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Corona-Maßnahmen: Was bringen Masken in der Schule?

Eine pädagogische Stellungnahme auf Grund von neuen Forschungsbeiträgen (Teil 1)

Diskussionen um Lockerungen

Die Wogen gehen wieder einmal hoch, das Land ist – wie in so vielen Fragen – gespalten. Wie schon gewohnt, in den Ländern herrscht Regelungswirrwarr. In Bayern muss im Unterricht in allen Klassenstufen keine Maske mehr getragen werden (dies bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von derzeit 90, einem R-Wert von 1,06), ebenso im Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Baden-Württemberg soll die Maskenpflicht am 18. Oktober entfallen, in NRW ab 2. November. Meist muss aber im Schulgebäude Maske getragen werden.

Einige Länder haben die Maskenpflicht in Grundschulen oder in den Anfangsklassen aufgehoben wie Niedersachsen und Berlin. Andere – etwa Rheinland-Pfalz – steuern die Maskenpflicht über eine mehrstufige "Warnampel", die auf "Leitindikatoren" beruht.

Die Frage "Maskenpflicht abschaffen oder beibehalten?" ist in der Praxis schon überholt. "Wir sind in einem Korridor der Lockerungsschritte", sagte die SPD- Bildungsministerin von Brandenburg und Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst, die sich aber im Blick auf das Robert-Koch-Institut (RKI) vorsichtig äußerte [1]:

Die Entscheidung ist nicht, jetzt von einem Tag auf den anderen alle Schutzkonzepte fallenzulassen … Aber wir sind in der gleichen Bewegung.

Der Leiter des RKI, Lothar Wieler, hatte empfohlen, an den Masken festzuhalten. Es zeichnen sich auch schon gegenläufige Tendenzen ab. So führt Hessen nach den Herbstferien die Maskenpflicht wieder ein.

Mit der Lockerungs- oder Aufhebungstendenz befinden sich die Bildungsminister der Länder in Übereinstimmung mit den meisten Eltern. Einer Umfrage nach meinen 71 Prozent der Eltern schulpflichtiger Kinder, dass die Maskenpflicht in Schulen abgeschafft werden sollte. Es gibt dementsprechende Petitionen [2], aber auch Gegenpetitionen [3].

Zwei Verbandsvorsitzende der Kinderärzte- und Ärzte plädieren gegen eine "generelle Fortsetzung" der Maßnahme [4], die "unangemessen" sei (Beide Ärzte sind als Schutz-Maßnahmen-Kritiker bekannt). Andere Kinderärztevertreter wie Jörg Dötsch sehen "jetzt den falschen Zeitpunkt für Lockerungen [5]".

Begründet werden die Lockerungen oder Aufhebungen von den Bildungsministerien der Länder mit gesunkenen Inzidenzen sowie den physischen und psychosozialen Belastungen, denen Kinder durch das Maskentragen ausgesetzt seien.

Es sei nun Zeit, sie zu entlasten. Der Berliner Bildungssenat begründet die Aufhebung der Maskenpflicht in den Grundschulen mit der Anzahl der eingegangenen Beschwerde-Mails [6] (!). Virologen warnen vor einer zu frühen Aufhebung der Maskenpflicht - Melanie Brinkmann findet sie "ziemlich dumm."

Sie weisen auf ein zu erwartendes weiteres Ansteigen der Infektionszahlen in den Wintermonaten hin, auch bei ungeimpften Kindern, auf die hohe Ansteckungsgefahr durch Virusvarianten, die Beobachtung, dass auch Kinder schwer erkranken können und evtl. "Long Covid"-Folgen erleiden.

Schon jetzt wiesen Kinder und Jugendliche die höchsten Inzidenzen unter allen Altersgruppen auf. Sie argumentieren mit neueren Studien, die belegen, dass Schulen mit Maskenpflicht wesentlich geringere Ansteckungsraten hätten als solche ohne diese Maßnahme.

