfur Guðnason wurde vor den geplanten Öffnungen in Norwegen vom dortigen Sender TV2 befragt. Dort riet er zu einem langsameren Takt.

Dass sich Impfen trotzdem lohnt und vor schwerer Krankheit schützt, beschrieb der Direktor des isländischen Landeskrankenhauses, Páll Matthíasson, im selben Beitrag mit einem drastischen Vergleich: "Es ist wie Russisch Roulette mit nur einer Kugel im Lauf statt mit vier oder fünf". Inzwischen hat sich die Infektionslage auf Island gebessert, die Zahl der Krankenhauseinweisungen mit Covid ist gesunken, einige Beschränkungen wurden wieder gelockert. Zum 6. Oktober soll die Lage erneut überprüft werden.

Skandinavische Länder als alternative Fallbeispiele

Noch ist die Zeit zu kurz, um die Auswirkungen der "Freiheit" in den drei skandinavischen Ländern beurteilen zu können. Finnland dürfte sich als nächstes zu dieser Gruppe gesellen, dort sind bereits viele Einschränkungen aufgehoben. Für den Rest hat Finnland in einem Grundsatzbeschluss eine Impfquote von 80 Prozent unter den Einwohnern ab zwölf Jahren festgelegt. Gerade wurden die 70 Prozent erreicht.

Die skandinavischen Länder haben ihre Öffnungen unter besseren Bedingungen und mit realistischeren Erwartungen gestartet als die Vorreiter Israel oder Großbritannien. Die Öffnungen folgen dem Bewusstsein, dass die Einschränkungen der Freiheit der Bürger massiv waren. So sprach Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg in ihrer Rede von "den strengsten Maßnahmen in Friedenszeiten", die nun aufgrund der Impfungen beendet werden könnten. Und es bleibt eine Wachsamkeit: "Wir haben nicht alle Waffen weggelegt", so Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell bei SVT - stelle man fest, dass es in die falsche Richtung gehe, könne man sie wieder hervorholen.

In Deutschland werden zwar gelegentlich Lockerungen spendiert, doch konkrete Ziele und Zusicherungen vermieden. Der Noch-Bundesgesundheitsminister machte Schlagzeilen mit der Aussage, er glaube, dass die Pandemie in Deutschland im Frühjahr 2022 ende. Für die künftige Besetzung dieses Ministeriums könnte es interessant sein, auf der Suche nach Fallbeispielen für den Maßnahmen-Exit nicht nur nach Israel, Frankreich oder Großbritannien zu sehen.

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