Auch die Betroffenen in der Schule melden sich zu Wort. Lehrerverbände (Deutscher Lehrerverband, GEW u.a.) und Schülervertretungen (Bundesschülervertretung) schließen sich diesen Warnungen an und raten zu Vorsicht bei den Lockerungen. Man sei in den Schulen noch weit entfernt von der Rückkehr zum "Normalzustand" – auch durch mangelnde Vorkehrungen der Kultusministerien, wie z. B. das Fehlen von Luftfiltern – und dürfe deshalb ein Minimum von bisherigen Sicherheitsmaßnahmen, u.a. das Maskentragen, nicht aufgeben.

Ein sicheres Umfeld für Schüler und Lehrer [7] müsse Priorität vor unsicheren Perspektiven haben.

Wenig differenzierte Stellungnahmen

Ja, was denn nun? Wer hat recht? Wem kann man vertrauen, wem soll man folgen? Mich interessiert die Frage nicht nur, weil ich lange Lehrer und Lehrer:innen-Fortbildner war und mir damit Herausforderungen, die sich Schulen und Lehrkräften immer wieder gestellt haben, bekannt sind. Ich bin auch als Großvater schulpflichtiger Enkel betroffen, wobei sich die Frage der Gefährdung und des Umgangs mit ihnen stellt.

Was ich wahrnehme, ist, dass sich in der Frage "Maskenpflicht in den Schulen aufheben oder nicht?" bisherige Positionen fortsetzen: Corona-Verharmloser, Schutzmaßnahmen-Gegner, Maskengegner versus Maßnahmen-Befürworter, Maskenbefürworter. Die Fronten sind verhärtet, Bewegung ist kaum in Sicht.

Die "Corona-Maßnahmen-Müdigkeit" lässt die Zahl der Masken-Ablehner anwachsen, auch wenn diese vielleicht nicht grundsätzlich gegen Schutzmaßnahmen sind. Aufseiten der Maskenbefürworter wird das Maskentragen oft überschätzt und nicht gesehen, dass sie nur unterschiedlichen und begrenzten Schutz bieten, im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen.

Der Mund-Nasen-Schutz ist zu einem "Schibboleth" (Bibel: Richter 12,5-6) für ein generelles Dafür oder Dagegen geworden. Ich vermisse eine differenzierte Bewertung in der populären Diskussion, aber auch in den Stellungnahmen von Politikern und - im Falle der Schulen - von zuständigen Ministerien. Eine erfreulich differenzierte Stellungnahme [8] finde ich bei dem Kinderarzt Herbert Renz-Polster.

Nicht nur Virologie entscheidet – Pädagogik ist gefragt

Der Mund-Nasen-Schutz in der Schule ist ein besonderes Kapitel. Die Frage, ob Masken in der Schule getragen werden sollen, lässt sich nicht allein durch virologische oder epidemiologische Befunde beantworten.

Die Pandemie stellt Schulleitung, Lehrkörper und Schüler vor besondere Herausforderungen. Schulleitung, Lehrkräfte sehen sich ungewohnten Verwaltungs- und Organisationsfragen gegenüber, die zusätzlich zu bisherigen Aufgaben kommen und sie vor neue pädagogische Anforderungen stellen. Ich erinnere an Schulschließungen, Homeschooling, Wechselunterricht u.a., gehe jetzt aber nur auf die Maskenpflicht ein.

Erwachsene können sich im privaten Leben dem Maskentragen entziehen, auch wenn es staatlich geboten ist - und eventuelle Sanktionen und Folgen hinnehmen oder sich dagegen auflehnen. Kinder haben nicht dieselbe Verantwortungs- und Entscheidungsfähigkeit oder -möglichkeit wie Erwachsene.

Sie haben zwar Rechte, wozu je nach Alter ein Mitspracherecht gehört, aber in vieler Hinsicht sind sie auf Erwachsenen angewiesen und von ihnen abhängig. In der Pflichtveranstaltung Schule wird verlangt, dass sie sich der Schulordnung, der Autorität der Lehrer:innen unterordnen und sich in den Klassenverband eingliedern. Sich einer Maskenpflicht zu entziehen, ist kaum möglich und nur in Ausnahmefällen gestattet.

Auch Lehrer:innen können die Maskentragepflicht selbst nicht verweigern und müssen sie bei ihren Schüler:innen umsetzen. Tun sie das nicht, folgen Maßregelungen durch die Schulleitung, Anfeindungen im Kollegium und evtl. ein Disziplinarverfahren. Auch Eltern können ihre Kinder nicht von der Maskentragepflicht entbinden (außer in begründeten Ausnahmen).

Schule ist kein "Privatraum", sondern eine öffentliche Einrichtung und an vorgegebene gesellschaftlich-politische Vorgaben gebunden ist. Lehrkräfte sind also gehalten, das Maskentragen in ihren Klassen und Gruppen auf pädagogische Weise umsetzen.

Es ist klar, dass dies bei den einzelnen Schüler:innen unterschiedlich gelingt und unterschiedlich empfunden wird. Eine weitere Herausforderung ist, dass manche Kinder über Folgen klagen, Beklemmungen, Atembeschwerden, Kopfschmerzen u.a., die sie oder ihre Eltern das auf das Maskentragen zurückführen.

Dann sehen sich Lehrkräfte mit den Beschwerden und Forderungen von Eltern konfrontiert. Auch damit müssen Lehrer:innen umgehen und Lösungen finden. Wenig gesehen wird, dass Lehrer:innen beim Maskentragen mit ihren Schüler:innen "in einem Boot sitzen".

Eine Mund-Nasen-Bedeckung ist auch für sie beschwerlich. Sie behindert Sprechen und Kommunikation, andere Nebenwirkungen können auch bei ihnen ausgelöst werden.

Dass dies alles nicht einfach ist, kann man nachempfinden. So muss es nicht verwundern, wenn ich von Lehrer:innen höre, dass sie sich manchmal in diesen Zeiten überfordert fühlen. Sie beklagen sich über die ständig wechselnden Verordnungen und vermissen klare Konzepte von den Schulbehörden und Ministerien.

Meistens sind sie um die Sicherheit ihrer Schüler:innen und auch die eigene Sicherheit besorgt. Nicht wenige haben Covid-19-Ausbrüche in ihren Schulen oder Klassen erlebt - teilweise mit ernsten Folgen für erkrankte Kinder - oder mitbekommen, dass Kollegen:innen erkrankt und einzelne dem Virus zum Opfer gefallen sind.

Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, sehen überwiegend mit Verunsicherung oder Sorge den in Gang gesetzten Lockerungen entgegen.

Es stellen sich also Fragen, die entsprechend dem komplexen Geschehen und der nicht immer eindeutigen Erkenntnislage differenziert beantwortet werden sollen.

Eine umstrittene Stellungnahme

Der Psychologie-Professor Christof Kuhbandner hat in Telepolis (13.11.2020) Befunde und Argumente ausführlich dargestellt [9], die gegen eine "Maskenpflicht in der Grundschule" sprechen. Er vertritt die Auffassung, "dass es keine wirklich belastbare empirische Evidenz dafür gibt, dass mittels Masken die Virusausbreitung merkbar eingedämmt werden könnte.

Vielmehr ist bei einer falschen Handhabung davon auszugehen, dass eher das Gegenteil der Fall ist." Gerade bei Grundschülern sieht er die Gefahr, "dass die Virusübertragung durch das Tragen von Masken sogar eher gefördert wird."

In erster Linie führt er aber bei Schulkindern zu beobachtende physische, psychische und psychosoziale Symptome und Konsequenzen an, die er auf das lange Maskentragen und den Zwang dazu zurückführt: Kopfschmerzen, Panik, Bewusstseinsstörungen durch Sauerstoffmangel und CO2-Überschuss im Blut, Belastung durch auf der Maske angesammelte Viren, Bakterien und Pilze, Munderkrankungen, Vergiftung durch Einatmung von Mikropartikeln, Beeinträchtigung der verbalen und nonverbalen Kommunikation, des emotionalen Erlebens, der Empathie, soziale Abweisung und Diskriminierung, Auslösung von entwicklungspsychologisch unangemessenen Ängsten, Verletzung von sozialen Grundbedürfnissen.

Ich möchte hier gleich eine Anmerkung zur Methode Kuhbandners machen. Ohne Zweifel lassen sich die geschilderten Symptome bei einzelnen Kindern beobachten.

Es lässt sich aber kein stringentes Ursache-Verhältnis zum Maskentragen nachweisen. Beispielshalber Kopfschmerzen: Ich habe in meiner Zeit als Lehrer – lange Zeit vor Corona – bemerkt, dass Kinder und Jugendliche häufig über Kopfschmerzen klagen.

Das scheint keine seltene Erscheinung in diesen Altersstufen zu sein und kann die verschiedensten Ursachen haben. Ich nehme an, dass Stress in der Schule (Leistungsan- und -überforderungen, Schwierigkeiten mit Lehrern, Mitschülern) eine der häufigsten Ursachen sind.

Oft hängt dies auch mit Druck und Schwierigkeiten im Elternhaus zusammen. Dass die Corona-Situation das verstärken kann, will ich nicht bestreiten, aber es lässt sich nicht alles auf diese Umstände zurückführen. Meine Vermutung ist, dass die Corona-Situation allgemein, nicht einzelne Maßnahmen, Kinder anfällig für manche Leiden macht (siehe These 19 im zweiten Teil des Artikels).

Das Zweite, was ich moniere, ist die Generalisierungstendenz, die bei Kuhbandner in Erscheinung tritt. Man bekommt bei ihm den Eindruck, dass die Symptome nahezu unausweichlich und massenhaft auftreten. Das ist aber nicht der Fall.

Aus meinen Kontakten mit Lehrer:innen weiß ich, dass es Klassen gibt, auch in Grundschulen, für die das Maskentragen anscheinend unproblematisch ist (100-prozentig wird es aber nie klappen, gerade in Grundschulen).

Das hängt sicher mit der Kreativität und Geschicklichkeit zusammen, mit der Lehrpersonen mit den Herausforderungen umgehen, nicht zuletzt auch damit, ob Kollegien und Eltern am gleichen Strang ziehen. Das ist nicht immer so und dann sind Schwierigkeiten absehbar.

Meines Wissens gibt es noch keine breite randomisiert-kontrollierte Studie, die die Nebenwirkungen des Maskentragens in Schulen "belastbar" nachweist. (Randomisiert bedeutet die klinische Untersuchung von mindestens zwei zufällig ausgewählten Gruppen, wobei eine als "Kontrollgruppe" fungiert - ohne das zu prüfende "Medikament" erhalten zu haben.

"Belastbar" sind die Ergebnisse erst bei einer genügend großen Zahl von Untersuchten.) Die von Kuhbandner genannten Symptome sind ernst zu nehmen, beruhen aber auf einzelnen subjektiven Beobachtungen und Aussagen, die wissenschaftlich geringe Evidenz haben und nicht als Grundlage von begründeten schulpolitischen Entscheidungen oder Konzepten ausreichen.

Kuhbanner sieht in den möglichen Belastungen der Kinder durch Maskentragen und Abstandswahrung eine Missachtung des "Kindeswohls" und des Rechtes auf Gesundheit und Wohlbefinden.

Für ihn überwiegt der durch die Maßnahmen angerichtete Schaden den Nutzen. Diesen zieht er in Zweifel. Maskentragen in Grundschulen sei schon "deswegen nicht zu rechtfertigen, weil es an Grundschulen kaum Infektionen gibt, die eingedämmt werden müssten." Für ihn ist "die empirische Evidenz, dass es an Grundschulen kaum ein Infektionsgeschehen gibt, erdrückend".

Kinder steckten sich nur selten an, Infizierte wiesen selten Symptome auf und seien "keine Treiber der Virusausbreitung". Schulen würden "generell äußerst selten als Ansteckungsherd identifiziert werden." Das sind übrigens "Narrative", die die Kultusminister gerne nach den Schließungen zur Begründung der Wiederöffnungen aufgenommen haben. Schulen seien "sicher", hieß es dann.

Kuhbandners Fazit ist: "Angesichts der beschriebenen Sachverhalte ist die Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer Maskenpflicht im Unterricht in der Grundschule (…) als absolut unverhältnismäßig einzuschätzen."

Kuhbanders Befunde und Argumente werden – trotz mancher Widerlegungen und (unangebrachter) Diskriminierungen – nach wie vor von Gegnern des Maskentragens in der Schule – zumindest der Sache nach – angeführt.

Beispielshalber bezweifelt die Autorengruppe um Matthias Schrappe in ihrem Thesenpapier 8.0 [10] den Nutzen "Corona-spezifischer Maßnahmen" (u.a. Maskenpflicht) "angesichts der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche nur mild erkranken". So sollte geprüft werden, ob diese Feststellungen und Folgerungen Bestand haben.

Veränderte Situation - neue Forschungsbeiträge zum Maskengebrauch

Seit Kuhbandners Analyse hat sich die Situation verändert: Hochansteckende Varianten verdrängen das Ausgangsvirus, ein großer Teil der Bevölkerung ließ sich impfen und ist damit vorerst weitgehend vor Ansteckung und schwerem Krankheitsverlauf geschützt, das Infektionsgeschehen hat sich auf Jüngere und Ungeimpfte verlagert, Erfahrungen und Forschungen zu Schutzmaßnahmen sind weitergegangen, Lockerungen, auch in Schulen, wurden vorgenommen oder sind geplant …

Ich gehe zunächst auf die Bewertung des Maskentragens allgemein ein. Von den älteren Untersuchungen nenne ich nur die WHO-Studie [11], die immerhin schon einige Zeit vor Kuhbandners Artikel veröffentlicht wurde (01.06.2020). Diese evidenzbasierte Metastudie beruhte auf der Analyse einer Vielzahl von einschlägigen Veröffentlichungen und Daten.

Die Autoren waren zu dem Ergebnis gekommen:

Die Übertragung von Viren war geringer bei einer physischen Distanz von 1 m oder länger verglichen mit einer Distanz von weniger als 1 m […] Maskengebrauch kann zu einer großen Verringerung des Infektionsrisikos führen, mit höheren Begleiterscheinungen bei N95-Masken oder ähnlichen verglichen mit chirurgischen [medizinischen] Einweg-Masken oder ähnlichen.

Die Verringerung des Infektionsrisikos liege bei ca. 80 Prozent.

Die Autoren geben zu, dass noch weitere "robuste randomisierte" Untersuchungen nötig seien, um die Evidenz ihrer Ergebnisse zu verbreitern. Die herangezogenen einzelnen epidemiologischen Beobachtungsstudien waren zu unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Ergebnissen gekommen.

Dies ist in einer fortschreitenden Forschungssituation das übliche. Es kommt aber bei einer vergleichenden Analyse auf die sich abzeichnende Tendenz an. Wenn mehrere Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen kommen, hat dies wissenschaftliche Relevanz.

Die Studie hätten den Nicht-Epidemiologen Kuhbandner veranlassen können, vorsichtiger bei seiner Aussage zu sein, es gebe keine evidenzbasierte Befunde, dass "mittels Masken die Virusausbreitung merkbar eingedämmt werden könnte".

Eine der neuen Literaturrecherchen [12] – von Medizinern durchgeführt – zieht die Schlussfolgerung:

Es ist plausibel davon auszugehen, dass eine konsequente Anwendung der Mund-Nasen-Bedeckung wesentlich zur Eindämmung der Verbreitung von Sars-CoV-2 beitragen kann.

Es heißt allerdings auch hier:

Die dargestellte Evidenz beruht auf Beobachtungsstudien, denen allgemein ein niedrigeres Evidenzlevel zugeordnet wird als randomisierten kontrollierten Studien. Es handelt sich jedoch um die beste gegenwärtig verfügbare Evidenz, und da die Ergebnisse zur Wirksamkeit der Masken auch wissenschaftlich plausibel sind, raten wir eindeutig zum Tragen von Masken zur Infektionsprävention.

Die Analyse der bisher vorliegenden Untersuchungen ist differenzierter geworden. Die Max-Planck-Gesellschaft teilt mit [13] (20.05.2021): Ein internationales Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz habe "nun geklärt, wie die Wirksamkeit von Gesichtsmasken von verschiedenen Umgebungsbedingungen abhängt und sich bevölkerungsweit auf den Verlauf der Covid-19-Pandemie auswirkt. Dazu nutzten sie eine Vielzahl von Beobachtungsdaten sowie einen neuartigen Ansatz zur Berechnung der durchschnittlichen Virenbelastung und ihrer Verteilung in der Bevölkerung".

Die Forscher:innen kommen in dem in Science veröffentlichten Bericht [14] zu dem Ergebnis, dass die Wirksamkeit von Masken von der Virenmenge in der Luft abhängt.

In virenarmer Umgebung, wie sie meist anzutreffen ist, können selbst einfache OP-Masken die Aufnahme und Verbreitung von Sars-CoV-2-Viren und damit die Ausbreitung von Covid-19 eindämmen.

In virenreichem Ambiente – etwa in bestimmten Innenraumsituationen – reduzieren sie wenigstens die aufgenommene Virenlast. Hier sind hochwertigere Masken wirksamer.

Die geringere oder höhere Wirksamkeit von Masken hängt von weiteren Variablen ab: dem korrekten Tragen, Abstandswahrung, Lüftung, Anzahl der Träger – Maskentragen ist aber das effektivste Mittel.

Je mehr Maßnahmen angewandt werden, desto effektiver sind die einzelnen Mittel und ihre Gesamtheit. Die Pandemie ließe sich eindämmen, wenn mindestens 60-70 Prozent der Menschen chirurgische Masken in kritischen Situation korrekt trügen; wenn hochwertige Masken und andere Maßnahmen dazukommen, sind die Chancen noch höher.

Da man auch bei niedrigen Infektionswahrscheinlichkeiten Infektionen durch die Luft nicht ausschließen kann, werden nach Meinung der Forscher Masken eine wichtige Schutzmaßnahme gegen das Sars-CoV-2-Virus mit seinen Mutanten und anderen Viren bleiben - auch für geimpfte Personen.

Das Modell der Forscher ist in der Lage, unterschiedliche Ergebnisse des Maskentragens bei randomisierten klinischen Untersuchungen zu erklären. Einer der Autoren meint:

Wir sind überzeugt, dass die in unserer Studie gewonnenen mechanistischen Erkenntnisse und quantitativen Ergebnisse einen wissenschaftlichen Durchbruch darstellen, der dazu beitragen wird, die Debatte über die Nützlichkeit von Masken abzuschließen und die Covid-Pandemie effizient einzudämmen.

Auch wenn die Plausibilität des Modells und der Annahmen hoch ist, bleiben sie letzten Endes doch gut begründete Hypothesen, deren einzelne Bestandteile wieder randomisierte Überprüfungen bräuchten.

2020/2021 (November-April) wurde endlich eine randomisierte und kontrollierte Untersuchung über die Effizienz des Maskentragens vorgenommen. Sie umfasste eine große Menschengruppe und führte zu "robusten" empirischen Daten.

Die dazugehörige Studie [15] wurde am 01.09.2021 veröffentlicht. Peer-Rewarding steht noch aus. Sie könnte die Debatte über die Nützlichkeit von Masken beenden und ein Meilenstein in der weltweiten Bekämpfung von Covid-19 werden.

Das Unternehmen wurde von einer Forschergruppe aus USA-Universitäten geleitet, ideell und materiell unterstützt von vielen Institutionen, Vereinigungen und Privatleuten. Die Erprobung umfasste 600 Dörfer in Bangladesch und 342 000 Menschen.

Es bestanden zwei Vergleichsgruppen. In der Hälfte der Dörfer erhielt jede Familie 3 mehrfach verwendbare Mund-Nasen-Bedeckungen (Stoff- oder chirurgische Masken). Die Probanden wurden über Gebrauch und möglichen Nutzen des Maskentragens unterrichtet. Beobachter überwachten das Verhalten, das Auftreten von Covid-19-Symptomen und nahmen Blutproben, um Antikörper festzustellen.

13 Prozent der Menschen in den unversorgten Dörfern trugen Masken, 42 Prozent in den versorgten Dörfern; in letzteren führten die Interventionen zu mehr und länger anhaltenden Maskengebrauch. Die Maskenbenutzung korrelierte mit einer 11,2-prozentigen Reduktion der Covid-19-Symptomatik, des "Community-Levels" und einer Abnahme von 9,3 der "symptomatischen Seroprevalence" (Vorkommen des Virus bei Bluttests).

Die Abnahme der Covid-19-Erkrankungen bei Senioren betrug 34 Prozent. Dies schließt eine Senkung der Todesfälle bei den Erkrankten um zehn Prozent ein. (Die Zahlen beziehen sich auf Communitys. Individuelles Verhalten kann andere Resultate haben!)

Wo chirurgische Masken getragen wurden, war der Prozentsatz höher, aber auch Stoffmasken die beliebter waren - zeigten eine schützende Wirkung. Vorherrschend in den Dörfern war die sehr ansteckende Alpha-Variante des Virus. Auf Abstandswahrung wurde nicht immer geachtet - verständlich in diesem soziokulturellen Umfeld, auf das die Erprobung auch in anderer Hinsicht Rücksicht nahm.

Das Ergebnis für die Eindämmung des Virus scheint klein zu sein, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass eine höhere Beteiligung am Maskengebrauch, konsequentere Abstandswahrung und Hygiene-Maßnahmen den Erfolg wesentlich gesteigert hätten (siehe die vorher zitierte Studie).

Jedenfalls beantworten die Forscher die Frage, ob allein schon medizinische Masken die Ansteckungs- und Verbreitungsgefahr mindern, mit einem klaren "Ja". Die Autoren heben hervor, dass eine kulturangemessene Aktivierung einer Bevölkerung für das Maskentragen erfolgreich sein kann und der Gebrauch von Masken in Entwicklungsländern ein einfaches Mittel ist, um eine mangelnde Impfversorgung vorerst zu überbrücken.

Teil 2: Corona-Pandemie: Virologen und Pädagogen müssen gehört werden? [16]


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Links in diesem Artikel:
[1] https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/news-blog-corona-schule-neues-schuljahr/
[2] https://www.openpetition.de/petition/online/sofortige-abschaffung-der-maskenpflicht-an-allen-schulen/
[3] https://www.bz-berlin.de/berlin/hunderte-unterschreiben-petition-gegen-maskenpflicht-ende-an-schulen
[4] https://www.news4teachers.de/2021/10/aerzte-funktionaere-draengen-schon-wieder-darauf-maskenpflicht-an-schulen-zu-streichen-virologin-brinkmann-dumm/
[5] https://www.zeit.de/2021/41/corona-maskenpflicht-schule-kinder-impfung-unterricht
[6] https://netzpolitik.org/2021/bildungssenat-berlin-wer-spammt-gewinnt
[7] https://netzpolitik.org/2021/bildungssenat-berlin-wer-spammt-gewinnt
[8] https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/dringend-zu-klaeren-sind-gesichtsmasken-fuer-kinder-unbedenklich/
[9] https://www.heise.de/tp/features/Maskenpflicht-in-der-Grundschule-4959380.htm
[10] https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Kurzfassungen-2021/MVF0521/Schrappe_etal_ThesenpapierProzent208-0Prozent20
[11] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31142-9/fulltext
[12] https://www.aerzteblatt.de/archiv/217465/Schutz-vor-COVID-19-Wirksamkeit-des-Mund-Nasen-Schutzes
[13] https://www.mpg.de/16926436/gesichtsmasken-corona-infektion-covid-19
[14] https://www.science.org/lookup/doi/10.1126/science.abg6296
[15] https://www.poverty-action.org/publication/impact-community-masking-covid-19-cluster-randomized-trial-bangladesh
[16] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Pandemie-Virologen-und-Paedagogen-muessen-gleichermassen-gehoert-werden-6222124.html